Wo geht's lang und mit wem?
Ex- und Linksgrüne suchen nach Perspektiven
Jürgen Trittin verteidigt das Sparpaket der Bundesregierung und schließt sich so den Sachzwangargumenten der rot-grünen Austeritätspolitik an. Angesichts der Ereignisse in Osttimor ruft Außenminister Joschka Fischer nach einer militärischen Eingreiftruppe. Die grünen Finanzpolitiker kommen mit immer neuen "Reformvorschlägen", die sie als die wahren Modernisierer gegenüber der SPD erscheinen lassen sollen. Die Rechtsverschiebung der Grünen nimmt immer stärker Kontur an. Was machen die (ehemaligen) linken Grünen? Nach ihrer Niederlage in Bielefeld sammeln sie erst einmal ihre Kohorten und sondieren das Schlachtfeld.
Der Bielefelder Kriegsparteitag markierte einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Bündnisgrünen. Die Regierungspraxis von Rot-Grün verursachte schon in den Monaten zuvor viel Unmut und Resignation bei den Parteimitgliedern. Mit der Unterstützung des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien war für einige der Parteilinken ein Punkt erreicht, wo sie ihrer Partei den Rücken kehrten. Vor allem im Ruhrgebiet und in Hamburg entstanden organisatorische Zusammenhänge, die außerhalb der grünen Partei angesiedelt sind. In Hamburg formierte sich um fünf dissidente Abgeordnete der Bürgerschaft die Gruppe "Regenbogen - für eine neue Linke". Unter dem Namen "Netzwerk ,Grün-links-alternativ`-Ruhrgebiet" sammelten sich in NRW ehemalige Grüne aus verschiedenen Städten. Daneben gibt es noch "Grünlinks Niedersachen" und die Initiative "BasisGrün", die durch eine stärkere Bindung an die Mutterpartei charakterisiert sind.
Diese Gruppen, zusammen mit den sieben grünen Bundestagsabgeordneten um Annelie Buntenbach, Christian Ströbele und Christian Simmert, die sich im Parlament gegen die Kriegspolitik der Regierung gestellt hatten, und den Resten des "Babelsberger Kreises", dem Zusammenschluß der grünen Parteilinken, unternahmen am 6. Juni den Versuch, ein bundesweites Netzwerk zu gründen. Das Treffen der ca. 600 TeilnehmerInnen endete im Chaos. (vgl. ak 427) Noch bevor man sich arbeitsfähige Strukturen geben konnte, zogen sich Annelie Buntenbach, Christian Simmert und mit ihnen die VertreterInnen des "Babelsberger Kreises" aus dem Netzwerk zurück. Einen Tag später folgte "BasisGrün".
Die Schatten der Vergangenheit
Damit war aber noch nicht aller Tage Abend. In Dortmund war von den verbliebenen TeilnehmerInnen ein kommissarischer Arbeitsausschuß gebildet worden, der die weiteren Schritte planen sollte - konkret: die Durchführung eines Strategiekongresses im Herbst dieses Jahres. Wohl angesichts des strategischen Dilemmas, daß keine Gruppe alleine bundesweite Ausstrahlung gewinnen könnte, trafen sich mit Ausnahme der "Babelsberger" alle in der Vorbereitungsgruppe wieder, die schon in Dortmund dabei waren: das "Ruhrgebiet-Netzwerk" um Eckhard Stratmann-Mertens, "BasisGrün", "Grünlinks Niedersachsen", "Regenbogen" und Annelie Buntenbach als Vertreterin der Bundestagsabgeordneten.
Die Zusammenarbeit im Vorbereitungskreis ist gekennzeichnet von denselben Auseinandersetzungen und Widersprüchen, die auch auf dem Dortmunder Treffen aufgetreten waren. Im Kern geht es dabei um die Frage, welches Verhältnis das Netzwerk von "Nie-Grünen, Ex-Grünen und Grünen" zur grünen Partei haben soll.
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die das Netzwerk als außerhalb und unabhängig von Parteien - vor allem den Grünen - ansehen. Es sind vor allem ausgetretene Parteimitglieder, die diese Richtung ausmachen. Vertreten werden sie durch das "Ruhrgebiets-Netzwerk". Eckhard Stratmann-Mertens plädiert mehr oder minder offen für einen eigenständigen Organisationsaufbau, wenn er ein solches Netzwerk als "alternative ,politische Gruppierung`" definiert. Dabei geht er davon aus, daß jenseits der Grünen und der PDS Raum für eine "(Wahl-)Alternative" bestünde. Die Rechtsentwicklung der Grünen und die Herkunft der PDS aus der SED, die sie für das "verwaiste Erbe der Grünen in Westdeutschland" unattraktiv mache, - so Stratmann-Mertens - hinterlasse ein "politisches Vakuum". Mit Blick auf die Hamburger "Regenbogen"-Gruppe und die Berliner "Demokratische Linke", die von Dissidenten aus der SPD, der PDS und den Grünen gegründet wurde und zu den Abgeordnetenhauswahlen im Oktober antritt, erinnert er sich früheren Zeiten: "Möglicherweise entsteht bundesweit ein ähnlicher Flickenteppich von grün-links-alternativen Wahlbündnissen wie Ende der siebziger Jahre vor Gründung der Grünen." (Andere Zeiten 4/99) Das Dortmunder Treffen will er nicht als Debakel bezeichnen: "Dortmund war ... der mit Richtungskonflikten behaftete Beginn eines bundesweiten Vernetzungsprozesses".
So bleibt das Ansinnen des "Ruhrgebiets-Netzwerks" im Kern grün-lastig, gerade weil immer wieder die deutliche Abgrenzung von den Grünen herausgestellt wird. Zwar wird von einem inhaltlichen und organisatorischen Neuanfang geredet, was dahinter steht, ist allerdings nicht mehr als der Versuch, zu den Anfängen der alternativen Wahlbewegung der siebziger Jahre zurückzukehren: Inhaltlich wie organisatorisch soll das "verwaiste Erbe der Grünen" - diese Formulierung macht schon stutzig - angetreten werden. Jutta Ditfurths Ökolinx läßt grüßen. Die weitere Zukunft dieser Richtung dürfte dann wohl auch nicht rosiger aussehen als die des Spaltprodukts von Anfang der 90er Jahre.
Ganz anders als die Ruhrgebietler schätzt der NRW-Grüne Daniel Kreutz die Situation der linken Grünen und Ex-Grünen ein. Für ihn ist "die Beantwortung der Frage nach einem neuen, politikfähigen linken Pol in Dortmund schon im Ansatz" gescheitert. (Andere Zeiten 2/99) Kein Wunder, waren seine Zielvorgaben für dieses Treffen und die Aufgabenbestimmungen eines zu gründenden Netzwerkes doch ganz andere: "Im Initiatorenkreis ... bestand Konsens, daß es nicht um eine wie auch immer definierte Parteiströmung, sondern um die Entwicklung eines parteiunabhängigen, nicht parteiförmigen, aber politikfähigen offenen Netzwerks ,Grüner, noch-Grüner, ex-Grüner und noch-nie-Grüner` gehen müsse, daß sich aktiv um solidarische Kooperation mit kompatiblen linksdemokratischen und anderen Kräften in der Gesellschaft bemüht."
Was hier erkennbar wird, ist - unabhängig davon, wie man die Realisierungschancen einschätzt - das Bemühen, eingefahrene Wege zu verlassen und eine Neuformierung des linksreformistischen Lagers ins Auge zu fassen. Ausgetretene Wege sollen verlassen werden - so lautet jedenfalls der eigene Anspruch. Daß man dabei erst einmal nicht auf eine eigenständige (parteiförmige) Organisierung setzt, ist einerseits der allgemeinen politischen Lage geschuldet, aber auch Ausdruck strategischer Überlegungen. Die Fronten gegenüber einem reformerischen Projekt verliefen - so Kreutz - nicht mehr zwischen den "Mitte-Links-Parteien und ihren Wählerschaften, sondern durch sie hindurch." Inwieweit sich diese Überlegungen allerdings von den "Crossover"-Versuchen der letzten Jahre abheben, ist nicht erkennbar. Seit 1996 gab es unter diesem Motto Diskussionen zwischen linken Grünen und SPDlern sowie der PDS über die Konturen eines sozial-ökologischen Reformprojekts. Viel herausgekommen ist dabei allerdings nicht. Deutlich ist nur soviel, daß Kreutz auch die außerparlamentarische und gewerkschaftliche Linke im Auge hat.
Euphorie kommt nicht auf
Für die innerparteiliche Strategiedebatte der linken Grünen macht Daniel Kreutz allerdings neue Vorschläge. Deutlich rechnet er mit dem "Babelsberger Kreis" ab. "Das traditionelle Babelsberger Konzept einer ,Rückgewinnung linker Mehrheiten` (in den Grünen) ist zugunsten einer strukturellen Mitte-Rechts-Mehrheit gescheitert." Sein Gegenvorschlag: Die Parteilinke solle sich als "robuste Minderheit" in der Partei rekonstruieren, die offen den programmatischen Dissens zur Gesamtpartei benennt, eigene Öffentlichkeitsarbeit betreibt, deren Mandatsträger mit der Fraktionsdisziplin brechen sollen und die sich durch ein "parteiunabhängiges Netzwerk ... eigenständige Wege politischen Handelns in die Gesellschaft hinein" erschließt. Nicht verwunderlich, daß das "Ruhrgebiets-Netzwerk" sofort Instrumentalisierung vermutet, und alle, die an einer Zusammenarbeit mit linken Grünen festhalten wollen, der Sabotage der Netzwerk-Idee bezichtigt.
Vor diesem Hintergrund kam es in den vergangenen Wochen im Vorbereitungskreis zu heftigen Auseinandersetzungen, die zum größten Teil auf der Ebene persönlicher Angriffe und Unterstellungen geführt wurden. Das hier erkennbare Niveau wirft ein Licht auf die mangelhafte politische Substanz einzelner Akteure. Dieser Mangel dürfte denn wohl auch eher der Grund dafür sein, daß aus dem geplanten Strategiekongreß im Herbst nicht mehr wird, als die Verschwörungs-Spekulationen, dahinter stünden die gezielte Obstruktion der linken Bundestagsabgeordneten, "BasisGrün" und anderer.
Dabei ist nicht anzunehmen, daß Daniel Kreutz bei den linken Grünen mit seinem Vorschlag auf viel Resonanz stößt. Von den sieben Bundestagsabgeordneten dürfte wohl Annelie Buntenbach solchen Vorstellungen am nähesten stehen. Bei allen anderen ist offen, wie sie der Idee einer "robusten Minderheit" gegenüberstehen. Konsequent umgesetzt, würde dieser Weg nämlich über kurz oder lang aus den Grünen herausführen. Daß zum Beispiel Christian Ströbele dazu bereit wäre, kann getrost bezweifelt werden.
Die Reste des "Babelsberger Kreises" jedenfalls, die derzeit um den Herausgeberkreis der Anderen Zeiten einen Neuanfang versuchen, haben sich schon entschieden. Sie wollen den alten Weg weiter beschreiten. Schon werden erste Papiere geschrieben, um den "Kampf" um das neue grüne Grundsatzprogramm aufnehmen zu können. Für den November ist ein entsprechendes Papier bereits angekündigt. Beteiligt an diesen Diskussionen ist auch Christian Ströbele.
Auf der anderen Seite einigten sich Mitte September - trotz aller Verwerfungen der vergangenen Wochen - "Regenbogen", "BasisGrün", "Grünlinks Niedersachsen", "Ruhrgebiets-Netzwerk" und die von Annelie Buntenbach vertretenen linksgrünen MdBs vorerst darauf, Anfang November als Ersatz für die geplante Strategiekonferenz eine eintägige Arbeitstagung durchzuführen. Dabei will man über die soziale Frage und das Thema Arbeit reden. Am Rande, nicht zentral soll es bei diesem Treffen auch um die eigene weitere Zukunft gehen. Die Arbeitskonferenz ist so offensichtlich nur noch ein Test, der zeigen soll, ob eine weitere Zusammenarbeit überhaupt noch möglich ist. Falls das Experiment zufriedenstellend verläuft, soll das Projekt Strategiekonferenz noch einmal angegangen werden.
mb., Berlin