Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 430 / 23.9.1999

Militärintervention und Neuordnung

Kolumbien droht ein internationaler Truppeneinmarsch

Kurz vor dem Abzug der US-Truppen aus Panama hat die Militärstrategen des Pentagon eine hektische Geschäftigkeit erfaßt. In Peru, Ecuador, Brasilien und Argentinien diskutierten Clintons Gesandte in den letzten Wochen die Entsendung einer US-geleiteten multinationalen Interventionstruppe nach Kolumbien. Das südamerikanische Land, das von Streiks im öffentlichen Sektor und schweren Gefechten zwischen Armee und Guerilla erschüttert wird, gilt als Instabilitätsfaktor in der Region.

Die beunruhigendste Nachricht im Zusammenhang mit dem kolumbianischen Konflikt wurde Anfang September nicht aus dem südamerikanischen Land selbst, sondern aus dem brasilianischen Manaos vermeldet. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez - ein linksnationalistischer Offizier, 1992 noch wegen der Organisierung eines Aufstandes gegen die korrupte Pérez-Regierung mit Gefängnis bestraft und im vergangenen Jahr Wahlsieger - traf sich in der Amazonasmetropole mit dem brasilianischen Staatschef Fernando Henrique Cardoso, um diesen zu einer klaren Stellungnahme gegen eine Militärintervention in Kolumbien zu bewegen. Eine solche Operation wäre verhängnisvoll, erklärte Chávez und würde auch Venezuela in den Konflikt hineinziehen. (El Espectador, 6.9.1999) Um eine politische Lösung herbeizuführen, sollten befreundete lateinamerikanische Staaten die Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla in Kolumbien aktiv unterstützen.

Für wie ernst die venezolanische Regierung die Interventionsgerüchte in der Region hält, zeigt sich am Ausmaß ihrer Reisediplomatie, trotz der großen innenpolitischen Konflikte im Land selbst. So reiste der Außenminister José Vicente Rangel im gleichen Zeitraum nach Buenos Aires, um gegenüber dem argentinischen Präsidenten Menem die venezolanische Position zu bekräftigen. Menem gilt neben Fujimori als wichtigster Verbündeter der US-Militärpläne. Außerdem kündigte Chávez an, sich Ende September mit den Generalsekretären der UNO, der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) und dem Papst zu treffen, um über Friedensinitiativen für Kolumbien zu beraten. Chávez schwebt nach eigenen Angaben eine internationale Konferenz unter UN-Mandat vor, die er eventuell schon beim Jahrestreffen der UNESCO im Oktober öffentlich vorstellen will.

Die hektische Reisediplomatie hat handfeste Gründe: Ende August erklärte der argentinische Präsident Carlos Menem bei einem Treffen mit US-General und "Drogenbekämpfer" Barry McCaffrey erneut seine Bereitschaft, im Rahmen einer internationalen Operation argentinische Truppen nach Kolumbien zu entsenden; er forderte regelrecht eine derartige Aktion ein. Auch aus Peru und Ecuador wird berichtet, daß US-Gesandte bereits detaillierte militärische Absprachen mit den jeweiligen Regierungen getroffen haben. Der peruanische General Montesino, ein Vertrauter Fujimoris und nach Presseberichten seit den 70er Jahren auch als CIA-Agent tätig, bestätigte unlängst in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung ABC, daß bei den Gesprächen auch konkrete Interventionspläne erörtert wurden.

Innere Aufrüstung

Schon seit 1996, seit die FARC-Guerilla in Südkolumbien der Armee mehrere vernichtende Niederlagen zugefügt hat, geben sich hochrangige US-Delegationen in der Region die Klinke in die Hand. Unter dem Deckmantel der "Drogenbekämpfung" wird eine schleichende Intervention eingeleitet. So ist Kolumbien im vergangenen Jahr zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe in der Welt aufgestiegen. Als der kolumbianische General Tapias Stahelin und Verteidigungsminister Ramírez im Juli in Washington wegen der Erhöhung der Militärhilfe auf 500 Millionen US-Dollar jährlich vorstellig wurden, erwiderte ihnen der Ex-General Barry McCaffrey, seines Zeichens Mitglied im US-Sicherheitsrat, 500 Millionen seien in Anbetracht der katastrophalen Lage in Kolumbien nicht genug. Das Land brauche 1 Milliarde Dollar jährlich, inzwischen sind sogar 1,3 Milliarden im Gespräch.

Nach Angaben lateinamerikanischer Medien haben Barry McCaffrey, der Chef des US-Kommandos Süd Charles E. Wilhelm sowie der Staatssekretär und Clinton-Vertraute Thomas Pickering inzwischen mit den meisten lateinamerikanischen Regierungen über die Initiative einer multinationalen Eingreiftruppe gesprochen. McCaffrey erklärte bei seinem Besuch in Buenos Aires gegenüber der Tageszeitung Clarin beispielsweise, "die FARC hätten kein Interesse an einer friedlichen Lösung" und die US-Regierung "müsse bis Weihnachten eine Entscheidung getroffen haben". Dies stimmt auch mit Äußerungen von Außenministerin Albright überein, die gegenüber der New York Times unlängst sagte, "die Probleme Kolumbiens gingen über die Grenzen hinaus und hätten Auswirkungen auf die Stabilität in der ganzen Region."

Um nicht in ein Abenteuer wie in Vietnam hineinzurutschen, versucht sich die Clinton-Administration allerdings in verschiedene Richtungen abzusichern. So erklärte McCaffrey, eine direkte US-Intervention sei "selbstmörderisch". Man bevorzugt stattdessen die Entsendung einer peruanisch-ecuadorianisch-brasilianischen Eingreiftruppe, die diskret von US-Sicherheitsspezialisten und Militärberatern geleitet und von Flugzeugträgern der US-Navy unterstützt werden könnte.

In der kolumbianischen Tageszeitung El Colombiano wurde sogar schon ein Termin für eine derartige Operation genannt. Anfang 2000 werde die Regierung Pastrana ihre Gespräche mit der Guerilla abbrechen und dann internationale Hilfe anfordern können, hieß es Anfang September. Der im schwedischen Exil ansässige kolumbianische Nachrichtendienst Anncol zitierte den peruanischen General Montesino, wonach eine mehrstufige Intervention möglich sei. Zunächst sei an den Einsatz von 120.000 Soldaten gedacht, die 45-60 Tage lang Guerilla-Camps in der Grenzregion angreifen und von der kolumbianischen Armee eroberte Gebiete sichern könnten. Dazu kämen dann noch Luftstreitkräfte und Marinedivisionen.

US-Streitkräfte setzen sich fest

Selbst wenn es jedoch nicht zu einer direkten Invasion käme, gibt es schon jetzt eine umfassende Neuformierung der US-Truppenpräsenz in der Region, die sich nur noch schlecht unter dem Deckmantel der "Drogenbekämpfung" verbergen läßt. So hat die US-Army erklärt, daß die heute in Panama stationierten Truppen nach der Übergabe der Kanalzone an Panama auf keinen Fall nach Norden zurückverlegt werden. Sie sollen vielmehr innerhalb der Karibik auf verschiedene Stützpunkten verteilt werden.

Die Wahl der rechten Kandidatin Mireya Moscoso zur panamenischen Präsidentin kam dem US-Generalstab gerade recht. Trotz der 1977 getroffenen Vereinbarung, alle US-Einrichtungen in der Kanalzone zur Jahrtausendwende zu schließen, will die neue Präsidentin Moscoso 3300 US-Soldaten "zum Minenräumen" in Panama belassen. Angekündigt wurde außerdem, daß diese Truppen auch die panamenische Polizei in Anti-Guerilla-Taktiken ausbilden soll (Panama besitzt seit der US-Invasion 1990 keine eigene Armee mehr). Weitere 1830 US-Infanteristen aus der Kanalzone sowie 2700 Angehörige von Spezialeinheiten werden auf den Karibikinseln Aruba und Curacao unweit der kolumbianischen Küste stationiert, wo im Moment neue militärmaschinentaugliche Flugplätze gebaut werden. Etwa 1000 Soldaten plus Hubschrauber kommen zudem auf den hondurenischen Stützpunkt Soto de Caño, von dem aus man sowohl die Unruhegebiete in Mexiko als auch die kolumbianischen Kriegsgebiete erreichen kann. Der Rest des US-Kommandos Süd soll nach Puerto Rico verlegt werden, wo die Militärpräsenz im Augenblick massiv ausgebaut wird.

Zur wichtigsten Basis für die Anti-Guerilla-Operationen in Kolumbien wird jedoch das Amazonasbecken. Die in den vergangenen sechs Monaten ausgebauten Stützpunkte im peruanischen Riverine (Iquitos) und im ecuadorianischen El Coca, die beide unweit der kolumbianischen Grenze liegen, werden vollständig vom US-Verteidigungsministerium finanziert und besitzen eine starke Präsenz von US-amerikanischen Special Operation Forces (SOF), die dort auch brasilianische Militärs im Dschungelkampf ausbilden. Über die Pläne der SOF in Amazonien hieß es unlängst im US-Verteidigungsschuß: "Die Sensibilität der Spezialoperationen in Lateinamerika hindert uns, die Operationen in diesem Bericht zu diskutieren." Mit US-Hilfe ausgebaut wurden auch die im kolumbianischen Amazonien gelegenen Stützpunkte Puerto Leguízamo (an der peruanischen Grenze) und Tres Esquinas (Departement Guaviare).

Die US-Präsenz in den wichtigsten kolumbianischen Militärbasen Tolemaida (Departement Tolima) - gleichzeitig wichtiger Ausbildungsort der Paramilitärs - und Tres Esquinas wird im Augenblick auf 160 US-Militärs sowie 30 zivile US-Spezialisten beziffert. Sie sind unter anderem mit der Ausbildung sogenannter Batallones Anti-Narcóticos, Anti-Drogeneinheiten, beauftragt, die - wie man mittlerweile offiziell zugibt - auch zur Bekämpfung der Guerilla dienen sollen. De facto werden sie dies wohl fast ausschließlich tun. In dem im Dezember 1998 verabschiedeten bilateralen Militärabkommen zwischen Kolumbien und den USA ist von einer noch höheren Beraterzahl die Rede. General Wilhelm äußerte, mindestens 2000 Militärberater seien mittelfristig in Kolumbien nötig.

Auch die zivil-militärische Präsenz der USA wächst. In der im reichen Norden Bogotás neugebauten US-Botschaft, die einem Bunker gleicht, ist das Personal im vergangenen Jahr von 282 auf 360 Angestellte aufgestockt worden, davon 120 Personen mit "Spezialaufgaben". Die US-Berater sind längst nicht mehr nur in der Armee und Polizei tätig. Auch im Justiz- und Gefängniswesen und vermutlich auch in den Medienstellen sind US-Spezialisten aktiv.

Der Schlüsselbereich ist allerdings neuerdings die Luftunterstützung. Schon seit Jahren kreuzen Hochtechnologieflug- zeuge der US-Luftwaffe über kolumbianischem Territorium, um die Funkverbindungen der Guerilla mitzuschneiden, Truppenkonzentratio- nen zu orten und verschlüsselte Nachrichten zu dekodieren. Dabei greifen die US-Flugzeuge neuerdings auch ganz offiziell "als logistische Unterstützung" in Kämpfe ein. Bei den letzten Gefechten mit den FARC im Juli diesen Jahres lieferte die US-Luftwaffe den kolumbianischen Piloten Informationen über die Einsatzziele. Der Großteil der US-Flugzeuge startet dabei von den niederländischen Inseln Aruba und Curacao oder dem ecuadorianischen Luftwaffenstützpunkt Manta aus. Als im vergangenen Juni eine mit Spionagegeräten vollgestopfte US-RC-7 in Südkolumbien abstürzte, wurden innerhalb kürzester Zeit 24 Flugzeuge der US-Luftwaffe in die Absturzregion mobilisiert.

Umstrukturierungen der Militärpräsenz

Trotz des ständigen Anstiegs der schleichenden Intervention werden Vorbereitungen zur Bildung einer multinationalen Truppe getroffen. Dafür werden auch alte Feindschaften zurückgestellt. Auf den Druck Washingtons hin haben Ecuador und Peru ihre Grenzstreitigkeiten beigelegt und die Truppen an die kolumbianischen Grenzen verlegt. Ähnlich überraschende Umstrukturierungen werden auch aus Argentinien gemeldet, wo man der Presseagentur Anncol zufolge auf den Malvinen einen 13.000 Soldaten fassenden, gemeinsam von den USA, Großbritannien und Argentinien genutzten Militärstützpunkt errichten will. Zwar ist der britisch-argentinische Konflikt bis heute nicht beigelegt, die Blair-Regierung gilt jedoch als entschiedener Fürsprecher einer militärischen Lösung in Kolumbien, seitdem British Petroleum Milliarden in die kolumbianischen Erdölindustrie investierte.

Am problematischsten dürfte die Situation in Venezuela werden, wo die traditionelle Oligarchie auch aus innenpolitischen Motiven gegen den Präsidenten Hugo Chávez mobil macht. Das Land ist seit Jahren in den kolumbianischen Konflikt verwickelt. Aus den nordostkolumbianischen Kriegsprovinzen reißen die Flüchtlingsströme nach Venezuela nicht ab. Zwar haben die Guerillaorganisationen ELN und FARC mit der Machtübernahme der Regierung Chávez ihre Aktionen auf venezolanischem Gebiet eingestellt, doch nun werden die rechten Paramilitärs immer aktiver.

Zur Ausweitung des Krieges paßt auch die Meinungsoffensive, die im Moment gegen Chávez veranstaltet wird. In den USA wurde im August die bizarre Theorie einer "Achse Castro-Chávez-FARC" lanciert, als ob sich der Weltkommunismus nun in der Karibik neuformieren würde. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat der venezolanischen Rechten Henrique Salas Römer nannte Chávez gar "einen Intimfreund der kolumbianischen Guerilla". Die Regierung Chávez ist zwar US-kritisch und verfolgt die bolivarianische Idee eines lateinamerikanischen (Inter-) Nationalismus, aber mit den sozialistischen Konzepten von ELN und FARC hat sie nichts am Hut. Das wissen auch die Urheber dieser Gerüchte, denen es vor allem darum gehen dürfte, die Regierung in Caracas zu destabilisieren oder ihre Friedensbemühungen zu sabotieren. Es wäre wahrlich keine Überraschung, wenn Chávez das gleiche Schicksal ereilen würde wie einst den panamenischen Präsidenten Torrijos, der 1981 auch über seinen lateinamerikanischen Antiimperialismus stürzte.

Fadenscheinige Begründungen

Daß die Interventionspläne in der Region immer wieder in den Zusammenhang mit Menschenrechten und Drogenbekämpfung gebracht werden, ist eine reine Farce. Der Menem-Administration in Buenos Aires, die als wichtigster US-Verbündeter in Lateinamerika gilt, werden selbst Verwicklungen in schwere Drogenskandale nachgesagt. Darüberhinaus kontrollieren die kolumbianischen Militärs, die zweiten wichtigen US-Partner, die Häfen von Urabá (Nordwestkolumbien), von denen aus 70% des für die USA bestimmten Kokains verschifft werden. Der kolumbianische Paramilitärkommandant Carlos Castaño, seinerseits wiederum ist eng mit der Armee liiert, stammt aus dem Medellín-Kartell und gilt als wichtigster Drogenhändler Kolumbiens.

Der Guerilla hingegen lassen sich keine direkten Verwicklungen in Drogengeschäfte nachweisen: Die ELN unterbindet den Kokaanbau in vielen ihrer Gebiete, die FARC kassieren zwar eine Steuer von den HändlerInnen, haben aber auch Substitutionsprojekte für die KleinbäuerInnen gefordert. Und was die Menschenrechte betrifft, ist die Heuchelei Washingtons sogar noch größer. Dem Jahresbericht von Amnesty International zufolge (El Colombiano 9.9.1999), gab es "in den ersten 8 Monaten diesen Jahres mehr als 1000 tote Zivilisten in Kolumbien, wobei die große Mehrheit von den von der Armee unterstützten Paramilitärs getötet wurde. Andere Zivilisten starben bei Bombardierungen der Luftwaffe oder wurden wegen ihrer politischer Überzeugung ermordet." Daß Amnesty auch der Guerilla vorwirft, einige Dutzend Zivilisten erschossen zu haben, ändert nichts an der Situation: Washington rüstet eine Armee auf, die schwerste Kriegsverbrechen begeht. Der Terror folgt der Logik der Low Intensity Warfare, der offiziellen US-Strategie für "Kriege geringer Intensität", die Under-Cover-Aktionen gegen Oppositionelle ausdrücklich mit einschließt.

Raul Zelik

Vom Autor erscheint im Oktober 1999 das Buch "Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung", ISP-Verlag, 248 Seiten, ca. 30 DM

Raul Zelik und Dario Azzellini stehen für Veranstaltungen zum schmutzigen Krieg und der drohenden Militärintervention in Kolumbien als Referenten zur Verfügung. Wer mit ihnen Kontakt aufnehmen möchte, kann sich telefonisch an die ak-redaktion oder schriftlich an die arranca! c/o Schwarze Risse, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin wenden.