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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 431 / 21.10.1999

"Keine Alternative zu Milosevic"

Interview mit dem Dissidenten Dragomir Olujic aus Belgrad über die serbische Opposition

Dragomir Olujic (51) ist Journalist und langjähriger Antikriegsaktivist aus Belgrad. Seit 1968 ist er in verschiedenen linksoppositionellen Bewegungen aktiv. Für sein Engagement in der Studentenbewegung, der oppositionellen Gewerkschaftsbewegung und der Antikriegsbewegung verbrachte er insgesamt über zwei Jahre im Gefängnis. Zur Zeit arbeitet er für die Zeitungen Odgovor und Nvo Glasnik aus Belgrad, sowie für Svijet aus Sarajevo und Tribina aus Tuzla (beide Bosnien-Herzegovina). Während der Nato-Luftangriffe hielt sich Dragomir Olujic in Belgrad auf, kürzlich besuchte er den Kosovo. Über seine Einschätzung der Opposition in Serbien und Möglichkeiten der Zusammenarbeit von serbischen und albanischen Gewerkschaftlern gibt er im folgenden Interview Auskunft. Die Fragen stellte Boris Kanzleiter.

ak: Wie schätzen Sie die innenpolitischen Auswirkungen der NATO-Bombardierungen in Jugoslawien ein. Wurde Milosevic letztlich doch geschwächt, wie man angesichts der Demonstrationen der letzten Wochen meinen könnte, oder hat er seine Machtbasis verbreitern können, wie Oppositionelle während des Kriegs immer wieder warnten?

Dragomir Olujic: Zunächst würde ich sagen, daß Milosevic und seine Regierung am meisten von den NATO-Luftangriffen profitiert haben. Die Folgen der Luftangriffe sind ganz andere, als damals von der NATO als Ziele deklariert wurden. Die erklärten Ziele waren, die jugoslawische Armee zu treffen, das Regime zu schwächen und die Kriegsverbrechen an den Kosovo-Albanern zu verhindern.

Erreicht wurde statt dessen, daß Milosevic gestärkt wurde. Der politische Abstand zwischen der Bevölkerung und der Regierung ist schmaler geworden. Die serbische Gesellschaft hat sich homogenisiert. Alle sogenannten oppositionellen Parteien standen dem Regime während der Luftangriffe zur Seite und nahmen teilweise noch radikalere nationalistische Position ein als die das Regime tragenden politischen Kräfte. Am besten hat Arkan (1) die Situation beschrieben, als er erklärte: "Jetzt sind wir alle Milosevic".

Auch die humanitäre Katastrophe im Kosovo ist nicht verhindert, sondern verschlimmert worden. Die NATO hat entgegen allen Beteuerungen die serbische Kriegsmaschinerie nicht entscheidend geschlagen. Parallel zur NATO-Bombardierung haben die serbische Polizei, die Armee und die paramilitärischen Einheiten etwa zehntausend namentlich bekannte Kosovo-Albaner umgebracht. 7.000 Albaner sitzen bis jetzt in serbischen Gefängnissen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um junge Menschen.

Aber zeigen nicht die Demonstrationen der letzten Wochen, daß die Unzufriedenheit in Serbien wächst, oder was bedeuten die Massenproteste?

Die sogenannte Opposition, also Vuk Draskovics Serbische Erneuerungsbewegung und Goran Djindjics Demokratische Partei, hatte in meinen Augen ihre Glaubwürdigkeit schon vor dem Krieg um den Kosovo verloren. In ihrer Position zu Kosovo unterscheiden sie sich nicht wesentlich von der Regierung. Das zeigt sich gerade jetzt wieder bei den aktuellen Demonstrationen. Die Parole dort lautet: "Milosevic Du hast Serbien verkauft und verraten". Eine Kritik am brutalen Vorgehen gegen die Kosovo-Albaner ist nicht zu hören.

Vuk Draskovic war während des Krieges Mitglied der Regierung und hat mit keinem Wort das Vorgehen der jugoslawischen Armee im Kosovo verurteilt, im Gegenteil. Auch nach dem Krieg hat er sich nie von den Verbrechen distanziert. Ein serbischer Soldat sei zu solchen Grausamkeiten ja gar nicht fähig, sagt er.

Auch Goran Djindjic ist ein guter Rhetoriker. Er vertritt letztlich dieselbe Position, kleidet sie aber in elegantere Worte. Bei Djindjic muß man auch immer im Hinterkopf haben, daß er sich am Ende des Bosnien-Krieges mit Radovan Karadzic, dem serbisch-nationalistischen Führer in Bosnien-Herzegovina, verbrüdert hat. Karadzic war für unzählige Kriegsverbrechen verantwortlich und jeder wußte das. Das haben sich die Leute gemerkt.

Die Opposition hat sich selbst besiegt. Zunächst durch ihre Rolle bei den Demonstrationen gegen den Wahlbetrug im Winter 1996/97 und dann durch ihre Politik auf lokaler Ebene. Sie hat nämlich keines der Wahlversprechen gehalten, die sie während der Bewegung gegeben hatte. Teilweise haben sie sich als schlimmer erwiesen als die Sozialistische Partei von Milosevic. Genau dieses Versagen der Opposition ist ein Grund dafür, warum sich in Serbien so wenig Menschen mit Politik beschäftigen und sich aktiv einsetzen. Der wichtigste Grund ist allerdings die schlimme soziale Lage in Serbien.

Dennoch konnte die Opposition teilweise bis zu hunderttausende Menschen mobilisieren ...

Ja, aber bei der Demonstration am 21. August, nebenbei gesagt einem wichtigen orthodoxen Feiertag, hat sich der desolate Zustand der Opposition deutlich gezeigt. Etwa 80.000 bis 100.000 Teilnehmer kamen auf die Demo. Zuerst erschien Prof. Mladjen Dinkic von der G-17 (2) auf die Bühne, dann folgte Djindjic und zum Schluß Draskovic. Alle widersprachen sich in ihren Redebeiträgen völlig. Bei der nächsten Großdemonstration, die einen Monat später stattfand, kamen nur noch 20.000 Menschen.

Die Opposition in Serbien ist keine wirkliche Alternative zu Milosevic, sondern lediglich eine Konkurrenz um die Macht. Sie hat nicht einmal die nationalistische Kriegspolitik glaubwürdig verurteilt. Sie behauptet lediglich, sie könne schneller und besser dasselbe machen wie Milosevic.

Wenn die gesellschaftliche Kritik am Vorgehen gegen die Kosovo-Albaner ausbleibt, hat dann die ultranationalistische Partei von Vojislav Seselj von der Unzufriedenheit profitiert?

Seselj und seine Leute in der Regierung sind nur die Vollstrecker von Milosevics Politik. Als nach dem Ende der NATO-Angriffe zehntausende Serben aus dem Kosovo nach Serbien geflohen sind, dachten viele, diese Leute wären das ideale Kanonenfutter für Seseljs aggressiven Nationalismus. Tatsächlich hat Seselj diese Leute aber links liegen lassen und ist nicht auf sie zugegangen.

Sehen Sie neben dem offensichtlichen Versagen der bürgerlichen Opposition auch Ansätze einer basisdemokratischen linken Opposition?

Es gibt in Serbien einige kleinere Parteien, wie die Sozialdemokratische, die ich für eine wirkliche Opposition halte. Sie haben aber keinen Zugriff auf die Medien und sind deshalb weitgehend unbekannt. Und es gibt noch eine dritte Kraft, nämlich Basisorganisationen, die während der Luftangriffe entstanden sind, zum Beispiel in Cacak, Nis und Kraljevo. Diese Organisationen sind sowohl gegen das Regime als auch gegen die Opposition gerichtet. Aber ihr Problem ist, wie sie über die lokale Ebene hinaus wirken können. Sollte ihnen dies gelingen, wären sie die einzige Chance auf ein demokratisches Serbien der Zukunft.

Gleich zu Anfang der Luftangriffe haben außerdem 50 Nichtregierungsorganisationen und die Gewerkschaft Nesavisnost die Jugoslawische Allianz gegründet. Sie haben jeden Tag die von serbischen Einheiten im Kosovo begangenen Kriegsverbrechen veröffentlicht, aber sich auch strikt gegen die NATO-Angriffe gewandt, weil sie alles nur noch schlimmer machten, wie sie betonten. Diese Gruppen haben das Problem, daß sie keine politischen Gruppen im eigentlichen Sinne sind, sondern besondere Interessen, wie die gewerkschaftlichen Forderungen der Arbeiter, vertreten und sich darauf beschränken. Dieses Bündnis konnte deshalb nicht zum politischen Faktor werden.

Sie haben die schlimme soziale Situation in Jugoslawien schon erwähnt. Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang das Ausmaß der Zerstörungen durch die NATO-Angriffe ein?

Die soziale Situation hat sich ohnehin stetig verschlechtert. Die Luftangriffe haben dies lediglich beschleunigt. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Viele Arbeiter sind zwangsbeurlaubt, weil es einfach keine Rohstoffe mehr gibt, um zu produzieren. Durch die Zerstörungen der Raffinerien und Brücken sind weitere Menschen arbeitslos geworden. 600.000 Menschen müssen sich in Volksküchen ernähren. Die serbische Wirtschaft arbeitet mit 10-15% ihrer Kapazitäten. Das einzige, was wirklich funktioniert, sind Post, Polizei und internationale Organisationen. Die Gehälter werden nicht gezahlt und in den Läden gibt es kaum etwas zu kaufen. Durchschnittlich kommen die Löhne acht Monate zu spät. Ich habe mein letztes Honorar zum Beispiel im März bekommen. Vor den Angriffen haben 62% der Bevölkerung unter dem Existenzminimum gelebt, jetzt sind es 69%.

Wie ging die Regierung in der Öffentlichkeit mit den Kriegszerstörungen um?

Die jugoslawischen Medien haben versucht, die Zerstörungen schlimmer darzustellen als sie wirklich sind. Die Zahl der zivilen Opfer lag nach meinen Informationen bei etwa 500 Personen, das waren hauptsächlich Leute, die nach einer Bombardierung ein bestimmtes getroffenes Gebäude anschauten und dann von einer zweiten Angriffswelle überrascht wurden. So wie die serbischen Medien die Zerstörungen übertrieben haben, versuchten sie die Erfolge der jugoslawischen Armee zu übertreiben. Nach amtlichen Angaben hat die jugoslawische Armee 160 NATO-Flugzeuge abgeschossen. Tatsächlich gibt es aber keine Beweise dafür, daß mehr als zwei Flugzeuge zerstört wurden. Diese beiden Flugzeugwracks wurden aus allen möglichen Perspektiven gefilmt und fotografiert. Warum die anderen angeblich abgeschossenen nicht?

Wie stellte der Staat in der Kriegssituation die Kontrolle über die Medien sicher?

In Serbien stellte das Regime während der Angriffe die gesamten Medien unter eine verschärfte Kontrolle. Selbst den unabhängigen Medien wie den Zeitschriften Danas, Nin und Vreme wurde angeordnet, daß sie zu erscheinen hätten. Alle Redakteure waren verpflichtet, jeden Morgen zu einem Briefing zu erscheinen, wo ihnen von Regierungsfunktionären angeordnet wurde, was sie zu schreiben hätten. Das ging bis zur Wortwahl. Alle waren verpflichtet, ihre Texte zensieren zu lassen. Ohne Unterschrift der Behörde war eine Veröffentlichung unmöglich.

Freunde, die beim Fernsehen arbeiten, haben mir erzählt, daß sie sogar die Programmankündigungen der Zensur vorlegen mußten. Es haben sich natürlich nicht alle Journalisten darauf eingelassen und haben einfach aufgehört zu schreiben.

Haben Sie während der Luftangriffe die Repression selbst zu spüren bekommen?

Während der Bombardierungen habe ich mit vielen Leuten aus dem Ausland telefoniert und wurde von vielen Menschen aus dem Ausland angerufen. Wir haben Informationen ausgetauscht und weitergegeben. Als ich am dritten oder vierten Tag der Luftangriffe begann, eine Kampagne zu starten, die zeigen sollte, daß das Bombardement letztlich dazu führen würde, Milosevic freie Hand für die Vertreibungen im Kosovo zu geben, wurde mein Chefredakteur zur Geheimpolizei gebeten. Die erzählten ihm, mit wem ich alles am Telefon gesprochen hätte. Sie gaben ihm den Tip, an mich auszurichten, daß ich meine Aktivitäten besser einstellen solle ... .

Als das Gebäude des Innenministeriums bombardiert wurde, habe ich einen großen Schreck bekommen. Ich hatte nämlich Angst, daß mein Dossier bei der Geheimpolizei verbrannt wäre. Das wäre die Vernichtung der Dokumentation von über dreißig Jahren harter Arbeit gewesen! Ich bin sofort hingegangen und habe nachgefragt, was mit den Dossiers passiert sei. Der Beamte meinte, daß ich mir keine Sorgen machen solle, da sie immer zwei Kopien an unterschiedlichen Stellen untergebracht hätten. Das ist mir natürlich bekannt, aber man muß im Krieg ja auch ein bißchen Spaß haben ... .

Um das Thema mal ganz zu wechseln. Denken Sie, daß es zu einer Unabhängigkeit des Kosovo kommen wird?

Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß. Aber wie die Dinge jetzt stehen, ist die Okkupation des Kosovo durch die serbische Armee durch eine andere Form der Okkupation ersetzt worden, durch die internationale Besetzung. Um das mal auf eine praktische Weise zu beschreiben: Die Fabriken im Kosovo sind den albanischen Arbeitern zweimal weggenommen worden. Zuerst durch die serbische Staatsmacht am Anfang der 90er Jahre, als das Autonomiestatut aufgehoben wurde und die bis dahin selbstverwalteten Betriebe durch serbische Unternehmensleitungen übernommen wurden. Und anschließend zum zweiten Mal durch die Privatisierung der Betriebe, die danach von Milosevic und seiner Clique betrieben wurde.

KFOR und die UN-Zivilverwaltung Unmik sind jetzt gerade damit beschäftigt, die albanischen Arbeiter wieder in ihren Betrieben arbeiten zu lassen, aber sie geben ihnen die Betriebe nicht zurück, sie bleiben privatisiert, Das heißt, sie erkennen die Tatsachen an, die das serbische Regime geschaffen hat. Deshalb haben die Bergarbeiter in Trpeca bereits mehrmals gegen die KFOR und Unmik demonstriert.

Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die USA und der IWF, hält die albanische Bewegung unter Kontrolle. Hasim Thaci wurde von ihnen als Kontrahent zu Adem Demaci aufgebaut. Demacis Politik, sowenig ich mit ihr einverstanden bin - war dennoch eine Politik einer unabhängigen Bewegung. Thaci ist einfach nur eine Marionette der USA. Die einzige Kraft, die nicht ohne weiteres unter der Kontrolle der internationalen Organisationen steht, sind die albanischen Gewerkschaften.

Nach meiner Einschätzung wird die internationale Gemeinschaft weiter daran arbeiten, die Bewegung der albanischen Gewerkschaften zu zerstören, um sie ganz aus der Öffentlichkeit zu beseitigen. Ich denke allerdings, daß sich auch andere politische Sektoren darauf besinnen, eine wirkliche Unabhängigkeit zu fordern. Wenn dies geschieht, wird die KFOR/Unmik aber wahrscheinlich auf den serbischen Vorschlag der ethnischen Parzellierung des Kosovo eingehen. Dann werden wir ein zweites Dayton erleben, also de facto eine Aufteilung des Kosovo nach ethnischen Kriterien.

Sie haben als serbischer Oppositioneller, der die nationalistische Politik Milosevics im Kosovo stets denunzierte und in Serbien in der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung engagiert ist, kürzlich ein vielleicht einmaliges Experiment unternommen. Sie haben gemeinsam mit Bajram Mustafa von der albanischen Bergarbeitergewerkschaft aus Kosovoska Mitrovica gemeinsam eine Veranstaltungstour durch England und Schottland unternommen. Wie waren die Erfahrungen?

Als ich Bajram Mustafa vor wenigen Wochen im Kosovo traf, sagt er mir noch, daß eine Zusammenarbeit mit Serben für ihn ausgeschlossen wäre ... Es war eine schöne Tour. Wir haben zehn Veranstaltungen gemacht, auf die jeweils 50 bis 100 Leute kamen. Viele Albaner, die die Treffen besuchten, haben mir danach gesagt, daß sie nie gedacht hätten, daß es so etwas noch einmal geben könnte. Bajram und ich haben uns prima verstanden.

Anmerkungen:

1) "Arkan" ("Tiger") heißt mit bürgerlichem Namen Zeljko Raznjatovic. Er führt paramilitärische Milizen an, die während des Kriegs in Bosnien-Herzegovina mehrere tausend Zivilisten umbrachten und auch im Kosovokrieg eingesetzt waren. In Belgrad kontrolliert Arkan, der mit einer populären Popsängerin verheiratet ist, eine Mafiastruktur.

2) G-17: Gruppe von liberalen Wirtschaftsexperten.