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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 431 / 21.10.1999

Faschismus an der Donau?

Rassistische Parolen machen Jörg Haider zum Wahlsieger

Österreich ist eine Insel der Seligen. Mit diesen Worten beschrieb Papst Paul VI. vor mehr als 20 Jahren das kleine Land im Herzen des Kontinents. Es war die Zeit, als Bruno Kreisky den Posten des Bundeskanzlers der Republik und Kurt Waldheim den des Generalsekretärs der UNO bekleideten. Innenpolitisch stabil und außenpolitisch integrativ, so konnte man den sozialdemokratischen Kurs jener siebziger Jahre beschreiben, dem ein schwaches Besitzbürgertum im Lande nichts entgegenzusetzen hatte als den über die ÖVP vermittelten Gewerbe- und Bauernschutz. Die Sozialpartnerschaft stand in ihrer höchsten Blüte.

In Wien wurde das erste PLO-Büro Westeuropas errichtet, Libyens Muammar Ghaddafi reiste mit großem Pomp zur Eröffnung der größten Moschee in die Donaumetropole, Bruno Kreisky attestierte. Und sein Außenminister Erwin Lanc forderte auf den Sitzungen von Weltbank und Internationalem Währungsfond eine rasche Umschuldung für Jugoslawien, ansonsten könnte es zu nationalen Krisen nach dem Tode Titos kommen.

Eine Generation später erhält der nationalliberale Rechtspopulist Jörg Haider, mittlerweile zum Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Kärnten aufgestiegen, mit seiner FPÖ über ein Viertel der WählerInnenstimmen - bundesweit. Weltweit herrscht darob Aufregung und Empörung. In Israel, den USA und in Deutschland erheben Polit- und Medienzentralen warnend ihre Zeigefinger. Allenthalben sieht man an der Donau einen neuen Faschismus heraufdämmern. Was ist geschehen? Und wohin führt Österreichs Rechtsruck innenpolitisch und international?

30 Jahre Sozialdemokratie = 25% Haiderianer

Aus der Vogelperspektive betrachtet - ein zugegeben etwas verschobener Blickwinkel - könnte man dem päpstlichen Wort von anno dazumal auch heute noch etwas abgewinnen. Österreich ist eine Insel der Seligen. Das Land kennt - neben Luxemburg - die niedrigste Arbeitslosenrate in der Europäischen Union, hunderttausende Frühpensionisten genießen einen konsumfreudigen Lebensabend, soziale Einrichtungen funktionieren im europäischen Vergleich meist vorbildhaft - statistisch ist der Wohlstand noch nicht auf die schiefe Bahn geraten. Und außenpolitisch gilt nach wie vor das Neutralitätsgesetz, die Erweiterungsrunde der NATO vom Sommer dieses Jahres ging an Wien Richtung Osten vorüber, im Krieg der westlichen Wertegemeinschaft gegen Jugoslawien hat das Land - wie sonst nur noch die Schweiz - seinen Luftraum für NATO-Überflüge nicht freigegeben. 30 Jahre sozialdemokratische Kanzlerschaft haben offensichtlich doch Spuren hinterlassen.

Demgegenüber Deutschland, wo nach einem halben Jahr rosa-grüner Koalition eine neue Kriegsgeneration auferstanden ist, die die Bombardierungen eines Feindlandes unter dem Stichwort "Menschenrechte" verarbeitet. Die Reformierung der NATO-Doktrin zu einer allzeit bereiten Schnellen Eingreiftruppe im Dienste von freiem Investitionszugang und Ressourcentransfer hat Deutschlands Soldaten die Welt geöffnet, soweit sie sich mit dem Führer der Allianz, den USA, zu einigen wissen. In Bosnien, dem Kosovo, in Albanien und Makedonien stehen sie im Einsatz; in Ungarn, Polen, Tschechien trainieren sie neue Kameraden. Innenpolitisch schreitet der Sozialabbau mittels Sparpaketen zügig voran; in der Ausländerpolitik wurde das Konzept einer doppelten Staatsbürgerschaft ohne große Debatten verworfen. Deutsches Blut geht vor, weshalb ein von Kärntner Protestanten abstammender deutschsprachiger Banater aus der Gegend um Timisoara auch in der 10. Generation nach der Auswanderung automatisch bundesdeutscher Staatsbürger ist, wenn er dies wünscht. Der deutsche Nationalismus, der sich 1991 in der Vergrößerung des Landes und seit je in der völkischen Auslegung der Staatsbürgerschaft äußerte, betrifft ganz Europa. Die erste Grenzänderung nach dem Zerfall des Ostblocks war deutsch-national orientiert. Und der deutsche Zugriff auf BürgerInnen anderer Staaten - wie Polen, Rumänien, Rußland - qua deutschem Grundgesetz kann jederzeit zu gefährlichen internationalen Destabilisierungen führen.

Doch zurück zur Bodensicht. Jörg Haider legt zu. Er gilt als Nationalist. Die österreichische Nation, so meinte er einmal, sei eine Mißgeburt. Also deutscher Nationalist. Doch von einem Anschluß an Berlin will er nichts wissen. Mit dem Nationalismus-Vorwurf ist dem Phänomen Haider kaum beizukommen. Ein österreichischer machte sich lächerlich, und den deutschen Nationalismus betreibt jede Regierung in Bonn oder Berlin effizienter. Jörg Haider ist Populist, Rechtspopulist. "Wußten Sie schon, daß in Wien z.B. ein Chinalokal mit 600.000,- Schilling (95.000,- DM, d. A.) gefördert wird, während die heimischen Beiseln leer ausgehen und eines nach dem anderen zusperren muß?" Solche Flugblätter sind Haiders Stärke. Ausländerfeindlichkeit, Haß schüren, Vorurteile prägen - das ist sein Metier. Beweise sind für derlei Behauptungen nicht mehr notwendig, welches von tausenden Chinarestaurants sollte sich auch durch derlei Unterstellung angesprochen fühlen?

Mit "Stop der Überfremdung" und "Stop dem Asylmißbrauch" führte die Haider-FPÖ ihren Wahlkampf. 1,2 Mio. ÖsterreicherInnen (von 5,8 Mio. Wahlberechtigten) stimmten zu. Zum Verständnis für das Spezifische des österreichischen Rechtsrucks bedarf es ein wenig historischer Kenntnisse der Nachkriegsgeschichte. Bereits seit 1918 fehlt dem damals radikal verkleinerten Land ein kraftvolles eigenständiges Bürgertum, die Jahre der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich haben diesen Tatbestand noch verschärft. Nach 1945 lagen 60-80% der Industrie, des Banken- und Energiewesens in deutscher Hand. Das Potsdamer Abkommen machte das Deutsche Eigentum reparationsfähig. Nicht zuletzt als Gegenstrategie zur Übernahme ehemaligen deutschen Eigentums durch die sowjetische Verwaltung im östlichen Teil Österreichs entwickelten die beiden Großparteien SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs, seit Beginn der 90er Jahre Sozialdemokratische Partei Österreichs) und ÖVP (Österreichische Volkspartei) ein Verstaatlichungskonzept. Seit 1946/48 war ein Gutteil der Industrie, des Bankenwesens, des Energiesektors etc. verstaatlicht. Billige Vorleistungen dieser Betriebe für exportorientierte Privatunternehmen einerseits und fast uneingeschränkte sozialdemokratische Gewerkschaftsmacht in den Kernsektoren der Wirtschaft lautete der historische Kompromiß der frühen 50er Jahre. Bis Mitte der 80er Jahre ist daran nicht gerüttelt worden.

Anders als in den übrigen westeuropäischen Ländern konnte die Sozialdemokratie in Österreich - nach dem Abzug der Besatzungsmächte im Jahre 1955 - eine starke wirtschaftliche Basis erlangen. Aufsichtsräte und Betriebsräte in den großen Staats- und Gemeindebetrieben waren austauschbare Posten für austauschbare Genossen. Auch politisch wurde das Land nach ähnlichem Muster geführt. Parteibuch, Gewerkschaftsmitglied, Dienstvertrag - so lautete die Reihenfolge, um sich erfolgreich in die Arbeitswelt zu integrieren. In ÖVP-dominierten Ländern wie Niederösterreich brauchte es das schwarze Parteibuch, in SPÖ-Domänen wie Wien oder Kärnten das rote. Wohnung, Arbeitsplatz, Kindergartenplatz: ein Mitgliedsbuch war von großem Vorteil. Vom Lehrer bis zum Gemeindeschreiber wurden monatlich die Mitgliedsbeiträge abgebucht.

Wirtschaftsliberalismus statt geschützter Sektoren

Der Zusammenbruch des Ostblocks erschütterte Österreich. Während noch tausende Trabis und Wartburgs von Ungarn kommend die Donau aufwärts Richtung Bayern tuckerten, um ihre nationale Pflicht zu erfüllen, ging das Zeitalter der verstaatlichten Industrie seinem Ende entgegen. Schon Mitte der 80er Jahre waren, als Vorleistung für den ins Auge gefaßten Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft, die großen industriellen Komplexe zerschlagen und ihre lukrativen Teile privatisiert worden, 1989 war dieser Prozeß in vollem Gange. US-amerikanische Pensionsfonds und ehemalige deutsche Konkurrenten teilten sich in die Besitzungen des verstaatlichten Komplexes.

Noch kurz davor hatte die großkoalitionäre Bundesregierung ein Mitgliedsansuchen an Brüssel gesandt, um Aufnahme in die EG zu finden. Ab 1. Januar 1995 ist Österreich Vollmitglied. Die ökonomischen - und politischen - Hochburgen der Sozialdemokratie waren damit "reformiert", europäisiert, den Kräften des Weltmarktes preisgegeben. Symptomatisch für den atemberaubend schnellen Wandel mag die Geschichte des austro-kanadischen Großunternehmers Frank Stronach sein. Dieser "Onkel aus Amerika" hatte sich Jahrzehnte nicht um den Industriestandort Österreich gekümmert, im Umfeld der Verstaatlichten war für Investoren seines Schlages nicht genug zu holen gewesen. Mit dem Verkauf des industriellen Familiensilbers trat Stronach auf den Plan, kaufte eines der ehemaligen verstaatlichten Paradeunternehmen, den Fahrzeugbaubetrieb "Steyr", und führte von Anfang an einen gnadenlosen Kampf gegen die Gewerkschaften. Mitte Oktober 1999 konnte Stronach seinen großen Sieg verbuchen. In einer internen Betriebsabstimmung an mehreren seiner Standorte stimmten die ArbeiterInnen gegen die Etablierung eines Betriebsrates. Obwohl ungesetzlich, mußte der Gewerkschaftsbund seine Niederlage zur Kenntnis nehmen.

Die Sozialdemokratie hat die in Vorbereitung auf den EU-Beitritt durchgeführten massiven Privatisierungen kaum überlebt. Das gebrochene sozio-ökonomische Rückgrat führte zur politischen Sinnkrise. Zwischen Globalisierung der Standorte und Flexibilisierung der Arbeitswelt ist sie - wie in anderen Ländern auch - in die tiefste existentielle Krise geraten. Der Unterschied in Österreich: hier war ihre Macht über Jahrzehnte in vielen Bereichen des Alltags - der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche - grenzenlos. Und dementsprechend auch der Machtmißbrauch.

Bürgerblock ohne Bürger

Mit der Wende im Osten und im Gefolge des EU-Beitritts übernimmt die christlichkonservative ÖVP die politische Führung im Lande, vorerst inhaltlich. Sie ist es, die soziale Einschnitte - sogenannte "Reformen" - vorantreibt, während die SPÖ in die defensive Rolle des "sozialen Gewissens" ohne großen Gestaltungsspielraum gedrängt wird. Reform, Reform, Reform. Eine Diskussion über Gewinner und Verlierer der wirtschaftlichen und sozialen Deregulierungen oder gar eine linke Alternative dazu wird nicht geboten. Das ist die Stunde des Jörg Haider. Die Angst breiter Bevölkerungsschichten vor den Auswirkungen der offensichtlich unausweichlichen Weltmarktanpassungen weiß Haider geschickt zu nützen. Binnen weniger Jahre mutierte seine Partei FPÖ, die in den 50er Jahren als Auffangbecken für heimatlos gewordene NSDAP-Sympathisanten gegründet worden ist, zur Arbeiterpartei in genau jenen Regionen, in denen die Zerschlagung und Privatisierung der Verstaatlichten soziale Risse aufgetan hat. Modernisierungsverlierer und viele, die es demnächst werden könnten, laufen nun der FPÖ in die Arme.

Die ÖVP hat diesen gesellschaftlichen Kurswechsel erkannt. Immer mehr ihrer Funktionäre wenden sich deshalb von dem alten Sozialpartner und Koalitionspartner SPÖ ab und sprechen einer schwarz-blauen Regierung das Wort. Für den widerspruchslosen Beitritt zur EU war die SPÖ mit ihrer immer noch vorhandenen Stärke in den Bereichen Post und Bahn vonnöten, so drückte es unlängst der bekannte linksliberale ÖVP-Mann Erhard Busek aus. Nun, wo es auf mittlere Sicht um die NATO-Mitgliedschaft geht, kann man ohne SPÖ auskommen. Buseks Ruf nach einem Bürgerblock trägt nur einen Makel an sich: Es ist ein Bürgerblock ohne Besitzbürger. Denn nur wenige Exemplare vom Schlage eines Frank Stronach oder der neue FPÖ-Spitzenmann Thomas Prinzhorn können für sich in Anspruch nehmen, Industriemagnaten zu sein. Der große Rest der ehemaligen Verstaatlichten ging in ausländische Hände. Deshalb geriert sich die FPÖ als Partei der rabiaten Kleinbürger, oftmals mit proletarischem Hintergrund, mit sozialdemokratischem Elternhaus, voll Angst um die Zukunft in einer sich immer stärker globalisierenden Welt.

Geübt wurde die Wende nach rechts bereits seit Jahren und unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft. Die FPÖ erfüllte dabei gegenüber der großen Koalition aus SPÖ und ÖVP die Rolle des Antreibers. Ausländer- und Flüchtlingspolitik sind idealtypisch dafür. Mit 1.200 km EU-Außengrenze hat Österreich im Schengener Konzept die Funktion des Bollwerks übernommen. 70.000 Aufgriffe an der grünen Grenze seit 1991; Rumänen, Ukrainer, Russen. Die Menschenjagd wird mit allen technischen Mitteln und dem Assitenzeinsatz der Armee betrieben. All das trägt die Handschrift sozialdemokratischer Innenminister, die Jörg Haider seit geraumer Zeit als "meine Minister" in der Regierung zu bezeichnen pflegt.

Die Umsetzung des Wahlresultats vom 3. Oktober 1999 in eine funktionsfähige Regierung kennt zwei Optionen, die beide einen ähnlichen Rechtsruck bedeuten: eine weitere Legislaturperiode sozialdemokratischer Kanzlerschaft mit noch mehr ÖVP-Programmatik und noch mehr Getriebenheit durch Jörg Haider; oder den schwarz-blauen Kleinbürgerblock. Im zweiten Fall gilt eine direkte Teilnahme Jörg Haiders an der Regierung nicht als sehr wahrscheinlich. Haider könnte als Landeshauptmann in Kärnten bleiben, dort die Platzhirschfunktion ausüben und seine Statthalter in Wien kritisch beäugen. Diese - zugegeben - schlechteste Variante würde es ihm erlauben, im Falle von Regierungsmißgeschicken schnell wieder in die Rolle der Opposition zu schlüpfen, seine eigenen Mannen - wie schon so oft - mit Schimpf und Schande davonzujagen und ein weiteres Mal als politischer Saubermann von rechts punkten zu können. Die Insel der Seligen war ohnedies immer bloß eine päpstliche Vision.

Hannes Hofbauer,

Wien, 12.10.99

Von Hannes Hofbauer ist soeben das Buch Balkankrieg. Die Zerstörung Jugoslawiens im Wiener Promedia Verlag erschienen.