Wann ist endlich Feierabend?
Die Abrichtung des modernen Arbeitsmenschen - Eine Buchvorstellung
Der Wecker klingelt, es ist noch dunkel und kalt, vielleicht regnet es. Du willst nicht aufstehen, aber um acht Uhr beginnt die Schule, das Seminar, die Arbeit. Fünf Minuten noch, einmal umdrehen - am Ende stehst du irgendwie auf. Niemand zwingt uns konkret, und doch gehen wir hin: recht pünktlich, angemessen fleißig, wieder mit einem Blick auf die Uhr: Feierabend? Was ist passiert in den Jahrhunderten, nachdem unsere meist bäuerlichen Vorfahren mit Gewalt, Folter und Arbeitshäusern zur neu aufkommenden Industriearbeit abgerichtet werden mussten?
Antworten lassen sich in einem Aufsatz von Götz Eisenberg finden, der in einem Sammelband unter dem Titel "Feierabend!" erschienen ist, herausgegeben von der Nürnberger Krisis-Gruppe, welche die gleichnamige Zeitschrift herausgibt. Anders als das polemische "Manifest gegen die Arbeit" (siehe kritische Anmerkungen von Js. in ak 430) sind die nun erschienenen "elf Attacken gegen die Arbeit" stärker um konkrete Vermittlung bemüht und bieten anhand der (manchmal etwas wenigen) Quellenhinweise mehr Möglichkeiten, den Entstehungsprozess der Texte nachzuvollziehen.
In seinem Aufsatz geht Eisenberg historisch-konkret den Fragen nach, "wie (man es) schafft, dass Menschen arbeiten wollen und sich das Produkt ihrer Arbeit wegnehmen lassen", und "man gefügige und nützliche Körper (erzeugt)", die sich dem Rhythmus der Arbeitszeit in Fabrik und Büro unterwerfen (S. 50 f.). Denn was heute dem Alltagsverstand als normal erscheint, ist eine historisch junge Erscheinung, gebunden an die verallgemeinerte Marktwirtschaft, die allgemeine Produktion für andere, während alle früheren Gesellschaften zwar auch den Tausch kannten, den Mittelpunkt aber die Herstellung von Gebrauchsgegenständen bildete. Das hatte Folgen: Gewohnt, die Tätigkeit mit dem konkret-gegenständlichen Resultat zu beenden, hörten die frühen Lohnarbeiter auf zu arbeiten, wenn sie genug Geld für den Lebensunterhalt der Woche verdient hatten. Und: Gewohnt, dem Auf und Ab der Jahreszeiten und der Tageslänge zu folgen, widersetzten sich die ersten Lohnarbeiter der "Diktatur der Pünktlichkeit" (Foucault) in einem Ausmaß, das öffentliches Anketten und Geldbußen als Bestrafungen durch die Kapitaleigner herausforderte (49 f.).
Eine Zwischenbemerkung: Diese Zurichtungsprozesse und zum Teil ihre Formen sind etwas, was wir in den Vereinigten Staaten, in Westeuropa und beispielsweise auch noch in der Sowjetunion der 1920er und 1930er Jahre beobachten können. Das erlaubt es, auch die bisherigen frühen (nach Fülberth: verfrühten) Sozialismen als Teil der einen, großen Durchsetzungsgeschichte der Arbeit zu lesen. Diese "Totalitarismus-These", wie Js. sie in gewisser Weise zu Recht bezeichnet, ist allerdings nicht zur politischen Rechtfertigung der Demokratie formuliert, sondern als Kritik der Totalität arbeitsgesellschaftlich-demokratischer Sozialisation.
Allerdings, schreibt Eisenberg, hat die demokratische Arbeitsgesellschaft die Gefängnisse von außen nach innen, in die Psyche der Menschen verschoben. In der rohen Frühzeit wurden die Kinder in Schulen und Arbeitshäusern mit offener Gewalt zugerichtet: "Man disziplinierte ihr ganzes Verhalten und bestrafte jede noch so geringfügige Abweichung und Nachlässigkeit mit körperlichen Züchtigungen und Demütigungen. Man kolonialisierte die Köpfe, indem man sie mit funktionalem Wissen vollstopfte, und die Körper, indem man sie desexualisierte und zum Arbeitsinstrument herrichtete" (S. 52). Es dauerte mehrere Jahrhunderte, bis sich im Gleichschritt von inzwischen Maschinen gestützter Arbeit, familialer Sozialisation und Verallgemeinerung der Arbeit die "zweite Natur" des modernen Arbeitsmenschen herausbildete: Fleiß und Pünktlichkeit, Reinlichkeit und Ordnung.
Wie aber kam es, dass die Gesellschaften plötzlich aus ihrer bisherigen Gewohnheit aufgescheucht wurden und von der Naturalproduktion zum verallgemeinerten Geldvermittelten Wirtschaften übergingen? Die Entwicklung welcher Produktivkraft lag dem zu Grunde? Gar keiner, so der Aufsatz von Robert Kurz, sondern das Auftauchen einer Destruktivkraft, der Feuerwaffen (S. 15 ff.). Während alle bisherigen Waffen lokal und dezentral hergestellt werden konnten, sprengte die Herstellung von Gewehren und vor allem Kanonen diese Form. Der Aufbau einer besonderen, der Rüstungsindustrie begann, die Rohstoffe und Arbeiter in bisher ungekanntem Ausmaß benötigte. Parallel dazu sonderte sich die militärische Organisation von der sonstigen Gesellschaft ab, mit der die Armee bisher in Form der Bauernheere verbunden war: "Stehende Heere" wurden bereitgehalten. Der einsetzende staatliche Rüstungswettlauf heizte das Tempo der Aufrüstung, also auch der Produktion, die von der bis dato gewohnten Form der Verbrauchsgüterherstellung abgesondert war, weiter an. Eine neue Disziplin der Arbeiter und Soldaten (siehe Eisenberg) war notwendig. Nicht allein in der Rüstung, denn um die Geldsummen zusammenzubekommen, die die Staaten benötigten, pressten sie einerseits die Bevölkerung steuerlich wie die sprichwörtliche Zitrone aus (2000 Prozent Erhöhung der Geldsteuern zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert) und stiegen andererseits über neu gegründete Manufakturen selbst in die Produktion für einen großen, anonymen Markt ein. Auf dieser materiellen Grundlage verbanden sich protestantisch-calvinistisches Arbeitsethos (vgl. Max Weber), neue Entdeckungen und Erfindungen und politisch-ökonomischer Prozess zum unaufhaltsamen Aufstieg des Kapitalismus.
Neben diesen beiden Aufsätzen attackieren die Autoren die Arbeitsgesellschaft mit weiteren Texten: So besprechen Massip/Lohoff informativ aktuelle Entwicklungen von Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger, Norbert Trenkle setzt sich mit der politischen Ökonomie des Billiglohns auseinander, und Karl-Heinz Wedel zeigt, wie sich in der aktuellen Bildungsdiskussion das Menschenbild durchsetzt, jeder habe sich als "Unternehmer seines Arbeitsvermögens" zu verstehen und zu verhalten (153 ff.). Weniger überzeugend ist der Aufsatz von Gerd Bedszent über die Arbeitskultur in der DDR, denn es wird nicht hinreichend deutlich, was die Grundlage für den überraschend einfachen Übergang von den Arbeitsformen der DDR zu denen der Bundesrepublik bildete.
Fazit: Eine bemerkenswerte Feierabendlektüre.
Frank-Otto Pirschel
Robert Kurz, Ernst Lohoff, Norbert Trenkle (Hg.): Feierabend! Elf Attacken gegen die Arbeit, Hamburg 1999 (konkret literatur Verlag), 256 Seiten, 32 DM