Diene und spalte!
"Management by Stress" durch Gruppenarbeit
Die industrielle Gruppenarbeit hat jeden Humanisierungstouch verloren. Aus Job-Rotation und Kompetenzerweiterung wurde Gruppendruck, Leistungshetze und verinnerlichte Marktlogik. Wir setzen mit diesem Beitrag die Debatte um die Ideologie und Praxis der scheinbar selbstständigen und selbstbestimmten Arbeitsverhältnisse fort (vgl. ak 430 und 431).
Seit den 80er Jahren forderten die Gewerkschaften Gruppenarbeit als Mittel zur Humanisierung der Arbeitswelt. In der jüngeren Vergangenheit kamen Vorstöße in diese Richtung jedoch vor allem von den (schlanken) Unternehmen. Im Zeichen der Lean Production versprechen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gleichermaßen betriebswirtschaftliche und zugleich soziale Vorteile von Gruppenarbeit. Dieser Konsens beruhte wesentlich darauf, dass die Gewerkschaften die angebliche Notwendigkeit von Standortsicherung und Wettbewerbsfähigkeit akzeptierten. Die Musterbetriebsvereinbarungen sowohl der IG Metall als auch der damaligen IG Chemie-Papier-Keramik zur Gruppenarbeit beinhalten dementsprechend die Wirtschaftlichkeitsziele. Und in den Betriebsvereinbarungen in der bundesdeutschen Automobilindustrie wird das Streben nach permanenter Verbesserung des Produktivitätsniveaus als Aufgabe aller ArbeiterInnen festgehalten. (1)
Gruppenarbeit wurde als Abkehr von tayloristisch-arbeitsteiligen Konzepten der Arbeitsorganisation sowie als der Beginn einer neuen Rolle der Arbeitskraft interpretiert.
Doch es kam anders. Im Mai 1996 wurde in der Vertrauensleutezeitung Scheibenwischer bei Mercedes in Stuttgart Gruppenarbeit als "Auslaufmodell" bezeichnet. Die wenigen arbeitsorganisatorischen Experimente werden zurückgenommen. Sukzessive "Rückschritte" und eine "Renaissance des Fließbandes" sind aus allen Werken der Automobilindustrie, aber auch aus anderen Branchen bekannt. Aus diesen Erfahrungen heraus wird von einer allgemeine Ernüchterung der Belegschaften gegenüber Pilotprojekten und neuen Kampagnen berichtet.
Modernisierter Taylorismus
Dabei waren auch im Zeichen der Lean Production mit Gruppenarbeit viele Humanisierungshoffnungen verbunden. Doch Prozesszwänge der vor- und nachgelagerten Bereiche, Einbindung in Just-In-Time-Abläufe sowie enge Vorgabezeiten reduzieren Kompetenzerweiterung, Job-Rotation und Arbeitsanreicherung auf bloß symbolische Kompetenzen (wie Urlaubsplanung etc.) sowie Re-Spezialisierung. Mitgestaltung wird zum Schein und zur Sachzwangverwaltung. Gleichzeitig werden die ArbeiterInnen überfordert. Ihnen wird mehr Verantwortlichkeit zugewiesen, aber ohne die dazugehörigen Einflussmöglichkeiten und Qualifikationen. Unter dem Strich bleibt, dass die "Poren des Arbeitstages" immer mehr verschlossen werden. "Management by stress" erhöht die psychische und physische Belastung in der Arbeit, und statt Integration leistungseingeschränkter Beschäftigter erfolgt ihre schrittweise Ausgrenzung.
Die Art und Weise der Aufgabenerweiterung ist für das Unternehmen kostengünstig und sichert gleichzeitig die Arbeitsflexibilität. Bei der Gruppenarbeit gibt es keine Stillstände und Pausen, immer ist etwas zu tun - vorausgesetzt, alle beherrschen möglichst viele Aufgaben in der Gruppe. Eine solche Aufgabenerweiterung ist aber auch eine Strategie der Einbindung: "... der Mitarbeiter (soll) umfassender in die Leistungsprozesse eingebunden werden und die wesentlichen Schnittstellen und Zusammenhänge auf diese Weise transparenter werden. Dem Einzelnen wird so die Notwendigkeit seines Beitrages für das gesamte Unternehmen deutlich, was ihn motivieren soll, weniger zu fehlen." (2)
Gleichzeitig haben die Gruppen für die Erweiterung ihrer Zuständigkeiten immer weniger Zeit, die Zeitvorgaben bleiben trotz zusätzlicher Anlernaufgaben o.Ä. gleich. Erhöhter Zeitdruck und Hektik sind die Folge. Kurzfristig entlastende Effekte werden langfristig durch die Verlagerung von Kontrolle und Konflikten in die Gruppen hinein aufgehoben. Durch die Visualisierung und Standardisierung der Operationen wird die interne Kontrolle um eine externe ergänzt. Die Kontrolle wird also keinesfalls schwächer, nur indirekter. Zunehmende Entsolidarisierung, Anwesenheits- und Leistungsdruck sowie Leistungskontrolle innerhalb der Gruppen sind die Folgen.
ArbeiterInnen empfinden die Gruppenarbeit weniger als "Möglichkeit" oder "Ansporn", sondern eher als Zwang. Dabei ist der Arbeitsdruck "das vitale Werkzeug des Managements, sowohl was die Überwachung der Arbeit betrifft, als auch das Ziel, das gesamte Personal dazu zu zwingen, das System aufrechtzuerhalten." (3) Das Arbeitstempo ist dabei auf optimale Bedingungen ausgerichtet. Jede kleinste Abweichung gefährdet das überspannte System. Das früher als unmenschlich bezeichnete REFA-System der Arbeitsbewertung erscheint deshalb vielen im Nachhinein als "ein gewisser Schutz vor Selbstausbeutung" (ein Betriebsrat, BMW Dingolfing) und als eine feste Orientierungsgröße, die nun vermisst wird.
Von einer Abkehr vom Taylorismus und einer Aufhebung der Arbeitsteilung kann in der Praxis der Gruppenarbeit keine Rede sein. Die Arbeitsteilung existiert nicht nur als optimale zeitliche und methodische Durchdringung der Arbeit weiter. Als Trennung von schöpferischer und ausführender Tätigkeit wurde sie eher verschärft und als strengere Kontrolle über die Ausführung eines jeden Arbeitsschrittes gesteigert und vertieft. In den japanischen Automobilwerken in den USA und Kanada geht die Tendenz dahin, "jede Bewegung der Beschäftigten genauer denn je zuvor festzulegen. Das Management by Stress überwindet den Taylorismus nicht, sondern vertieft ihn noch." (4) Zumindest für die deutsche Automobilindustrie ist dies eine übertragbare Beobachtung.
Einerseits bestehen nach wie vor rigide Vorgaben, die nun lediglich unpersönlich, in Form von Sachzwängen der Material- und Datenflüsse vermittelt werden. Durch fehlende Einflussmöglichkeiten steigt das Gefühl des Ausgeliefertseins. Andererseits werden selbst rudimentäre Formen der Gruppenarbeit am Fließband durch die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse innerhalb der Zulieferpyramide erkauft: Die Arbeitsteilung wird "fremdvergeben". Das gilt auch für die Tätigkeiten ohne Taktbindung, die älteren und/oder leistungsgewandelten ArbeiterInnen zur Verfügung standen. Durch Gruppenarbeit und Lean Production wird die Arbeitsteilung auf einer höheren Ebene perfektioniert; eine Ebene, die für die Unternehmen flexibler und effektiver ist.
Konkurrenz und Kontrolle
In Verbindung mit dem Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) kommt zum bestehenden Leistungsdruck noch der steigende Druck zur Rationalisierung in Eigenregie hinzu. In der Folge stehen die Arbeitsgruppen unter einem zunehmenden Wettbewerbsdruck. Die Erwartungen an die Gruppen sind sehr hoch, denn die Unternehmen wollen "Verschwendungsbekämpfung ohne Tabus" (ein Verantwortlicher für Gruppenarbeit, VW Kassel). Die Bemühungen gelten v.a. der Eliminierung aller nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten: Gehen, Sich Bücken, Suche nach und Holen von Teilen und Werkzeugen oder das Lesen von Arbeitsplänen. Die Standardisierung, die mit KVP verbunden wird, minimiert diese "verschwenderischen" Bewegungen. Einige dieser Bewegungen können sicherlich belastend sein. Dennoch trägt ihre Beseitigung für die ArbeiterInnen zur Arbeitsverdichtung bei, denn manchmal können zusätzliche Arbeitsgänge eine erholsame Pause und Abwechslung bedeuten. Die Standardisierung der Arbeitsgänge bis in vorgeschriebene Plätze für jedes Teil und jedes Werkzeug an allen vergleichbaren Arbeitsplätzen unterstellt zudem einen "Standardarbeiter". Für Abweichungen von der festgesetzten Norm werden die ArbeiterInnen verantwortlich gemacht.
KVP dient der widerstandsfreien Erhöhung der Arbeitsstandards und der Reduzierung von Freiräumen. Die Teams sollen sich die Zwänge, denen sie gehorchen müssen, selbst schaffen, so das Credo der Opel-Werksleitung in Eisenach: "Nicht REFA-Fachleute analysieren und optimieren die Arbeitsabfolge, sondern die Betroffenen selbst. Die Rationalisierung kommt ihnen dann nicht mehr fremdbestimmt vor." KVP löst so das "Paradox der Produktion", die sowohl Engagement der ArbeiterInnen als auch ihre Kontrolle braucht. Management by stress strebt danach, dass die Beschäftigten ihre Arbeitsvorgänge ständig selbst rationalisieren. Genau darin liegt die Perfektionierung des Taylorismus durch Lean Production: ständige Kostensenkung durch die ArbeiterInnen selbst, verbunden mit Rationalisierung und Flexibilisierung.
Der aus Unternehmenssicht unbestreitbare Erfolg von Gruppenarbeit liegt im erweiterten Zugriff auf die Leistungsmöglichkeiten der ArbeiterInnen sowie in der Durchsetzung eines ständigen (Selbst-) Rationalisierungsdrucks. Konkurrenz zwischen den Gruppen und ArbeiterInnen und die hohe Arbeitsintensität kommen hinzu. Im Anfangsstadium von Lean Production schien Gruppenarbeit zur Akzeptanz und Durchsetzung neuer Arbeitsstandards notwendig zu sein. Durch die bei ihrer Einführung in den Belegschaften verbreitete Hoffnung, ernster genommen zu werden und mehr Einfluss auf die Tätigkeit zu erhalten, ist diese Akzeptanz auch geschaffen worden.
Die beabsichtigte Arbeitsintensivierung geht dabei Hand in Hand mit dem Gruppendruck: "Eine größere Intensivierung der Arbeitsleistung jedes Einzelnen kann man nur dann erreichen, wenn man es schafft, dass die Gruppe koordiniert und gleichzeitig konkurrierend arbeitet, im Kampf jeder gegen jeden." (5) Dieser Druck dient auch der (Selbst-)Spaltung und (Selbst-)Selektion der Belegschaft. Gruppenarbeit scheint den Unternehmen in starkem Maße dabei zu helfen, "Faule und Fleißige", "Interessierte und Ignoranten" und "Motivationsbereite und gänzlich Unwillige" zu unterscheiden.
Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität als Belegschaftsaufgabe sind inzwischen breit akzeptiert. Der bewusst erzeugte Gruppendruck, die "inszenierte Konkurrenz" sowie nicht zuletzt die Betriebsvereinbarungen zur Gruppenarbeit trugen maßgeblich dazu bei. Lean Production ist daher nicht nur ein Produktionssystem, sondern vielmehr ein "Produktivitätskonzept", wobei Produktivität in erster Linie als eine Geisteshaltung bezeichnet wird. Bei Opel heißt das: "Jeder einzelne Mitarbeiter erlangt das Bewusstsein, dass ohne sein Engagement der Erfolg des Ganzen in Frage gestellt ist."
Der Betriebsgemeinschaft dienen
Gruppenarbeit ist die Organisation von Konkurrenz zum Zweck der systematischen Leistungssteigerung, unterstützt durch Standardisierung und Leistungstransparenz. Während Arbeitsgruppen offiziell als "family team", etwa bei Siemens, bezeichnet werden, werden zugleich "persönliche, menschliche Beziehungen in Konkurrenzbeziehungen verwandelt", so ein Arbeiter von Opel Zaragoza.
Wenn die Gruppenarbeit in ihrer rudimentären Form bereits ihre Aufgabe erfüllt haben sollte, dass nämlich Wettbewerbsfähigkeit akzeptiert und dafür Verantwortung übernommen wird, dann wird verständlich, warum ihre Einführung und Pflege nun nachrangiger behandelt wird. Entsprechend wird die Managementparole des "Menschen im Mittelpunkt" immer mehr um diejenige des "Überlebenskampfes" ergänzt. Motivation durch Angst statt durch Beteiligung ist die neue Managementlinie.
Wo Arbeitgeber glaubhaft mit Outscourcing und Auslagerung drohen, können sie ArbeiterInnen zu größeren Zugeständnissen und zur Unterordnung zwingen, Firma für Firma, Arbeitsplatz für Arbeitsplatz. Die besten und vielleicht zukunftsweisenden Beispiele für diese Einbindungsstrategien kommen aus Japan. Toyota spricht vom "Respekt für das Menschliche", doch der Betriebsablauf (auch bei Mazda) "deutet auf einen sehr eingeschränkten Begriff von Menschlichkeit hin: Menschliche Befriedigung wird nur durch das Streben nach den Managementzielen erreicht. Ein Handbuch, das in der Mazda-Fabrik in Michigan verwendet wird, warnt: ,Wenn Sie vor ihrer Maschine stehen und nichts tun, gewinnen Sie als Mensch keinen Selbstrespekt.`" (6) Auch in der Bundesrepublik pflegt das Management diese Philosophie. Für VW-Chef Piëch ist das Erlernen des Dienens durch die ArbeiterInnen "die größte Umstellungsleistung, die der Konzern schaffen muss, wenn er an die Weltspitze will."
Hier zu Lande pflegen Geschäftsführungen eine Strategie der "Vergemeinschaftung": "An die Stelle (klassen-) kämpferischer Auseinandersetzungen zwischen ,Kapital' und ,Arbeit' soll vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit treten. Die Beschäftigten werden aufgefordert, ihre Interessen ... an denen des Betriebes zu orientieren. Aus Individuen und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen soll eine verschworene Betriebsgemeinschaft leistungswilliger und loyaler MitarbeiterInnen (im Falle der betrieblichen Partnerschaft sogar MitunternehmerInnen) werden." (7)
Vergemeinschaftungsstrategien führen zu ambivalenten Reaktionen der Beschäftigten. Einerseits knüpft diese Strategie durchaus an tatsächliche Bedürfnisse der arbeitenden Menschen und an den diesbezüglichen Defiziten an, die jahrelang durch die gleichen Unternehmen aufgebaut wurden.
Wenn die ArbeiterInnen sich andererseits hiergegen sperren, weil sie befürchten, mühsam aufgebautes informelles Arbeitsverhalten, verdeckte Spielräume und Reserven zu verlieren, wird dies schnell als "arbeitspolitischer Konservatismus der Arbeiter" bezeichnet und nicht als eine natürliche abwartende oder abwehrende Reaktion, die auf entsprechenden Erfahrungen basiert. Viel zu selten wird darüber nachgedacht, dass die ArbeiterInnen evtl. einen, auf Erfahrungswissen basierenden, viel besseren "Riecher" für die Moden des Managements und die dahinter stehenden Strategien der Vereinnahmung haben. Es kann durchaus einem durchdachten Nutzenkalkül entspringen, sich angesichts der unmöglichen "echten" Beteiligung in den bekannten Strukturen mit möglichst wenig Aufwand einzurichten und die darüber hinausgehenden Wünsche in die - zugegebenermaßen immer häufiger willkürlich dosierte - Freizeit zu verlagern. Die Tagträume während der stupiden und entwürdigenden Massenproduktion haben oft mit dazu beigetragen, die ArbeiterInnen vor der physischen wie psychischen Katastrophe zu schützen.
Mag Wompel
Der folgende Beitrag ist eine stark gekürzte Fassung
eines Artikels, der in der Nr. 38 (Juni 1999) der Zeitschrift Z.
Zeitschrift für Marxistische Erneuerung erschienen ist. Er ist
auch über das LabournetGermany abrufbar (www.
labournet.de).
Anmerkungen:
1) Opel Kaiserslautern, Betriebsvereinbarung - Gruppenarbeit Stufe II, Ergänzungsvereinbarung zur Betriebsvereinbarung 179 "Gruppenarbeit", Kaiserslautern, März 1997.
2) So S. Spieß und H. Beigel, die Erfinder des Anwesenheitsverbesserungsprozesses bei Opel.
3) M. Parker/J. Slaughter: "Working smart", Detroit 1994
4) a.a.O., S.52
5) Wildcat (Hg.): "Das verborgene Gesicht der Gruppenarbeit", Köln 1994
6) Parker/Slaughter, S.57
7) G. Krell: "Vergemeinschaftete Personalpolitik", in: Lang, K./Ohl, K., Lean Production. Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten, Köln 1994