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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 432 / 18.11.1999

38 Flüchtlinge an deutschen Grenzen gestorben

Zwischen Februar 1997 und Anfang Oktober 1999 wurden im deutschen Grenzgebiet 42 Menschen tot aufgefunden. 38 Menschen starben vermutlich bei dem Versuch, trotz Verbot und Hochrüstung die deutsche Grenze zu überwinden. Bei den anderen handelt es sich um deutsche bzw. einen Schweizer Staatsangehörigen, bei deren Tod die Grenze keine Rolle spielt. Weitere 34 Menschen wurden beim Grenzübertritt verletzt. Durch Anwendung unmittelbaren Zwanges oder auf Grund der Verfolgung durch Grenzbeamte gab es zusätzlich 81 Verletzte. Viele Verletzungen kamen durch Bisse von Diensthunden zu Stande. Konsequenzen für die Beamten hatte das in der Regel keine.

Für ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion nach Verletzten und Toten im Grenzgebiet der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union beschränkte sich die Bundesregierung auf eine Abfrage bei Behörden des Bundesgrenzschutzes, der Bundeszollverwaltung, der Wasserschutzpolizei Hamburg und Bremen sowie der Bayerischen Polizei und teilte mit, dass zur EU keine Erkenntnisse vorlägen. Diese Abfragen ergaben, dass die Herkunft von 17 Personen ungeklärt ist und es sich bei den anderen Toten um sieben Menschen aus Jugoslawien, fünf Menschen aus Afghanistan, vier aus Polen, zwei aus Mazedonien und je eine Person aus dem Senegal, Jugoslawien und Bangladesch handelt. Die meisten Menschen sind vermutlich ertrunken. Weitere Todesursachen sind u.a. Verkehrsunfälle, Unterkühlung und Herzversagen.

Im Verlauf dieses Zeitraumes hat die Zahl der Toten etwas abgenommen - dies liegt nach Angaben der Bundesregierung daran, dass ein Großteil der Menschen nun nicht mehr versucht, "über die deutsch-polnische Grenze mit den vor allem in der Dunkelheit gefährlichen Flüssen Oder und Neiße" einzureisen, sondern vermehrt über die Landgrenzen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik bzw. die deutsch-österreichischen Grenze einzureisen versucht.

Die 115 verletzten Menschen litten an Erfrierungen, Prellungen, Schürfwunden, an den Folgen von Verkehrsunfällen oder wurden von Zoll- und anderen Diensthunden gebissen. Die Herkunftsländer dieser Menschen sind (nach Häufigkeit): Rumänien, Jugoslawien, Irak, Tschechische Republik, Moldawien, Vietnam, Afghanistan, Sri Lanka, Indien, Senegal, Mazedonien. Jeweils zwei oder eine Person kommen aus Polen, der Slowakische Republik, Russland, Weißrussland, der Ukraine, der Türkei, Syrien, Albanien, Chile, USA und Bulgarien.

Dies ist die erschreckende Bilanz einer sicher unvollständigen Aufzählung. Sie sagt nichts über Menschen aus, die auf der anderen Seite der deutschen Grenze in Polen, in der Tschechischen Republik oder in Österreich, auf hoher See auf dem Weg nach Deutschland oder an anderen EU-Grenzen verletzt wurden oder starben. Informationen von UNITED for Intercultural Action und der Hamburger Zeitschrift off limits zufolge starben allein in der Zeit von Juni 1997 bis Februar 1998 also in nur acht Monaten 107 Menschen bei dem Versuch nach Europa zu gelangen. Drei Iraki wurden bei ihrem Versuch, die türkisch-griechische Grenze zu übertreten, durch Minen getötet, und ein Albaner wurde durch eine Bootsschraube tödlich verletzt. Die anderen 103 Menschen - neben fünf Albanern alle aus Nordafrika kommend - sind auf ihrem Weg nach Europa ertrunken.

In konsequenter Fortführung der Politik ihrer Vorgängerin definiert die Bundesregierung illegale Einreise als eine der Hauptgefahren für Deutschland und die Europäische Union und hat großes Interesse daran, durch stark gesicherte Außengrenzen einen Teil der Flüchtlinge und MigrantInnen an der Einreise zu hindern. Sie verwendet viel Geld und Zeit auf Absprachen, Kooperationen und Unterstützungsarbeit zur Stärkung dieser Grenzen. Dazu gehört auch, die Einreisenden zu kriminalisieren und jegliche Verantwortung von sich zu weisen. Nach Meinung der Bundesregierung sind "Tote und Verletzte im Zusammenhang mit dem Versuch, unerlaubt nach Deutschland einzureisen, ... die traurigen Begleitumstände einer Schleusungskriminalität, deren Drahtzieher immer professioneller und zunehmend menschenverachtender operieren."

Neben der humanitären Fluchthilfe geht es ganz gewiss nicht zimperlich zu bei einem Millionengeschäft, das die Notlage vieler Menschen ausnutzt und sie unter unwürdigen und lebensgefährdenden Umständen nach Deutschland oder in andere europäische Staaten bringt. Wer jedoch in einem der reichsten Länder der Welt lebt, sich weigert, legale Möglichkeiten der Einwanderung zu schaffen und darüber hinaus ankündigt, das Grundrecht auf Asyl gehöre nun endlich ganz abgeschafft, muss damit rechnen, dass auch in den kommenden Monaten und Jahren Menschen, die sich nicht an der Einreise hindern lassen wollen, an den deutschen Grenzen sterben werden.

Gabi Ohler