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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 432 / 18.11.1999

Geht die PDS den Weg der Grünen?

Gysi & Co. wollen Neubewertung von UN-Militäreinsätzen

In der PDS wird erneut eine Diskussion über ihre antimilitaristischen Positionen geführt. Im Kern geht die aktuelle Auseinandersetzung um das Verhältnis zur UNO und die Haltung zu internationalen Militäreinsätzen, die von der UN legitimiert sind. Mit einem Diskussionspapier von Gregor Gysi und einem Beschluss der PDS-Bundestagsfraktion vom 21. Oktober werden neue Akzente in dieser Frage gesetzt. Anfang November schloss sich der Parteivorstand dieser Richtung an.

Es ist beinahe auf den Tag genau vier Jahre her, dass die PDS zum ersten Mal eine solche Diskussion führte. Damals veröffentliche die junge Welt ein angebliches "Geheimpapier", das im Arbeitsbereich Außen- und Friedenspolitik der PDS-Bundestagsgruppe erarbeitet worden war. Dieser - parteiintern "Problempapier" genannte - Text wiederholte im Wesentlichen bekannte PDS-Positionen. So etwa, dass man für eine Demokratisierung der UNO eintrete und dass "klassische Peace-Keeping (friedenserhaltende) Einsätze nicht generell abgelehnt" werden. Die Meldung der jungen Welt vom 26.10.95, Teile der PDS hätten sich vom Pazifismus verabschiedet, bezog sich auf den Vorschlag, es solle in der PDS diskutiert werden, ob die Partei unter den Voraussetzungen einer reformierten, demokratisierten UNO und unter sehr eingeschränkten Bedingungen Kampfeinsätzen der Vereinten Nationen zustimmen könne, falls "alle Mittel friedlicher Streitbeilegung ausgeschöpft sind". (1) Die Verfasser des "Problem-Papiers" gaben damals auf diese Frage selbst keine Antwort, sondern betonten lediglich, dass es ihrer Meinung nach in dieser Sache Diskussionsbedarf gebe.

Dass dem Rechnung getragen wurde, kann nicht behauptet werden. Zwar gab es Diskussionen, das Problem an sich wurde dabei aber nicht angegangen: Kann eine antimilitaristische Partei unter bestimmten Voraussetzungen auch Militäreinsätze befürworten? Diese Diskussion steht jetzt wieder auf der Tagesordnung.

Das Gewaltmonopol der UN anerkennen?

Wolfgang Gehrcke, der außenpolitische Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion, sprach sich im April angesichts der Ereignisse im Kosovo für eine "Neuakzentuierung der Außen- und Sicherheitspolitik der PDS" aus. Dazu gehört seiner Ansicht nach die Stärkung der UNO und der OSZE. In der Logik der Sache liege dabei, so Gehrcke, dass die PDS nicht nur friedenserhaltenden Blauhelm-Missionen, sondern auch friedenserzwingenden Einsätzen unter UN-Mandat zustimmen müsste. Auch wenn er das für den konkreten Fall ausschließe, könne er sich in diesem Zusammenhang auch die Beteiligung deutscher Soldaten vorstellen. "Es könnte eine Schlussfolgerung sein, dass sich auch die Bundesrepublik mit anderen EU-Staaten an UNO- oder OSZE-Einsätzen beteiligen sollte, um in Grenzfällen Völkermord zu verhindern." (Berliner Zeitung, 29.4.99)

Auf der Klausurtagung der PDS-Bundestagsfraktion Mitte Oktober griff Gregor Gysi die Überlegungen von Gehrcke auf. In einem Diskussionspapier sprach er sich dafür aus, die PDS solle ihr Verhältnis zur Charta der Vereinten Nationen neu bestimmen. (2) Die UN-Charta geht vom Gewaltverbot aus und lässt davon nur zwei Ausnahmen zu: 1. Das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung (befristet bis zum Eingreifen des Sicherheitsrates) und 2. das Recht der UN - ausgeübt durch den Sicherheitsrat -, bei zwischenstaatlichen Konflikten militärische Maßnahmen zur Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu ergreifen. Hieraus leitet sich das sogenannte Gewaltmonopol der UN nach Kap. VII der UN-Charta ab.

Die positive Bezugnahme auf die UN-Charta und das UN-Gewaltmonopol ist seit langem bestimmend in der PDS-Politik. Nicht nur im Zusammenhang mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien standen bei der PDS völkerrechtliche Argumentationen im Vordergrund. Im Fall Jugoslawiens wurde konkret kritisiert, dass die NATO ohne UN-Mandat Krieg führte und somit gegen das Gewaltmonopol verstieß.

Wer das Gewaltmonopol der UN so betont, muss sich - wie Gysi es in seinem Papier tut - die Frage stellen, wie er internationale Militäreinsätze bewertet, die das Mandat der UN haben. Er kommt zu einer eindeutigen Antwort: Wenn man sich auf die UN-Charta bezieht, muss man sie auch in ihrer Gesamtheit respektieren. Deshalb plädiert er dafür, die Anwendung militärischer Maßnahmen durch den UN-Sicherheitsrat nicht "aus Prinzip" abzulehnen. Wenn die Partei argumentativ das UN-Gewaltmonopol gegen die NATO, die USA und Deutschland einsetze, in Wirklichkeit aber dieses Gewaltmonopol nicht respektiere, verliere die PDS an Glaubwürdigkeit. Die Partei müsse vielmehr "von Fall zu Fall" entscheiden, mit welcher Begründung sie die Anwendung des Kap. VII der UN-Charta "ablehnen, ihr zustimmen oder sie notfalls sogar selbst einfordern" solle.

Keinen Zweifel lässt Gysi daran, dass man weiterhin den Einsatz der Bundeswehr bei solchen Einsätzen ablehnt. In diesem Zusammenhang allerdings kommt er auf den Vorschlag einer internationalen Polizeitruppe der UN zurück - ein Punkt, der auch schon in der Diskussion vor vier Jahren eine Rolle spielte. Hierin sieht er eine Möglichkeit, auf längere Sicht "die Gefahr des Missbrauchs eines UN-Mandats zur Durchsetzung nationaler ökonomischer und politischer Interessen ... zumindest" zu verringern.

Das Dilemma der PDS ist auch das der Linken

"Singt die PDS mit Fischer-Chören?", fragte sich sogleich die junge Welt. (1.11.99) Der Ehrenvorsitzende der Partei und seit Juni PDS-Europaparlamentarier, Hans Modrow, warnte umgehend vor einer "Zerreißprobe" Die von der Bundestagsfraktion angestoßene Diskussion berühre das "Grundverständnis der Partei, ihr Alleinstellungsmerkmal als konsequent antimilitaristische Kraft". (PID, 43/99) Der Bundeskoordinierungsrat der Kommunistischen Plattform stellte fest: "Angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen ... bekräftigt die KPF ihren Standpunkt, dass auch und besonders die Friedensprogrammatik der PDS ohne Wenn und Aber beibehalten werden muss."

"Mit der Konstruktion von Sonderfällen beginnt der Regelfall", so konterte die stellvertretende Parteivorsitzende Sylvia-Yvonne Kaufmann. "Sollte sich die PDS dafür aussprechen, friedenserzwingende Missionen der UN bzw. von der UN legitimierte Missionen zu rechtfertigen und zu unterstützen, wäre der bisherigen Praxis der herrschenden Mächte nur eine neue Rechtfertigung von links zugewachsen." (3) Sie betont: "Die PDS lehnt nicht nur Militärinterventionen ,im Prinzip` ab, sondern bestreitet generell, dass militärische Aktionen zur Konfliktbewältigung geeignet sind."

Damit ist die Konfliktlinie klar benannt. Sie bewegt sich im selben Rahmen wie vor vier Jahren. Kann es Situationen geben, in denen sämtliche friedlichen, nicht-militärischen Mittel nicht ausreichen, um bestimmte geächtete Handlungen überhaupt noch zu verhindern oder wenigstens rückgängig zu machen? Und wie soll sich die Linke unter den herrschenden Verhältnissen dazu verhalten? Das Dilemma ist praktisch nicht auflösbar.

Die Diskussion ist eigentlich zu wichtig, als dass sie unter dem Verdacht parteitaktischer Erwägungen und Denunziationen erstickt werden darf. Indem Gysi - anders noch als vor vier Jahren - die Frage der Demokratisierung der UN nicht mehr unmittelbar mit der Frage der Unterstützung von UN-Militäreinsätzen verbindet, öffnet er allerdings Spekulationen Tür und Tor, hier könnte genau der Weg beschritten werden, den die Grünen in den letzten Jahren gegangen sind.

mb.

Anmerkungen:

1) "Problem-Papier zu einigen Fragen der zivilen Konfliktbewältigung und Militäreinsätzen", dokumentiert in ak 384 (16.11.95)

2) Gregor Gysi: "Zum Verhältnis der PDS und ihrer Bundestagsfraktion zum Einsatz von VN-Truppen in Krisenregionen", dokumentiert in PID, 44/99, ND, 21.10.99

3) "Mit der Konstruktion von Sonderfällen beginnt der Regelfall. Diskussionspapier von Sylvia-Yvonne Kaufmann zur Frage von UNO-Truppeneinsätzen", ND, 22.10.99