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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 432 / 18.11.1999

Rechtsextremismus:

Rot-Grün leugnet und verharmlost

Wer erwartet hatte, dass die neue rot-grüne Bundesregierung eine andere Politik gegen neofaschistische und rassistische Gewalt betreiben werde, der sieht sich getäuscht. Am 30.9.99 beklagte sich Pro Asyl darüber, dass von einem von der neuen Regierung geplanten "Bündnisses für Demokratie und Toleranz" "nichts mehr zu hören sei". (dpa, 30.9.99) Ähnlich hatte auch der Ökumenische Vorbereitungsausschuss für die bundesweite Woche der ausländischen Mitbürger Rot-Grün kritisiert: In der Politik der Bundesregierung sei keine Schwerpunktsetzung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus erkennbar. (ap, 26.9.99)

Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 22.10.1999 in Berlin musste sich die Bundesregierung "Tatenlosigkeit im Kampf gegen Rechtsextremismus" vorwerfen lassen; ein Vertreter des Eberswalder Netzwerks gegen rechte Gewalt sagte unter lautem Beifall zu den Aktivitäten der Bundesregierung gegen den Neofaschismus: "Wir haben bisher keine davon bemerkt" (Berliner Zeitung, 23.10.99).

Bemerken konnte man stattdessen bisher etwas anderes: Die Bundesregierung führt im Prinzip die Politik des schonenden Umgangs mit dem Rechtsextremismus - wie sie schon von der Kohl-Regierung praktiziert wurde - fort. Schon die alte Bundesregierung hatte ihre Haupttätigkeit darin gesehen, die Gefahren und die Folgen des Rechtsextremismus herunterzuspielen. Nach dem gleichen Muster geht nun auch die neue Bundesregierung vor. Ähnlich wie die Kohl-Regierung leugnet Rot-Grün das Ausmaß neofaschistischer Gewalt.

Mit einer ganzen Reihe von Kleinen Anfragen haben die Abgeordneten Ulla Jelpke und Petra Pau die Bundesregierung über Morde und Tötungsdelikte von rechts befragt. Die Antworten waren erstaunlich, aber beredt. So antwortete die Bundesregierung auf die Frage, ob sie die Hetzjagd von neofaschistischen Jugendlichen in Guben auf den algerischen Asylbewerber Omar Ben Noui als rechtsextremes Tötungsdelikt einstuft, mit den Worten: "Das in der Kleinen Anfrage beschriebene Geschehen um den Tod des algerischen Asylbewerbers am 13. Februar 1999 in Guben/Brandenburg wird dort im Rahmen des polizeilichen Meldedienstes ,fremdenfeindlicher Straftaten` nicht als Verdacht des Mordes, sondern als Landfriedensbruch gewertet" (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke und Pau "Von Rechtsextremisten begangene politische Morde seit 1990").

Ähnlich verfährt die Bundesregierung auch bei der Bewertung des Tötungsdelikts des Neofaschisten Kay Diesner. Diesner, einschlägig bekannter Neofaschist aus Berlin, hatte am 23.3.1997 bei einer Verkehrskontrolle in Schleswig-Holstein einen Verkehrspolizisten erschossen, nachdem er zuvor einen Berliner PDS-Buchhändler mit mehreren Schüssen aus einem halbautomatischen Gewehr schwer verletzt hatte. Auf eine Anfrage zu diesem Vorgang erklärt die Bundesregierung: "Die Strafverfolgungsbehörden des zuständigen Bundeslandes haben die Ermordung des Polizeibeamten nicht als politisch motivierte Straftat, sondern als eine Tat zur Verdeckung einer anderen Straftat gewertet." (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke und Pau "Von Rechtsextremisten begangene politische Morde seit 1990 - Nachfrage (I)"). Die Bundesregierung bleibt weiterhin bei der Behauptung, dass in den Jahren 1997-1998 keine vollendeten Tötungsdelikte gemeldet wurden.

Aus diesem Grunde wird dann auch die Nachfrage nach der Tötung eines Vietnamesen am 31.1.1997 im brandenburgischen Fredersdorf von der Bundesregierung wie folgt eingestuft: "Nach Auswertung des gegen den Täter ergangenen Urteils hat das zuständige Landeskriminalamt dieses Tötungsdelikt nicht mehr als fremdenfeindlich motivierte Straftat eingestuft. Bis zur Verurteilung des Täters war die Polizei von einer fremdenfeindlichen Motivation ausgegangen."

Die Ermordung von Frank Böttcher in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1997 in Magdeburg durch Neofaschisten taucht in der von der Bundesregierung geführten Statistik dann auch schon gar nicht mehr auf - wie viele andere Fälle auch nicht.

Nach der Ermordung eines 35-jährigen Mosambikaners am 15.8.99 im bayerischen Kolbermoor stellt die Nachrichtenagentur dpa in einem Hintergrundsbericht fest: "Einer dpa-Zählung zufolge, die auf mehreren Quellen beruht, gab es 56 Tote seit 1990, die erwiesenermaßen oder vermutlich auf das Konto von Rechtsextremisten gehen. Darunter waren 26 Ausländer, die erschlagen, erstochen oder verbrannt wurden. Das Bundeskriminalamt hält einen rechtsextremen Hintergrund aber nur in wenigen Fällen für erwiesen."

Das BKA hat die Tötungsdelikte mit tatsächlicher oder zu vermutender neofaschistischer Motivation auf lediglich 22 vollzogene Tötungsdelikte minimiert. Mit ihren Antworten auf die Kleinen Anfragen der PDS-Abgeordneten segnet die rot-grüne Bundesregierung diese Form der Verharmlosung ab. Dies ist eine Form der Verhöhnung der Opfer. Gleichzeitig wird sie als Legitimation benutzt, um bei der Bekämpfung des Neofaschismus die Hände weiter in den Schoß zu legen.

Helmut Schröder