Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 433 / 16.12.1999

Frauenhandel

Immer noch zu wenig Schutz für Frauen

Immer mehr Frauen aus mittel- und osteuropäischen Ländern versuchen in Westeuropa Arbeit zu finden. Nur wenigen gelingt jedoch ein legaler Zugang zum Arbeitsmarkt, weshalb viele die Dienste von VermittlerInnen in Anspruch nehmen müssen. Darunter gibt es sowohl faire Geschäftsleute als auch skrupellose HändlerInnen, die Frauen mit Gewalt über die Grenze bringen oder hier in menschenunwürdige Verhältnisse zwingen. Im Jahr 1997 wurden laut Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes 1.402 Frauen Opfer vom Menschenhandel, 1998 waren es 1.265. (1)

Diese Zahlen beinhalten nur die Frauen, die in die Sexindustrie gehandelt werden und geben natürlich nicht die Dunkelziffer wieder, die - wie in solchen Fällen üblich - um ein vielfaches höher liegen dürfte. Die Hauptherkunftsländer der Frauen sind Staaten in Mittel- und Osteuropa (2), in denen die Frauenarbeitslosigkeit enorm gestiegen ist. Auf Grund der dramatischen Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen versuchen immer mehr Frauen in die Wohlstandsregionen der Europäischen Union zu gelangen, um sich selbst und ihre Familien über Wasser halten zu können. Die steigende Nachfrage nach billigen Arbeitskräften u.a. im Haushaltssektor und in der Sexindustrie in den reichen Ländern schafft weitere Anreize für Frauen, ihr Herkunftsland zu verlassen. So ist der Frauenanteil an der migrierenden Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahrzehnten von einer Minderheit auf über die Hälfte angewachsen.

Gleichzeitig erlaubt es die restriktive Einwanderungs- und Grenzsicherungspolitik der EU-Staaten nur wenigen Frauen, legal in die EU und damit auch in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen und hier zu arbeiten. Unter diesen Bedingungen treffen viele Frauen bewusst die Entscheidung, sich der Dienstleistung von VermittlerInnen und HändlerInnen zu bedienen, um ihr Zielland zu erreichen.

Organisierter Schatten

Gleichgültig, ob sie eine Beschäftigung im industriellen oder im Haushaltssektor anstrebt oder ob sie sich bewusst für die Prostitution entschieden hat, keine Frau rechnet mit den Verhältnissen, die sie hier antrifft. Da sich die meisten illegal in Deutschland aufhalten und sich durch die Prämien für VermittlerInnen und HändlerInnen verschuldet haben, sind sie in hohem Maße erpressbar. In einer besonderen Zwangslage stecken natürlich die Frauen, die gegen ihren Willen nach West- und Nordeuropa gebracht, also entführt und dann gefangen gehalten werden. Auch diese Zahl steigt.

All diese Frauen sind Opfer von Frauen- bzw. Menschenhandel. Gehandelt werden Frauen in die Prostitution, aber auch in Ehen und in illegale Beschäftigungsverhältnisse. In der EU gilt derzeit als Frauenhandel allerdings nur der Handel in die Zwangsprostitution und andere erzwungene Tätigkeiten im Bereich der Sex-Arbeit. Dies gilt auch für Deutschland, wo Frauenhandel nicht als eigenständiges Delikt zählt, sondern in den 180b und 181 StGB dem Straftatbestand Menschenhandel, bzw. schwerem Menschenhandel zuzuordnen ist. Dass es sich dabei um ein äußerst lukratives Geschäft handelt, zeigt die Schätzung, dass sich "die Umsätze allein im deutschen Rotlichtmilieu auf zweistellige Milliardensumme belaufen. (3)

Während viele Frauen wegen des Verstoßes gegen die Einreisebestimmungen und das Ausländerrecht immer noch als Täterinnen angesehen werden, werden nur wenige der MenschenhändlerInnen gefasst oder gar verurteilt. Ein Grund dafür ist, dass viele Delikte gar nicht angezeigt werden oder auf Grund fehlender Aussagen nicht verfolgt werden können. Viele Frauen habe Angst vor den TäterInnen oder der Polizei oder sind auf Grund physischer und psychischer Traumatisierungen gar nicht zu einer Aussage in der Lage. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sie vor dem Prozess abgeschoben werden. Die Entdeckung der Straftaten erfolgt so häufig durch Polizeirazzien, im Jahr 1997 wurden lediglich rund 400 Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Menschenhandels eingeleitet wurden. (4)

Noch trauriger sieht die Bilanz im Bereich des Opferschutzes aus: "Die meisten der von der Polizei registrierten Frauen, die Opfer des Menschenhandels wurden, werden aus Deutschland abgeschoben oder ausgewiesen oder kehren freiwillig in ihre Herkunftsländer zurück. Nur wenigen wurde bisher Zeuginnenschutz gewährt, nur einige erhielten eine Duldung. In 1998 erhielten in Deutschland insgesamt 111 der betroffenen Frauen einen befristeten Aufenthalt, davon 97 in Form einer Duldung und 14 durch Aufnahme in Zeuginnenschutzprogramme." 14 Frauen von 1.265 bei über 1.000 Frauen, die Deutschland verlassen mussten. Bei diesen Zahlen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Aufklärungsrate so gering ist. Dazu kommt noch, dass auf Grund der fehlenden Zeuginnenaussagen viele HändlerInnen wegen anderer weniger schwerer Delikte angeklagt werden müssen, weshalb es in diesem Bereich viel im Dunkeln bleibt.

Viel Peitsche, wenig Zuckerbrot

Um Licht in die Sache zu bringen, setzt das Innenministerium auf verstärkte Polizeizusammenarbeit mit ausländischen Staaten, auf Europol und auf die Verstärkung der Bekämpfung der illegalen Migration und Organisierten Kriminalität. (5) Gleichzeitig fließen zunehmend mehr Mittel dem Bundesgrenzschutz zu, der von den aktuellen Sparmaßnahmen befreit wurde. Wichtig in diesem Zusammenhang bleibt, dass die Grenzsicherungspolitik, die hier als Schutz gegen den Frauenhandel definiert wird, sich in Form der "Bekämpfung illegaler Migration" immer auch gegen die Migrantinnen richtet: "Die stetig steigenden Erfolge an den Schengenaußengrenzen durch hohe Aufgriffszahlen belegen nicht nur die erfolgreiche Arbeit der Beamten, sondern auch die Notwendigkeit des gezielten Einsatzes." (6) Aufgegriffen werden in erster Linie MigrantInnen und in viel geringerem Maße die HändlerInnen selbst.

Nicht verschwiegen werden sollte jedoch, dass auch ein Umdenkungsprozess einsetzt. Mittlerweile sind der Bund und einige Bundesländer dazu übergegangen, die Frauen nicht mehr nur als Täterinnen zu kriminalisieren, sondern sich auch über Unterstützungs- und Schutzmöglichkeiten Gedanken zu machen. So hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für drei Jahre (1997-2000) sechs Beratungsstellen mit gut 1,8 Mio. DM finanziert und fördert von Dezember 1999 bis November 2002 die Koordinierungsstelle des bundesweiten Koordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt im Migrationsprozess e.V. (KOK) mit insgesamt 800.000 DM. Rechnet man diese Summe auf die Jahre um, kommen dabei im Durchschnitt allerdings nur 370.000 DM pro Jahr heraus.

Daneben fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Rückkehrerinnenprojekt, das sich an Frauen aus Entwicklungsländer wendet, die unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt wurden und hier Gewalt erfahren haben und in Abhängigkeit geraten sind. "Die Frauen werden beraten und durch gezielte Ausbildungsmaßnahmen und Unterstützung bei der Existenzgründung auf den Wiederanfang in ihrer Heimat vorbereitet." (7). Durch das REAG-Programm des Familienministeriums können Frauen eine kleinere Unterstützung bei der Rückreise bekommen. Hier werden Mittel für Reisekosten und Handgeld zur Verfügung gestellt. (Das Programm geht ab Januar in den Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums über.)

Daneben stellt die Europäische Union im Rahmen der Programme STOP und DAPHNE Gelder für NGOs zur Opferbetreuung zur Verfügung. Nach Angaben des Innenministeriums ist geplant, das Programm DAPHNE mit einem Volumen von 20 Millionen Euro für einen Zeitraum von vier Jahren auszustatten.

Jede Unterstützung ist besser als keine, schon deswegen, weil damit die Existenz der Probleme akzeptiert wird. Die finanziellen Mittel reichen jedoch bei weitem nicht aus, um dem Frauenhandel wirksam zu begegnen. Wichtig sind aber auch gesetzliche Änderungen. So müsste der Straftatbestand Frauenhandel eingeführt werden, in dem bei Anwendung von Zwang oder Gewalt auch der Handel in die Ehe und in Zwangsarbeitsverhältnisse unter Strafe gestellt wird, die nichts mit Sexualität zu tun haben. Weiteren gesetzlichen Handlungsbedarf gibt es u.a. bei einem verbesserten Zeuginnenschutz, einem verbesserten Abschiebeschutz, dem generellen Erteilen einer Arbeitsgenehmigung für die Opfer des Frauenhandels. Daneben muss es aber auch einen legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt mit der Schaffung von legalen Arbeitsmöglichkeiten geben. Dazu gehört auch, dass Prostitution als Arbeit anerkannt werden muss, damit ausländische Frauen die Möglichkeit haben, für ein rechtlich abgesichertes Arbeitsfeld eine Arbeitserlaubnis zu beantragen.

Gabi Ohler, Ruth Firmenich

Anmerkungen:

1) Kleine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion "Bekämpfung des Frauenhandels, Schutz für die vom Frauenhandel betroffenen Frauen und Unterstützung für entsprechende Beratungsstellen", BT-Drs. 14/1737 und 14/1939.

2) Hauptherkunftsländer waren 1997/98 Polen, Ukraine, Tschechische Republik Russland, Lettland, Litauen, Ungarn; außerdem 1997: Weißrussland, Bulgarien und 1998: Rumänien

3) BMI-Pressemitteilung vom 23.9.1999: "Prävention und Bekämpfung von Menschenhandel - eine europäische Strategie bis zum Jahr 2005"

4) ebd.

5) ebd. Dazu gehören die im G8-Rahmen erarbeiteten Leitlinien ebenso "wie der Aktionsplan zur Bekämpfung der Schleusungskriminalität und des Menschenhandels als auch die in Arbeit befindliche Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der transnationalen Organisierten Kriminalität mit ihren Zusatzprotokollen zur Bekämpfung der Schleusungskriminalität und des Menschenhandels."

6) ebd.

7) vgl. BT-Drs. 14/1939

Informationen zum Koordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt im Migrationsprozess e.V. (KOK) über: agisra e.V., Ludolfusstraße 2-4, 60487 Frankfurt, Tel: 069 - 77 77 52 / 55, Fax: 069 - 77 77 57.
Amnesty for Women, eine der Mitgliederorganisationen der KOK, hat im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche eine Aufklärungsbroschüre für betroffene Frauen erstellt, die in 13 Sprachen erhältlich ist und über das Ministerium bezogen werden kann.