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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 433 / 16.12.1999

Das Schweine-System

Politische Landschaftspflege - ein Rückblick auf den Flick-Skandal

Helmut Kohl hat es immer schon gewusst und auf dem CDU-Parteitag im November 1987 auch offen ausgesprochen: "Wir Menschen tragen einen Abgrund in uns." Das war kurz nach dem Ableben Uwe Barschels, und es ist zu vermuten, dass der damalige Kanzler vor allem an Menschen in "politischer Verantwortung" dachte und dass seine Sorge ernst war - Sorge vor dem "Abgrund", der den eben noch Mächtigen verschlingt, wenn er sich bei Aktionen außerhalb der Legalität erwischen lässt. Heute, zwölf Jahre nach Barschel, besteht Anlass zu der Hoffnung, dass Kohl den Weg der Verdammnis durch die öffentliche Meinung direkt vor sich hat. Denn Kohl ist ein Wiederholungstäter: Er war einer der Hauptbegünstigten in der Flick-Affäre, dem größten Korruptionsskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Flick? Wer war das noch gleich? Da ist zum einen Friedrich Flick, der NS-Wehrwirtschaftsführer und Kriegsverbrecher (siehe Kasten). In der Flick-Affäre allerdings ging es um seinen Sohn Friedrich Karl Flick.

Die Vorgeschichte des Skandals beginnt 1975 als ein "banaler Vorgang, dessen Grundmuster bis in das ,letzte Dorf` der Bundesrepublik geläufig sein dürfte und einen Eckpfeiler kommunalpolitischer Korruption darstellt. Da politische Entscheidungen die Marktchancen einzelner Unternehmen und Branchen befördern oder behindern können, bemühen sich die Wirtschaftsakteure um gezielte Einflussnahme." (1) Der Flick-Konzern will rund eine Milliarde DM Steuern sparen, die nach dem Verkauf seiner Daimler-Benz-Anteile an die Deutsche Bank eigentlich fällig wären. Rettungsanker ist der Paragraf 6b des Einkommenssteuergesetzes. Danach muss ein Unternehmen einen Gewinn nicht versteuern, wenn es diesen für eine "volkswirtschaftlich förderungswürdige" Investition wieder ausgibt. Über die Förderungswürdigkeit entscheiden das Wirtschafts- und das Finanzministerium. Was liegt da für das Unternehmen näher, als "Entscheidungshilfe" in Form von finanziellen Zuwendungen zu leisten?

Der hierfür zuständige "Hausmeier" des Flick-Konzerns, Eberhard von Brauchitsch, macht sich allerdings nicht mit dem Geldkoffer auf in die Ministerien. Das wäre erstens zu auffällig und zweitens wenig effektiv. Von Brauchitsch zahlt flächendeckend und mit längerfristigem Ziel: Es geht um die "Pflege der politischen Landschaft" - und zu der gehören neben der damals regierenden SPD/FDP-Koalition auch die oppositionellen Unionsparteien. In Sachen Steuerbefreiung hat man es allerdings mit den Regierenden zu tun. Nach ersten Sondierungen reicht der Flick-Konzern seine ersten vier Anträge ein, den sog. "ersten Geleitzug". "Volkswirtschaftlich förderungswürdig" finden die Flick-Manager den Kauf von Aktien des US-Chemiekonzerns Grace im Werte von 111 Mio. Dollar sowie Investitionen und Aktienkäufe für insgesamt 230 Millionen DM bei den Firmen Dynamit Nobel und Buderus.

Herr Nau war meistens heiter

Während Teile der SPD Flicks Anträgen kritisch gegenüberstehen, haben Kanzler Schmidt und sein Finanzminister Apel ein offenes Ohr für die Anliegen des Unternehmens. Als Vermittler fungiert SPD-Schatzmeister Nau - zur vollsten Zufriedenheit des Konzerns, der sich mit einer großzügigen Spende bedankt: Die Friedrich-Ebert-Stiftung, der Nau vorsteht, erhält von Flick eine Million DM. Zu dieser ungewöhnlich hohen Zahlung befragt, antwortet von Brauchitsch später im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: "Ich hatte den Eindruck, dass es für unseren Zweck gut wäre, Herrn Nau heiter zu stimmen." Auf die Nachfrage des CDU-Abgeordneten Bohl: "War er heiter?" entgegnet von Brauchitsch: "Er kam dann immer wieder, wenn er nicht mehr heiter war." (2)

Besonders zuvorkommend behandelt Flicks Landschaftspfleger zwei einflussreiche FDP-Politiker: Bundeswirtschaftsminister Friderichs und Otto Graf Lambsdorff, der im Oktober 1977 dessen Nachfolger wird, als Friderichs zum Vorstandssprecher der Dresdner Bank aufsteigt. Die "Stafette 6b" (von Brauchitsch) wird an Lambsdorff übergeben und ist dort in besten Händen. Während der "erste Geleitzug" noch von Friderichs genehmigt wird, befürwortet Lambsdorff 1978 weitere Anträge Flicks auf Steuerbefreiung. Verzögerungen gibt es im von Matthöfer (SPD) geführten Finanzministerium. Aber im September 1978 erteilen beide Ministerien die Genehmigungen zu allen Anträgen des "zweiten Geleitzuges".

Insgesamt hat Flick zwischen 1976 und 1981 zwei Drittel des Gewinns aus dem Aktienverkauf steuerfrei angelegt - 840 Millionen DM sind an der Steuerkasse vorbeigeflossen. Verglichen mit dieser Summe sind die gezahlten Bestechungsgelder Peanuts. Entdeckt werden sie durch Zufälle und die Arbeit eines engagierten Steuerfahnders. Bei der Durchsuchung der Düsseldorfer Flick-Zentrale fällt den Ermittlern dann das entscheidende Beweisstück in die Hände: das schwarze Kassenbuch des Chefbuchhalters Diehl, in dem die "Spenden" säuberlich aufgezeichnet sind - "wg. Kohl 50.000,-", "wg. Dr. Friderichs 70.000,-" usw. Bei von Brauchitschs "Sonderzahlungen in einer speziellen Sache", einem besonderen Antrag auf Steuerbefreiung, gehen insgesamt 220.000 DM an sechs Politiker von SPD, FDP und CDU. Strauß erhält 250.000 DM für "Tipps, wie mit den Beamten im Finanzministerium umzugehen sei". (4) Die meisten der in Kuverts überreichten Einzelbeträge sind kleiner, summieren sich aber auf mehr als 25 Millionen DM allein zwischen 1969 und 1980.

Erste Presseberichte über dubiose Unternehmensspenden an Politiker gibt es bereits Mitte der 70er Jahre. Dabei wird auch der Trick mit sog. Beraterverträgen enthüllt: Unternehmen zahlen für nutzlose Gutachten an Briefkastenfirmen im "Steuerparadies" Liechtenstein, von dort wandert das Geld in die Parteikassen, vor allem die der CDU. Erst Ende 1982, nach dem Regierungswechsel in Bonn, werden die Parteispenden zum Skandal, der die Titelseiten beherrscht. Mit Erscheinen der Spiegel-Ausgabe vom 29.11.1982 ist der Name Flick in aller Munde. Im Mai 1983, zwei Monate nach Kohls Sieg bei der vorgezogenen Bundestagswahl, beschließt der Bundestag die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Für die Grünen, die gerade erstmals in den Bundestag gewählt worden sind, sitzt dort Otto Schily, der zum wortgewaltigen Ankläger der Korruption wird und Erklärungen fordert, auch darüber, "welche Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Waffenexportlizenzen gezahlt worden sind."

Kohls Weg nach oben wurde von Flick freigekauft

Weitere brisante Details über die Politik des Flick-Konzerns werden im Oktober 1984 bekannt. Nach Berichten der WamS und des Spiegel hat der ehemalige CDU-Vorsitzende und amtierende Bundestagspräsident Rainer Barzel von Flick, auf Umwegen über einen Beratervertrag, 1,7 Mio. DM bekommen. Damit sollte er für den Verzicht auf den Parteivorsitz, den Kohl übernahm, entschädigt werden - mit den Worten des als Vermittlers tätigen CDU-Politikers Biedenkopf, heute Ministerpräsident von Sachsen: Es sollte verhindert werden, dass Barzel nach seinem Rücktritt ein "Sozialfall" wird.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Jürgen Reents bringt diesen Sachverhalt im Parlament auf die zutreffende Formel, Kohls Weg an die Spitze der CDU sei "von Flick freigekauft" worden. Für diese "Beleidigung" wird er von Bundestagspräsident Stücklen (CSU) von der Debatte ausgeschlossen. Es ist dies der historische Moment, wo Joschka Fischer den legendären Satz spricht (den er dann einen Tag später wieder zurücknimmt): "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!"

Ungeachtet der öffentlichen Aufmerksamkeit geht die parlamentarische Aufarbeitung der Spenden-Affäre nur schleppend voran. Nach Kohls "Black-out" vor dem Ausschuss erstattet Schily Anzeige wegen Falschaussage. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren mit der Begründung ein, es gebe keine Anhaltspunkte, Kohl habe die von ihm geleugneten "Zahlungsvorgänge wissentlich in Abrede gestellt". Auch die übrigen Beschuldigten kommen glimpflich davon. Lambsdorff tritt im Juni 1984 als Wirtschaftsminister zurück und feiert 1988 als neuer FDP-Vorsitzender ein politisches Comeback. In späteren Strafverfahren werden Lambsdorff und Friderichs zu Bewährungstrafen verurteilt - wegen Steuerhinterziehung, nicht wegen Bestechlichkeit. Es wird überhaupt niemand wegen Bestechlichkeit oder Bestechung verurteilt - für die Justiz hat es den Skandal, der "die Republik erschütterte", nicht gegeben.

Auch die involvierten Parteien erleiden keinen bleibenden Schaden. CDU/CSU und FDP gewinnen auch 1987 die Wahlen; die als einzige unbelasteten Grünen legen um 2,7 Prozentpunkte zu. Während Regierungsparteien und Sozialdemokraten sich gegenseitig als die schlimmeren Schurken beschimpfen, stellt von Brauchitsch sich demonstrativ auf die Seite der Kohl-Regierung, an deren Zustandekommen der Flick-Konzern durch gezielte Zahlungen an FDP-Politiker einigen Anteil hat. Von Brauchitsch behauptet: "Nur bei SPD-Schatzmeister Nau habe es einen Zusammenhang zwischen Spenden und Entscheidungen im Steuerbefreiungsverfahren gegeben." (4)

Irgendwann ist der Skandal dann beendet - weil die Öffentlichkeit das Interesse verliert. Bleibende Konsequenzen hat er nicht, Sicherungen gegen Wiederholungstäter werden nicht beschlossen. Insofern ist auch der Vorwurf moralisierender Kommentatoren hinfällig, die jetzt entdeckten schwarzen Kassen der CDU bedeuteten einen schlimmen Rückfall in eine überwunden geglaubte Zeit. Denn was ist Anfang der 80er Jahre geschehen? Namhafte Politiker haben sich bei leicht anrüchigen Geschäften erwischen lassen, die Parteien daraus Konsequenzen gezogen und ihre Tarnung verbessert. Wenn man Bestechlichkeit als Grundzug von Regierungsparteien voraussetzt, dann ist es ein Wunder, dass die erste Parteispenden-Affäre "nach Flick" erst so spät entdeckt wurde.

Js.

Anmerkungen:

1) Rolf Ebbighausen/Sighard Neckel (Hg.): Anatomie des politischen Skandals; Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1989, S. 219

2) zitiert bei Dirk Käsler u.a.: Der politische Skandal. Zur symbolischen und dramaturgischen Qualität von Politik; Opladen (Westdeutscher Verlag) 1991, S. 250

3) ebd., S. 253

4) ebd., S. 260