Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 433 / 16.12.1999

"DaimlerChrysler rotiert"

Interview mit Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck

Eine Recherchereise brachte neue Informationen über die verschwundenen Betriebsräte von Mercedes-Benz in Argentinien.

Am 10. Dezember trat in Argentinien mit dem sozialdemokratisch orientierten Bündnis Alianza eine neue Regierung unter Fernando de la Rua als Präsident ins Amt. Obwohl de la Rua Anfang November die Vollstreckung der kurz zuvor von der spanischen Justiz erlassenen internationalen Haftbefehle gegen 98 argentinische Ex-Juntageneräle abgelehnt hatte, sind in der neuen Regierungskoalition erstmals wieder Kräfte vertreten, die eine Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen unter der Diktatur (1976-1983) und eine Abschaffung der Amnestiegesetze für die verantwortlichen Generäle von 1986 und 1989/1990 fordern, ein Erbe der konservativen Regierung unter Carlos Menem. Auf Dauer wird der neue Präsident die Forderungen der Menschenrechtsgruppen nicht so leicht vom Tisch wischen können wie Menem, denn de la Ruas Basis lebt vor allem im Großraum Buenos Aires - dort wo die Menschenrechtsorganisationen am stärksten sind.

Nahezu 30.000 Menschen fielen der Repression des Militärregimes zum Opfer. Verfolgt wurden nicht nur die bewaffneten Bewegungen wie die Guerillaorganisation Montoneros, sondern jegliche politische und soziale Opposition, darunter auch die erstarkte unabhängige Gewerkschaftbewegung. Die Betriebsleitungen vieler internationaler Unternehmen kollaborierten mit dem Regime, um unbequeme Gewerkschafter loszuwerden. Besonders verfolgt wurden zudem PolitaktivistInnen jüdischen Ursprungs.

Nicht nur in Spanien und Frankreich, sondern auch in der Bundesrepublik strengen Juristen und Menschenrechtsorganisationen Strafverfahren gegen argentinische Militärs wegen der Ermordung von europäischen Staatsbürgern an. Im September wurde erstmals gegen ein deutsches Unternehmen Anzeige wegen mutmaßlicher Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen während des Militärregimes in Argentinien erstattet. Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der auch fünf Angehörige von deutsch-jüdischen "Verschwundenen" vertritt, reichte vor der Berliner Staatsanwaltschaft Anzeige gegen den Deutsch-Argentinier Juan T., in den 70er Jahren Werksleiter der Mercedes-Benz-Niederlassung in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires sowie gegen die Ex-Diktatoren Emilio Massera und Jorge Videla ein. Der Vorwurf lautet: Beteiligung an Verschleppung und Ermordung von mindestens acht - wahrscheinlich an die 20 - linken Betriebsräten aus dem Mercedes-Benz-Werk zwischen April 1976 und August 1977. (siehe auch ak 431)

Im Oktober reiste Kaleck nach Argentinien, um weitere Recherchen anzustellen. Der Hauptzeuge Hector Ratto, einer der wenigen überlebenden Betriebsräte von damals, sagte bereits 1985 in einem der ersten großen Prozesse gegen südamerikanische Militärs vor einem zivilen Gericht gegen die argentinischen Junta-Chefs aus und belastete auch T. schwer. Gegenüber Kaleck und dem ARD-Morgenmagazin vom 15. Oktober wiederholte und präzisierte er seine Aussagen vor allem in Bezug auf T., dem er konkret vorwirft, Namen und Adressen aktiver Gewerkschafter an die argentinischen Sicherheitskräfte weitergegeben zu haben. Außerdem erklärte sich Ratto bereit, zu einer Zeugenvernehmung in der deutschen Botschaft zu erscheinen, und beauftragte Kaleck mit der Wahrnehmung seiner Interessen.

T. hingegen, der nach wie vor eine leitende Funktion in der Mercedes-Zentrale in Buenos Aires inne hat, konnte von Medienvertretern aus der Bundesrepublik und Argentinien nicht angetroffen werden. Er sei unbefristet beurlaubt, hieß es aus der Unternehmenszentrale, deren einziges Statement zu den Vorwürfen bisher "Unhaltbarkeit der Anzeige" lautete. Derzeit wird die Anzeige gegen Mercedes-Benz, ergänzt durch die Ergebnisse der Recherchereise, vom Bundesgerichtshof geprüft. Das folgende Interview mit Wolfgang Kaleck entstand im November, kurz nach seiner Rückkehr aus Argentinien.

Juristisch war Ihre Reise nach Argentinien offensichtlich ein Erfolg. Wie be-werten Sie die Ergebnisse der Reise politisch?

Zunächst einmal scheint Mercedes-Benz, heute DaimlerChrysler, durch die Anzeige, die öffentliche Aussage gegen das Unternehmen von Ratto im Ersten Deutschen Fernsehen und unsere Recherchereise etwas ins Rotieren gekommen zu sein, sonst hätten sie nicht T. von der Bildfläche verschwinden lassen.

Fast jeder in Argentinien weiß, dass während der Militärdiktatur aus den Werksniederlassungen nationaler und internationaler Wirtschaftunternehmen Betriebsräte verschwunden sind. Insofern haben wir der Menschenrechtsbewegung dort nichts Neues erzählt. Wir haben allerdings bekannt gemacht, dass 23 Jahre nach den Vorfällen gegen leitende Angestellte von Mercedes-Benz in der Bundesrepublik ermittelt wird. Das hat die Menschenrechtsgruppen sehr motiviert und wir sind in diesen Kreisen überall auf reges Interesse an einer Zusammenarbeit gestoßen. Politisch geht es uns nicht darum, Einzelpersonen zu verfolgen, sondern darum, politische Zusammenhänge aufzuzeigen, die zu Menschenrechtsverletzungen führten.

Anfang der 70er Jahre entstand neben anderen sehr einflussreichen sozialen Bewegungen auch eine starke unabhängige Gewerkschaftsbewegung. Die meisten dieser Betriebsräte betätigten sich politisch nicht außerhalb ihres Arbeitsplatzes. Trotzdem wurden sie von den Sicherheitskräften der Diktatur verfolgt, verschleppt und ermordet, weshalb man davon ausgehen muss, dass es den Militärs vor allem auch um bessere Verwertungsbedingungen für das nationale und insbesondere für das internationale Kapital ging. Die gesamte argentinische Arbeiterbewegung wurde damals geköpft. Nachdem gleich in den ersten Jahren der Diktatur die unabhängigen Betriebsräte zerschlagen und Massenentlassungen durchgesetzt waren, stieg die Produktivität der argentinischen Wirtschaft stark an, während der Reallohn der Arbeiter sank.

Ein weiteres sehr wichtiges politisches Ergebnis unserer Reise war, dass deutsche Menschenrechts- und Juristengruppen mit den entsprechenden Gruppen in Argentinien kollaborieren müssen, damit wird die Verfahren gegen argentinische Militärs effektiv führen können. Deshalb haben wir unser weiteres Vorgehen mit argentinischen Juristen und Menschenrechtsgruppierungen abgesprochen.

Klar geworden ist uns bei den Gesprächen auch, dass in Argentinien keine Ruhe herrscht. Nach der ersten großen Prozesswelle Mitte der 80er Jahre, die auch einige der führenden Diktaturschergen hinter Gitter brachte, hat es zwar eine Zeit der relativen Ruhe auf juristischer Ebene gegeben, aber 1986 und 1989/1990 wurden eine ganze Reihe Amnestiegesetze erlassen und die Ermittlungen sind allesamt eingeschlafen. Die Menschenrechtsorganisationen verloren daraufhin vorübergehend den Mut, weiter an der Aufklärung der Diktaturverbrechen zu arbeiten. Durch die Strafanzeigen der ver-gang-en-en Jahre gegen argentinische Militärs in Europa hat die Bewegung in Argentinien wieder Auftrieb bekommen. Die Juristen der Menschenrechtsorganisationen haben eine ganze Reihe von Schlupflöchern gefunden, wie man die Militärs auch in Argentinien selbst wieder juristisch belangen kann. An erster Stelle sind die Prozesse wegen der Entführung von Kindern Oppositioneller durch die Militärs zu nennen, Verbrechen, die nicht unter die Amnestiegesetze fallen. Einige hochdekorierte Militärs, darunter auch der ehemalige Junta-Chef Jorge Videla, sind dafür inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt worden.

Zudem sind in den größeren Provinzgerichten hunderte von Akten, die Fälle von Folterung und "Verschwindenlassen" belegen, wieder für Ermittlungen geöffnet worden. Derzeit finden in großem Umfang Anhörungen von überlebenden Diktaturopfern statt (Anfang Dezember meldete die FAZ, dass auf Grund der Ermittlungen vor Provinzgerichten die Identität von mehr als 100 "Verschwundenen" geklärt werden konnte; Anm. d. Verf.).

Sie erwähnten vorhin die Bildung unabhängiger Gewerkschaften Anfang der 70er Jahre. Was unterschied diese Betriebsräte von den traditionellen argentinischen Gewerkschaften?

Die offiziellen oder "gelben Gewerkschaften" wurden damals sehr stark von den "Peronisten" (1) dominiert und hatten sich zu einem ziemlich korrupten Gewerkschaftsapparat entwickelt, der die Kollaboration mit den Arbeitgebern praktizierte und von den Militärs kontrolliert wurde. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre gründeten sich deshalb um den Industriegürtel von Buenos Aires herum von den Arbeitern gewählte, unabhängige Betriebsräte, die deren Interessen glaubwürdiger vertraten.

Vor allem die offizielle Gewerkschaft der Autoarbeiter aber griff die unabhängigen Betriebsräte massiv mit politischen und polizeilichen Maßnahmen an. Die Betriebsleitungen der Automobilunternehmen weigerten sich ihrerseits, mit den Vertretern der unabhängigen Gewerkschaften zu sprechen. Erst als in den großen Betrieben Streiks durchgeführt wurden, akzeptierten die Unternehmen die linken Arbeitervertretungen.

Können Sie eine Einschätzung darüber geben, wie weit die Zusammenarbeit zwischen südamerikanischen Militärregimes und den transnationalen Automobilkonzernen bei der Verfolgung politisch aktiver Arbeiter ging?

Der Schluss liegt mehr als nahe, dass die Militärs nicht ohne Hinweise der jeweiligen Unternehmensleitungen die Namen und Wohnorte der unabhängigen Betriebsräte erfahren konnten, da diese Betriebsräte zum großen Teil nicht außerhalb der Fabrik politisch aktiv waren. Ford war sicherlich noch eine Spur schamloser als Mercedes, ließ offen Verhaftungen durch Polizei und Militärs auf dem Betriebsgelände vornehmen und stellte den Repressoren auf dem eigenen Werksgelände einen Raum zur Verfügung, wo die Betriebsräte gefoltert wurden. Mercedes ist da geschickter vorgegangen. Die meisten der "verschwundenen" Vertreter der "comisiones internas", der unabhängigen Betriebsräte, wurden außerhalb des Geländes verhaftet, bis eben auf unseren Hauptzeugen Hector Ratto, dessen Adresse auf Grund eines kurz zuvor erfolgten Wohnungswechsels dem Werk noch unbekannt war, weshalb man ihn auf dem Werksgelände verhaften ließ ... vermittelt eben durch den Werksleiter T.

Im April letzten Jahres reichte die Nürnberger Koalition gegen Straffreiheit Strafanzeige gegen 41 argentinische Militärs wegen Entführung und Ermordung von mindestens 70 Deutschen bzw. Deutschstämmigen ein. Seit Juni 1998 ermittelt die Staatsanwaltschaft Fürth in vier der Fälle, seit März dieses Jahres in einem weiteren. Sie vertreten deutsch-jüdische Opfer der Diktatur in Argentinien und haben im Juni in Berlin vier Fälle angezeigt. Einerseits beschäftigst du dich also mit der organisierten politischen Opposition der 70er Jahre in Argentinien und andererseits mit Opfern der Militärdiktatur, wo nicht die politische Betätigung, sondern die Nationalität im Vordergrund steht.

Wir haben von der Gruppe der Angehörigen klare Anweisungen bekommen, dass wir zwar versuchen sollen, die Staatsangehörigkeit der Opfer als Schlüssel zu benutzen, um die Justiz zu Bearbeitung der Fälle zu zwingen. Ansonsten wird aber ausdrücklich gefordert, die Opfergruppen nicht auseinander zu dividieren.

Während des Nationalsozialismus emigrierten viele jüdische Menschen nach Argentinien. Die Nazis entzogen ihnen in Abwesenheit die deutsche Staatsbürgerschaft, d.h. die Kinder bekamen nicht automatisch einen deutschen Pass. Als wir im Juni die Anzeigen in Berlin einreichten, haben wir eine Reihe von juristischen Argumenten vorgetragen, warum in diesen Fällen die deutsche Justiz trotzdem zuständig sein muss. Die Generalbundesanwaltschaft war zunächst anderer Meinung und beantragte im Oktober, keinen deutschen Gerichtsstand für diese Fälle zu bestimmen. Darauf hin kritisierten wir in einer sehr ausführlichen Stellungnahme die Generalbundesanwaltschaft dafür, dass sie durch ihren hingerotzten ablehnenden Antrag der historischen Brisanz dieser Fälle in keiner Weise gerecht geworden ist. Der Bundesgerichtshof, zuständig, wenn ein deutscher Gerichtsstand fehlt, schloss sich unserer Auffassung an und bestimmte in einem Beschluss vom Oktober das Landgericht Nürnberg-Fürth als für diese Fälle zuständig.

Inzwischen haben wir auch einen fünften Fall, die Ermordung des deutschen Staatsbürgers Jose Alfredo Berliner, eingereicht. Berliner war im Rahmen einer Guerilla-Aktion aus dem mexikanischen Exil nach Argentinien eingereist und dort kurze Zeit später tot in einem angeblich verunglückten Auto aufgefunden worden. Der Autounfall wurde allerdings so dilettantisch inszeniert, dass sich sogar die damaligen Justizbehörden unter der Diktatur gezwungen sahen, Ermittlungen anzustellen. Nach der "Redemokratisierung" ist der Fall in Vergessenheit geraten. Wir sind überzeugt, dass es noch eine Reihe zusätzlicher Anhaltspunkte für die deutschen Ermittlungsbehörden gibt, die genaueren Umstände des Todes von Berliner herauszufinden. Politisch finden wir den Fall wichtig, um klar zu zeigen, dass auch der Fall eines bewaffnet gegen die Militärdiktatur kämpfenden Aktivisten von uns aufgegriffen wird, ohne dessen politische Identität zu verschweigen.

Stimmen aus Lateinamerika, wir denken hier vor allem an die Reaktionen der chilenische Regierung auf die Verhaftung Pinochets in London im Oktober vergangenen Jahres, fordern immer wieder, dass die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen und Bestrafung der Täter in den jeweiligen Ländern selbst und nicht in Europa stattfinden soll. Als Argument dafür wird unter anderem die Wahrung der nationalen Souveränität der lateinamerikanischen Staaten angeführt, die durch die häufig als neokolonial beschriebene Einmischung Europas verletzt würde. Selbst ehemalige Guerillabewegungen wie die MLN-Tupamaros aus Uruguay vertreten diese Position und kritisieren, dass die ehemaligen europäischen Kolonialstaaten und die USA sich jetzt als Menschenrechtsapostel aufspielen, während die Verbrechen des Faschismus in Italien und Spanien sowie des Nationalsozialismus in Deutschland nur mangelhaft aufgearbeitet werden.

Klar wäre es sinnvoller, wenn die Verbrechen der Militärdiktaturen in den Ländern juristisch aufbereitet würden, wo sie stattgefunden haben. Aber wenn die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen nicht durch Amnestiegesetze verhindert wird, dann sorgt häufig eine Justiz, die personell Kontinuitäten mit den Diktaturen aufweist, für die fortgesetzte Straflosigkeit der Verantwortlichen. Unter argentinischen Juristen ist es vollkommen unstrittig, dass andere Mechanismen greifen müssen, wenn die nationale Justiz nicht in der Lage ist, bestimmte Formen von Verbrechen zu bearbeiten.

In Bezug auf das Argument der nationalen Souveränität kann ich nur sagen, dass derselbe Carlos Menem, der systematisch den ökonomischen Ausverkauf Argentiniens betrieben hat, in Menschenrechtsfragen über den Eingriff Europas in die nationale Souveränität des Landes jammert. Die Kritik der Tupamaros an den aus Europa kommenden Strafanzeigen und internationalen Haftbefehlen gegen lateinamerikanische Militärs halte ich für ein Totschlagargument. Sich als Europäer mit der Aufarbeitung der Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur zu beschäftigen, schließt ja nicht aus, auch die Verbrechen des Faschismus zu thematisieren. Im Fall der deutsch-jüdischen Verschwundenen und Ermordeten versuchen wir ja auch Zusammenhänge darzustellen.

Insgesamt wird in der Debatte um internationale Gerichtsbarkeit versus nationale Souveränität argumentativ ein Fehler gemacht. Der Missbrauch des Menschenrechtsdiskurses, womit beispielsweise der Nato-Angriffskrieg im Kosovo legitimiert werden sollte, ist etwas völlig anderes als der Diskurs der in Lateinamerika schon seit langem Menschenrechtsbewegung, die fordert, dass die Verantwortlichen für die Verbrechen der Militärdiktaturen auch international strafrechtlich belangt werden. Man muss den historischen und politischen Kontext berücksichtigen, aus dem heraus mit Menschenrechten argumentiert wird.

Ein weiterer, inzwischen sehr bekannter Ankläger argentinischer Ex-Juntas ist der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzon. Anfang November erließ er internationale Haftbefehle gegen fast 100 ehemalige argentinische Militärs wegen Verbrechen gegen spanische Staatsbürger. Inwieweit sehen Sie sich in einer Reihe mit diesem prominenten Ankläger. Gibt es eine Form der Zusammenarbeit?

Es gibt keine praktische Zusammenarbeit mit den spanischen Gerichten und Ermittlungsbehörden, so weit sind wir noch nicht. Es gibt aber eine Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen verschiedener europäischer Länder. Zu den Strafverfahren in Spanien ist anzumerken, dass nicht etwa Garzon auf die Idee gekommen ist, die argentinische und chilenische Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern Menschenrechtsorganisationen und deren Juristen, in denen vor allem Exilargentinier vertreten sind. Sie haben vor drei Jahren begonnen, Material zu recherchieren und Strafanzeigen wegen Völkermords zu erstatten. Garzon hat die Fälle dann aufgegriffen und jetzt die bekannten Maßnahmen eingeleitet. Dabei geht es nicht nur darum, ein paar "schwarze Schafe" herauszufischen, sondern auch darum, den politischen Hintergrund der ganzen Sache aufzuarbeiten. Deshalb hat Garzon gerade die "Operacion Condor" (2) als Haftgrund im Fall von Pinochet verwendet.

Zur Person von Garzon ist zu sagen, dass er mitnichten ein Linker ist und auch in andere Richtungen sehr drastische Mittel anwendet. Unter anderem ist er für die Schließung der baskischen Tageszeitung Egin im vergangenen Sommer verantwortlich. Trotzdem bedurfte es eines politisch eher zweifelhaften Richters wie Garzon, um den Kampf gegen die Straffreiheit lateinamerikanischer Militärs juristisch richtig in Gang zu bringen, da die Menschenrechtsbewegungen in Argentinien und auch in Chile zu schwach sind, um in ihren eigenen Ländern die Strafverfolgung der Täter durchzusetzen.

Natürlich glauben wir nicht ernsthaft daran, dass Argentinien ehemalige Militärs an Europa ausliefert, damit sie hier vor Gericht gestellt werden. Unser Ziel ist es, dass die deutsche Justiz wegen Menschenrechtsverbrechen an deutschen und deutsch-jüdischen Bürgern und gegen deutsche Wirtschaftsunternehmen ermittelt, die damals in Argentinien in Verbrechen verwickelt waren, Tatsachen, die von der damaligen SPD-Bundesregierung systematisch ignoriert wurden, um die guten deutsch-argentinischen Wirtschaftsbeziehungen nicht zu gefährden. Außerdem halte ich es für wichtig, dass die historischen Tatsachen, die sich in Chile und Argentinien vor mehr als zwanzig Jahren ereignet haben, gerade im Jahr des Kosovokrieges noch mal ganz deutlich ausgesprochen werden, um die Doppelmoral der westlichen Regierungen anzuklagen.

Das Interview führten Stefanie Kron und Felix Sperandio.

Anmerkungen:

1) "Peronisten" nennen sich heute die Vertreter der kürzlich abgewählten rechten "Gerechtigkeitspartei" (PJ) von Ex-Präsident Carlos Menem.

2) "Operación Condor" war die von den USA gesteuerte und initiierte Zusammenarbeit der lateinamerikanischen Militärs gegen die Opposition.