ETAren itzulera
ETA ist zurück - dem Baskenland stehen turbulente Zeiten bevor
Die baskische Separatistenorganisation ETA ("Baskenland und Freiheit") hat am 28. November das Ende der von ihr vor 14 Monaten ausgerufenen Waffenruhe angekündigt. Mit dem Ende des ETA-Gewaltverzichts gewinnt die militärische Logik im Baskenland wieder Oberhand.
"Die ETA hat die Entscheidung gefällt, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen." Dieser Satz des ETA-Kommuniqués, das am 28. November in der Egin-Nachfolgezeitung Gara abgedruckt wurde, macht Schluss mit den Hoffnungen, im Baskenland könnte in absehbarer Zeit ein Friedensprozess ähnlich wie in Irland in Gang kommen. Ab dem 3. Dezember wird ETA entscheiden, wann ihre Kommandos den bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit des spanischen und französischen Baskenlandes wieder aufnehmen.
Vor 14 Monaten, am 18. September 1998, erklärte ETA eine "unbefristete Waffenruhe", nachdem einige Tage zuvor 23 soziale Gruppen, Gewerkschaften und Parteien des Baskenlandes unter Einschluss des um die KP Spaniens gruppierten linken Wahlbündnisses Izquierda Unida (Vereinigte Linke/IU) die "Erklärung von Lizarra" unterzeichnet hatten. Darin sprachen sie sich für eine politische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts aus und rückten damit die Frage nach der künftigen Verfasstheit des Baskenlandes in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Im Ergebnis bedeutete die "Erklärung von Lizarra" aber auch, dass die Isolation der Linksnationalisten um Herri Batasuna (Volkseinheit/HB), dem politischen Arm der ETA, aufgebrochen wurde.
Strategien der Spannung
Durch die ETA-Attentate auf Kommunalpolitiker der spanisch-nationalistischen Partido Popular (Volkspartei/PP), die unter Ministerpräsident José Maria Aznar die Regierung in Madrid stellt, war in den Jahren zuvor offensichtlich geworden, dass sich ETA - und mit ihr das linksnationalistische Lager - durch die vom spanischen Staat aufgezwungene Militarisierung zunehmend isolierte. Im Juli 1997, als ETA den PP-Kommunalabgeordneten Miguel Angel Blanco zuerst entführte und dann - nachdem die spanische Zentralregierung auf ihr Ultimatum, innerhalb von 24 Stunden Zugeständnisse in der Gefangenenfrage zu machen, nicht eingegangen war - erschoss, gingen in ganz Spanien Hunderttausende auf die Straße, um ein Ende der ETA-Aktionen zu fordern. Das Bild von der kriminellen Terrorgruppe, die willkürlich mordet, feierte fröhliche Urstände. Vom Staatsterrorismus durch Polizei und Paramilitärs war keine Rede mehr.
In der Folge verschärfte der spanische Repressionsapparat die Kriminalisierung von Herri Batasuna und anderer Organisationen im Umfeld des Linksnationalismus - eine Strategie, die in der Verurteilung der gesamten HB-Führung wegen angeblicher Unterstützung einer bewaffneten Organisation zu sieben Jahren Haft im Dezember 1997 gipfelte (im Juli wurde das Urteil vom höchsten spanischen Gericht aufgehoben und die 23 ehemaligen Vorstandsmitglieder freigelassen). Ende März 1998 deckte HB auf, dass der spanische Geheimdienst CESID verschiedene Parteibüros abgehört hatte. Im Juli erfolgte die Verhaftung der Geldgeber und die Schließung der HB-nahen Tageszeitung Egin. Der spanische Innenminister Jaime Mayor Oreja dachte immer lauter über ein Parteiverbot von HB nach.
Dieser Druck führte zur politischen Öffnung von Herri Batasuna. Schon angesichts der ETA-Attentatsserie waren innerhalb der Linksnationalisten verstärkt Stimmen hörbar, die eine kritischere Haltung gegenüber ETA verlangten. Im Mai 1998 veröffentlichten beispielsweise Patxi Zabaleta, Sprecher der HB-Fraktion im Regionalparlament von Navarra, und Alberto Petri, Sprecher der Ratsfraktion in der Hauptstadt der Provinz Navarra Iruña/Pamplona, ein Papier, in dem sie die Attentate als "einen gefährlichen qualitativen Sprung in der sozialen Konfrontation" bezeichneten.
Im linksnationalistischen Lager musste man zu diesem Zeitpunkt einsehen, dass die Strategie, die sozialen Spannungen bis aufs äußerste zu steigern, schließlich auf die eigenen Reihen zurückgeschlagen war. Nach der Inhaftierung des alten HB-Vorstandes wurde eine junge Führungsgruppe gewählt, die es sich zur Aufgabe machte, die Politik des Zusammengehens mit anderen baskischen Parteien voranzutreiben und zu Ende zu führen.
Aber nicht nur im linksnationalistischen Lager kam es zu Veränderungen. Die politisch stärkste Kraft im Baskenland, der Partido Nacionalista Vasco (Baskisch-Nationalistische Partei/PNV), der seit Einführung des Autonomiestatus die Regionalregierung anführt und Aznars Minderheitsregierung in Madrid unterstütze, suchte das Gespräch mit ETA und HB. Im Klima der allgemeinen Mobilmachung gegen alles, was irgendwie mit dem Attribut "baskisch" belegt werden kann, kam PNV zu der Einschätzung, ihre Zusammenarbeit mit der Madrider Regierung könnte sich schließlich auch gegen die eigene Basis richten. Zu diesem Zeitpunkt begannen Geheimverhandlungen zwischen HB und PNV, die schließlich zur "Erklärung von Lizarra" führten. Dass ETA mit einem Waffenstillstand diesen Prozess unterstützen würde, war erwartet worden.
Euskal Presoak, Euskal Herria!
Die spanische Regierung hat allerdings von Anfang an deutlich gemacht, dass sie kein Interesse an einer politischen Lösung des baskisch-spanischen Konflikts hat und gewillt ist, die Chance für einen "irischen Weg" auszuschlagen. Die spanische Regierung und die gesamtspanischen Parteien PP und PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens) fürchten, dass alleine schon eine Diskussion über die Selbstbestimmung des Baskenlandes die Einheit Spaniens gefährden würde.
Erst acht Monate nach Beginn der Waffenruhe trafen sich die spanische Regierung und Vertreter der ETA zu einem Gespräch. Zu Stande gekommen war es hauptsächlich, weil die katholische Kirche als Vermittlerin auftrat. Bei diesem Treffen verweigerte die spanische Seite jegliches politisches Zugeständnis. Ihr Angebot lautete: Verlegung der baskischen Häftlinge ins Baskenland, wenn ETA das definitive Ende des bewaffneten Kampfes erklärt. Die Forderungen der ETA - Selbstbestimmungsrecht der Basken, Verlegung der rund 450 inhaftierten ETA-Mitglieder ins Baskenland und den Abzug der spanischen Polizei und des Militärs - lehnte sie von vornherein ab.
Stattdessen setzte die spanische Zentralregierung weiter auf eine polizeiliche Lösung. Während des Waffenstillstandes gab es über dreißig Festnahmen. Selbst das einzige direkte Gespräch zwischen ETA und der spanischen Regierung nutzten die Fahnder. Ende Oktober wurde Belén Gonzáles Peñalva, die an dem Treffen teilgenommen hatte, in Frankreich festgenommen. Innenminister Oreja stellte erst vor Kurzem zum wiederholten Male klar, dass Madrid keinen Waffenstillstand erklärt habe und somit keine Zugeständnisse machen müsse.
Als großherzige Geste wollte die spanische Regierung ihre Konzessionen in der Gefangenenfrage verstanden wissen. Diese Frage ist für die Mehrheit der Menschen im Baskenland von enormer Bedeutung. Die Forderung "Euskal Presoak, Euskal Herria!" (Baskische Gefangene ins Baskenland) wird weit über das Umfeld der Linksnationalisten hinaus von einer Mehrheit unterstützt. Zu offensichtlich ist, dass der spanische Staat in dieser Frage alle rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord wirft. So ist etwa das Recht auf eine Inhaftierung in der Nähe des Heimatortes verfassungsrechtlich garantiert. Die überwiegende Mehrheit der Häftlinge ist aber über die ganze Iberische Halbinsel, die Kanaren oder die spanische Enklave in Marokko, Melilla, verteilt. Ebenso festgeschrieben ist, dass Häftlinge, die drei Viertel ihrer Haftstrafe abgesessen haben, entlassen werden müssen, was aber im Fall von ETA-Mitgliedern offenbar keine Rolle spielt.
Betroffen von den "Maßnahmen der Regierung" waren 105 der rund 450 baskischen Gefangenen. 27 Gefangene wurden ins Baskenland verlegt, 78 Häftlinge ihm "angenähert". So wurden etwa Gefangene, die im nordafrikanischen Melilla saßen, nach Algeciras in Andalusien, auf der anderen Seite der Meerenge von Gibraltar, gebracht. Viele Familien waren also nach der Verlegung immer noch ein Wochenende unterwegs, wenn sie ihre Angehörigen für eine Stunde im Süden Spaniens sehen wollten.
57 Gefangene wurden freigelassen, weil sie drei Viertel ihrer Haftstrafen hinter sich hatten. Unter ihnen war auch Esteban Nieto, der nach seiner Entlassung noch vier Monate bis zu seinem Krebstod im September in Freiheit verbringen konnte. Wäre nicht bekannt geworden, dass der schwer kranke Nieto mit Handschellen an sein Zellenbett gefesselt wurde, wäre er auch nach 15 Jahren Haft nicht entlassen worden.
Dass die spanische Regierung selbst da, wo sie angeblich zu Konzessionen bereit ist, nur taktische Zugeständnisse machte, ist ein wichtiger Grund für das Ende des Gewaltverzichts der ETA.
Spiel mit dem Feuer
Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes begründete ETA vor allem aber mit der Politik der gemäßigten baskischen Nationalisten um PNV und der eher sozialdemokratisch orientierten Eusko Alkartasuna (Baskische Solidarität/EA), die sich 1986 von der PNV abgespalten hatte. Bereits Ende August kritisierte ETA, dass die baskische Regionalregierung zu wenig für den Aufbau der "baskischen Nation" tue, und setzte den Parteien eine Frist von vier Monaten.
Diese Begründung irritiert, trägt doch das linksnationalistische Lager die baskische Regionalregierung mit. Auch haben PNV und EA seit Unterzeichnung der "Erklärung von Lizarra" immer wieder signalisiert, dass sie nicht mehr wie in der Vergangenheit unter allen Umständen am Autonomiestatus des spanischen Baskenlandes festhalten, sondern letztendlich die Frage über dessen zukünftigen Status durch eine "freie Entscheidung" der Bevölkerung beantwortet wissen wollen.
Im Mai schloss die zu den Regionalwahlen im Oktober gegründete Wahlkoalition Euskal Herritarrok (Baskische Bürger/ EH), deren Kern HB ist, sogar mit PNV und EA einen "Legislaturpakt", also einen Vertrag über die parlamentarische Zusammenarbeit mit der Minderheitsregierung von PNV und EA, für die Legislaturperiode 1999-2002.
EH hatte schon nach den Regionalwahlen erklärt, dass sie die Minderheitsregierung von PNV und EA in allen Abstimmungen, die der "nationalen Konstruktion" des Baskenlandes dienten, unterstützen würden. Im Legislaturpakt vom Mai sprachen sich die drei Parteien für das Ende "aller Akte und Manifestationen von Gewalt" aus und verpflichteten sich, den politischen Konflikt im Baskenland "ausschließlich auf demokratischem und politischem Weg" zu lösen. Vor allem aber einigte man sich auf mehrere Gesetzesvorhaben, die der Stärkung der baskischen Kultur und Sprache zur "Wiedererlangung und Erhaltung der nationalen Identität" dienen sollen.
Getragen von den drei baskischen Parteien, kam es im September auch zur Bildung der "ersten nationalen baskischen Institution". 1.778 Gemeinderäte aus dem spanischen Baskenland, der Region Navarra und aus dem französischen Baskenland - also den historischen Regionen des Baskenlandes - riefen Mitte September in Bilbao die "Versammlung der Gemeinden" aus. Die "Udalbiltza" soll die soziale, wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Einheit des gesamten, aber territorial geteilten Baskenlandes repräsentieren und die Existenz einer "baskischen Nation" nach außen propagieren.
Welche konkrete Rolle der Versammlung allerdings zukommen soll, darüber besteht keine Einigkeit. Für EH ist die "Udalbiltza" bereits der Kern einer verfassunggebenden Versammlung, welche die Unabhängigkeit aller baskischen Teilgebiete vorbereiten soll. PNV und EA betonen dagegen, dass es sich nicht um einen Ersatz für die bestehenden baskischen Institutionen im Rahmen der Autonomie handele. Während EA sich unabhängig davon klar für eine zukünftige Unabhängigkeit des Baskenlandes ausspricht, lässt PNV offen, ob er die Zukunft des Baskenlandes eher in einer erweiterten Autonomie, einer föderalen Lösung innerhalb des spanischen Staates oder in der Unabhängigkeit sieht. Die wenigen Vertreter der französischen Basken erklärten dagegen in Bilbao, dass sie nur die Schaffung eines eigenen baskischen Départements fordern.
Nicht nur die Äußerung der französischen Gemeindevertreter zeigt, welch weiten Weg diejenigen noch vor sich haben, die für eine Unabhängigkeit des Baskenlandes eintreten. Mit 51 Prozent Mehrheit könne man die Unabhängigkeit nicht durchsetzen, gestand vor einigen Monaten Arnaldo Otegi, der Sprecher von EH und HB. Bei den Regionalwahlen im Oktober 1998 erhielten die baskischen Parteien etwa 60 Prozent der Stimmen - 40 Prozent wählten die gesamtspanischen Parteien PP oder PSOE. Das Wahlergebnis war also eine erneute Bestätigung der politischen Spaltung des Baskenlandes in zwei Lager.
Mit der "Erklärung von Lizarra" und dem Waffenstillstand der ETA sollte die Möglichkeit eröffnet werden, eine politische Lösung für das Baskenland zu erreichen. Die spanische Regierung setzte seit Beginn dieses Prozesses auf Zeit, in der Annahme, dass ETA die Geduld verliere. Indem Madrid die inhaftierten ETA-Mitglieder zu Geiseln im sogenannten Friedensprozess machte, erhöhte sie den Druck. Seit dem 28. November können die Hardliner in Madrid triumphieren.
Innerhalb der ETA haben sich augenscheinlich diejenigen durchgesetzt, die eine negative Bilanz der 14 Monate Waffenruhe ziehen. Sicherlich, der spanische Staat hat sich keinen Schritt bewegt. Madrid ist nicht einmal zu Schritten bereit, die in keiner Weise die territoriale Integrität des spanischen Zentralstaats berühren wie z.B. in der Frage der politischen Gefangenen. Im Baskenland selber wird allerdings seit der Unterzeichnung der "Erklärung von Lizarra" nicht mehr nur alleine von den Linksnationalisten der Autonomiestatus des Baskenlandes innerhalb des spanischen Zentralstaats in Frage gestellt. Nicht mehr nur HB/EH, sondern auch PNV und EA sprechen sich mittlerweile - unterschiedlich stark, aber einhellig - dafür aus, dass die Bevölkerung selbst über den zukünftigen Status des Baskenlandes entscheiden muss.
Mit Ausnahme von IU haben sich alle Lizarra-Kräfte nach Veröffentlichung des ETA-Kommuniqués erneut für eine demokratische Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts eingesetzt, Frankreich und Spanien kritisiert und erklärt, dass mit der Aufkündigung des Waffenstillstandes eine wichtige Voraussetzung für eine politische Lösung wegfalle. Ob das Bündnis von Lizarra eine ETA-Aktion überstehen kann, ist allerdings fraglich.
mb.