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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.1.2000

Zu viele Führer

Frankreichs extreme Rechte nach der Spaltung des Front National

Nach Jahren ihres unaufhaltsam scheinenden Aufstiegs ist die französische extreme Rechte in einer tiefen Krise. Der Front National hat sich in zwei Parteien gespalten. Der Rumpf-FN Jean-Marie Le Pens verlor bei den Europawahlen im Juni vergangenen Jahres ebenso wie die neue Partei Bruno Mégrets. Grund zur Freude ist das nur bedingt: Die neue Rechtspartei um Charles Pasqua und Philippe de Villiers ist dabei, bisherige WählerInnen der extremen und der bürgerlichen Rechten für ihr national-populistisches Projekt zu mobilisieren.

Jean-Marie Le Pen, Chef des rechtsextremen Front National (FN) - oder was davon übrig geblieben ist - und Sohn eines bretonischen Fischers, liebt es, folgende Selbstbeschreibung von sich zu geben: Sturm und Wellen trotzend, steht der Kapitän auf der Brücke und hält das Ruder fest in der Hand. Dieses von ihm oft strapazierte Bild muss korrigiert werden: Das Steuerrad, das er in der Hand hält, ist abgebrochen; kurslos treibt der lädierte Kahn auf dem Meer dahin. Und kaum jemand will mehr auf seine donnernd ausgerufenen Befehle hören, während die Klügsten seiner Mannschaft sich längst mit einem Rettungsboot davongemacht haben - unter der Führung des in Ungnade gefallenen Kapitänsgehilfen Bruno Mégret.

Dessen neues Schiff kommt allerdings mangels eines starken Motors auch nicht recht gegen die Wellen voran. Vor kurzem nun musste auch der ehemalige zweite Mann des FN - und übermäßig stolze Schwiegersohn des alten Kapitäns - von der Brücke gehen, nachdem die Besatzung gegen ihn rebelliert hatte.

Der triumphierende Lepenismus der jüngeren Vergangenheit war keineswegs ein rasch verlöschendes "Strohfeuer", wie bürgerliche Kommentatoren in den 80er Jahren behaupteten. Er war auch nicht - wie der Berliner Rechtsextremismus-Spezialist Burkhard Schröder in der Jungle World (44/1999) anklingen lässt - ein bloß kurzfristig anhaltender "Tabubruch", dessen Wirkung sich alsbald "abnutzte", was dann den Niedergang der Partei einleitete. 15 Jahre lang wuchs der gesellschaftliche Einfluss des Front National beinahe bruchlos. Zehn bis 15 Prozent der Wählerschaft beurteilen sämtliche Probleme der französischen Gesellschaft nur noch mit Blick auf das "Immigrationsproblem". Der FN konnte die Parteien der bürgerlichen Rechten systematisch verlieren lassen, wenn sie keine Absprachen treffen wollten - denn für die Mehrheit der FN-Wähler waren die etablierten Parteien der Rechten wie der Linken mittlerweile unwählbar geworden.

Auf diese Weise konnte der Front National schließlich bei den Regionalparlamentswahlen im März 1998 den Schiedsrichter spielen - und mehrere konservative Lokalfürsten, die sich an ihre Posten klammerten, vor sich hertreiben. So stand der Front National im Frühjahr 1998 auf dem Höhepunkt seines Einflusses. (vgl. ak 413)

Anderthalb Jahre später ist der französische Neofaschismus gespalten und geschwächt. Seine beiden Hälften erhielten bei den Europaparlamentswahlen im Juni 1999 knappe 9 Prozent der Stimmen, nachdem der FN sich zwischen 1995 und 1998 auf einem konstanten Stimmenanteil von 15 Prozent gehalten hatte. Was sind die Gründe für diesen Abstieg? Da ist zum einen das objektive Erlahmen der Dynamik, was einige der Vorstöße des FN gegen die "etablierten Kräfte" betrifft. Anfang der 90er Jahre hatte es noch so ausgesehen, als bleibe das Terrain des Protests gegen soziale Ungleichheiten allein den Neofaschisten überlassen - die Sozialdemokraten frönten unter der zweiten Präsidentschaft Mitterrands (den sogenannten années fric, den "Zaster-Jahren") der Selbstbereicherung und dem schnellen Geld, die Kommunisten sah man nach dem Fall der Berliner Mauer in breiten Kreisen dem sicheren Untergang entgegengehen.

Stetiger Aufstieg, tiefer Fall

Im Frühjahr 1990 stellte der FN erstmals einen Kongress unter das Thema "Soziales und Ökologie", weil diese Themen nunmehr ein zu besetzendes, freies Feld darstellten - so die Begründung des damaligen FN-Chefideologen Bruno Mégret, der seither bestrebt war, die eher kleinbürgerlich-mittelständische Prägung der Partei nach außen hin abzustreifen. Doch ab 1995 hat sich die Situation gewandelt, die klassenkämpferischen Spannungen nahmen zu, die Linken waren auf der Straße, die Gewerkschaften (jedenfalls im öffentlichen Dienst) im wochenlangen Streik. Die gleichen sozialen und politischen Kräfte mobilisierten wenig später auch gegen die neofaschistische Bedrohung und gegen die repressiven Ausländergesetze, mit denen die konservative Regierung das FN-Potenzial zu umwerben suchte, und schufen so eine neue Verbindung zwischen Antirassismus und sozialem Protest.

Auf einigen Gebieten prallten die Vorstöße des FN sowohl an institutionellen wie auch an sozialen Riegeln ab. Das Mehrheitswahlrecht sorgte dafür, dass der FN (bis auf zwei Ausnahmeperioden, in denen er je einen einzigen Sitz erringen konnte) keinerlei Vertretung im nationalen Parlament hatte. Sein Versuch, eigene "Gewerkschaften" zu gründen und bei den Wahlen der Arbeitsgerichte seine Anhänger zu platzieren, scheiterte 1996/97 am kombinierten Widerstand von gewerkschaftlichen Kräften und Arbeitsrechtlern, nachdem Gewerkschafter gut vorbereitete Klagen eingereicht hatten.

Die Keimzellen neofaschistischer Gewerkschaften wurden verboten, die 26 vom FN errungenen Mandate in Arbeitsgerichten wurden allesamt annulliert. So wurde das Schlimmste verhindert - denn wer Gewerkschaften organisiert, Arbeitsgerichte besetzt, karitative Vereinigungen (wie das Quasi-"Winterhilfswerk" Fraternité française) und Mieterbünde (wie FN-Locataires) unterhält, der rückt sehr nahe an das alltägliche Leben und die sprichwörtlichen "Sorgen und Nöte" der Armen heran. Welche Partei hier gut organisiert ist, vermag - vermeintliche oder reale - Antworten auf die drängenden sozialen Fragen im Alltagsleben zu präsentieren und seinen Einfluss tief in die Gesellschaft hinein zu streuen.

Die beschriebenen Blockiervorrichtungen hätten dem einstmals so starken FN nicht den Garaus gemacht, wären sie nicht auf innere Strukturmängel der Partei getroffen. Für das Selbstbild der Partei war ihr scheinbar unaufhaltsames Wachstum unerlässlich. Als die Aufstiegsdynamik nachließ und manche ihrer Vorstöße erfolglos blieben, wuchs die Ungeduld einiger der jungen, gut ausgebildeten Kader der Partei, die es eilig hatten, die politische Macht oder zumindest eine Teilhabe an ihr zu erringen. Auf der anderen Seite war Jean-Marie Le Pen immer weniger gewillt, seine Allmacht über die Partei, die durch die jungen "Technokraten" bedroht wurde, in Zweifel ziehen zu lassen. Als pyramidenförmig von oben nach unten strukturierte, streng hierarchische Führerpartei angelegt, musste der FN im Krisenfall dahin tendieren, den Konflikt durch einen radikalen Bruch zu lösen - Kompromisse und Machtteilungen sind in einer solchen Struktur undenkbar.

In den 80er Jahren war die Allmacht des Chefs noch der Garant für den Erfolg des Front National. Durch die Balance, die er zwischen den sehr unterschiedlichen ideologischen Strömungen der extremen Rechten schuf, hielten die heterogenen, ja mitunter gegensätzlich ausgerichteten ideologischen Familien der extremen Rechten zusammen. Katholische Fundamentalisten trafen sich auf einer gemeinsamen Basis mit antijüdisch-antichristlich motivierten Neuheiden, denen die Rassebiologie am Herzen liegt, und "National-Revolutionäre" mit eher monarchistisch orientierten Kreisen. Als gemeinsamer ideologischer Minimalkonsens diente die Idee, dass die "französische Identität" (die allerdings sehr unterschiedlich definiert wurde) von fremden Mächten unterjocht sei und dass alle gesellschaftlichen Probleme im Kern darauf zurückzuführen seien.

Zum Jahreswechsel 1998/99 führte die Krise des Front National zur Spaltung. Für Le Pen war es unvorstellbar, sein persönliches Eigentum in Gestalt der von ihm gegründeten Partei aus der Hand zu geben - "lieber macht er sein Spielzeug kaputt, als es herzugeben", formulierte treffend der Mégret-Anhänger Jean-Yves Le Gallou. Heute überwiegt in der Funktionsweise des verbliebenen Rumpf-FN tatsächlich das Element der persönlichen Machtausübung des (heute wieder) quasi allmächtigen Chefs gegenüber der "gemeinsamen Sache", den rassistischen Ideen. Zum Abschluss des Europa-Wahlkampfs veranstaltete Le Pen eine "Personality Show", bei der man ihn etwa auf der Bühne singen hören durfte - aber von der "Immigrationsproblematik", die seine Wähler wie kein anders Thema bewegt - war nicht einmal mehr die Rede.

Gute und schlechte Immigranten

Nachdem Bruno Mégret so gut wie alle zu eigenständigem Denken und Handeln fähigen Mitglieder und den Großteil der Kader des französischen Neofaschismus mitgenommen hatte und mit seiner eigenen Partei zu den EP-Wahlen antrat, versuchte Le Pen sich in der Taktik, diesen in eine Rechtsaußenecke abzudrängen, indem er selbst in überraschender Form ideologischen Ballast abwarf. Das primäre Ziel war zu diesem Zeitpunkt nur noch, dem Herausforderer Schaden zuzufügen. So ließ Le Pen Anfang Juni 1999 - zunächst durch seinen Schwiegersohn und begierig auf seine Nachfolge wartenden Jungpolitiker Samuel Maréchal, danach auch aus eigenem Munde - verlauten, er akzeptiere nunmehr "die multikonfessionelle Realität des Landes".

Die Mégret-Anhänger stürzten sich erwartungsgemäß auf diesen ideologischen "Verrat", was in Le Pens Augen dazu beitragen konnte, ihr Bemühen um Salonfähigkeit gegenüber bürgerlichen Bündnispartnern und Wählern zu durchkreuzen. Innerhalb des Rumpf-FN hat diese kleine ideologische "Häresie" aber zu einem unerwarteten Aufschrei geführt, weil dessen führende Kader die Welt nicht mehr verstehen.

Die "Sommeruniversität" des FN, die Anfang September 1999 in Orange stattfand, wurde so zum Anlass für heftige Abrechnungen. Bereits zur Eröffnung wetterte Jacques Bompard, der letzte FN-Bürgermeister im Land (die drei anderen sind entweder zur Mégret-Partei übergelaufen oder mittlerweile parteilos), heftig gegen "jüngst begangene Fehler", die darauf zielten, den Kampf gegen die Immigration aufzugeben, während "eine neue Offensive auf diesem Terrain" notwendig sei. Frankreich sei "in seiner Essenz, in seinem Wesen christlich und in seiner überwältigenden Mehrheit katholisch" und müsse es bleiben. Der FN-Generalbeauftragte Carl Lang, Nachfolger des geschassten Bruno Mégret, blies in das gleiche Horn, erklärte den Kampf gegen ein "die Auflösung der Nation in ein multikulturelles, mosaikartig zusammengesetztes, in Stämme zerfallenes Frankreich" für absolut vorrangig und fügte warnend hinzu: "Wenn wir diese Linie verlassen, dann verlassen wir unsere Mission gegenüber Frankreich." Im übrigen, so Lang weiter, "endet die Zugehörigkeit zur Nation nicht bei der Staatsbürgerschaft" - was bedeuten soll, dass der Besitz der französischen Staatsbürgerschaft allein einem Abkömmling von Immigranten noch lange nicht die Zugehörigkeit zur ethnisch definierten Nation verleiht.

Carl Lang zählt - obwohl er bei der Spaltung nicht dem Mégret-Lager gefolgt ist, in welchem sich diese Denkrichtung mehrheitlich wiederfindet - zu den rassebiologisch ausgerichteten "Neuheiden" im FN, denen zufolge das Christentum auf Grund seiner Herkunft von der jüdischen Religion einen Fremdkörper in der europäischen (oder "indoeuropäischen") Kultur darstelle.

Mégret entlarvt die Verräter

Jacques Bompard hingegen steht den katholischen Fundamentalisten zumindest sehr nahe. Damit waren bereits zwei FN-Gallionsfiguren von entgegengesetzten ideologischen Positionen sich im Grundsatz gegen die "neuen Positionen" des Chefs einig. Ein ungenanntes Mitglied des Politischen Büros des FN - mutmaßlich Samuel Maréchal - erklärte demgegenüber der Tageszeitung Libération: "Carl Lang hat sich radikalisiert, das ist wahnwitzig. Die Dinge entwickeln sich, und er ist auf dem Stand der 80er Jahre stehen geblieben. Er hat sich von der Realität der französischen Gesellschaft abgelöst und könnte genau so gut Generalsekretär des PNFE (Parti nationaliste français et européen, eine militante Neonazi-Splitterpartei) sein." Der FN-Generalsekretär Bruno Gollnisch seinerseits, der bisher durch absolute Treue und Loyalität gegenüber Le Pen auffiel, ergriff in dem Streit zwar nicht Partei. Doch indem er behauptete, dass es im Grunde keine inhaltlichen Differenzen gebe, stellte er gleichzeitig klar, dass auch er keine Aufweichung der Parteipositionen zur Immigration mittragen würde.

Im Gegenzug formulierten die wenigen "farbigen" Alibi-Politiker des Front National in dieser Kontroverse eigene Gegenpositionen und artikulierten auf diesem Wege eigene Interessen, was für eine Partei wie den FN unerhört ist. Bisher waren zwei Kategorien von Aktivisten nicht-europäischer Herkunft in der Partei geduldet, wobei drei bis vier Vertreter unter ihnen in vorderster Linie des FN standen: Das waren erstens ehemalige "Harkis" und deren Nachkommen (das sind jene algerisch-stämmigen Ex-Soldaten, die im algerischen Unabhängigkeitskrieg auf Seiten der Kolonialmacht Frankreich kämpften); und zweitens Einwohner der französischen "Übersee-Départements" wie der französischen Antillen, die aktiv für einen Verbleib dieser Gebiete bei der "Metropole" Frankreich eintreten. Im Europa-Wahlkampf im Juni 1999 hatte Le Pen vor allem Sid Ahmed Yahioui zur führenden FN-Figur aufgebaut, einen Vertreter des aktiv rechtsorientierten Teils der "Harki"-Bevölkerung.

Stéphane Durbec, der von der französischen Karibik-Insel La Martinique stammende schwarze FN-Politiker, 1998 mit 26 Jahren zum jüngsten Abgeordnete des FN in einem Regionalparlament gewählt, wandte sich noch vor der Sommeruniversität in einem Brief an die 40 Mitglieder des Politischen Büros des FN. Darin schrieb er unter anderem: "Wir müssen einen Nationalismus à la française befördern, der auf eine nicht-rassische Konzeption der Nation gestützt ist. Unsere Position darf weder rassistisch noch fremdenfeindlich sein."

Anlässlich der Tagung in Orange fügte er hinzu: "Einige scheinen zu vergessen, das Frankreich Leute zu integrieren verstand, die nicht alle blonde Haare und einen azurblauen Blick hatten." Der algerisch-stämmige FN-Politiker Farid Smadi ging in Orange ebenfalls in die (Gegen-) Offensive und forderte: "Man muss aufhören, gegen die Einwanderung in ihrer Gesamtheit zu schimpfen. Hören wir auf, alles in einen Topf zu werfen, während französische Bevölkerungsgruppen, die aus der Einwanderung stammen, zum großen Teil mit uns einverstanden sind, wenn wir die Wiederherstellung der inneren Sicherheit in den Cités (Hochhausgettos, Immigrantenvierteln) und vor allem den Schutz der traditionellen Familienmoral fordern."

Zum ersten Mal in der Geschichte des Front National stellen dessen "farbige" Vorzeigepolitiker damit eigene Forderungen an die Partei. Damit artikulieren sie eigene Interessen, die bisher keines eigenen Ausdrucks zu bedürfen schienen - denn während der FN gegen die "Fremden" hetzte, war in ihren Augen stets klar, dass sie zur Nation dazugehörten und daher vom Anti-Immigrations-Diskurs nicht betroffen seien. Nun, wo es erstmals eine Kontroverse zu solchen Fragen gibt und der FN sich daran macht zu definieren, gegen wen sein Rassismus sich überhaupt richtet, sehen sie sich hingegen veranlasst, ihre eigene Position zu verteidigen.

Im Falle von Stéphane Durbec hat hierzu die Spaltungsgeschichte zwischen Lepenisten und Mégretisten beigetragen. Denn die Mégret-Anhänger, die in Durbec stets nur den Vasallen Le Pens sahen, hielten mit rassistischen Beschimpfungen gegen ihn nicht hinter dem Berg, nachdem es zu ersten Zusammenstößen zwischen Le Pen- und Mégret-Anhängern gekommen war. Inzwischen wurde das Tonbandprotokoll der FN-Führungstagung vom 5. Dezember 1998 veröffentlicht, auf der es zur Explosion kam, die der Spaltung unmittelbar vorausging. Auf dieser Tagung beschimpfte ein Mégret-Anhänger Durbec mit den Worten: "Nigger, steig auf deine Bananenstaude zurück!" (Stéphane Durbec hat den Front National am 3. Dezember 1999 definitiv verlassen und wird künftig als fraktionsloser Abgeordneter im Regionalparlament von Marseille sitzen. Als Begründung gab er an, eine Reihe führender Mitglieder würde auch nach der Spaltung "das Werk von Bruno Mégret" in der Partei fortsetzen. Letzterem gibt Durbec alle Schuld am Rassismus innerhalb des FN, während er Le Pen als Person selbst in seiner Rücktrittserklärung noch in Schutz nahm.)

Le Pen bemühte sich unterdessen um Erklärungs- und Differenzierungsversuche - die Anwesenheit von Muslimen in Frankreich sei an sich kein Problem, da es auch die guten Muslime gebe, nämlich jene, die (wie die "Harkis" in Algerien) in den Kolonialkriegen auf Seiten Frankreichs gekämpft hätten. Das Immigrationsproblem sei keine "religiöse", sondern "eine politische Frage, jene der unkontrollierten Masseneinwanderung". Solche Differenzierungsversuche waren freilich von vornherein vergebliche Mühe. Im Oktober musste Le Pen seinen vorlauten Schwiegersohn Samuel Maréchal opfern, der ihm bis dahin (gerade in der "heiß" gewordenen Frage) oft als Sprachrohr gedient hatte. Maréchal, im Politischen Büro des FN angefeindet und isoliert gab, seinen Posten als "Kommunikationsbeauftragter" Le Pens auf.

Den "Verrat" des Rumpf-FN an den gemeinsamen, rassistischen "Ideen" will nun die unter Bruno Mégret versammelte andere Hälfte des Neofaschismus nutzen, um sich einen Platz zu erkämpfen. Mégrets "Nummer Zwei", Jean-Yves Le Gallou, schrieb in einem Brief an die gesamte Mitgliedschaft des Rest-FN im Raum Paris, für seine Formation behalte "der Kampf gegen die Immigration Priorität". Zugleich hielt die Mégret-Partei, der Mouvement National Républicain (MNR, "Republikanische Nationalbewegung"), im November 1999 in Paris eine öffentliche Großveranstaltung unter dem Titel "Nein zur Immigration / Immigration: der Mut, Nein zu sagen" ab, um - einmal mehr - ein Referendum zur Frage der Einwanderung zu fordern. Der Andrang sprengte freilich nicht die Grenzen einer "normalen" Parteiveranstaltung, man blieb eher unter sich.

Aber die Mégret-Anhänger haben selbst mit großen Problemen zu kämpfen, insbesondere seit ihr schwaches Abschneiden bei den Europaparlamentswahlen (3,3 Prozent gegenüber 5,7 Prozent für Le Pen) sie der staatlichen Wahlkampfkosten-Rückerstattung beraubt hat, die erst ab einem Stimmenanteil von 5 Prozent fließt. Die Mégretisten haben nunmehr die Strategie gewählt, demonstrativ Wasser in ihren Wein zu schütten, ohne jedoch grundlegende Elemente ihrer Ideologie aufzugeben. Ausdruck dieser krampfhaft demonstrierten "Mäßigung" ist auch die Anfang Oktober erfolgte Umbenennung von Mouvement National (MN, "Nationale Bewegung") in Mouvement National Républicain (MNR, "National-Republikanische Bewegung"); seither wird gebetsmühlenhaft das Bekenntnis zur Demokratie wiederholt.

Pasqua als lachender Dritter

Die neue Strategie geht freilich auch auf die Erkenntnis zurück, dass es allein der wohlhabende und bürgerliche - und damit in seinen sozialen Positionen "gemäßigtere" - Teil des früheren FN-Publikums ist, den sie bei den vergangenen Wahlen auf ihre Seite ziehen konnten. Der "alte", noch vereinigte Front National versprach den Besitzenden den Schutz ihres Eigentums vor den Armen und den Armen das Ende der sozialen Ungerechtigkeit; zusammengehalten wurden diese beiden Versprechen durch ihre gemeinsame rassistische Begründung. Seit der Spaltung ist das in der FN-Wählerschaft repräsentierte Klassenbündnis weitgehend aufgelöst. Der sozial unzufriedene, proletarische oder erwerbslose Teil der rechtsextremen Wählerschaft misstraut dem "elitären Technokraten" Mégret, während der "Volkstribun" Le Pen dem besserverdienenden Teil des Rechtsaußenpublikums in zunehmendem Maße als vulgär gilt.

Einen Teil des Publikums des früheren "vereinigten" FN, vor allem in seiner bürgerlichen Wählerschaft, wird unterdessen auch durch die neue Partei der national-konservativen, autoritären Rechten angezogen, die ihren offiziellen Gründungskongress am 20./21. November 1999 in Paris abhielt. Geführt wird die neue Partei zum einen durch den national-populistischen früheren Innenminister Charles Pasqua; dieser hatte zum 1. Januar 1999 den (neo-)gaullistischen RPR, zu dessen Gründungsmitgliedern er zählte, verlassen. Zweiter Mann ist der Rechtskatholik Philippe de Villiers, der den politischen Traditionen des Vichy-Regimes nahe steht; Pasqua und de Villiers hatten bereits 1992 gemeinsam die Kampagne der rechten Gegner des Maastricht-Vertrags angeführt.

Unter dem Namen RPF (Rassemblement pour la France - "Sammlung für Frankreich") tritt sie in die Nachfolge der gemeinsamen Liste ("Sammlung für Frankreich und die Unabhängigkeit Europas"), welche Pasqua und de Villiers zu den Europaparlaments-Wahlen im Juni 1999 anführten. Damals waren sie mit 13,05 Prozent zur stärksten Kraft auf der politischen Rechten - vom Mitte-Rechts-Spektrum bis nach rechtsaußen - avanciert.

Bernhard Schmid, Paris