Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.1.2000

"Höchst verdächtiges Sympathisantentum"

Charlie-Chaplin-Ausstellung im Filmmuseum Potsdam

Wer kann sich nicht an jene berühmte Szene aus "The Gold Rush" erinnern, in der Charlie Chaplin und sein Partner, zwei vor Hunger fast wahnsinnige Goldsucher, einen Schuh kochen und Chaplin die Sohle verzehrt wie einen Weihnachtsbraten, die Nägel ablutscht wie köstliche Hühnerknochen und die Schuhsenkel wie Spaghetti um die Gabel wickelt und genüsslich kaut. Chaplin verstand es, das Komische mit dem Tragischen zu verschmelzen, und seine unverwechselbare Figur des Tramp in einer lächerlich engen Jacke und schlotternder Hose, mit der zu kleinen Melone und den riesigen ausgetragenen Schuhen wurde schnell in der ganzen Welt beliebt. "Ich brauche keine Bücher zu lesen, um zu wissen, dass das Grundthema unseres Lebens Konflikt und Leid ist. Rein instinktiv entspringen alle meine Clownerien dieser Erkenntnis. Mein Grundkonzept der Komödie war einfach und besteht darin, Menschen in Schwierigkeiten geraten und sich wieder herausfinden zu lassen", schreibt er in seiner Autobiografie.

Immer kämpft Chaplins Tramp unverzagt gegen das Elend der Welt an. "Der Film ,The Kid` hat gar keinen richtigen Inhalt", bemerkt Kurt Tucholsky in seiner Besprechung dieses vielleicht schönsten Werkes von Chaplin. "Aber Chaplins Herz hat einen, und zu diesem Herzen gehört der feinste Kopf unter den lebenden Filmdarstellern und der klügste unter den Schauspielern überhaupt. Dieses Herz ist bei den Unterdrückten, und es hat eine gefährliche Waffe: sein Gehirn." Wen wunderts, dass Chaplin später wegen angeblicher kommunistischer Sympathien Ärger mit dem berüchtigten McCarthy-Ausschuss "gegen unamerikanische Umtriebe" bekommen sollte.

In der Charlie-Chaplin-Ausstellung im Filmmuseum Potsdam wird dieser Aspekt besonders betont. In fünf Räumen werden Chaplins Lebensstationen von seiner Kindheit in den Londoner Slums, seiner ersten Zeit beim Varieté und den ersten Engagements in Amerika bis zu den großen Erfolgen in Hollywood gezeigt. Schon damals, das zeigt der erste Raum der Ausstellung, hat manch einer viel Geld mit dem Chaplin-Kult verdient. Da kann man sich über Nippes wie z.B. einen Flaschenkorken mit dem Tramp amüsieren, alte Plakate betrachten oder Comics lesen.

In einem weiteren Abschnitt werden Chaplins vier Hauptwerke gewürdigt, die seinen Ruhm begründet haben. Hier kann man neben dem Kostüm des Tramp und seiner Geige auch Auszüge aus "The Gold Rush" und "The Kid", aus "City Lights" und "Modern Times" ansehen. In einer Kabine nebenan läuft der Dokumentarfilm "Der unbekannte Chaplin" von Kevin Brownlow und David Gill, der viel über Chaplins Arbeitsweise verrät, über seine mitunter pedantisch anmutende Genauigkeit, die selbst gelungene Szenen zu Makulatur werden ließ, und auch über kleine Tricks wie zum Beispiel den mit den Schuhen aus "The Gold Rush": Sie waren nämlich aus Lakritze, und die vielen Proben sorgten dafür, dass den Darstellern elendig übel wurde vom ewigen Kauen dieser Süßigkeit.

Es gibt auch viel zu lesen auf dem Rundgang durch die Ausstellung: Über die Skandalgeschichten um Chaplins gescheiterte Ehen und Liebesbeziehungen, über seine Diffamierung im Deutschland der dreißiger Jahre, wo die Wut auf den angeblichen Juden ihren Höhepunkt erreichte, als Ende 1940 "The Great Dictator" in den amerikanischen Kinos anlief, oder über sein politisches Engagement während des Zweiten Weltkrieges, als er auf zahlreichen Kundgebungen den Kampf der Sowjetunion gegen die Nazis würdigte. Dieses Engagement trug ihm mehr Ablehnung als Sympathien ein, und seine politischen Statements wurden vor allem in den fünfziger Jahren als Indizien eines höchst verdächtigen Sympathisantentums ausgelegt. Chaplin musste erleben, dass die Zensur seinen Film "Monsieur Verdoux" (1947) kritisierte und der berüchtigte McCarthy-Ausschuss ihn wegen "unamerikanischer" Aktivitäten vorzuladen gedachte.

Trotzdem ließ er sich nicht einschüchtern. "Obwohl ich kein Kommunist bin", schrieb er, "habe ich mich geweigert, mich denen anzuschließen, die die Kommunisten hassen". Statt dessen setzte er sich für Hanns Eisler ein, als dieser aus den USA abgeschoben werden sollte, und bat Picasso um Hilfe für den Komponisten. In der Folge wurde er vom FBI überwacht, und als der US-Justizminister 1952 sein Wiedereinreisevisum annullierte, kehrte Chaplin den USA verbittert den Rücken und übersiedelte mit seiner Frau Oona in die Schweiz. Im "König von New York", der 1957 in Paris Premiere hatte, rechnet er humorvoll mit der ideologischen Hexenjagd McCarthys ab - es sollte fast 20 Jahre dauern, bis der Film in New York aufgeführt wurde.

Die letzte Station der Ausstellung ist dem "Patriarchen am Genfer See" gewidmet. Hier verbrachte Chaplin mit Oona, seiner vierten Frau, und acht gemeinsamen Kindern einen glücklichen Lebensabend. Seinen letzten Film, "Die Gräfin von Hongkong", für den er auch die Musik komponierte, drehte er 1966. Allerdings hatte er bei der Kritik wenig Erfolg mit diesem Streifen, obwohl die Hauptrollen mit Sophia Loren und Marlon Brando besetzt waren. Dafür wurden seine Memoiren in zahlreiche Sprachen übersetzt. Dieses Buch über den Aufstieg eines Jungen aus dem Armenhaus zum weltberühmten Komiker ist mit viel Sinn für Nuancen und komische Situationen geschrieben und liest sich streckenweise fast wie ein Märchen.

In den Jahren vor seinem Tod 1977 erhielt Chaplin zahlreiche Preise. Nachdem ihm 1971 auf dem Filmfestival von Cannes ein Sonderpreis für sein Gesamtwerk verliehen worden war, entschloss man sich auch in den USA zu einer längst überfälligen Ehrung: Im letzten Raum der Ausstellung wird ein Dokumentarfilm über Chaplins letzte Reise in seine langjährige Heimat gezeigt, wo er 1972 zutiefst gerührt den Ehren-Oscar für sein Gesamtwerk entgegennahm.

Chaplin-Kenner werden in Potsdam nicht viel Neues erfahren. Doch wer sich vor allem an den clownesken Tramp erinnert, dem wird hier auf sehr unterhaltende und vielseitige Weise ein genialer Schauspieler und Regisseur, Autor und Komponist präsentiert, der viel politischer war, als manch einer glauben möchte. Zu empfehlen ist auch die umfangreiche Chaplin-Retrospektive im Kino des Filmmuseums.

Angela Martin

Filmmuseum Potsdam, Marstall, Dienstag bis Donnerstag, 10 bis 18 Uhr, bis 30. April 2000.