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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.1.2000

Kadavergehorsam gefordert

Prozesswelle gegen KriegsgegnerInnen

Zur Zeit wird Dutzenden von AntimilitaristInnen und PazifistInnen, die gegen den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien opponiert haben, der Prozess gemacht. Auf diesem Wege soll Kriegsgegnerschaft kriminalisiert und für künftige Fälle "Ruhe an der Heimatfront" geschaffen werden. Allerdings nutzen die KriegsgegnerInnen ihrerseits die Prozesse, um die Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit der NATO-Aggression anzuprangern, die dem Krieg zu Grunde liegenden Interessen aufzuzeigen und die politisch Verantwortlichen anzuklagen. Der bisherige Stand der Auseinandersetzung ist in etwa Fifty-fifty: einer Reihe von Verurteilungen stehen einige Freisprüche gegenüber.

Anlass der strafrechtlichen Verfolgung ist ein "Aufruf an alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind: Verweigern Sie Ihre weitere Beteiligung an diesem Krieg!" Dieser Aufruf erschien während des Krieges, am 21. April 1999, in der taz. Außerdem wurde er als Flugblatt bei verschiedenen Anti-Kriegs-Aktionen und Demonstrationen in der ganzen Republik verteilt. In dem Aufruf werden die Bundeswehrsoldaten aufgefordert, sich nicht am Krieg der NATO zu beteiligen. Eingebettet in eine politische und rechtliche Argumentation gegen den Krieg, in der sie auch dessen Völkerrechts- und Verfassungswidrigkeit feststellen, haben die UnterzeichnerInnen des Aufrufs darauf hingewiesen, dass sich eine Verweigerung der Soldaten auf Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes (Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen) oder auf Paragraf 11 Soldatengesetz stützen kann (Befehle dürfen nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde).

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat das zum Anlass genommen, gegen die UnterzeichnerInnen des Aufrufs wegen Paragraf 111 Strafgesetzbuch - "öffentliche Aufforderung zu Straftaten" - zu ermitteln. In dem Aufruf soll nämlich zu den Straftaten Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung aufgefordert worden sein. Und so flatterten während der Sommermonate den 28 ErstunterzeichnerInnen, dem taz-Verantwortlichen und etlichen WeiterverbreiterInnen des Aufrufs Schreiben der Staatsanwaltschaft mit Strafbefehlen über jeweils mehrere Tausend Deutschmark ins Haus. Dagegen legten alle Betroffenen Widerspruch ein, so dass es seit November letzten Jahres zu einer Reihe von Verhandlungen kam. Die Prozesswelle läuft immer noch; mittlerweile sind rund 70 Personen betroffen. Vollends skandalös wurde das Vorgehen der Staatsanwaltschaft dadurch, dass eine Reihe von KriegsgegnerInnen gleich mehrfach angeklagt wurden - einmal wegen ihrer Unterschrift unter den Aufruf, zusätzlich aber auch wegen Weiterverbreitung desselben durch andere; dabei wurde ein "gemeinsamer Tatplan" aller Beteiligten konstruiert. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Jede und jeder der Erstunterzeichner wird für jede Form der Verbreitung des Aufrufs in der gesamten Republik haftbar gemacht. Nun haben zwar alle ErstunterzeichnerInnen die weite Verbreitung des Aufrufs begrüßt, doch so viel "kriminelle Energie" wie ihnen von der Staatsanwaltschaft mit dem "gemeinsamen Tatplan" unterstellt wird, ist ihnen dann (leider) doch nicht eigen.

In den bisherigen Verhandlungen ist die Argumentation der Staatsanwaltschaft von schlichter Einfalt: Soldaten müssen gehorchen und Befehle befolgen, wenn sie das nicht tun, machen sie sich strafbar, und wer sie dazu auffordert, das nicht zu tun, macht sich auch strafbar, weil er zu strafbarem Tun auffordert. Weitere Erwägungen zu dem politischen und juristischen Kontext sind nicht von Belang. Ein Richter, der dieser Argumentation gefolgt ist und "seinen" Angeklagten verurteilt hat, brachte das auf den Punkt: Der einzelne Soldat habe sich nicht "um das Große und Ganze" zu kümmern, sondern die ihm erteilten Befehle zu befolgen, selbst wenn diese (völker-)rechtswidrig seien. Kurz: Kadavergehorsam unseligen Angedenkens wird immer noch - oder schon wieder - gefordert. Da war doch noch etwas? Wurden nicht gerade jüngst sogenannte "Mauerschützen" mit der Begründung verurteilt, dass auch jeder einzelne Befehlsempfänger sich über die Rechtmäßigkeit seines Tuns selber Gedanken zu machen habe und sich nicht mit dem Verweis auf ihm erteilte Befehle der Verantwortung für strafbares Tun entziehen könne? Und gibt es nicht seit Jahren eine breite öffentliche Debatte um die Verantwortung der Soldaten der deutschen Wehrmacht im Vernichtungskrieg NS-Deutschlands?

Die Angeklagten und ihre Verteidiger argumentierten demgegenüber umfassend politisch und völkerrechtlich. Sie zeigten auf, dass der NATO-Krieg gegen Jugoslawien den Tatbestand einer völkerrechtswidrigen Aggression erfüllte, dass er zudem gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik verstieß, dass ihm keineswegs "humanitäre" Motive zu Grunde lagen, dass es nicht um Menschenrechte ging, sondern dass durch den Krieg die Menschenrechte in schlimmster Weise verletzt worden waren, dass die Art der Kriegführung, die sich auch und gerade gegen die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur Jugoslawiens gerichtet hatte, gegen das Zusatzprotokoll I von 1977 zur Genfer Konvention von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte eklatant verstoßen hatte, dass mithin dieser Krieg selbst ein kriminelles Unternehmen war und dass folglich - ginge es mit rechten Dingen zu - nicht die KriegsgegnerInnen, sondern die politisch für den Krieg Verantwortlichen vor die Schranken des Gerichts gehörten. Und im Kontext dieser Argumentation widerlegten sie auch den absurden Vorwurf der "öffentlichen Aufforderung zu Straftaten". Vielmehr ergebe sich aus Soldatengesetz und Wehrstrafgesetz eindeutig, dass Soldaten Befehle im Zusammenhang eines völkerrechts- und verfassungswidrigen Krieges und einer völkerrechtswidrigen Art der Kriegführung nicht befolgen müssen, weil diese Befehle rechtswidrig sind; zudem besteht die Gefahr, dass sich Soldaten selbst strafbar machen. Auf diese Zusammenhänge wird im inkriminierten Aufruf hingewiesen - und daraus die Aufforderung abgeleitet, sich nicht an diesem Krieg zu beteiligen.

Wie gesagt - es hat auch einige Freisprüche gegeben. Allerdings folgten die freisprechenden RichterInnen nicht den Argumenten der Angeklagten, sondern begründeten ihre Entscheidung mit dem Verweis auf das im Grundgesetz verankerte "hohe Gut" der Meinungsfreiheit und mit einem "Verbotsirrtum" auf Seiten der Angeklagten. Das heißt: Der Aufruf sei als pointierte Form der Meinungsäußerung in der Debatte um Für und Wider des NATO-Krieges anzusehen, und diese freie Meinungsäußerung sei nicht strafbar; außerdem hätten sich die Angeklagten in dem Glauben befunden, nicht rechtswidrig zu handeln, weil sie ja überzeugt waren, dass es sich um einen völkerrechts- und verfassungswidrigen Krieg handele; selbst wenn der Krieg jedoch rechtswidrig gewesen sei, seien die Angeklagten doch freizusprechen, weil dann ein Verbotsirrtum vorliegen würde.

So begrüßenswert die Freisprüche auch sind, so ist doch diese Begründung äußerst unzureichend: An die Feststellung, der NATO-Krieg sei tatsächlich völkerrechts- und verfassungswidrig, traut sich offensichtlich kein Richter am Amtsgericht Tiergarten heran. Das nämlich würde bedeuten, dass der Aufruf nicht nur keine Straftat war, sondern geradezu staatsbürgerlich geboten war, um gegen die Regierungsstraftat eines völkerrechts- und verfassungswidrigen Angriffskrieges vorzugehen. Das wiederum würde weit reichende politische Konsequenzen nach sich ziehen und die politische Klasse in der Bundesrepublik in ziemliche Bedrängnis bringen.

Doch hat auch der bisherige Verlauf dieser Justizposse schon hinreichend gezeigt, dass es sich bei diesen Verfahren um politische Prozesse handelt, und als solche werden sie weitergeführt werden. Weitere Runden sind voraussehbar, denn bisher ist die jeweils unterlegene Seite stets in die Berufung gegangen. Die Sache wird also vor höheren Instanzen weiter ausgefochten werden. Die Staatsanwaltschaft will von ihrem Versuch nicht ablassen, KriegsgegnerInnen zu kriminalisieren und mit hohen Geldstrafen mundtot zu machen; und die AntimilitaristInnen werden die Prozesse weiterhin nutzen, um die Militarisierung der Politik und die Interventionsstrategie der NATO zu denunzieren.

Da mit langwierigen und kostspieligen Verfahren zu rechnen ist, benötigen die Angeklagten finanzielle Unterstützung. Zudem ist es wichtig, dass in den Verfahren eine möglichst große Öffentlichkeit hergestellt wird.

Vo

Die nächsten Prozesstermine und die Kontonummer des Rechtshilfefonds.
Die Termine finden jeweils im Amtsgericht Tiergarten Berlin, Turmstraße 91/
Wilsnacker Str.4 statt:

20.1.00, 13.00 Uhr, Raum 571

(Stephan Nagel)

26.1.00, 13.30 Uhr, Raum C 201

(Alois Finke)

27.1.00, 10.00 Uhr, Raum 769

(H. Theisen, S. Tesch, H. und K. Tempel)

1.2.00, 12.30 Uhr, Raum C 106

(I. Röseler, C. Ronnefeldt, R. Roth u.a.)

2.2.00, 12.30 Uhr (Volker Böge)

10.2.00, 10.00 Uhr (Brigitte Klaß)

23.3.00, 13.00 Uhr (Wolf-Dieter Narr)

Das Sonderkonto Rechtshilfe:

Elke Steven - Sonderkonto: Stichwort: Rechtshilfe. Postbank Köln. Konto-Nr. 263206-500, BLZ: 370 100 50.

Weitere Infos bei: Elke Steven c/o Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln, Tel. und Fax 0221/97 26 930 bzw. -31 (Fax).