Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.1.2000

Ferien vom Über-Ich

American Beauty - Darf's ein Oscar mehr sein?

Vorschusslorbeeren gab's reichlich. "Entertainment Weekly", das populäre Hollywoodbarometer in Printform, lobte unlängst American Beauty unter die Filme aus, die dem Kino einen zweiten Frühling bescheren sollen. Auch hier zu Lande sind die ersten Hymnen erschienen, weitere zu erwarten: Der Film des Jahresanfangs scheint also bereits ausgemachte Sache zu sein und nicht die Frage ob, sondern wie viele Oscar-Statuetten auf American Beauty herab regnen werden, gereicht allenfalls noch zur Spannung unter den Auguren der Academy Awards.

Die Kamera segelt über eine typische US-amerikanische Vorstadtsiedlung und aus dem Off schwadroniert Lester Burnham (Kevin Spacey) über sein erbärmliches Durchschnittsleben. Der Blick erfasst das Haus der Burnhams, ein unvermeidlicher Jeep sowie eine Mittelklassenlimousine parken in der Auffahrt und der Kontrast von sehr weißem Zaun, sehr grünem Rasen und sehr, sehr roten Rosen könnte kaum schärfer sein. Die Rosen sind das Werk und ganzer Stolz von Ehefrau Carolyn (Annette Bening), einem Vollprofi in Sachen schöner Schein. Perfekter Small-Talk, perfektes Outfit, perfektes Lächeln - die Welt der Burnhams ist sauber und aufgeräumt.

Ein Blick ins Haus. Alles am Platz. Jedes Ding so drapiert, als hätte es seine letzte Ruhestätte gefunden. Man ist fertig geworden mit dem Leben. Und gäbe es das Begehren nicht, es bliebe wohl noch hundert Jahre so. Dabei knirscht es hörbar im Kleinfamiliengetriebe. Lester ist ein linkischer Schlappschwanz und Carolyn als Negativklischee der starken Frau scheint der Hysterie meist nur knapp von der Schippe zu springen. Die Tochter Jane (Thora Birch) verachtet ihre Eltern, insbesondere den Vater. Sie macht dabei eine solch angeödete Miene zum verdammt bösen Familienspiel, wie es wohl nur Teenager fertig bringen können: Mit diesem Mienenspiel geht Thora Birch als aussichtsreichste Bewerberin im Christina Ricci-Lookalike-Contest an den Start.

Alltäglicher Horror in Kleinfamilie und Vorstadt ist nicht wirklich neu und die sich anbahnende Katharsis keine dramaturgische Überraschung. Dass jedoch die Vorstellung der High School-Cheerleader Lesters Metamorphose in Gang setzt, liegt nicht eben gleich auf der Hand. Der elterliche Pflichtbesuch gerät zu Lesters persönlichem Erweckungserlebnis im Lolita-Style, als er unter den Girls die hübsche Angela (Mena Suvari) erblickt. In Lesters surrealen Traumsequenzen erleben die roten Rosen ein fulminantes Comeback. Während sie von Ehefrau Carolyn mit Gummihandschuhen und Spezialdünger in Form gebracht werden, bedecken in Lesters feuchten Träumen Rosenblätter den Körper Angelas. Wenn Männer über vierzig - gefangen im Treibsand ihrer Midlife-Crisis - sich Teenager als Jungbrunnen suchen, ist das zwar immer ein wenig geschmacklos, im Falle von American Beauty jedoch nur konsequent. Glücklicherweise ist American Beauty kein filmischer Kenneth Starr-Report und so bleiben uns pikante Details erspart.

Fortan ist selbstverständlich nichts mehr, wie es war. Die Jahre der Enthaltsamkeit und Demütigungen sind vorbei. Lester onaniert und rebelliert. Als sei er aus einem bösen Traum erwacht, krempelt er sein Leben um, knüpft an alte Wünsche an. Das erwachte maskuline Selbstbewusstsein bekommt zunächst die Ehefrau, dann der Chef zu spüren. Zuhause landet die Faust auf dem Tisch, beim Job die Kündigung. Es wird ein Sportwagen gekauft, der Körper gestählt und vom Nachbarsjungen Marihuana erstanden...

Ist Tom Hanks in Big ein Kind im Körper eines Mannes, so regrediert Kevin Spacey in American Beauty vom Manne zum verhaltensauffälligen Halbstarken. Die Zwischenzeit scheint eine verlorene, zu vernachlässigende Episode: Denn Lesters Begehren und Träume sind die eines Teenagers. Doch Lester ist ein aus Erwachsenenperspektive imaginierter Teenager, der nicht nur aller Verantwortung ledig, sondern auch den hormonell-pubertären Problemen längst entwachsen ist. Der amerikanische Traum von der Jugend findet hier sein Gegenbild, wenn die Zwangsjuvenalität von der Sphäre des Körpers in die des Verhaltens und der Wunschproduktion verlagert wird.

Während die Erwachsenen mit ihren Entwürfen offensichtlich gescheitert sind und in Regression, Hysterie, Autismus oder Kontrollzwang abdriften, ist die junge Generation zum raschen Altern verurteilt. Jane und Nachbarsjunge Ricky scheinen die einzig wirklichen Erwachsenen in diesem Reigen von Neurotikern. Rickys Eltern sind ebenso kaputt wie die von Jane, allein die Symptome sind andere. Der Vater, ein pensionierter Colonel, führt die Familie aus Furcht vor Kontrollverlust und Disziplinlosigkeit wie ein Regiment. Die Mutter ist in Putzzwang und autistischer Selbstbezogenheit zu Kommunikation kaum mehr fähig.

Die Psychogramme der beiden Familien - hier die liberalen Burnhams, da die konservativen Fitts - erzählen vom Utopieverlust der einen und von den Folgen systematischer Emotionsunterdrückung bei den anderen. Das ist mitunter scharf beobachtet, brillant inszeniert und Kevin Spacey zeigt eine unbedingt sehenswerte Vorstellung. Doch der Raum, der Spacey gegeben, fehlt den Frauenrollen. Lesters Spleens bleiben immer sympathisch, eine Ambivalenz, die Annette Benings Rolle völlig abgeht. Und auch die Mutter von Ricky bleibt letztlich blass. Bedauerlich, da ihre wenigen Szenen deutlich machen, was hier verschenkt wurde. Da fehlt es an Almodóvar'scher Einfühlung ebenso wie an analytischer Dichte und dem Mut zu widersprüchlichen Charakteren, die solche Filme wie Happiness oder Der Eissturm auszeichnen. Regisseur Sam Mendes hat alle Kanten geschliffen, den Mittelweg namens Verträglichkeit gewählt und ein ordentlich Maß Comedy in American Beauty gepackt, was bei den Academy Awards und an den Kinokassen sicher nicht zu seinem Nachteil gereichen wird.

Tim Gallwitz