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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.1.2000

Ein konservatives Herz und reformistische Lungen

Nach dem Wahlbündnis der Reformer im Iran brechen die inneren Widersprüche auf

Akbar Haschemi Rafsandjani, iranischer Präsident von 1989 bis 1997 und derzeit Vorsitzender des einflussreichen "Rates für die Nützlichkeit", kann es sich noch immer leisten, einen mit Journalisten gefüllten Saal eine Stunde warten zu lassen. Was der Ayatollah mit dem weißen Turban zu verkünden hat, nachdem er hinter einem großen Strauss rosa Nelken im noch vom Schah erbauten "Marble Palace" Platz genommen hat, ist nicht eben viel. Er wolle bei den Parlamentswahlen im Februar kandidieren, weil es sehr nützlich für die Regierung des Reformpräsidenten Ayatollah Mohammed Khatami sei, wenn ihn ein so einflussreicher Mann wie er, Rafsandjani, vom Parlament aus unterstützen würde. Ob Rafsandjani nun ein Programm verkündet oder nicht, alleine das Auftreten des politischen Schwergewichtes Rafsandjani bei den Wahlen, sorgt schon für politischen Trubel, denn die Haltung zu seiner Kandidatur wird zum Prüfstein für "Linke" und "Rechte" im Lager der Reformbewegung.

Reformer zu sein ist in, denn es wird erwartet, dass sie die 70 % der Stimmen oder mehr erreichen werden, mit denen der Reformer Khatami am 23. Mai 1997 überraschend zum Präsidenten gewählt wurde. Nach dem iranischen Kalender war dieses Datum der 2. Khordad, und so haben sich 18 Gruppen zu einem Wahlbündnis, als die "Bewegung des 2. Khordad" zusammengeschlossen.

Im weiten Spektrum des 2. Khordad befindet sich auch ein Teil, der als "moderne Rechte" bezeichnet wird. Ihre Hauptgruppe nennt sich "Die Ausführenden der Konstruktion". Ein typischer Vertreter dieser Richtung ist Said Laylaz. Laylaz ist 37 Jahre alt und managed seit 10 Jahren eine Firma, die Lastwagen importiert und ihren Sitz im Süden Teherans hat. Hier ist gewissermaßen der Bauch der Metropole mit "ärmlicheren Vierteln" und Gewerbebetrieben. In der gemäßigt reformerischen Einstellung der modernen Rechten sieht Laylaz die Grundhaltung der in der Zeit nach der Islamischen Revolution städtisch gewordenen iranischen Gesellschaft. Zum Beweis für das Vorherrschen der moderaten Strömung weist er darauf hin, dass es trotz enormer Spannungen in der Gesellschaft kaum zu Gewaltausbrüchen komme und ein Ausweg in Wahlen gesucht werde. Allerdings räumt er ein, dass radikalere linke Positionen durch die enorm junge Wählerschaft - mehr als 50 Prozent der Bevölkerung ist unter 19 Jahre alt, das Wahlalter liegt bei 16 Jahren - begünstigt werden.

Die Wählerschaft ist enorm jung

"Die Linke vertritt die verletzte junge Generation, der fast alles verboten ist, während wir die Älteren und die städtische Mittelklasse vertreten. Gäbe es mehr kulturelle Freiheiten, so wurde auch der Einfluss der Linken abnehmen", führt er aus. Er vergleicht den Iran mit China. In China sei den Jungen alles erlaubt, sie könnten trinken was sie wollten, sich anziehen wie es ihnen gefällt und ihre Musik hören. Der Staat wolle in China nur eines von den Jugendlichen, nämlich Loyalität und die würde er wohl auch bekommen. Im Iran dagegen seien der jungen Generation von 100 Dingen 99 verboten und deshalb würden sich alle auf die Politik stürzen.

Den Konservativen gibt Laylaz überhaupt keine Zukunft. Das konservative Denken repräsentiere noch die Agrargesellschaft und schmelze nun mit der Urbanisierung dahin "wie Schnee in der Sonne." In der Wirtschaftspolitik sieht Laylaz, der auch eine Zeitung herausgibt, deren Titel "Freie Zonen" nicht von ungefähr an die Bezeichnung für die iranischen Freihandelszonen erinnert, das Heil in einer Fortsetzung des Liberalisierungskurses, der unter Rafsandjani begonnen hat. Damit grenzt er sich sowohl von eher etatistischen Modellen, die von einem Teil der Linken vertreten werden, als auch von den Handelsmonopolen ab, die im konservativen Lager zu finden sind - vor allem unter den Bazar-Händlern, deren Geldspenden Khomeinis Revolution erst ermöglicht hatten.

Während Laylaz sich über Rafsandjanis Kandidatur freut, macht sich der Journalist Abbas Abdi darüber lustig. Die Mittlerrolle zwischen Konservativen und Reformern, in der sich Rafsandjani offenbar sieht, sei unnötig. "Wenn es einen Streit gibt, so sollte er entsprechend den Gesetzen ausgetragen werden, das Gesetz sollte in der Mitte stehen und nicht irgendeine Person", meint Abdi. Dann fügt er noch mit einem breiten Grinsen, wie ein Lausbub, der von einem Streich erzählt, hinzu: "Rafsandjani möchte gerne der Mannschaftskapitän, der Trainer und der Schiedsrichter für beide Teams sein und er wird jedem applaudieren, der gewinnen wird."

Abdi gehört zu den Gründern der "Front für Partizipation" (Djephe-e moscharekat). Gemeint ist die Partizipation der Einzelnen an den Entscheidungsprozessen der Gesellschaft. Die "Front für Partizipation" ist wohl die wichtigste Gruppe innerhalb der Reformbewegung des 2. Khordad. Ihre Vertreter werden auch als "moderne Linke" bezeichnet. Dieser im Iran übliche Begriff von "Linken" ist mit Vorsicht zu gebrauchen. Die Linke im europäischen Sinn wurde im Verlauf der Revolution ausgeschaltet. Wer zum Beispiel mit Religion nichts am Hut hat, kann im Iran keine Politik machen.

In der "modernen Linken" finden sich auffallend viele ehemalige junge Revolutionäre der Islamischen Revolution wieder. So auch der gelernte Chemieingenieur Abdi. Während der Revolution war er 22 Jahre alt. 1980 war er führend an der Besetzung der US-Botschaft durch radikale Studenten beteiligt. Später revidierte er seine Haltung und traf sich mit einer ehemaligen Geisel, was ihm viel Kritik von den Konservativen eintrug. Als Redakteur der mittlerweile geschlossenen Zeitung Salam war er 1994 acht Monate ohne Anklage im Gefängnis, nun schreibt er für die Zeitung Sobh-e Emruz (Heute Morgen).

Gefragt, in welcher Weise sich seine Ansichten seit der Revolution verändert haben, antwortet er, er habe eingesehen, dass die Gesellschaft nicht durch einen guten Führer, sondern nur durch sich selbst reformiert werden kann. Man könne das Beispiel der Revolution nicht auf heute übertragen, denn vor der Revolution hätte es das geschlossene, autokratische System des Schah gegeben. In ihm hätte man keine wirklichen Vorstellungen entwickeln können. Indem er auf den Zucker neben seinem Teeglas weist, erläutert er dies: "Würde Ihnen das despotische Regime sagen: ,Sie dürfen keinen Zucker essen!`, so würden Sie nicht wissen, ist er süß, ist er sauer, ist er bitter. So verhindert das despotische Regime eine Beziehung zwischen den Individuen und der Realität. Wer gegen ein despotisches Regime kämpft, der will Zucker essen, um etwas darüber zu erfahren. Wenn er dann aber Zucker isst, so kann sich sein Konzept dadurch verändern. Wie mit dem Zucker ist es mit den Ideen, doch nicht mit den Werten, z.B. Demokratie und Freiheit, sie waren damals die gleichen wie heute, nur mein Verständnis von ihnen und ihrem Verhältnis zur Realität haben sich verändert."

Neben der "modernen Linken", zu der Abdi zählt, gibt es noch die sogenannte "traditionelle Linke", der unter anderen die Gruppe "kämpferische Geistliche" angehört. Sie sind für eine vom Staat gelenkte Wirtschaft, gegen eine zu weit gehende kulturelle Liberalisierung und gegen eine Annäherung an den Westen. Doch bildet die "moderne Linke" eher den Angelpunkt des 2. Khordad und ist auch Khatami am nächsten. Khatamis Bruder ist Generalsekretär der "Front für Partizipation" (Djephe-e moscharekat).

Politisch ungefähr bei der "modernen Linken" einzuordnen ist mittlerweile auch der Mann, der Rafsandjani sehr wohl den Rang als erfolgreichster Kandidat bei den Parlamentswahlen streitig machen könnte, wenn er es schafft, zu den Wahlen zugelassen zu werden. Abdullah Nuri, der letztes Jahr die höchste Zahl der Stimmen bei den Stadtratswahlen in Teheran gewann, hat seine Kandidatur für die Parlamentswahlen vom Gefängnis aus eingereicht. In einem Aufsehen erregenden Prozess wurde er am 28. November zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und seine Zeitung Khordad geschlossen. Nuri lehnt die Berufung ab und fordert statt dessen die Aufhebung des Urteils, weil das Spezialgericht für Geistliche, das ihn verurteilt hat, nicht in der Verfassung vorgesehen ist und mithin illegal sei. Seine Verteidigung vor Gericht, die er in eine politische Anklage gegen seine konservativen Gegner verwandelte, ist mittlerweile als Buch erschienen, das in wenigen Tagen mehr als 60.000 mal verkauft wurde. Die Anklage wird schon am Anfang logisch zerrupft:

"Ich bin ein Geistlicher und Vertreter des religiösen Führers, der Gerichtsvorsitzende ist ein Geistlicher und vom religiösen Führer eingesetzt. Obwohl ich ein Geistlicher bin, klagt mich der Vorsitzende an, gegen den Islam zu sein. Wenn er recht hat, schlimm für den Islam, den ich vertrete, wenn er sich irrt, schlimm für den Islam, den er vertritt. (...) Ich bin ein Mitglied des Rates für das Nützliche, welcher das höchste politische Gremium in diesem Lande ist. Nun beschuldigt man mich gegen den Islam zu sein. Schlimm für das Land, in dem ein Feind an die höchste Stelle gekommen ist und wenn sie sich irren, so ist es wieder schlimm für das Land, in dem jemand von der höchsten Stelle auf diese Weise ins Gefängnis muss".

Rafsandjani kann nur schwer überzeugen

Die Herald Tribune hat die Verteidigungsrede Nuris mit der des Sokrates verglichen, Danton vor dem Revolutionstribunal käme der Situation des Mannes näher, der sowohl unter Rafsandjani als auch unter Khatami Innenminister war. Doch sowohl vom Philosophen Sokrates als auch vom Politiker Danton unterscheidet Nuri, dass ihn dieser Prozess wohl nicht dauerhaft aus der politischen Arena entfernen wird, auch wenn es für diesmal unwahrscheinlich ist, dass er zur Wahl zugelassen wird.

Der radikale und kämpferische Nuri ist so recht nach dem Geschmack der Studenten, deren größter Verband, das "Büro für die Festigung der Einheit" (Galem-e tahkim wahdat) ihn als einzigen Kandidaten empfiehlt. Die Studentenorganisation, die ihren Namen einer Empfehlung Khomeinis verdankt, wählt ihre Vertreter in Wahlen, an denen ca. 70 % aller iranischen Studenten teilnehmen. Der politische Einfluss der Studenten in Iran ist traditionell größer als der von westlichen Studentenorganisationen.

Rafsandjani hat es dagegen schwer zu überzeugen. Auf der Pressekonferenz hat er sich viele kritische und auch freche Fragen von in- und ausländischen Journalisten anhören müssen. Man hält ihm vor, anders zu reden als zu handeln. Die Bemerkung eines arabischen Korrespondenten, Rafsandjani habe ein konservatives Herz und reformerische Lungen, wird später in der iranischen Presse die Runde machen, und tatsächlich ist es nicht ganz auszumachen, wofür der 65-jährige Politiker steht. Genau genommen hat er ein Bein bei den Reformern, nämlich den Spitzenplatz auf der Wahlempfehlung "Der Ausführenden der Konstruktion" und ein anderes bei den Konservativen, nämlich ebenfalls den Spitzenplatz bei deren Wahlbündnis "Koalition der Gefolgsleute der Linie und Führung des Imam." Daher fürchten viele Linke, Rafsandjani würde, wenn er Parlamentssprecher würde, den Reformkurs verwässern.

Außerhalb des Marble Palace liegt Teheran mit seinem vom Wintersmog aus Blei und Kohlenmonoxid schwarz gefärbtem Horizont. Man eilt, oft mit einem Tuch oder einer Staubmaske vor dem Gesicht, um noch ein paar Besorgungen zu erledigen. "Schab-e Yalda", die von Ferne an Weihnachten erinnernde Feier in der längsten Nacht des Jahres, ist gekommen. Melonen, Trockenfrüchte, Nüsse und Pistazien werden vor den großen Augen der Kinder auf dem Tisch aufgehäuft und die Familie verbringt die Nacht im Gespräch oder mit dem Vorlesen der Werke der Dichter Hafiz und Ferdowsi. Doch diesmal drehen sich die Gespräche gelegentlich auch um Politik und die Wahl im Februar, von der alle die ganz große Veränderung erwarten. Es hat schon was von Weihnachten.

Jan Keetman