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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.1.2000

Guatemala wählt die starke Hand der FRG

Entsetzen über das Fehlen eines kollektiven Gedächtnisses

Erstmals nach Beendigung des 36-jährigen Bürgerkriegs im Dezember 1996 fanden in Guatemala Wahlen statt. Neben den üblichen rechten Parteien existierte für die WählerInnen während dieses parlamentarischen Prozederes die Option, mit der Allianz Neue Nation (ANN) direkt die ehemalige Guerilla URNG mit einem Kreuz auf ihrem Stimmzettel zu unterstützen. Von den 4,5 Millionen wahlberechtigten GuatemaltekInnen schritten am 7. November 53 Prozent an die Urnen zum ersten Wahldurchgang - ein Novum in der jüngeren Geschichte des Landes, wo die NichtwählerInnen stets weit mehr als die absolute Mehrheit ausgemacht hatten. Doch das linke Wahlbündnis ANN wurde nur drittstärkste politische Kraft im Land.

Die ANN/URNG erzielte mit 12,3% ein respektables Ergebnis, den deutlichen Erfolg der reaktionären Ríos Montt-Partei Republikanische Front Guatemalas (FRG) konnte jedoch auch sie nicht in Frage stellen. Dieser Sieg wurde im zweiten Wahldurchgang am 26. Dezember durch die WählerInnen bestätigt, wo sich der FRG-Kandidat und Montt-Schützling Alfonso Portillo gegen seinen Widersacher Oscar Berger von der vormaligen Regierungs-Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) deutlich durchsetzen konnte.

Sowohl der Wahlkampf als auch die Wahlen selbst verliefen erstmals ohne große Zwischenfälle und den sonst obligatorischen offenen Druck aus Militärkreisen, der das landesweite Ergebnis in Frage stellen würde.

Die parlamentarischen Linken Guatemalas, die den höchsten Anteil indigener Abgeordneter ins Parlament schicken, aber mit Nineth Montenegro nur eine Frau, haben einen Sieg Portillos im ersten Wahlgang verhindern können. Die ehemalige Guerilla, wie auch die FRG, verfügt in den früheren Konfliktzonen über ihr größtes WählerInnenpotential und konnte somit den Durchmarsch Portillos bremsen. Um zukünftig nicht nur auf Grund von Wahlergebnissen eine Bedeutung zu erhalten, wird die ANN insbesondere im bäuerlich, indigen geprägten Norden und Nordwesten des Landes ihre Basis stärken müssen. Diese Region weist einen hohen Grad der Polarisierung auf und die FRG wird gerade hier versuchen ihre Anziehungskraft zu erhöhen.

Auf welch schwieriges Parkett sich die ehemalige Guerilla im Parlamentarismus begeben hat, erfuhr sie deutlich während der Vorwahlzeit, als sich PAN und FRG mit finanziell millionenschweren Kampagnen auf der Straße und in den Medien darstellen konnten, während ANN-Sympathisanten ehrenamtlich Flugblätter verteilten.

Der satte Gewinn der FRG, die mit 63 von 113 Sitzen über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt (PAN 37; ANN 9) und außerdem in 147 von 330 Gemeindebezirken den Bürgermeister stellen wird (PAN 106; ANN 29 davon 18 durch der ANN nahe stehende Zivilkomitees) lässt sich in erster Annäherung neben der starken Medienpräsenz noch durch folgende Faktoren erklären.

Eine wenig große Überraschung stellt der Wahlsieg der FRG bei Betrachtung der Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahlen dar. Der Erfolg der PAN beruhte 1995 einerseits auf der Schwäche der FRG und andererseits der Popularität des PAN-Gründers und Präsidentschaftskandidaten Alvaro Arzú, der von 1986 bis 1990 bereits Bürgermeister der Hauptstadt war, also dort,wo bislang Präsidentschaftswahlen entschieden wurden, da die Wahlbeteiligung auf dem Land strukturbedingt wesentlich geringer ausfällt.

Bei Regierungsantritt 1996 hatte Alvaro Arzú alle Trümpfe in der Hand: Der Frieden war in absehbarer Zeit vertragsfertig, die politische und finanzielle Unterstützung internationaler Geldgeber war gewiss und die URNG war nach Friedensschluss mit der Konstituierung ihrer Partei beschäftigt und praktizierte eine Burgfriedenspolitik, der sich die Volksorganisationen größtenteils anschlossen. Es gab wenig Zweifel, dass Arzú mit Hilfe der finanziellen Mittel aus dem Ausland gewisse Erfolge im Lande würde erzielen können und dadurch der nächste PAN-Kandidat sicherer Anwärter für die kommende Präsidentschaft wäre.

Allerdings fand die Regierung Arzú kein Mittel, um der Welle von Überfällen, Entführungen und Lynchjustiz, die in das Macht- und Gewaltvakuum getreten war, welches Guerilla und Militär im Land hinterlassen hatten, zu begegnen. Dadurch wurde die innere Sicherheit zu einem der meistdiskutierten gesellschaftlichen Themen. Der insgesamt nebulöse Umgang und halbherzige Versuch, den Mord an Bischof Gerardi, aufzuklären, wurde zum Sinnbild der Unfähigkeit der PAN im Bereich der Verbrechensbekämpfung und der fortgesetzten Straffreiheit.

Auch die Umsetzung der Friedensabkommen ist nach Aussage des französischen Minugua-Chefs Jean Arnault in den letzten drei Jahren an wichtigen Punkten gescheitert. Lediglich 62 der 170 Vereinbarungen, die laut Friedensvertrag vor dem Jahr 2000 hätten umgesetzt sein sollen, wurden erfüllt. Zu dieser Negativbilanz summieren sich die Vorwürfe an die PAN, weiterhin lediglich die Partei der Bourgeoisie zu sein, Vetternwirtschaft bei der Privatisierung von Staatsbetrieben und öffentlichen Bauaufträgen zu betreiben und soziale Verbesserungen für die in Armut lebende Bevölkerungsmehrheit zu vernachlässigen.

Auf genau die Themenfelder, in denen der PAN mit Leichtigkeit ihr Versagen nachgewiesen werden konnte, setzte die FRG mit ihrem Gründer und Übervater General und Ex-Diktatot Ríos Montt und Frontmann Alfonso Portillo die Schwerpunkte ihrer Wahlpropaganda. "Sicherheit, Wohlstand, Gerechtigkeit" war bereits im Wahlkampf 1995 der Slogan der 1988 gegründeten Partei. Trotz der nachgewiesenen staatlich-verordneten Gräueltaten während der 16-monatigen Diktatur des 73-jährigen Generals vom März 1982 bis zum Juli 1983, die mit über 200 Massakern an der Zivilbevölkerung und annähernd 3.000 extralegalen Hinrichtungen als die blutigste Phase des Krieges in die Geschichte des Landes eingegangen ist, genießt Ríos Montt den Ruf des integeren Staatsmannes, der sich für die Belange des Volkes einsetzt.

Im Kampf gegen Armut, Korruption, Kriminalität und Straflosigkeit genießt die FRG das höchste Vertrauen innerhalb der Bevölkerung. Besonders bei Jugendlichen, die keine Erinnerung an den Staatsterror haben, zieht die einfache und schnelle Lösungen versprechende Propaganda der FRG. Die eigentliche WählerInnen- und Machtbasis auf dem Lande stellen jedoch die ehemaligen paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) dar, in denen bis zu einer Million Männer ihren Dienst verrichten mussten. Wenngleich im Rahmen des Friedensprozesses demobilisiert und aufgelöst, überdauerten vielerorts die von den PAC dominierten lokalen Machtverhältnisse und die Anbindung an die Strukturen des Militärs. Im Gegensatz zur PAN, als Vertreterin der Interessen der Reichen, gilt die FRG daher als sehr volksnah, was nicht zuletzt dem begabten Redner und neuen Präsidenten Alfonso Portillo geschuldet ist.

Portillo versprach nicht nur die Fortsetzung des Demokratisierungs- und Friedensprozesses, sondern darüber hinaus die Integration der indigenen Bevölkerung durch neue Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen und Alphabetisierungskampagnen.

Der 48-jährige Jurist Portillo hatte zugegeben, dass er 1982 in Mexiko zwei Menschen ermordet hatte. Zu diesem Vorfall befragt, erläuterte Portillo, dass es sich um Notwehr gehandelt habe und dass er so wie seinerzeit sein Leben verteidigt habe, er nun das guatemaltekische Volk verteidigen werde. Auch ansonsten weist er eine jedem Chamäleon zur Ehre gereichende wandelhafte Vergangenheit auf. 1994 sprach er sich noch eindeutig gegen eine Kandidatur von Ríos Montt aus, was "die Rückkehr zur vergangenen Gewalt" bedeuten würde, um ein Jahr später zu erklären, dass der Tag an dem er Ríos Montt kennen gelernt hätte, der glücklichste seines Lebens gewesen sei.

Neben den populistischen Versprechen auf Armutsbekämpfung und Demokratisierung, kündigte Portillo des Weiteren die baldige Aufklärung des Mordes an Weihbischof Gerardi an, was bei einer tatsächlichen Realisierung einige Köpfe der Armee kosten oder auf einen Machtkampf im Militärapparat hinauslaufen könnte.

Doch Gewalt wird auch zukünftig ein Mittel der politischen Einflussnahme sein. Dies zeigte sich nach dem ersten Wahlgang in verschiedenen Gemeinden, in denen sich die FRG nicht durchsetzen konnte. Es kam zu offenen Gewalttaten durch FRG-Anhänger und 18 Mitglieder des Wahlgerichtes erhielten Morddrohungen von der hohen Militärs nahe stehenden Todesschwadron Jaguar Justiciero (die sich u.a. zu dem Mord an Weihbischof Juan Gerardi im April 1998 bekannt hatte), in denen gewarnt wurde, kein schmutziges Spiel gegen Portillo zu spielen. Drohungen dieser Art sind aus der Zeit des Krieges bestens bekannt und das militärisch-wirtschaftliche Umfeld von Ríos Montt steht auch weiterhin für dieses Bedrohungspotenzial. In diesem Sinne bedeuten die Wahlen vom November und Dezember 1999 einen Schlag ins Gesicht der Opfer und Hinterbliebenen der staatlich verordneten Verfolgungs- und Massakerpolitik der 80er Jahre. Wie es die neu gewählte Abgeordnete der ANN und Menschenrechtsaktivistin Nineth Montenegro ausdrückte: "Die Verschwundenen wären entsetzt diese Abwesenheit eines kollektiven Gedächtnisses der Guatemalteken zu sehen".

Hermann Werle