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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.2.2000

Papier-Tiger

Neue rot-grüne Rüstungsexportrichtlinien

Ende 1998 vereinbarten SPD und Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Koalitionsvertrag eine Neufassung der Richtlinien bei Waffenverkäufen. Zukünftig sollte auch der "Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer" bei Rüstungsexporten berücksichtigt werden. Im Herbst 1999 legte die Bundesregierung einen ersten Entwurf vor, der selbst nach Ansicht von Parlamentariern der Regierungskoalition äußerst schwammig formuliert war. Nach der öffentlichen Diskussion um das Leopard-II-Geschäft mit der Türkei hat die Bundesregierung nun nachgelegt.

Im Oktober beschloss der Bundessicherheitsrat - als hätte es die Koalitionsvereinbarung nie gegeben - gegen das Votum der Entwicklungsministerin Wiecorek-Zeul und des Außenministers Fischer den Export eines Kampfpanzers Leopard-II in die Türkei; zunächst zur Erprobung, später soll dann über die Lieferung von 1.000 Panzern entschieden werden. Dass der Leopard-II ganz oben auf dem Wunschzettel der türkischen Militärs steht, wurde auch damit begründet, dass die Armee "gute Erfahrungen" mit den rund 400 Leopard-I-Panzern gemacht habe, die in den letzten Jahren im Zuge umfangreicher deutscher Waffenlieferungen an den NATO-Verbündeten geliefert wurden.

Die mit den Stimmen von Bundeskanzler Schröder, Wirtschaftsminister Müller und Kriegsminister Scharping gefällte Entscheidung stieß selbst innerhalb von Teilen der SPD und der Grünen auf Empörung. Die im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, so die Kritik, schließe den Export in ein Land aus, in dem das Militär in den letzten Jahren über 3.000 Dörfer zerstört habe, in dem über drei Millionen Menschen vertrieben wurden und in dem nachweislich staatliche Stellen für Folter und Morde verantwortlich seien. Einige grüne Kreisverbände verlangten gar im Fall einer Lieferung der 1.000 Kampfpanzer das Ende der Koalition.

Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in der u.a. der SPD-Parlamentarier Gernot Erler und die Grüne Claudia Roth sich mit den Vertretern verschiedener Ministerien trafen, um einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Diesen Entwurf verabschiedete das Bundeskabinett am 19. Januar.

Was ist neu an diesen jetzt beschlossenen "Politischen Grundsätzen zum Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern"? Angekündigt wird die Vorlage eines jährlichen "Rüstungsexportberichts", in dem die Bundesregierung die Exportgenehmigungen auch "aufgeschlüsselt" darstellen will. Damit wird der alten Forderung vieler Anti-Rüstungsexport-Initiativen entsprochen, Transparenz in das "Geschäft mit dem Tod" zu bringen. Neu ist auch der unmittelbare Bezug zur Situation im möglichen Empfängerland: "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen. Genehmigungen für Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichend Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle. In eine solche Prüfung der Menschenrechtsfrage werden Feststellungen der EU, des Europarates, der Vereinten Nationen (VN), der OSZE und anderer internationaler Gremien einbezogen. Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen werden ebenfalls berücksichtigt."

Dagegen wird der Kriegswaffenexport in NATO und EU-Staaten, sowie einige "NATO-gleichgestellte Länder" nicht eingeschränkt: "Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in diese Länder hat sich an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses und der EU zu orientieren. Er ist grundsätzlich nicht zu beschränken, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist."

Bei den Rüstungskooperationen soll zukünftig mehr darauf geachtet werden, dass die beschlossenen "rüstungsexportpolitischen Grundsätze so weit wie möglich verwirklicht" werden, und die Bundesregierung will eine sorgfältige Abwegung "zwischen dem Kooperationsinteresse und dem Grundsatz einer restriktiven Rüstungsexportpolitik unter Berücksichtigung des Menschenrechtskriteriums" vornehmen.

Die verabschiedeten Richtlinien thematisieren, anders als bisherige Grundsätze, auch das Thema des Endverbleibs von Kriegswaffen: "Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden nur erteilt, wenn zuvor der Endverbleib dieser Güter im Empfängerland sicher gestellt ist. (...) Kriegswaffen und kriegsnahe sonstige Rüstungsgüter dürfen nur mit dem schriftlichen Einverständnis der Bundesregierung in dritte Länder reexportiert bzw. im Sinne des EU-Binnenmarktes verbracht werden".

Die sich bisher öffentlich zu den neuen Richtlinien äußernden SPD- und grünen Bundestagsabgeordneten zeigen sich fast durchweg sehr zufrieden oder doch zumindest erleichtert darüber, dass eine gemeinsame Grundlage entstanden ist, mit der beide Seiten leben können. Die Reaktionen von Vertretern der Friedensbewegung ist allerdings verhalten. So gibt es für Peter Strutynski, dem Initiator des Bundesausschusses Friedensratschlag, zwar einige Verbesserungen: Dennoch, so die Kritik, enthalten auch die neuen Richtlinien eine Reihe von Formulierungen und Prinzipien, die nicht die erhofften "klaren Bestimmungen zum Verbot von Rüstungsexporten" entsprächen. Zu kritisieren sei "das Festhalten am Prinzip, dass Rüstungsexporte in NATO-Länder, in EU-Staaten und in ,NATO-gleichgestellte Länder` grundsätzlich nicht eingeschränkt werden sollen". In diesem Passus sieht auch Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) einen Knackpunkt: "Diese Formulierung", so Pflüger, "ist das offene Scheunentor für den Kriegswaffenexport in die NATO- und EU-Staaten sowie nach Australien, Japan, Neuseeland und die Schweiz." Das sei auch in Hinblick auf die Ausdehnung der NATO und der EU nach Osteuropa Grundlage für einen umfangreichen Export.

Vielversprechend sei hingegen, dass "ein Empfängerland, das entgegen einer abgegebenen Endverbleibserklärung den Weiterexport von Kriegswaffen oder kriegsnahen sonstigen Rüstungsgütern genehmigt (...) bis zur Beseitigung dieser Umstände grundsätzlich von einer Belieferung mit weiteren Kriegswaffen und kriegsnahen sonstigen Rüstungsgütern ausgeschlossen" werden soll. Spannend wird es freilich, ob die Türkei, Indonesien oder Kroatien bei Weiterexporten dann tatsächlich keine Kriegswaffen mehr bekommen. Anders formuliert: Beim Thema Weiterexport könnte es zu einer Neuauflage der "Schmierenkomödie" kommen, die wir seit Jahren z.B. beim Einsatz deutscher Waffen bei Dorfzerstörungen, Vertreibung, Folter und Mord in der Türkei erleben.

Das grundsätzliche Problem ist schlicht: Was ist politisch gewollt? So banal es klingen mag, so richtig ist es: Papier ist geduldig. Ob das Wort von "restriktiven Bestimmungen" und "Menschenrechtsklauseln", die nun berücksichtigt werden sollen, nur Theorie bleiben oder in der Praxis von Relevanz sind, das werden die zukünftigen Rüstungsexportentscheidungen zeigen. In den Worten des Friedensforschers Otfried Nassauer: "Auch zukünftig wird der Bundessicherheitsrat heikle Exportvorhaben entscheiden müssen. Zeigt sich dann, dass der Geist willig und das Papier geduldig war, das Fleisch aber weiter schwach ist? Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind höchst geheim. Im Dunkeln lässt sich gut munkeln - und wie weit manche das Munkeln zu treiben belieben, das hat die verflossene Regierung Kohl auch am Beispiel ,Rüstungsexporte und Parteispenden` nur allzu deutlich gemacht."

Eine Nagelprobe wird da natürlich schon sein, ob die Türkei, wenn sie darauf drängt, mit dem "Segen" der Berliner Regierung hochmoderne Kampfpanzer erhält. Hinter vorgehaltener Hand äußern grüne Parlamentarier die Hoffnung, dass die Türkei gar nicht in der Lage ist, 1.000 Leopard-II-Panzer zu kaufen. "Mehr als 250 können die sich doch gar nicht leisten", ist in Berlin zu hören. Was die Türkei sich finanziell leisten kann und was genehmigt oder eben nicht genehmigt wird, sollten an sich zwei verschiedene Fragen sein. Ermutigender wäre es da schon, wenn die neuen Bestimmungen als so eindeutig betrachtet werden, dass Überlegungen nach Zahlungsunfähigkeit ohne Bedeutung, weil unerheblich sind. Oder würde der Export von 1.000 Kampfpanzern den neuen Richtlinien entgegenlaufen, aber ein Export von 250 wäre in Ordnung? Entsprechende Befürchtungen hatten bereits die Friedensaktivisten Jürgen Grässlin und Alexander Kauz vom Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB) zum möglicherweise bald anstehenden Panzerexport an die Türkei geäußert: "Ist ein Waffendeal gerade nicht opportun, findet er unter großem Selbstlob nicht sogleich statt. Nach einer Phase der Beruhigung der öffentlichen Diskussion wird das Geschäft dann in bewährter ,Kinkel-Manier` durchgeführt". Wir dürfen gespannt sein.

Thomas Klein