Nazi-Umtriebe im Hamburger Umland
Elmshorner rüsten sich gegen faschistische Angriffe
Nazi-Aufmärsche von Hohenweststedt bis Bergedorf, Anti-Antifa-Terror, Brandanschläge und zuletzt sogar scharfe Schüsse: Nach dem Verbot diverser faschistischer Parteien und Haftstrafen für ihre Kader Mitte der 90er schien der nazistische Mob in Norddeutschland erstmal ausgemerzt. Jetzt haben sich die Faschisten in ihrem Epizentrum Hamburg wieder formiert. Von hier aus organisieren die Hitler-Fanatiker und SS-Gestrigen ihren braunen Terror: mit Aufmärschen, Brandanschlägen und neuerdings mit Schüssen auf ganz normale Bürger in Elmshorn.
Elmshorn ist ein durchschnittliches Städtchen im Speckgürtel Hamburgs. Die Stadt an der Krückau ist stolz auf ihre Geschichte: Sie gehört zu den wenigen deutschen Gemeinden, die sich selbst von den Nazis befreit haben und nicht erst besiegt werden mussten. Ausgerechnet hier, wo Neonazis und Skinheads bisher kaum einen Schritt auf den Boden bekamen, fing der braune Spuk an. Als Ende April vergangenen Jahres der selbst ernannte Hamburger Sturm gegen ein Antifa-Konzert aufmarschieren wollte, organisierten die Elmshorner eine Gegendemonstration: Von der Bürgermeisterin über türkische Vereine und Arbeiterwohlfahrt bis hin zur IG Metall reichte das antifaschistische Bündnis, rund 500 ElmshornerInnen protestierten damals gegen Nazis in ihrer Stadt.
Seitdem ist das beschauliche Städtchen zu einem zentralen Ort der Auseinandersetzungen von Nazis mit dem Rest der Bevölkerung geworden. Jetzt finden die Elmshorner in ihrer Stadt immer häufiger Plakate mit der Aufschrift "Juden raus!", Türschlösser werden verklebt und Scheiben von Demonstrationsteilnehmern eingeschmissen. "Unser Büro liegt zwischen türkischen Vereinen und Gemüsehändlern. Wir passen gegenseitig auf, dass nicht wieder was passiert", sagt Uwe Zabel, Geschäftsführer der IG Metall Elmshorn. Der Gewerkschafter hat sich konsequent gegen den braunen Gesinnungsterror gewehrt und viele ElmshornerInnen in die antifaschistische Arbeit einbinden können: "Im Herbst haben wir dann in der Stadt ein Gegenplakat geklebt, auf dem viele Einzelpersonen, Initiativen und auch eine schwedische Firma mit Unternehmensleitung und Betriebsrat unterschrieben haben." In Schweden hat der Nazi-Terror in den letzten zwei Jahren fast 20 Menschenleben gekostet, vier schwedische Tageszeitungen haben daraufhin die führenden Nazi-Führer mit Namen und Bild steckbriefartig abgebildet.
"Wer keine Angst hat, der lügt."
Tote hat es in Elmshorn noch keine gegeben. Aber Uwe Zabel und das IG Metall-Büro sind zu den bevorzugten Zielen der Hamburger Nazi-Szene geworden. Er selbst wird inzwischen im Internet und auf einem Flugblatt als "ewiggestriger Antifaschist" namentlich genannt. Am 23. Dezember vergangenen Jahres wurden dann die Briefkästen der IG Metall zugeklebt und die Scheiben eingeschmissen. Wenige Tage später erwischte die Elmshorner Polizei sieben Anhänger des Hamburger Sturms beim Schmieren von Hakenkreuzen und Plakatieren von NPD-Plakaten. Und kurz darauf schossen bisher noch Unbekannte bei einer Elmshorner Bürgerin, die auch auf dem Plakat mit der Überschrift "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" unterschrieben hat, die Scheiben ein. "Wer keine Angst hat, der lügt", sagt Uwe Zabel. "Aber wir werden uns weiter wehren. Auch wenn man das Gefühl hat, dass es hier schon bald zugeht wie in Schweden."
Hinter den Terroraktionen in Elmshorn stecken Kader der norddeutschen Nazi-Szene, die sogenannten Freien Nationalisten und der Hamburger Sturm. In Zusammenspiel mit der NPD organisierten die Nachfolge-Gruppen von verbotenen Nazi-Zusammenschlüssen wie Nationale Liste (NL) oder Freiheitliche Arbeiter Partei (FAP) die diversen Aufmärsche in Bergedorf, Barmbek oder Lüneburg. Im Bergedorfer Stadtteil Lohbrügge war es den Strategen um Christian Worch und Thomas "Steiner" Wulff - beide seit Jahrzehnten als Naziführer bekannt und mehrmalig vorbestraft - gelungen, im Juli vergangenen Jahres den bislang größten Aufmarsch von Skins, Alt- und Neonazis zu organisieren: Mehrere hundert Hitler-Anhänger marschierten damals unter Polizeischutz gegen die Wehrmachtsausstellung.
Seitdem vergeht kaum ein Monat, in dem nicht demonstriert oder linke Projekte angegriffen werden. So hängten sich Hamburger Nazis an den CDU-Protest gegen den Bauwagenplatz in Barmbek und riefen am 27.11. zu einer Kundgebung gegen die Wagenbewohner auf. Veranstalter, wie so oft: Der Hamburger Landesverband der NPD gemeinsam mit den Freien Nationalisten und anderen Aktionsgruppen im Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland. National und sozial: Das sind die beiden Schlagwörter, unter denen sich die vielen losen Nazigruppen und die NPD vereinen.
Dabei bedienen sich die FaschistInnen von heute beileibe nicht nur des Demonstrationsrechtes. Anfang Oktober randalierten "Sieg Heil" rufende Nazi-Skinheads nachts auf einem Bauwagenplatz in Norderstedt, zerstörten Scheiben, Fahrräder und einen PKW und schlugen einen Bewohner mit Baseballschlägern zusammen. In der gleichen Nacht zerstörten Unbekannte Scheiben des Stadtteiltreffs Soziales Zentrum. Wenige Tage später wurde nachts ein Molotowcocktail auf ein Wohnprojekt im Schanzenviertel geworfen und brannte sich durch den Fensterrahmen. Nur durch Zufall konnte der schlafende Bewohner des Zimmers vorm Abfackeln bewahrt werden.
Unter den verstärkten Aktivitäten der Hamburger Nazi-Szene leiden besonders die Bergedorfer. Drei Aufmärsche mussten sie im vergangenen Jahr hinnehmen. Und auch in diesem Jahr marschierten NPDlerInnen und andere "nationale und soziale" GesinnungsgenossInnen wieder: Am 10. Januar mit 70 Glatzen und der Losung "Kampf den Antifa-Banden." Auch in Bergedorf ist schon ein Sprengsatz auf ein Stadtteilzentrum geworfen worden. Jetzt achten Stadtteilzentren auf Briefbomben in der Post und schützen ihre Veranstaltungen mit professionellen Türstehern.
Das Anti-Fa-Bündnis protestiert
Ideologisches Futter finden die AttentäterInnen in den aus Hamburg stammenden Gazetten Zentralorgan und Hamburger Sturm - beide eine Mischung aus strategischen Texten, stolzen Nachrichten über Aufmärsche und Interviews mit ihren Führern. Dabei setzen sie mit CD-Besprechungen auch auf eine LeserInnenschaft in der Skinhead-Szene, im Zentralorgan unter dem sinnigen Namen Blitzkrieg. Im November titelte das Blatt mit der Unterzeile "Wir wollen frei sein, wie die Väter waren" großformatig "Juden raus - aus Österreich": Anlass für Hamburger Staatsanwaltschaft und Polizei, Mitte Januar Postfächer und Wohnungen von Kadern zu durchsuchen, unter anderem die von Thomas Wulff. Dabei wurden fast 1.000 Exemplare der November-Ausgabe, Computer und CD-Roms beschlagnahmt.
In einem Interview "aus dem Untergrund" in der Mai-Ausgabe des Hamburger Sturm mit den national-revolutionären Zellen geben die Freien Nationalisten den Weg für den wahren Nazi vor: "Wir sind eine Gruppe von mehreren Personen, die in der NPD politisch tätig sind, aber mit dem NPD-Führungsstil unzufrieden sind. Unser Weg ist der aus dem Untergrund handelnde Aktivist. Also der der Freien Nationalisten, der National-Revolutionären Zellen." Diese Verbindung aus legaler Struktur in der NPD, die Demos anmeldet und bei Wahlen auftritt, und illegalen Strukturen erweist sich für die rechtsextreme Szene momentan als äußerst schlagkräftig.
Vorbilder der deutschen Untergrundkämpfer: die Combat 18 (die 18 steht für die Buchstaben des Alphabets: 1= A(dolf), 8= H(itler)), eine extrem gewalttätige Ansammlung von NaziterroristInnen in Großbritannien, von denen einige wegen Waffenbesitzes, Totschlags und Briefbomben im Gefängnis sitzen. Eine Linie, die auch im Interview im Hamburger Sturm Zuspruch findet: "Man darf einfach nicht vergessen, dass wir im Krieg sind mit diesem System, und da gehen nun mal einige Bullen oder sonstige Feinde drauf." Seit diesem Interview in der Mai-Ausgabe des Hamburger Sturm knallt es immer wieder rund um Hamburg: bei Anschlägen auf Stadtteilzentren oder Gewerkschaftsbüros, mit Schüssen in Elmshorn.
Salomon Herzbaum
Nachdruck aus: Stadtmagazin HH19 Heft 02/2000