Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.2.2000

Schwere Krise im Friedensprozess

Nordirland: Streit um IRA-Waffen und Polizeireform

Der nordirische Friedensprozess befindet sich mal wieder in einer Krise. Auch deren Auslöser ist alles andere als neu: die IRA weigert sich unverändert, schon jetzt mit der Abrüstung ihres Waffen- und Sprengstoffarsenals zu beginnen, wie es die Unionisten von ihr verlangen. Im Gegenzug übernahm die britische Regierung das Ultimatum der Unionisten und kündigte die Suspendierung der gerade installierten nordirischen Regionalregierung an.

Das am Karfreitag 1998 von den Regierungen in London und Dublin sowie den meisten nordirischen Parteien unterzeichnete Belfast Agreement sieht u.a. die Bildung einer nordirischen Regionalregierung nach dem Power-Sharing-Prinzip vor. Das bedeutet, dass die Regierung nicht schlicht nach dem Mehrheitsprinzip gebildet wird, denn das würde bei einer Einigung zwischen den protestantischen/unionistischen Formationen eine Ausgrenzung der politischen Repräsentanten der katholischen/nationalistischen Bevölkerungsminderheit ermöglichen. Vielmehr muss die Minderheit in der Regierung vertreten sein, und zwar ebenso wie die Unionisten gemäß ihrer Stärke im Parlament.

Power Sharing - schwieriger Pluralismus

Bei den Wahlen zum neuen Regionalparlament hatten die Parteien der Nationalisten und Republikaner ihr bestes Ergebnis in der Geschichte Nordirlands erzielt. Das liegt vor allem an den demographischen Veränderungen, die Nordirland seit seiner Gründung im Jahre 1922 erfahren hat. Die moderat-nationalistische Social Democratic and Labour Party (SDLP) erhielt 22% der Wählerstimmen, womit erstmals eine katholische/nationalistische Formation den größten Stimmenanteil auf sich vereinigen konnte. Die Ulster Unionist Party (UUP), die auf 21,3% kam, musste sich erstmals mit dem zweiten Rang zufrieden geben. Die DUP (Democratic Unionist Party), die das Belfast Agreement als Ausverkauf protestantischer/unionistischer Interessen und Einstieg in eine gesamtirische Republik ablehnt, verbuchte 18,1%. Die als "politischer Arm der IRA" apostrophierte Sinn Féin erreichte mit 17,6% das beste Ergebnis in ihrer Geschichte. Westlich des Flusses Bann, der die Provinz geographisch, konfessionell und politisch teilt, sowie in der "Hauptstadt" Belfast wurde Sinn Féin stärkste Partei überhaupt. Am Ende trennten Sinn Féin nur 29.567 Stimmen von der UUP.

Obwohl die UUP hinter der SDLP lag, stellt sie mit 28 der insgesamt 108 Abgeordneten die größte Fraktion, gefolgt von der SDLP (24), der DUP (20) und Sinn Féin (18). Damit standen Sinn Féin zwei der insgesamt zehn Ministerien in der Regionalregierung zu (UUP und SDLP jeweils drei, DUP zwei). Doch unionistische Verzögerungstaktik verhinderte die Regierungsbildung zunächst.

Was für die Mehrheit der Unionisten und Loyalisten noch vor einigen Jahren ein furchtbarer Albtraum gewesen war, wurde im November 1999 schließlich doch noch Realität: die Bildung einer nordirischen Regionalregierung aus Unionisten wie Nationalisten, in der auch Politiker Sinn Féins Platz nahmen.

Um die Bedeutung dieses Schrittes angemessen einzuschätzen, bedarf es eines kleinen Rückblicks in die Geschichte des Landes. Der nordirische Staat wurde seinerzeit als "protestant state for protestant people" gegründet. Nordirlands erster Premier James Craig alias Lord Craigavon: "Ich bin in erster Linie ein Orangeman, erst danach ein Mitglied des Parlaments. Wir sind ein protestantisches Parlament und ein protestantischer Staat." Die Teilung der irischen Insel wurde so vollzogen, dass sie eine sichere protestantische/unionistische Mehrheit im nordirischen Staat garantierte. Um das demographische Kräfteverhältnis noch weiter zu Gunsten der Protestanten/Unionisten zu verschieben, wurde eine Wahlgesetzgebung erlassen, die die katholische/nationalistische Minderheit klar benachteiligte. Hinzu kam ein vielfältiges System sozialer Diskriminierung der Katholiken, das die protestantischen Unterklassen integrieren und die katholische Emigrationsrate hochhalten sollte. Katholische Emigration sollte die höhere Geburtenrate der Katholiken neutralisieren.

1974 war es schon einmal zur Einführung einer Power-Sharing-Exekutive gekommen, die jedoch am massenhaften Widerstand der Paisley-Fraktion, der Militanz loyalistischer Paramilitärs sowie den Intrigen von Militär, Geheimdienst und Teilen der Torys scheiterte. Dabei war es damals lediglich um die Einbindung der SDLP gegangen, die Republikaner blieben noch außen vor. Das protestantische/unionistische Lager war seither gespalten: Während ein Teil der Unionisten akzeptierte, dass es eine Rückkehr zur nordirischen Selbstverwaltung nur auf Basis von Power Sharing geben würde, hielt ein anderer Teil unverändert am Prinzip der Mehrheitsherrschaft fest.

Sinn Féin schickte neben Bairbre de Brun, die das Ministerium für Gesundheit und Soziales übernahm, auch Martin McGuinness als Erziehungsminister in die Regierung. Seine Ernennung war von gehöriger Brisanz. Nach Auffassung von Geheimdienstlern, unionistischen Politikern, aber auch der Medien handelt es sich bei McGuinness um einen ehemaligen Stabschef der IRA. Von allen hochrangigen Sinn-Féin-Politikern genießt McGuinness bei den Freiwilligen der IRA das größte Vertrauen. Dies ist wohl mit ein Grund, warum sich Sinn Féin für McGuinness als Minister entschied.

Die Unionisten mussten bei der Regierungsbildung weit über ihren Schatten springen. Vor einigen Jahren war man nicht einmal zu Gesprächen mit Sinn Féin bereit. Nun bildete man mit den entschiedensten Feinden des nordirischen Staates eine gemeinsame Regierung, obwohl die IRA nicht eine einzige Patrone herausgerückt hatte. Dieser Entscheidung waren heftige Debatten vorausgegangen, vor allem innerhalb der UUP, deren Vorsitzender David Trimble auch der "Erste Minister" der nordirischen Exekutive ist (den "Zweiten Minister", Seamus Mallon, stellt die SDLP). Trimble erkaufte sich die Zustimmung der Partei, indem er die Beteiligung an der Regierung für vorläufig erklärte: Sollte die IRA nicht bis Februar 2000 mit der Abrüstung beginnen, würden er und die anderen Kabinettsmitglieder der UUP die Regierung wieder verlassen, was automatisch auch deren Ende bedeuten würde.

Dauerstreit um Abrüstung

Dieses Ultimatum allerdings widersprach dem Inhalt des Belfast Agreement. Das Abkommen verpflichtet nämlich weder die IRA noch die loyalistischen Paramilitärs zur Abrüstung. Schon gar nicht erklärt es die Abrüstung der IRA zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung Sinn Féins. Ein derartiges Junktim hätte niemals die Zustimmung der IRA erhalten, weshalb London und Dublin darauf verzichteten. Die Abrüstungsfrage wurde damals bewusst weitgehend ausgespart. Im Abkommen heißt es hierzu nur, sie solle bis zum Mai 2000 abgeschlossen sein. Über ihren Beginn wird nichts gesagt. Von Sinn Féin und den beiden loyalistischen Parteien Progressive Unionist Party (PUP) und Ulster Democratic Party (UDP), die mit den loyalistischen Paramilitärs im Bunde stehen, wird lediglich verlangt, sich für die Entwaffnung einzusetzen, wörtlich: "to use any influence they may have to achieve the decommissioning of all paramilitary arms within two years."

Mittlerweile liegt London und Dublin ein Bericht des mit der Umsetzung der Abrüstung beauftragten Kommission des kanadischen Generals John de Chastelain vor, der hinsichtlich einer IRA-Abrüstung eine pessimistische Einschätzung enthält. Sollte die IRA nicht bis zum 11. Februar mit der Abrüstung beginnen, will nun London Nordirlands Regierung und Parlament "auf Eis legen", um wieder selbst die Regierungsgewalt zu übernehmen. Die Republikaner quittierten die Übernahme des unionistischen Ultimatums durch die britische Regierung mit Empörung.

Dass die IRA bis zum Mai 2000, wie ursprünglich vorgesehen, ihre Abrüstung vollziehen würde, war schon bei Unterzeichnung des Belfast Agreement äußerst unrealistisch. Und je mehr die Unionisten dessen Umsetzung bezüglich einer nordirischen Regionalregierung und einer Regierungsbeteilung von Sinn Féin hinauszögerten, desto unrealistischer wurde dieses Datum. Aus Sicht der IRA besteht überhaupt kein Grund zu einem einseitigen Einstieg in die Abrüstung, da sie sich nicht als Verlierer betrachtet. Bevor die IRA ihre Waffen abgibt, will sie sicher sein, dass der Prozess der Demontage unionistischer Vorherrschaft (durch Regierungsbeteiligung der Nationalisten und Republikaner, institutionalisierte Kooperation mit der Republik Irland etc.) sowie deren Demilitarisierung (durch Polizeireform, schrittweisen Abzug der britischen Truppen) unumkehrbar ist.

Sinn Féin hatte dabei auf Zeit gesetzt. Die Hoffnung war wohl, dass die Unionisten und die Bevölkerung an der Power-Sharing-Exekutive Gefallen fänden, wodurch die Abrüstungsfrage in den Hintergrund geriete. Und auf Seiten der IRA würde jede Reform - insbesondere die der Polizei (s.u.) - die Bereitschaft zur Abrüstung stärken.

Regierungsintern vertritt man eine Einschätzung, die der Wahrheit nahe kommt: Die IRA hat ein genuines Interesse am Friedensprozess und dessen Fortführung, aber es dürfte ein bis zwei Jahre dauern, bevor sie mit der Abrüstung beginnt. Dieser Einschätzung entsprechen auch die beiden jüngsten Statements der IRA, in denen sie einerseits die Aufrechterhaltung des Waffenstillstands und die Unterstützung des Friedensprozesses verspricht, aber einer Abrüstung zu "unionistischen und britischen Bedingungen" eine klare Absage erteilt. Mit ihrem Plan, die Institutionen "auf Eis" zu legen, kam London einem Rücktritt von Trimble zuvor. Minister und Abgeordnete sollen ihre Posten behalten, freilich ohne Befugnisse. Direktherrschaft wäre demnach nur eine Interimslösung bis zur endgültigen Klärung der Waffenfrage.

Die Bilanz der nordirischen Exekutive fällt bislang durchaus positiv aus. Zwar liefern sich Unionisten und Nationalisten unverändert heftige Wortgefechte, doch daneben konzentriert man sich auf Sachfragen. Während Peter Robinson, Minister für Regionalentwicklung und zweiter Mann in Paisleys DUP, in einem katholischen Bezirk eine Umgehungsstraße eröffnet und dabei "größte Fairness" bei der künftigen Infrastrukturpolitik beschwört, fordert Erziehungsminister Martin McGuinness die eigene Community auf, die "engstirnige konfessionelle Erziehung" zu überdenken.

Eigentlich ist es völlig absurd, Regierung und Parlament, ja eventuell sogar den Waffenstillstand an der Frage scheitern zu lassen, ob die IRA nun in wenigen Tagen oder erst in zwei Jahren mit ihrer Abrüstung beginnt. Entscheidend ist, dass die Waffen schweigen, denn dadurch hat sich die Alltagssituation der nordirischen Bevölkerung erheblich verbessert.

London übernimmt das Ultimatum

Die harte Haltung der britischen Regierung und Trimbles liegt primär in innerunionistischen Differenzen und der fragilen Position des "Ersten Ministers" begründet. Hätte Trimble sein Ultimatum widerrufen und sich auf eine längere Abrüstungsperiode eingelassen, wäre er des Verrats bezichtigt und als "Erster Minister" und UUP-Parteivorsitzender gestürzt worden. Ein Rücktritt Trimbles wäre ebenfalls nicht ohne Probleme gewesen. Das innerunionistische Kräfteverhältnis ist äußerst labil, Gegner und Befürworter des Abkommens halten sich im besten Falle die Waage. Trimble ist Londons Mann, aber es ist äußerst fraglich, dass der von ihm repräsentierte Flügel des Unionismus Neuwahlen überstehen würde. Ein Sieg der UUP-Hardliner und Paisleys würde aber beim derzeitigen Stand der Dinge wohl das Ende des Belfast Agreement bedeuten und die britische Regierung vor erhebliche Probleme stellen.

Die Wiedereinführung der Direktherrschaft durch London wird nicht automatisch das Ende des Friedensprozesses und des Belfast Agreements bedeuten. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Balanceakt der Regierung. Die britische Regierung wird schon deshalb einige Reformen weiter vorantreiben, um einer Neuauflage der IRA-Kampagne die Legitimation zu entziehen.

Trotzdem bleibt ein erhebliches Restrisiko. Die Real IRA, die nach dem verheerenden Bombenanschlag von Omagh zunächst einen Waffenstillstand erklärte, nun aber unter dem neuen Etikett Oglaigh na hEireann wieder auf die Bühne tritt, bereitet sich auf eine militärische Kampagne vor. Diese soll eine Verständigung zwischen den Unionisten und den Mainstream-Republikanern zusätzlich erschweren sowie die Reformpolitik torpedieren. Das nicht ganz unrealistische Kalkül der Dissidenten: Je mehr innerhalb der republikanischen Community der Eindruck entsteht, dass bei den Unionisten die Hardliner den Lauf der Dinge diktieren, und je mehr sich die britische Regierung aus Reformvorhaben zurückzieht, desto lauter werden auch innerhalb der IRA die Zweifel am Friedensprozess werden. Die IRA stünde dann vor der Alternative Spaltung oder Aufkündigung des Waffenstillstands.

Neben der Entwaffnung der paramilitärischen Organisationen ist die Umwandlung der Royal Ulster Constabulary (RUC) zu einer zivilen und auch für die katholische/nationalistische Minderheit akzeptablen Polizeitruppe ein weiterer Streitpunkt im nordirischen Friedensprozess. Beide Streitpunkte sind untrennbar miteinander verquickt. Ohne eine grundlegende Polizeireform wird die IRA kaum zur vollständigen Waffenabgabe, geschweige denn zu ihrer Auflösung bereit sein.

Anfang September 1999 hatte die vom letzten britischen Hongkong-Gouverneur Chris Patten geleitete Independent Commission on Policing in Northern Ireland ihren Bericht zur Zukunft der RUC vorgelegt. Der Patten - Bericht, dessen Vorschläge mittlerweile vom Nordirlandminister Mandelson übernommen wurden, bemüht sich um einen Spagat zwischen der republikanischen Forderung nach einer Auflösung der RUC und dem unionistischen/loyalistischen Interesse an einer möglichst weitgehenden Beibehaltung des Status quo. Eine Umfrage ergab, dass 69% der nordirischen Katholiken die Vorschläge der Independent Commission befürworteten. Hingegen sagten 65% der Protestanten "No".

In den 30 Jahren der "troubles" war Nordirland das weltweit gefährlichste Land für Polizisten. 302 RUC-Offiziere wurden getötet, ca. 13.000 verletzt, was etwa einem Drittel der in dieser Zeit im Polizeidienst Tätigen entspricht. Zu Beginn der "troubles" lebte noch ein Teil der RUC-Beamten in mehrheitlich katholischen Gegenden, was sich jedoch schnell änderte. Middle-Class-Städte wie Bangor und Moira wurden zu "Cop Towns". Die gut bezahlte RUC wurde mehr und mehr zu einer "dritten Community" in der nordirischen Gesellschaft. RUC-Offiziere haben RUC-Offiziere zu Nachbarn, verkehren privat vornehmlich mit Kollegen und auch die Freunde ihrer Kinder haben Kollegen zu Vätern.

Unter den Polizeikräften im Vereinigten Königreich stellte die RUC stets eine Besonderheit dar, war sie doch von Beginn an eine bis an die Zähne bewaffnete und von ihrem Selbstverständnis her paramilitärische und politisch orientierte Streitkraft. Bereits im September 1920, d.h. noch vor der offiziellen Teilung der irischen Insel und der Ausrufung des nordirischen Staates, wurde der Aufbau einer Special Constabulary begonnen; faktisch wurde die antikatholische und antirepublikanische paramilitärische Ulster Volunteer Force (UVF) zu einer offiziellen Polizeitruppe.

Die Konstituierung des nordirischen Staates wurde von antikatholischen Pogromen begleitet, bei denen insbesondere die "B-Specials" (die bewaffnete Teilzeit-Streitmacht der RUC) kräftig mitmischten. Über 300 Katholiken wurden ermordet. Die RUC wurde auch anschließend zu keinem Zeitpunkt von der katholischen Minderheit als legitime Polizei akzeptiert. In den Augen der meisten Katholiken war sie keine normale Polizeikraft, sondern der bewaffnete Arm der unionistischen Einheitspartei.

Im August 1969 wurden in Belfast 1.505 katholische Familien aus ihren Häusern vertrieben. Die nordirische Hauptstadt wurde zum Schauplatz der größten Fluchtbewegung Westeuropas seit dem Zweiten Weltkrieg. Das antikatholische Pogrom wurde von der RUC und den "B-Specials" gedeckt bis offen unterstützt, was im Lager der Minderheit den rasanten Aufstieg der Provisional IRA beförderte.

Die Mitgliedschaft der RUC blieb zu über 90% protestantisch, während der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung auf über 40% stieg. Die RUC kollaborierte mit den Todesschwadronen der illegalen loyalistischen Paramilitärs, indem sie diese mit Informationen über ihre Opfer versorgte. Wer der RUC beitrat, musste einen Eid auf die Krone und damit den Unionismus leisten. Ein überzeugter Protestant und Loyalist, der mit der Waffe für Ulster kämpfen wollte, musste also nicht unbedingt bei der Ulster Defence Association (UDA)/Ulster Freedom Fighters (UFF) oder der UVF anheuern. Für einen Katholiken, der der RUC beitreten wollte, hieß dies, dass er gleichzeitig Unionist sein musste. Nichtsdestotrotz begegnete ihm das Gros seiner protestantischen Kollegen auch dann noch mit Skepsis bis Ablehnung, denn da war ja immer noch die andere Konfessionszugehörigkeit.

Das Ende der unionistischen Polizei?

Die Probleme der RUC in einer normalisierten nordirischen Gesellschaft lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Die RUC ist "too big, too male, too Protestant, too unionist." Entsprechend plant die Regierung eine deutliche Verringerung des RUC-Personals bei gleichzeitiger Erhöhung des Anteils katholischer Polizisten. Bis die konfessionelle Komposition der RUC den Verhältnissen innerhalb der Bevölkerung entspricht, wird es allerdings noch viele Jahre dauern. Für jeden pensionierten Protestanten müssten gleich mehrere Katholiken rekrutiert werden.

Grundvoraussetzung für die Erhöhung der Zahl katholischer Polizisten ist die Umbenennung der Polizeitruppe. Nach der bereits erfolgten Abschaffung des Eids auf die Queen sollen nun auch die politisch besetzten Begriffe "Royal" und "Ulster" aus dem Namen verschwinden. Statt dessen soll die Truppe den politisch neutraler klingenden Namen Northern Ireland Police Service erhalten. Auch das Emblem der RUC mit der Krone und der irischen Harfe soll in der Mottenkiste verschwinden, und die gleichzeitige Mitgliedschaft im antikatholischen Orange Order soll ebenfalls verpönt sein.

In den Augen vieler Protestanten bedeutet dies die Abschaffung einer ihrer traditionsreichsten Institutionen. Politische Neutralität ist für viele Protestanten gleich bedeutend mit einem Hineinschlittern in den irischen Nationalismus und ein vereinigtes Irland. Hinzu kommt, dass mit der Umwandlung der RUC die britische Regierung de facto anerkennt, dass die Polizei während der "Troubles" nicht nur zu den Opfern des Konflikts, sondern auch zu dessen Tätern, ja Verursachern zählte. Und außerdem befürchtet man, dass sich unter den neu-rekrutierten katholischen Mitgliedern auch zahlreiche ehemalige IRA-Aktivisten befinden werden, auch wenn die britische Regierung dies verhindern will.

Die britische Regierung wird die Umbenennung der RUC auch dann betreiben, wenn der Friedensprozess scheitern und/oder eine innerrepublikanische Oppositionsgruppe den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen sollte. Die Entwaffnung der Polizei würde dann allerdings ausbleiben, denn diese koppelt London an eine Reduzierung der "terroristischen Gefahr". Und auch die Rekrutierung von Katholiken würde sich im Falle einer neuerlichen Frontstellung gegen Teile der katholischen Community schwieriger gestalten. Die Reform der RUC würde dann den Charakter einer neuen Kriminalisierungsstrategie annehmen, in der sich eine "entpolitisierte" und "normalisierte" Polizeistreitmacht im Kampf mit "Terroristen" befindet.

Dietrich Schulze-Marmeling