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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.2.2000

FPÖ - Die Freiheitlichen:

Rechtsradikal, europäisch, normal

"Österreich in Angst", titelte die auflagenstarke Tageszeitung Kurier zwei Tage vor dem Regierungsantritt der ÖVP-FPÖ-Koalition. Die Rechte an der Macht, Demonstranten auf der Straße, die Ächtung Österreichs durch die EU-Partner und unausweichlich scheinende soziale Kämpfe haben die kleine Alpen- und Donaurepublik binnen Wochenfrist in eine seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannte prekäre Lage gebracht. So sieht wohl eine Staatskrise aus. Der Schock hält an. Die Parteiführer der neuen rechts-rechten Regierung, Wolfgang Schüssel und Jörg Haider, erklären die innenpolitische Situation zwar für bedenklich, um im selben Atemzug allerdings darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um "europäische Normalität" handeln würde.

ÖVP und FPÖ haben sich zum Bürgerblock formiert, um jener "europäischen Normalität" auch in Österreich zum beschleunigten Durchbruch zu verhelfen, die seit zehn Jahren den ganzen Kontinent erfasst. Radikales Zurückdrängen staatlicher Einflussmöglichkeiten auf Wirtschafts-, Sozial- und Kulturangelegenheiten; nachhaltige Zerstörung sozialpartnerschaftlicher Instrumente für den gesellschaftlichen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit; endgültige Durchsetzung liberalistischer Theoreme wie Standortvorteil und Konkurrenzprinzip sowie eine Militarisierung dieses "europäisch" genannten Imperiums zur Absicherung der Akkumulationsgewinner.

Die österreichische Sozialdemokratie hat auf Grund der spezifischen gesellschaftlichen Gegebenheiten des Landes, das nach 1945 (eigentlich schon nach 1918) kein starkes, um seine Interessen kämpfendes Bürgertum mehr gekannt hat, bis in die 80er Jahre in den wirtschaftlichen Kernbereichen Energie, Schwerindustrie und Bankwesen Politik machen können. In weit höherem Ausmaß als überall sonst in der westlichen, kapitalistischen Welt waren diese Kernsektoren im Gefolge des Potsdamer Abkommens nach 1945 verstaatlicht worden. Drei einschneidende Ereignisse haben den "österreichischen Weg", der auch durch die 30-jährige ununterbrochene sozialdemokratische Kanzlerschaft dokumentiert ist, heute ungangbar gemacht.

Zum ersten die Krise der Industriegesellschaft insgesamt bzw. die damit verbundene radikale Änderung der Arbeit weg von einer - zumindest postulierbaren - proletarischen Solidarität hin zu einer Individualisierung und auch Prekarisierung der Lohnarbeit. Das war überall in Europa so. Desgleichen transkontinental spürbar äußerte sich der Zusammenbruch der kommunistischen Welt im Osten, wobei für Österreich als traditioneller politischer und auch wirtschaftlicher Vermittler zwischen West und Ost, NATO und Warschauer Pakt, EWG/EG und RGW nach dem Zusammenbruch der von Moskau geführten Institutionen ein bedeutenderer Rollenwechsel notwendig geworden ist.

Das dritte einschneidende Ereignis ist mit dem Datum 1. Januar 1995 verbunden. An diesem Tag trat Österreich der Europäischen Union bei. Mit einem Schlag existierten nun bürgerlich-kapitalistische Interessen im europäischen Maßstab, noch dazu in Form ausländischer Kapitalgruppen, die Österreich als Vergrößerung des bayerischen und/oder norditalienischen Marktes begriffen. Lange Zeit geschützte Sektoren in der Landwirtschaft und im Klein- und Mittelgewerbe waren dem Konkurrenzdruck von außen nicht gewachsen.

Noch 1994 war es in Österreich üblich, z.B. den Obst- und Gemüsemarkt, die Mühlen, die Zuckerraffinerien, die Milchwirtschaft und vieles andere mehr gegen Importe zu schützen bzw. den Energiesektor staatlich zu regulieren. Die Anpassung an den EU-Markt ging rasch und mit nur kurzen Übergangsfristen vonstatten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen - z.B. dem österreichischen Raiffeisenkonzern - übernahmen deutsche, italienische oder französische Firmen den heimischen Marktanteil. Ein einheimisches Bürgertum, das von der EU-Mitgliedschaft profitiert hätte, ist de facto inexistent, es beschränkt sich auf wenige allseits bekannte Familien.

Folgerichtig übernahmen rabiate Kleinbürger, ein guter Teil davon Verlierer der Integration in den EU-Markt, die politische Bühne. Jörg Haiders FPÖ ist Ausdruck dieser spezifischen gesellschaftlichen Klasse, die freilich potenziell in allen EU-Ländern anzutreffen ist. Insofern ist die FPÖ - wie die renommierte Neue Zürcher Zeitung immer wieder betont - ein Mittel zur Normalisierung des Landes und womöglich auch zur Normalität der EU.

In Großbritannien, Deutschland und Italien haben sich sozialdemokratische Parteien vor den Karren des neuen, EU-Akkumulationsmodells spannen lassen. Die Ironie der Geschichte ist: In Österreich war die SPÖ - im Verhältnis zum bürgerlichen Gegenblock - zu stark, um sich rasch und kompromisslos der kapitalistischen Modernisierung zur Verfügung zu stellen. Zu zögerlich verfuhren die hiesigen Sozialdemokraten mit Entstaatlichung und völliger Liberalisierung - auch deshalb, weil sie bis zum Tag des Regierungsantritts der schwarz-blauen Koalition über Aufsichtsratsposten in Bankvorständen, Energiebetrieben, Telekommunikationsunternehmen etc. ökonomisch bedeutsame Funktionen inne hatten. Seit dem 7. Februar 2000, dem ersten Arbeitstag der neuen Koalition, ist alles anders. FPÖ und ÖVP sind angetreten, Österreich endgültig in das Europa der Konzerne und deren Rationalität einzubringen. An oberster Stelle des Regierungsprogramms firmiert die völlige Privatisierung sämtlicher noch staatlich geführter Unternehmen; Banken, Postsparkasse, Telekom, Flughafen, Staatsdruckerei ...

Jörg Haider ist ein Medienprofi. Mehr als rabiate Kleinbürger oder von den Sozialdemokraten enttäuschte Arbeiter bilden Fernsehkameras seine Basis. Als erster in der österreichischen Parteienlandschaft hat er schon vor 15 Jahren erkannt, dass die mediale Inszenierung in einer auf das Fernsehen fixierten Gesellschaft der entscheidende politische Eckpfeiler für Erfolg ist. Journalisten auf der Suche nach einer sensationellen Story sind bei ihm gut aufgehoben, er bietet sie jedem, der danach fragt. Klammheimliche oder unbewusste Komplizenschaft der Medienmacher sind Jörg Haiders eigentliche politisches Rezept. Gerade das macht ihn so gefährlich.

Für die österreichische Innenpolitik ist ihm unmittelbar nach der EU-weit angekündigten Isolation des Landes wieder ein solcher Coup gelungen, an dem sich zumindest die österreichische Journaille abarbeiten muss. In der TV-Pressestunde, einer Talk-Show, in der ein Politiker drei Journalisten gegenübersitzt, assistierte ihm ein freundlich gesinnter Reporter von der Tiroler Tageszeitung bei einer neuen Dolchstoßlegende. Es gebe ernsthafte Hinweise, so der Kanzlermacher, dass SPÖ-Vorsitzender Viktor Klima und Bundespräsident Thomas Klestil hinter den ausländischen Attacken auf "unser Land" stünden. Die Erklärung der 14 EU-Staaten, Österreich zu isolieren, sei innenpolitisch bestellt worden. Ob es sich dabei um einen politischen Hochverrat handelte, solle das Parlament im Rahmen eines Untersuchungsausschusses klären helfen.

Die Gründe für die einzigartige Reaktion der EU-Partnerstaaten auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ wurden mit dieser Attacke flugs zum Ausgangspunkt für einen neuerlichen Angriff gegen seine politischen Gegner, zu denen erst seit kurzem auch Bundespräsident Thomas Klestil zählt. Noch anlässlich der Präsidentschaftswahlen im Jahre 1998 hatte Haider seine Wähler dazu aufgerufen, dem konservativen Diplomaten die Stimme zu geben.

Erstmals steht Haider allerdings ein starkes Medium im Lande entgegen. Das meistgelesene Boulevardblatt, die Kronenzeitung, kämpft seit den Nationalratswahlen im Oktober 1999 gegen die FPÖ-Regierungsbeteiligung. Für den Medienprofi Haider eine ungewohnte Situation, die ihm noch zu schaffen machen dürfte.

Seine Partei allerdings hat er fest im Griff. Hervorgegangen ist die dritte politische Nachkriegskraft aus dem bereits 1949 gegründeten Verband der Unabhängigen (VdU). Der VdU war explizit als Sammelbecken für die 530.000 registrierten Nationalsozialisten gedacht, die beim ersten Wahlgang nach 1945 per alliiertem Dekret von der Stimmenabgabe ausgeschlossen geblieben waren. Ein fast 12-prozentiger Stimmanteil machte das nationale Lager sowohl für künftige SPÖ- als auch für ÖVP-Koalitionen interessant.

Es sollte allerdings fast 20 Jahre dauern, bis die mittlerweile längst in Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) umbenannten Nationalen 1970 entscheidend ins parlamentarische Geschehen am Wiener Ring eingreifen konnten. Gegen die Zusicherung des designierten SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky, das Wahlgesetz zu Gunsten von Kleinparteien zu ändern, unterstützte die FPÖ sein Minderheitskabinett. Gesprächspartner Bruno Kreiskys in der FPÖ war der frühere Nationalsozialist und damalige Parteichef Friedrich Peter. 1983 kam es dann zur ersten Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Norbert Steger, ein explizit anti-nationaler Liberaler, wurde Vizekanzler unter einer sozialdemokratischen Regierung. Die FPÖ schien in die Fußstapfen der deutschen FDP zu treten; liberale Kräfte setzten sich - kurzfristig - durch.

Im September 1986 wählte der Bundesparteitag der FPÖ den damals 35-jährigen Jörg Haider zum Vorsitzenden. Die liberale Führung sprach von einem Putsch. Mit markigen nationalen Sprüchen, den Noch-Regierungspartner SPÖ politisch herausfordernd, triumphierte der Wahl-Kärntner Haider über seine politischen Ziehväter. Das liberale Element der Partei verlor schlagartig an Einfluss. SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky kündigte die Zusammenarbeit mit der FPÖ auf.

Mit jenem legendären Parteitag im Jahre 1986 begann der Aufstieg der Freiheitlichen unter ihrem neuen Führer Jörg Haider. Von einer 5-Prozent-Partei im Jahre 1983 wuchs die Zustimmung auf jene beachtlichen 27,2 Prozent im Oktober 1999. Der 3. März 1999 steht für Haider als Datum seines bislang größten persönlichen Sieges: Anlässlich der Kärntner Landtagswahlen erreichte die FPÖ 42 Prozent im südlichsten Bundesland, Haider wurde Landeshauptmann von Kärnten, einem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes vergleichbar.

Politische Positionswechsel gehören zum ständigen Repertoire der als Ein-Mann-Partei geführten FPÖ. Mehrmals wurden z.B. Pro- und Anti-EG/EU-Positionen gewechselt. Entscheidender war jedoch Anfang der 90er Jahre die innerparteiliche Wende weg vom Deutschnationalismus - der gleichwohl im Stimmvolk weiter Wurzeln schlägt - hin zum Österreich-Patriotismus. War für den jungen Haider die österreichische Nation noch "eine Missgeburt", so gibt er sich seit Jahren als Landespatriot. Mit diesem politischen Outfit ging er auf Stimmenjagd beim ÖVP-Wählerpotenzial. Als Nachfolgerin des austrofaschistischen Dollfuß-Regimes war der ÖVP der Deutschnationalismus von jeher fremd. Der rot-weiß-rote Anstrich, den sich die Haider-FPÖ vor etwa sechs Jahren verpasst hat, ist die Basis für sein Eindringen in "schwarze" Wählerschichten.

Noch kürzer zurück liegt Haiders Selbst-Inszenierung als "Anwalt des kleinen Mannes", der es der FPÖ erlaubte, in den Kernwählerschichten der Arbeiterschaft zu wildern. Voraussetzung dafür war allerdings eine durch und durch korrupte Sozialdemokratie, deren Funktionäre zunehmend den Kontakt mit dem Stimmvolk verloren hatten. Insofern stimmt die Einschätzung eines prominenten österreichischen Politologen, Emmerich Talos, als eigentlichen Wegbereiter der FPÖ die 13-jährige Koalitionsregierung von SPÖ und ÖVP zu betrachten.

Hannes Hofbauer, Wien