Fußball unterm Hakenkreuz
100 Jahre Fußball in Deutschland, Teil 2: 1933-1945
Im ersten Teil unserer Serie zur Geschichte des Fußballs in Deutschland (ak 435) ging es um die Anfangsjahre: Angefeindet von deutschnationalen Turnern, hatte es das "undeutsche", aus England "importierte" Spiel anfangs schwer, sich durchzusetzen. Doch schon Ende der zwanziger Jahre zählte der Deutsche Fußball-Bund annähernd eine Million Mitglieder, die in "bürgerlichen" Clubs und Vereinen der Arbeiterbewegung aktiv waren. Deren "Gleichschaltung" begann unmittelbar nach dem Machtantritt der Nazis.
Was den Sport allgemein anbelangt, so diente er den Nazis als Mittel nationaler Selbstdarstellung und Überhöhung sowie zur totalen Durchmilitarisierung der Gesellschaft, wofür die militaristische Tradition des deutschen Sportbetriebs genügend Anknüpfungspunkte bot. Des weiteren entwickelte der Nationalsozialismus die massenintegrative und disziplinierende Funktion des Sports weiter. Dies war zwar auch schon zu Weimarer Zeiten Gegenstand staatlicher Sportpolitik gewesen, jedoch auf Grund der Existenz der Arbeitersportbewegung an gewisse Grenzen gestoßen.
Was den Fußball betrifft, so bewirkte der Nationalsozialismus vor allem zweierlei: das Ende des "wilden" Straßenfußballs und die Schaffung einer Monopolstellung für den DFB. Aus der Sicht des totalitären Staates erschienen Straßenmannschaften, die sich außerhalb jeder offiziellen Kontrolle bewegten und auch gesellschaftliche Außenseiter integrieren konnten, als eine Bedrohung für das staatliche Gefüge. Vereine besaßen im Gegensatz zu den "wilden" Straßenmannschaften Satzungen und greifbare Vorstände, waren relativ problemlos gleichzuschalten und kontrollierbar. Allerdings sollte es den Nazis nicht gelingen, der wilden Balltreterei der Arbeiterjugend vollends den Garaus zu machen.
Während die Organisationsform des Vereins erheblich aufgewertet wurde, nahm die Zahl der Vereine und der in ihnen aktiven Fußballspieler in einer proletarischen Region wie dem Ruhrgebiet deutlich ab.
Der DFB schwört dem Führer Treue und Gefolgschaft
Im Gegensatz zu den Sportorganisationen der Arbeiterbewegung, aber auch den konfessionellen Verbänden blieb der DFB weitgehend unbehelligt. Der bürgerliche Fußballverband wurde lediglich "gleichgeschaltet" und war nun als "Fachamt Fußball" noch eine Unterabteilung im "Reichsausschuss für Leibesübungen". Die Gleichschaltung des DFB verkündete sein damaliger Verbandspräsident und SS-Obersturmbandführer Felix Linnemann mit den Worten: "Wir sind heute stolz darauf, dass sich die Amtswalter des alten Deutschen Fußball-Bundes versammelten, um als erste sportliche Organisation ihre Auflösung zu beschließen und sich mit allem ,lebenden und toten Inventar` in den eben gegründeten Reichsbund für Leibesübungen der NSDAP einzugliedern."
Im November 1933 veröffentlichte Linnemann gemeinsam mit dem NSDAP-Mitglied und Führer der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik (DSB), Dr. Ritter von Halt, einen Aufruf an alle Verbandsmitglieder, in dem über die bevorstehenden Reichstagswahlen zu lesen war: "In der Volksgemeinschaft des Dritten Reiches hat der Sport seine politische Mission erhalten. Er wird sie erfüllen, denn an nationaler Hingabe soll uns niemand übertreffen. ,Eisern hinter dem Kanzler`. Als Führer des DFB und des DSB haben wir dem Kanzler Treue und Gefolgschaft gelobt. Er war der Niederschlag dessen, was uns alle beseelte. Am 12. November werden wir aufs Neue unsere unerschütterliche Gefolgschaft beweisen."
Der DFB verhielt sich gegenüber dem NS-Regime nicht anders als andere Teile des nationalkonservativen Lagers. Anpassung, nicht selten gar vorsorgliche willige Erfüllung möglicher zukünftiger Forderungen der Nazis sollten die eigene Haut retten und die totale Vereinnahmung und Unterwerfung bremsen. Allerdings waren ideologische Affinitäten zum Faschismus nicht nur bei den Turnern, sondern auch beim DFB bereits vor 1933 sichtbar geworden. Die deutsch-nationale Prägung des Verbands erleichterte das Arrangement mit den neuen Machthabern.
Was man beim DFB unter parteipolitischer Neutralität verstand, verdeutlicht der folgende Appell des Vorsitzenden des Baltischen Rasen- und Wintersportverbandes, einer DFB-Unterorganisation, Paul Bräuel: "Wer wahrhaft vaterländische Arbeit leisten will, muss sich frei machen von Parteiprogrammen. Ausgleich, Zusammenfassung ist vaterländische Arbeit und Arbeit im Sinne einer fortschreitenden Kultur, nicht Unterstützung der Gegensätze. Ausgleich der Gegensätze und Zusammenfassung der Kräfte heißt das Gebot der Stunde... Wir sind parteipolitisch neutral. Nach unserer Auffassung muss ein Boden geschaffen werden, auf dem sich wenigstens der größte Teil unserer Volksgenossen zu gemeinsamer Arbeit die Hände reicht, damit wir verhindern..., dass Volksteile ihre beste Kraft verbrauchen in den Versuchen zur Ausschaltung oder Vernichtung anderer Volksgenossen."
Gegenüber den Arbeitersportlern schwang die nationalsozialistische Sportpolitik nicht nur den Knüppel der Repression, sie machte ihnen auch Angebote zur Integration. Zwar wurden ehemalige Mitglieder der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitersportbewegung in den neuen Sportvereinen nur akzeptiert, wenn sie sich zuvor einem entwürdigenden Abschwörungs- und Loyalitätsritus unterzogen. Aber gleichzeitig wurde der Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten nicht müde, zur "kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit den von ihren Führern verlassenen Arbeitersportlern" aufzurufen. Die Nazis wollten sich die sportliche Potenz der Arbeitersportbewegung zu Nutze machen. Nachdem die Integrationspolitik angelaufen war, wies von Tschammer und Osten die Vereine mit ehemaligen Arbeitersportlern in ihren Reihen an, Mannschaftsaufstellungen nur nach sachlichen und nicht nach weltanschaulichen Gesichtspunkten vorzunehmen.
Nazis umwerben Arbeitersportler
Das Werben der Nazis galt vor allem den Fußballern. Das Vorgehen des Regimes gegenüber den Arbeitersportlern entsprach den propagandistischen und strategischen Inhalten des NS-Sports: Zum einen sollte der Sport dazu dienen, germanische/arische Leistungsfähigkeit und Überlegenheit zu demonstrieren und die Identifikation der Bevölkerung mit dem Regime zu erhöhen. Zum anderen und zugleich wurde er - was die Übertritte von Arbeitersportlern erleichterte - bewusst entpolitisiert, um als Medium der Ablenkung und Zerstreuung zu dienen.
In dieser Hinsicht konnte der Nationalsozialismus wohl einen seiner größten Erfolge verzeichnen. Das Phänomen, dass noch heute große Teile der NS-Generation bezüglich der Jahre nach 1933 vor allem über die großen Erfolge der Schmelings, Rosemeyers, Caracciolas, Szepans und Kuzorras zu berichten wissen, ohne dabei zugleich auch die politischen Verhältnisse jener Zeit kritisch zu reflektieren, bestätigt dies nur.
Das berühmteste Beispiel für die Vereinnahmung von Spitzensportlern aus der Arbeiterschaft durch das Nazi-Regime ist sicherlich Schalke 04. Zwischen 1933 und 1944 gewannen die "Knappen" sämtliche elf Gaumeisterschaften. Die unglaubliche Dominanz Schalkes in der Gauliga Westfalen wird auch daraus ersichtlich, dass vier dieser Meistertitel mit lediglich einem Minuspunkt (in 18 Spielen) errungen wurden. Des weiteren fallen nicht weniger als sechs der insgesamt sieben von Schalke gewonnenen Deutschen Meisterschaften in die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft (1934, 1935, 1937, 1939, 1940, 1942), darunter auch die erste sogenannte Großdeutsche Fußballmeisterschaft von 1939 (9:0 Sieg gegen Admira Wien vor 100.000 Zuschauern in Berlin), die gemeinhin als größter Triumph der Königsblauen betrachtet wird.
In welchem Ausmaß die zeitliche Parallelität von Schalker Erfolgsära und Nazi-Herrschaft Zufall und inwieweit sie ein Produkt bewusster sportpolitischer Intervention war, ob die Schalker Triumphe mehr eine von den Nazis propagandistisch funktionalisierte Gelegenheit oder aber diese Gelegenheit gar von ihnen selbst herbeigeführt wurde, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit klären. Da sich der Schalker Aufstieg aber bereits einige Jahre vor der nationalsozialistischen Machtübernahme und in einem gänzlich anderen politischen Milieu abzuzeichnen begann, dürfte allemal falsch liegen, wer die Erfolgsära der "Knappen" ausschließlich als nationalsozialistisches Retortenprodukt interpretiert. Auch die Tatsache, dass die Schalker nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des NS-Regimes ihre große Ära nicht mehr fortsetzen konnten, taugt kaum als Indiz für diese Interpretation, da dies mit allgemeineren sozial-geographischen Verschiebungen in der deutschen Fußballlandschaft zusammenhing.
Mit Schalke 04 siegt die Volksgemeinschaft
Schalkes Charakter eines "bürgerlichen Arbeitervereins" hat seine Integration und Instrumentalisierung durch die Nazis zweifellos erleichtert. Ansätze für ihre Vereinnahmungspolitik erblickten die Nazis aber auch im Schalker Spielstil, wenngleich dies ziemlich hergeholt war. Die Nazis benutzten Schalke, um ihr Bild vom deutschen Arbeiter - gekennzeichnet durch harten Einsatz in der Produktion und unbedingtes Pflichtbewusstsein gegenüber der "Volksgemeinschaft" -, zu transportieren und ihre Ertüchtigungsideologie und deren Erfolgsträchtigkeit zu propagieren.
Neben der propagandistischen Unterstützung kamen die Schalker aber auch zuweilen in den Genuss direkter Hilfeleistungen durch das NS-Regime, obwohl hierüber wenig überliefert ist. So wurde im vierten Kriegsjahr der vom VfL Osnabrück stammende Torwart Heinz Flotho von der Front zu den "Knappen" beordert: Beim Endspiel 1942 gegen Vienna Wien hatten die Blau-Weißen einen Mann zwischen den Pfosten stehen, der auf höheren Befehl zu ihnen gestoßen war. Wahrscheinlich wollten die Nazis nichts unversucht lassen, eine Wiederholung des Endspiel-Debakels vom Vorjahr zu verhindern, als Rapid Wien die Schalker unplanmäßig geschlagen hatte. Denn jeder Sieg einer österreichischen Mannschaft drohte den antipreußischen Nationalismus der Österreicher zu nähren und damit den Zusammenhalt des Reiches zu bedrohen.
Inwieweit die Spieler selbst dem NS-Regime und seiner Ideologie huldigten, oder sich ihre Vereinnahmung durch die Politik lediglich mehr oder weniger widerwillig gefallen ließen, kann nicht zur völligen Zufriedenheit geklärt werden. Die Bilder von einer den rechten Arm zum Hitlergruß gestreckten Schalker Mannschaft im von den Nazis erbauten Berliner Olympiastadion reichen zur Beantwortung dieser Frage sicherlich nicht aus. Vermutlich verhielt es sich mit vielen Schalkern so wie mit der Arbeiterschaft allgemein. Hans-Dieter Baroth schreibt: "Die große Masse der Arbeiter ging weder in den Widerstand, noch ließ sie sich zu jener begeistert-gläubigen Gefolgschaft bewegen, die die NS-Propaganda herbeizureden suchte. Die meisten blieben in einer skeptischen Distanz, zogen sich auf Familie, Freundeskreise und ein betont unpolitisches Leben in der Nachbarschaft zurück." (1) Diesen Rückzug ins Unpolitische ermöglichten auch bürgerliche Arbeitervereine wie Schalke 04.
Dietrich Schulze-Marmeling
Anmerkung:
1) Hans-Dieter Baroth: "Jungens, euch gehört der Himmel!" Die Geschichte der Oberliga West 1947-1963, Essen 1988