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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.3.2000

Verkürzter Antifaschismus

Politik mit der NS-Vergangenheit in der DDR und der BRD

Die Diskreditierung des Antifaschismus der DDR stand gleich nach 1990 im Zentrum bundesdeutscher Geschichtspolitik, wurde doch hier eines der wenigen relativ verankerten Legitimationsmerkmale des anderen deutschen Staates gesehen. Allerdings bot der Antifaschismus der DDR auch Angriffsflächen - er war Gegenstand der von der DDR-Führung betriebenen Geschichtspolitik.

Den Siegern von 1989/90 kamen die "roten Kapos", die der Historiker Lutz Niethammer in einer Untersuchung zur Rolle der Kommunisten im Konzentrationslager Buchenwald ausmachte, wie gerufen, um Kommunisten und Nazis auf eine Stufe stellen zu können und aus den in der DDR heroisierten kommunistischen Antifaschisten Helfershelfer der SS-Mörder zu machen. Mochte Niethammer auch differenzierter argumentieren, in der Öffentlichkeit wurde das politisch nützliche Bild der roten und braunen Verbrecher kolportiert.

Ein Grund jedoch, warum der Antifaschismus der DDR zum Angriffspunkt westdeutscher Geschichtspolitik werden konnte lag in diesem selbst begründet, denn der Antifaschismus war eine gewichtige Waffe in der Geschichtspolitik der DDR. So wäre also für eine radikale Linke zwischen der politischen Funktion und der inhaltlichen Stimmigkeit bei der Kritik des DDR-Antifaschismus zu unterscheiden. Letztere gilt es zu reflektieren, um von hier aus zu einer neuen Bestimmung antifaschistischer aber auch sozialistischer Inhalte zu kommen.

Nicht aus linksradikaler, sondern aus bürgerlich-liberaler Sicht schreibt der britische Historiker Jeffrey Herf seine Untersuchung zu "Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland", in der er den Antifaschismus der DDR mit der "Vergangenheitsbewältigung" der Bundesrepublik vergleicht. Trotz vieler Einseitigkeiten bietet Herfs Buch Stoff, um über Defizite des Antifaschismus in der DDR und in Teilen der Linken nachzudenken.

Der Kampf der SED gegen den "Kosmopolitismus"

Herfs Arbeit ist vor allem politikgeschichtlich orientiert: Im Mittelpunkt stehen Politiker in Ost und West, wohingegen die Stimmung in der Gesellschaft nur mittelbar erwähnt wird. Eine weitere und sehr entscheidende Einschränkung: Erinnerung an den Faschismus beurteilt Herf primär nach der Thematisierung der "jüdischen Frage", des Völkermordes an den Juden. Diese Einschränkung ist begründbar, aber sie wirft auch Probleme auf, wie Herfs Bewertungen verdeutlichen. Kein Zweifel besteht aus heutiger Sicht, dass der Genozid das Signum des deutschen Faschismus ist, der zentrale Punkt des Zivilisationsbruchs, der das NS-Regime auch heute noch einer weitgehenden Historisierung entzieht. Allenfalls der Vernichtungskrieg im Osten hat eine vergleichbare Wirkung.

Damit ist jedoch nicht gesagt, dass sich der deutsche Faschismus allein oder vornehmlich aus dem Antisemitismus und dem folgenden Genozid erklären lässt. Der kommunistische Antifaschismus sah die Hauptursache des Faschismus in dessen sozioökonomischer Funktion, und in der Verabsolutierung dieser Sichtweise wurde die ideologische Eigendynamik des Regimes sträflich unterschätzt. Namentlich der Antisemitismus war ein entscheidendes Element der faschistischen Dynamik in Deutschland. In der Verbindung dieser ideologischen und sozioökonomischen Elemente des Faschismus würde also eine vollständige Erinnerung an das NS-Regime bestehen. Unter moralischen Gesichtspunkten steht heute zu Recht der Genozid im Mittelpunkt, denn nur von hier aus lässt sich mehr als fünfzig Jahre nach dem Ende des Regimes dessen letzte Konsequenz begreifen.

Einleitend geht Herf auf die Selbstwahrnehmung des kommunistischen Antifaschismus ein und verdeutlicht dessen blinde Flecken, die auch zu einer Unterschätzung der antisemitischen Ideologie des NS beigetragen haben. Dabei wird deutlich, dass es auf kommunistischer Seite Elemente der bewussten Solidarität mit den angegriffenen Juden gab, die jedoch taktischen Wendungen, wie der nationalkommunistischen Politik zu Beginn der dreißiger Jahre, geopfert wurden. Die Eigenständigkeit der antisemitischen Ideologie wurde dabei jedoch nie wirklich erkannt. Dies änderte sich durch die Erfahrung des Völkermords bei einem Teil der aus der Emigration zurückkehrenden Kommunisten, die nun dem Genozid eine zentrale Stellung beimaßen und die massenhafte Beteiligung der deutschen Bevölkerung an den Verbrechen betonten. Dennoch standen die Opfer der Sowjetunion und des antifaschistischen kommunistischen Kampfes von Anfang an im Zentrum des Gedenkens, wohingegen der Holocaust nur eine Nebenrolle spielte.

Der Blick auf die mexikanischen Emigranten der KPD, zuvorderst Paul Merker, eröffnet dann eine alternative Variante des Gedenkens, für die die "jüdische Frage" und vor allem die Möglichkeit der Wiedergutmachung eine zentrale Position einnehmen. In der guten Zusammenarbeit zwischen den jüdischen und kommunistischen Emigrantengruppen in Mexiko sieht Herf einen der Hauptgründe warum Merker (selbst kein Jude) eine größere Sensibilität für die "jüdische Frage" entwickelte.

Auch nach der Rückkehr in die SBZ versuchten Merker und andere ihre Sichtweise zu etablieren. Vor allem die Frage von Entschädigungen für Juden spielte eine wichtige Rolle und führte auch zu ersten Auseinandersetzungen. Wie sollte die Gewichtung zwischen "aktiven" antifaschistischen Kämpfern und "passiven" Opfern vorgenommen werden? Gab es hier eine Hierarchie oder sollten sie, in der Erinnerung - aber auch der Entschädigung - auf einer Stufe stehen?

Zumindest bis 1949 hatte Merkers Position noch Chancen auf Gehör, dann veränderten sich die Bedingungen radikal, und Merker geriet in den Strudel der Stalinisierung der SED. Das Kapitel über die "Säuberung vom ,Kosmopolitismus`" gehört sicherlich zu den bedrückendsten des Buches. Nur wenig verschleiert wurden von SED-Seite alte antisemitische Stereotypen neu belebt. Aus den Opfern von gestern wurden nun die Agenten des US-Imperialismus. Die Verstrickung der Bevölkerung mit dem NS-Regime trat vollständig in den Hintergrund, wohingegen die Opferrolle der Deutschen hervorgehoben wurde.

Adenauer und das Beschweigen der "jüdischen Frage"

Trotz vielfältiger Belege für diese Verschärfung der politischen Linie bleibt Herfs Bild einseitig. Nur wenig erfährt man über die Motivation dieser politischen Wende, in deren Rahmen der Kampf gegen den "Kosmopolitismus" zu verorten ist, sieht man von der "Hysterie" angesichts des beginnenden Kalten Krieges ab. Diese "Hysterisierung" lag jedoch nicht nur im Osten vor, und dennoch erscheint die Stalinisierung bei Herf als rein immanentes Phänomen, wohingegen der Druck des Westens auf den Osten nicht thematisiert wird.

Doch auch diese Einordnungen können die auf kommunistischer Seite vorgenommene Anknüpfung an latent antisemitische Stereotypen nicht erklären. Herf verdeutlicht, wie die Identifizierung von Kapitalismus und Judentum ein durchgängiges Element beim Verfahren gegen Merker wurde. Diese Verknüpfung von Judentum, Kapitalismus, amerikanischem Imperialismus, Frankreich und Israel, wie sie in der DDR vorgenommen wurde, schloss direkt an den antiwestlichen deutschen Nationalismus an, der schon immer vom Antisemitismus durchzogen wurde. Es zeigt sich hier die fatale Folge der vernachlässigten materialistischen Kapitalismusanalyse zu Gunsten eines populistischen Antikapitalismus. Weite Teile der Bevölkerung wurden nicht nur wider besseren Wissens von der ideologischen Verstrickung mit dem Faschismus freigesprochen, sondern vorhandene Ressentiments gegen die Juden wurden nur leicht verschleiert bedient, um auch so Akzeptanz zu gewinnen.

Die anti-"kosmopolitische" Kampagne von 1952/53 gab laut Herf das Muster der Erinnerung an den NS in der DDR ab, welches bis 1989 im wesentlichen bestehen blieb. Die Haltung der DDR zu Israel wird von ihm als Konsequenz dieser spezifischen Erinnerung in der DDR gesehen. Der Antifaschismus der DDR erscheint bei Herf immer mehr in seiner funktionalen Rolle als Immunisierung des Staates gegen Kritik. Welche Berechtigung ein sicherlich verkürztes Faschismusverständnis der DDR und der daraus abgeleitete Antifaschismus dennoch hatten, wird von Herf nicht diskutiert. Die völlige Untauglichkeit des marxistischen Faschismusverständnisses wird von ihm einfach vorausgesetzt.

Genau hier zeigt sich aber die Schwäche seiner nur moralischen Position zur Erinnerung. So wie es richtig ist, den Antisemitismus zu den zentralen Elementen des deutschen Faschismus zu zählen, so falsch ist es, den NS von seinen sozialen Voraussetzungen zu trennen. Kapitalinteressen, Weltmachtpolitik, Imperialismus - diese Elemente sind nicht nur Beiwerk des Faschismus, sondern gehören genauso zu seinen Voraussetzungen und Wesensmerkmalen wie seine ideologischen Ausformungen. Ein Antifaschismus ohne diese Elemente ist ebenso "verkürzt" wie der DDR-Antifaschismus. Letztere hat immerhin die materiellen Voraussetzungen eines neuen Faschismus sehr viel konsequenter beseitigt, als Herf dies zugestehen mag. Dies entschuldigt allerdings nicht die weitgehende Unfähigkeit, die ideologischen Elemente, namentlich den Antisemitismus zu verstehen.

Der zweite Teil des Buches, der sich mit der Erinnerung in der Westzone und der späteren Bundesrepublik befasst, erscheint sehr viel weniger spektakulär als der erste. Adenauer, Schumacher und Heuss stehen zunächst im Zentrum der Darstellung, ihre Konzepte der Erinnerung werden miteinander verglichen. Herf, der sich schon in der Einleitung als Anhänger der liberalen Demokratie westlicher Prägung vorstellt, sieht das Bekenntnis zu dieser Demokratie als entscheidenden Unterschied der politischen Eliten in Ost und West. Die gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen auch ökonomischer Art, demokratische Verhältnisse zu verwirklichen und eine weitgehend faschisierte Bevölkerung zu integrieren, bleiben unbeachtet.

Herf konstatiert, dass man in der Nachkriegszeit entweder Demokratie oder Gerechtigkeit durchsetzen konnte; beides zusammen sei nicht gegangen, da die Mehrheit der Bevölkerung kein Interesse an der Erinnerung hatte. Adenauer entsprach dieser Anforderung des Beschweigens - auch und gerade der "jüdischen Frage" - am besten, weshalb ihm die größte Zustimmung aus der Bevölkerung zuteil wurde. Trotz dieser Widerstände sei es im Gegensatz zur DDR zu einer gesetzlich fixierten Wiedergutmachung und dem Abkommen mit Israel gekommen, wenngleich gerade hier, quasi zur Beruhigung der eigenen Bevölkerung, eine massive Relativierung deutscher Schuld vorgenommen wurde. So wurde die deutsche Täterschaft auf wenige Ausnahmen reduziert und selbst für diese wurde eine weitgehende Amnestie gefordert. Herf beklagt die "gravierenden Defizite" beim juristischen Umgang mit der Vergangenheit und erwähnt auch die personellen Kontinuitäten zwischen NS-Staat und BRD.

Vom Ende der fünfziger Jahre an sieht Herf eine aufsteigende Linie der bundesdeutschen Erinnerung. So wurde 1958 die Zentrale Ermittlungsstelle in Ludwigsburg gegründet, und die Prozesse zu Auschwitz, Majdanek u.a. erzwangen und beförderten die Auseinandersetzung mit dem Thema.

Bitburg, der Historikerstreit und auch der verstärkte Nationalismus nach 1989/90 werden von Herf als retardierende Momente, nicht als Wendepunkte gesehen. Die Erinnerung an den Holocaust habe auch in dieser Zeit eher zugenommen. Dies ist einerseits richtig, vernachlässigt aber die veränderte Bedeutung der Erinnerung im vereinigten Deutschland. Denn heute wird die NS-Vergangenheit nicht mehr als Beschränkung eigener Machtpolitik verstanden. Ganz im Gegenteil ließ sich wärend des Kosovo-Krieges beobachten, wie die Erinnerung an Auschwitz zur Legitimation eines Angriffskrieges missbraucht wurde.

Für eine umfassende Faschismustheorie!

Auch dass in der Walser-Bubis-Debatte (die Herf nicht mehr berücksichtigt hat) zum Ausdruck kommende Bedürfnis nach einem Ende der Erinnerung ist mehr als ein retardierendes Element. Was sich hier andeutete, ist das von der Vergangenheit befreite Selbstbewusstsein einer europäischen Hegemonialmacht, die ihre ökonomische Potenz jetzt auch wieder politisch und wenn nötig militärisch zum Ausdruck bringen will.

Insofern könnte für eine radikale Linke gerade das so bekämpfte Antifaschismusverständnis der DDR von neuer Bedeutung sein, denn die Frage nach kapitalistischer Konkurrenz- und Interessenpolitik ist für das Begreifen heutiger Konflikte nach wie vor von entscheidender Bedeutung. So, wie der verkürzte Antifaschismus der DDR einer Ergänzung um die ideologische Seite des Faschismus bedarf, so bedürfen die von manchen Linken verbreiteten Faschismusanalogien heute der Ergänzung: Eine umfassende Faschismustheorie plus Imperialismustheorie wäre hier eine angemessen Forderung.

Gerd Wiegel

Jeffrey Herf: Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998, 575 Seiten, 68 DM