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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.3.2000

Fusionswelle auf dem Atommarkt

Siemens und Framatome bilden neuen Atomkonzern

Durch die Fusion des Atomgeschäfts von Siemens und des (noch) staatlichen französischen Konzerns Framatome soll in diesem Jahr der weltweit führende Anbieter von Atomkraftwerkstechnik entstehen. Während Siemens mit der Fusion zur Nummer 1 auf dem Weltmarkt aufrückt und weiterhin mit der gefährlichen Atomtechnik Profit machen möchte, sind einst führende Hersteller wie Westinghouse und der ABB-Konzern aus dem Atomgeschäft ausgestiegen. Für Siemens-Framatome gibt es nur noch wenige ernst zu nehmende Konkurrenten.

An der neuen Unternehmung mit Sitz in Paris wird Framatome mit 66% und Siemens mit 34% der Anteile beteiligt sein. Nach Angaben der beiden Atomkonzerne erzielte Framatome 1999 mit 9.000 Beschäftigten einen Umsatz von zwei Milliarden EUR, der Atombereich von Siemens kam 1998/99 mit 4.100 Mitarbeitern auf einen Umsatz von 1,1 Mrd. EUR. Siemens kann mit seinem Anteil am neuen Atomkonzern in allen entscheidenden, strategischen Fragen voll mitbestimmen.

Das Joint Venture soll Mitte des Jahres 2000 sein Geschäft aufnehmen. Das bisherige Atomgeschäft von Siemens/KWU in Deutschland wird organisatorisch in einer deutschen Tochtergesellschaft des gemeinsamen Atomkonzerns aufgehen.

Siemens vollzieht mit der Fusion eine schon seit Jahren enge Kooperation mit dem Konkurrenten. Die Zusammenarbeit mit Framatome begann bereits 1989 mit der gemeinsamen Gründung der Nuclear Power International (NPI) für die Entwicklung des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) und weitete sich im Laufe der Jahre auf den Austausch von Großkomponenten (Dampferzeuger) in Westinghouse-Reaktoren sowie auf die Nachrüstung (z.B. Kosloduy) und Fertigstellung (Mochovce) osteuropäischer Atomkraftwerke aus.

1997 und 1998 hatte Siemens auch mit der British Nuclear Fuels Ltd. (BNFL) über eine Fusion des Atomgeschäfts verhandelt. Doch die Verhandlungen wurden unterbrochen, nachdem der britische Spezialist für Brennelemente und Wiederaufarbeitung von Brennelementen zusammen mit dem amerikanischen Baukonzern Morisson Knudsen (MK) 1998 die verbliebene Nuklear-Sparte von Westinghouse übernommen hatte. Auch Siemens war an einer Übernahme des Atomgeschäfts von Westinghouse interessiert. Dazu kam es nach offizieller Begründung aber nicht, weil zur Nuklearsparte von Westinghouse auch das Rüstungsgeschäft gehört und diese nur zusammen mit MK verkauft werden sollte. Inoffiziell hieß es, es habe Vorbehalte des Pentagon gegen einen Verkauf des Rüstungsgeschäfts (Bereich Nukleare Dienstleistungen) an ein deutsches Unternehmen gegeben.

Atomwirtschaft rückt zusammen

Siemens übernahm aber 1998 die konventionelle Kraftwerkssparte von Westinghouse (Westinghouse Power Generation) und stieg so zum zweitgrößten Kraftwerksbauer der Welt auf. Weltweit konkurriert Siemens nun insbesondere mit General Electric (USA), mit dem schwedisch-schweizerischen-französischen Gemeinschaftsunternehmen ABB Alstom Power und Mitsubishi (Japan).

Die Unternehmensstrategie von Siemens zielt darauf ab, in möglichst allen Sparten weltweit die Nummer eins oder zwei zu werden. Was im konventionellen Kraftwerksgeschäft durch die Übernahme von Westinghouse gelang, ist im AKW-Geschäft offenbar nur als Juniorpartner mit Framatome möglich.

Siemens war außerhalb Deutschlands zwar bei Brennelementlieferungen, im Kraftwerksservice und bei Nachrüstungen einigermaßen erfolgreich, - nicht jedoch beim Export von Atomkraftwerken. Trotz massiver Lobbyarbeit gelang es Siemens weder in Ägypten noch in der Türkei, in China, in Finnland, in der Schweiz, in Kuba oder in Taiwan auch nur einen einzigen Bauauftrag für AKWs zu bekommen (abgesehen von der Beteiligung am Neubau von zwei Blöcken russischer Bauart in China).

Im Ausland konnte Siemens insgesamt nur jeweils ein AKW in Argentinien (Atucha-1), in den Niederlanden (Borssele), in der Schweiz (Gösgen) und in Spanien (Trillo-1) errichten. Derzeit bemüht sich Siemens noch darum, in Brasilien (Angra) und Argentinien (Atucha) Altaufträge aus den 70er Jahren abzuarbeiten.

Framatome war bis September 1998 im Ausland insgesamt neun Mal erfolgreich. Im eigenen Land waren Mitte 1998 57 Atommeiler von Framatome in Betrieb, während es Siemens in Deutschland - nicht zuletzt wegen des Widerstands aus der Bevölkerung - auf "nur" 19 Atomanlagen gebracht hat.

Doch selbst in Frankreich ist seit Jahren kein Atomkraftwerk mehr in Auftrag gegeben worden (vgl. ak 419). Frankreichs Elektro-Industrie hat sich nach dem Boom in den siebziger und achtziger Jahren aus diesem Sektor fast ganz verabschiedet. Der Alcatel-Konzern gab 1999 seine Beteiligung von 44% an Framatome ab. Auch der Alstom-Konzern, vor Jahren noch heftig bemüht, Siemens als Framatome-Partner auszubooten, zeigt seit der Zusammenlegung des Kraftwerksgeschäfts mit ABB keinerlei Interesse mehr.

Der Weltmarkt für Atomtechnik wird immer enger. Neubauaufträge gibt es kaum noch und die Liberalisierung der Strommärkte führt mit dem verbundenen Kostendruck bei den Betreibern zu sinkenden Umsätzen und Gewinnen bei den Kraftwerksbauern.

Westinghouse und ABB steigen aus

So erstaunt es nicht sehr, dass selbst die ganz großen US-Konzerne aus dem Geschäft ausgestiegen sind. Von dem einst führenden Reaktorbauer Westinghouse waren Mitte 1998 immerhin 48 AKWs in den USA und weitere 26 im Ausland in Betrieb. Da es aber seit 1980 keinen Neubau-Auftrag mehr gab, stieg Westinghouse 1998 vollständig aus dem Kraftwerksgeschäft aus. Der einst zweitgrößte amerikanische Elektrokonzern ist heute ein Medienkonzern mit dem Namen CBS Corp., der im Kabelfernsehen aktiv ist und das größte Radionetz des Landes kontrolliert.

Europäische Firmen halten hingegen stur an der Atomenergie fest und kauften systematisch die amerikanische Atomindustrie auf. Drei von vier US-Herstellern wurden von Atomfirmen aus Europa übernommen. Combustion Engineering (CE) mit bis 1998 14 Atommeilern in den USA, ging an die schwedisch-schweizerische ABB. Babcock & Wilcox (7 AKWs in den USA) wurde von Framatome übernommen. Und schließlich wurde 1998 Westinghouse von der britischen BNFL gekauft. Übrig blieb (bislang) nur General Electric, der bis Mitte 1998 35 Siedewasserreaktoren in den USA und 15 im Ausland in Betrieb hatte.

Doch nicht nur Westinghouse stieg aus. Im Dezember 1999 verkaufte der ABB-Konzern seine sämtlichen nuklearen Aktivitäten an die britische BNFL. Zum verkauften Atomgeschäft von ABB zählt u.a. die Mannheimer ABB Reaktor GmbH sowie die Hansa Projekt Anlagentechnik nebst der nuklearen Leittechnik (u.a. Hartmann & Braun).

Die neue BNFL-Westinghouse-ABB (inkl. der ehem. Combustion Engeneering) wird damit zum Gegenspieler von Siemens-Framatome (inkl. der ehem. Babcock & Wilcox).

Den globalen Markt für Atomtechnik teilen sich damit nur noch eine Hand voll Firmengruppen. Siemens und Framatome bilden mit erheblichem Abstand die Nummer eins ihrer Branche (Atomkraftwerksbau, Atomkraftwerks-Service und Brennelemente, ohne Wiederaufarbeitung). Siemens-Pressesprecher Wolfgang Breyer sieht nur noch BNFL-Westinghouse-ABB und General Electric als bedeutende Konkurrenten.

Hinzu kommen die japanischen AKW-Hersteller (Mitsubishi, Hitachi und Toshiba), die russische Atomindustrie sowie die kanadische AECL. Sie spielen jedoch eine deutlich nachrangige Rolle. Und das Überleben der russischen Atomindustrie hängt ganz wesentlich von der Kooperation insbesondere mit Siemens und Framatome ab, die für gemeinsame Atomprojekte in Osteuropa immer wieder Staatskredite aus der Europäischen Union sowie aus Deutschland und Frankreich beisteuern (zum Beispiel für das Atomkraftwerk Mochovce).

Bei allen Atomfirmen dominiert das Geschäft mit dem Nuklear-Service (Brennelemente, Wartung, Nachrüstungen). Das Neubaugeschäft hält sich in Grenzen. Derzeit werden nur sehr wenige Atomkraftwerke in Frankreich, Rußland, Slowakei, Tschechien, Rumänien, Korea, Japan und China sowie in Brasilien und Argentinien (vgl. oben) errichtet.

Die Zusammenlegung ihrer Atomsparten sollen für Siemens-Framatome kurzfristig in den USA und Asien eine "Geschäftsausweitung" ermöglichen.

In Europa und Amerika rechnen sie nach eigenem Bekunden damit, dass es noch in diesem Jahrzehnt zu einer "Wiederbelebung des Neubaugeschäfts" kommt. Derzeit bemühen sie sich in Westeuropa um Neubauaufträge in der Türkei, in Finnland und in Frankreich. In Osteuropa wollen sie in der Ukraine und in Rußland jeweils zwei Atomkraftwerksblöcke fertig stellen. Offenbar haben sie auch angeboten, von Westinghouse (BNFL) die Fertigstellung des tschechischen Atomkraftwerks Temelin zu übernehmen. Auch in Weißrußland soll es ein Angebot von Siemens und Framatome für den Bau eines Atomkraftwerks geben. In Asien bestehen u.a. in China Chancen für weitere Aufträge.

Abgesehen vom schwierigen Neubaugeschäft ist zu erwarten, dass Siemens und Framatome den Weltmarkt für Nukleartechnik im Bereich von Wartung, Nachrüstung und Brennelementen weiter durchdringen werden.

Im Brennelementegeschäft war Siemens/KWU nach der Übernahme der Advanced Nuclear Fuels Corp. vom amerikanischen Exxon-Konzern bereits seit Jahren die Nummer zwei auf dem Weltmarkt. Siemens und Framatome werden bei Uranbrennstoffen mit einem Marktanteil von 41 Prozent weltweit die Nummer 1 sein. Beide Firmen vereinbarten Ende 1999 auch eine enge Kooperation mit der französischen Atomfirma Cogéma (Betreiberin der WAA La Hague), wonach Paketlösungen für die Versorgung mit und die Entsorgung von Brennelementen angeboten werden sollen. Cogéma wiederum ist Großaktionär von Framatome.

Die Fusion von Siemens und Framatome wird in der deutschen Presse teilweise als Rückzug von Siemens aus dem Atomgeschäft gewertet. Das ist sicherlich insofern nicht ganz falsch, als Siemens akzeptiert, dass in dem gemeinsamen Atomkonzern Framatome die Mehrheit haben und den Vorsitzenden stellen wird. Siemens ist jahrelang mit Neubauprojekten gescheitert und schreibt im Atombereich offenbar rote Zahlen. Es ist offenkundig, dass der Atombereich mit einem Umsatzanteil von rund 2% im Gesamtkonzern keine tragende Rolle mehr spielt. Und sicherlich bietet das Zusammengehen mit Framatome theoretisch die Möglichkeit, sich irgendwann einmal vollständig zurückzuziehen.

Es ist gut möglich, dass die Siemens-Boykott-Kampagne das ihre dazu beigetragen hat, dass Siemens mit einer Minderheitsbeteiligung am neuen Weltmarktführer zufrieden ist. Schließlich beklagte sich Vorstands-Chef Heinrich von Pierer mehrfach, dass die Atomgeschäfte bei nur 2 Prozent Umsatz für 90 Prozent des Ärgers bei Siemens sorgen.

Andererseits muss festgehalten werden, dass Siemens in den letzten beiden Jahrzehnten alles getan hat, um das Atomgeschäft zu erhalten und nach Möglichkeit auszubauen. Die jetzige Fusion ist lange angestrebt worden und schlicht das Resultat der realen Marktverhältnisse. Weltweit rückt die Atomwirtschaft enger zusammen, nur noch wenige Konsortien bemühen sich um Aufträge.

Doch Siemens steigt eben nicht aus wie der einstige Marktführer Westinghouse, sondern katapultiert sich sogar mit Unterstützung von Framatome an die Spitze der Branche. Damit hat der deutsche Atomkonzern die politische Entscheidung getroffen, in dem engen Markt für Atomtechnik jetzt sogar weltweit die erste Geige spielen zu wollen. Siemens möchte so lange wie möglich an dem Risikogeschäft partizipieren und neue Atomkraftwerke bauen ... bis zur nächsten Atomkatastrophe. Der Aufruf zum Boykott von Siemens-Produkten, mit dem Siemens zum Ausstieg aus dem Atomgeschäft bewegt werden soll, hat daher mehr Berechtigung denn je.

Henrik Paulitz

organisiert für die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW den Siemens-Boykott