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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.3.2000

Eskalation im KFOR-Land

Serbische und albanische Nationalisten setzen auf Konfrontation

Der Frühling kommt und die Kriegsspirale auf dem südlichen Balkan dreht sich weiter. Gleich an mehreren Brennpunkten wird derzeit deutlich, dass mit der Stationierung der KFOR-Streitmacht im Kosovo im letzten Juli keineswegs eine Stabilisierung der Region zu erwarten ist. Ganz im Gegenteil: Das Wechselspiel aus Provokationen albanischer Nationalisten und Repression durch das Regime in Belgrad geht weiter. Die Interventionsmächte, in Form ihrer militärischen Institution KFOR und deren zivilem Arm Unmik, gießen dabei Benzin ins Feuer.

Die Entwicklungen der letzten Wochen lassen befürchten, dass aus dem "kalten Frieden" seit der Stationierung der KFOR wieder ein "heißer Krieg" werden könnte. Die Unruhen in der nordkosovarischen Stadt Kosovska Mitrovica machen deutlich, dass um den unklaren Status des Kosovo weiter gekämpft werden wird. Weitere Konflikte, die eng mit der Entwicklung im Kosovo verflochten sind, zeichnen sich um Montenegro, das "Ost-Kosovo" (der Grenzregion des südlichen Serbien zum Kosovo) und in Mazedonien ab. Und natürlich ist die Frage nach wie vor ungeklärt, ob und wie lange sich das Regime von Slobodan Milosevic in Belgrad noch halten kann. Sein Sturz könnte - ganz im Gegensatz zu den Erwartungen des "Westens" - zur weiteren Destabilisierung beitragen, da keinesfalls ausgeschlossen werden kann, dass das Nachfolgeregime nicht noch autoritärer und nationalistischer sein könnte.

Kosovska Mitrovica stellt momentan so etwas wie ein Brennglas dar, in dem die sich widersprechenden politischen Optionen für das Kosovo gebündelt aufeinander treffen. Tagelang gingen im Februar die Bilder von sich bekämpfenden albanischen und serbischen Nationalisten sowie "machtlosen" KFOR-Truppen, die von beiden Seiten attackiert wurden, um die Welt. Als Interpretationsmuster der Konflikte musste wie so oft der angeblich unvermeidbare "ethnische Hass" zwischen beiden Gruppen herhalten.

Dabei zeigt gerade der Konflikt in Kosovska Mitrovica, dass es die gezielten politischen Strategien der nationalistischen Kräfte sind, welche den Konflikt bewusst eskalieren. Der "ethnische Hass" wird von ihnen hergestellt und ist nicht die Ursache der Auseinandersetzungen.

Kosovska Mitrovica zählt etwa 100.000 Einwohner. Die Stadt ist in einen serbisch kontrollierten Norden und einen albanisch dominierten Süden gespalten. Die Grenze bildet der Ibar-Fluss und zwei Brücken, welche die Stadtteile verbinden. Nord-Mitrovica ist eine der letzten größeren Enklaven, in denen nach den Vertreibungen der letzten Monate noch Serben im Kosovo leben.

Die Stadt war nicht immer ethnisch geteilt. Während der Nato-Luftangriffe sind Tausende Albaner von serbischen Paramilitärs aus dem Nordteil vertrieben worden. Der Südteil ist von ihnen während des Kriegs zu großen Teilen zerstört worden. Nach Rückkehr der albanischen Flüchtlinge im letzten Sommer vertrieben albanische Nationalisten ihrerseits serbische Einwohner aus dem Südteil über die Brücke in den Norden. Dort sammelten sich auch viele serbische Flüchtlinge aus umliegenden Dörfern und Städten.

Jetzt fordern die aus dem Norden vertrieben Albaner die Rückkehr in ihre Wohnungen. Dies wird aber von serbischen Nationalisten gewalttätig verhindert. Gleichzeitig können Serben ebenfalls nicht in den Süden der Stadt zurückziehen, weil sie dort zum Opfer von Übergriffen werden können.

Doch die spektakulären Szenen an den umkämpften Brücken von Kosovska Mitrovica sind nur die Oberfläche der eigentlichen Konflikte um die Stadt. So paradox es klingt: Sowohl albanische als auch serbische Nationalisten haben ein Interesse an der Eskalation. Die Flüchtlinge beider Seiten stellen für sie nur billiges Kanonenfutter dar.

Ein zentraler Aspekt der Auseinandersetzungen in Kosovska Mitrovica bildet die Kontrolle des Minenkomplexes von Trepca. "Die Zukunft von Trepca schneidet ins Herz der Identität der Kosovaren. Sein großer Mineralreichtum ist die Basis der Ökonomie des Kosovo", stellt die International Crisis Group (ICG) in einem Dokument vom letzten November fest. (1) In den Minen von Trepca, die wenige Kilometer östlich von Mitrovica liegen, werden verschiedene Mineralien und Erze gefördert. 1996 exportierte der Minenkomplex, dem eine Reihe von Veredelungs- und Verarbeitungsfirmen angegliedert sind, Produkte im Wert von 100 Millionen US-Dollar. 1998 sollen es nach Angaben des serbischen Trepca-Managers Novak Bijelic sogar 370 Millionen US-Dollar gewesen sein. (2) Auch wenn diese Zahlen übertrieben sein mögen, gibt es keinen Zweifel daran, dass Trepca die "größte Exportfirma in der Bundesrepublik Jugoslawiens" ist, wie die ICG schreibt. Vor 1989 hat das Trepca-Kombinat über 20.000 Menschen beschäftigt und war damit der größte Arbeitgeber im Kosovo.

Brennglas Kosovska Mitrovica

Heute stellt Trepca ein Zankapfel von großer materieller und symbolischer Bedeutung dar. 1988/89 protestierte die mehrheitlich albanische Belegschaft gegen die neochauvinistische Politik der serbisch-nationalistischen Fraktion des Bund der Kommunisten Jugoslawiens, die mit Slobodan Milosevic in Belgrad an die Macht gelangt war. Mit Tito-Portraits und Jugoslawienfahnen zogen sie damals nach Pristina, um gegen die drohende Aufhebung des Autonomiestatutes des Kosovo zu protestieren. Nach einem Hungerstreik unter Tage im Februar 1989 wurde praktisch die gesamte albanische Belegschaft entlassen. Seitdem gilt die Auseinandersetzung um die Mine als Beginn der Eskalation im Kosovokonflikt.

Spiel mit gezinkten Karten

Unter der Kontrolle Belgrads wurde die Produktion in Trepca in den 90er Jahren wieder aufgenommen. Jetzt, nach dem Ende des Kriegs, sind die Eigentumsverhältnisse des Kombinats heftig umstritten. Belgrad argumentiert, dass Trepca in den letzten Jahren privatisiert wurde und nun eine Aktiengesellschaft sei. Die Aktien würden von den eng mit dem Regime verbundenen Banken Jugobanka, Beobanka sowie der Versicherungsgesellschaft Dunav gehalten. Die albanische Seite dagegen betrachtet den Trepca-Komplex noch immer als Staatseigentum, wie vor den Massenentlassungen 1988/89. Da sie für eine vollständige Unabhängigkeit des Kosovo eintritt, fielen jugoslawische Staatsbetriebe auf dem Territorium des Kosovo der neu zu gründenden Republika Kosova zu.

Für beide Seiten ist die Mine von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung. Ein unabhängiges Kosovo ohne Trepca verfügte über eine deutlich schwächere ökonomische Basis. Ein von Embargo und Kriegszerstörungen heimgesuchtes "Restjugoslawien" ohne seinen größten Devisenbringer wäre ebenfalls weiter geschwächt.

Doch es geht in Mitrovica nicht nur um die Kontrolle von Trepca, sondern um den gesamten Status des Kosovo. Die albanische politische Elite, die sich aus unterschiedlichen Organisationen rekrutiert, welche teilweise heftig zerstritten sind, ist sich doch weitgehend über eines einig: Kosovo soll unabhängig werden. Diese Meinung teilt auch die überwältigende Mehrheit der albanischen Bevölkerung. Zumindest formal heißt es aber in der UN-Sicherheitsresolution 1244 vom 10. Juni 1999, dass die "territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien" nach dem Waffenstillstand gewährleistet werden soll. Statt an die Macht zu kommen, wurde die albanische politische Elite von KFOR und Unmik lediglich an der Macht beteiligt. Aus dieser "freundschaftlichen Umklammerung" durch KFOR/Unmik versucht sich ein Teil der kosovo-albanischen Staatsführung im Wartestand nun freizumachen. Das Programm ist dabei klar: Vertreibung der letzten Serben aus dem Kosovo und eine Machtverschiebung innerhalb der neu gegründeten Zivilverwaltung zu ihren Gunsten. Von daher ist es keinesfalls verwunderlich, dass sich die Zwischenfälle mehren, in denen albanische Gruppen mit der KFOR zusammenstoßen.

Bei diesen Auseinandersetzungen werden die legitimen Anliegen albanischer Menschen für die Eskalationspolitik missbraucht, denn selbstverständlich ist es ein untragbarer Zustand, dass Albaner aus Nord-Mitrovica auch fast ein Jahr nach ihrer Vertreibung nicht in ihre Wohnungen zurückkehren können. Das selbe gilt für die Bergarbeiter, die vor zehn Jahren gefeuert wurden und bis heute keine Möglichkeit haben, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

Doch auch von Belgrader Seite aus wird der Konflikt in Mitrovica angeheizt. Einerseits wird Nord-Mitrovica zu einer serbisch-nationalistischen Trutzburg aufgebauen, um damit die Option auf eine immer wieder ins Spiel gebrachte Abtrennung des Nordkosovo vom Süden aufrechtzuerhalten. Nach diesen Plänen soll hier eine Art Republika Srpska nach bosnischer Bauart in klein entstehen. Der Norden Mitrovicas könnte das Zentrum einer solchen Entität eines parzellierten Kosovo bilden. Andererseits dient die von serbischen Nationalisten in Mitrovica gesuchte Konfrontation deutlich auch dazu, in Serbien selbst die "nationale Einheit" zu beschwören und das Regime wieder populärer zu machen. Denn alle relevanten politischen Parteien in Serbien, auch die Opposition, sind keinesfalls bereit, einen Verlust Kosovos zu akzeptieren. Gleichzeitig kann damit beweisen werden, dass KFOR/Unmik zu einer Pazifizierung des Kosovo nicht in der Lage sind. So versuchen serbische Nationalisten wie Oliver Ivanovic, Chef des selbsternannten Serbischen Nationalrates, der nicht anerkannten serbischen Parallelregierung im Nordkosovo, in eine bessere Verhandlungsposition mit KFOR/Unmik zukommen.

Serbische Zivilisten, welche aus anderen Teilen des Kosovo nach Nord-Mitrovica geflohen sind, werden in dieser Strategie als Mobilisierungsmasse benutzt. Nach Auskunft von unabhängigen Beobachtern vor Ort halten sich in Nord-Mitrovica aber auch eine Reihe militanter Nationalisten aus der bosnisch-serbischen Republika Srpska und Serbien selbst auf, um die serbischen Nationalisten auch militärisch zu unterstützen.

Die Auseinandersetzung um Mitrovica folgt so der Logik des Krieges, die Jugoslawien seit zehn Jahren heimsucht. Nationalistische Eliten kämpfen um Macht und Einfluss während die Zivilbevölkerung zu ihrem Spielball wird. Gerade in Kosovska Mitrovica ist dies besonders tragisch, weil hier noch vor zehn Jahren die albanischen Beschäftigten von Trepca ihren Kampf mit dem jugoslawischen Gedanken eines sozialistischen-föderalistischen Staates verbanden.

Während momentan kaum damit zu rechnen ist, dass in Kosovo und Serbien eine breitere antinationalistische Bewegung von unten entstehen könnte, bemüht sich KFOR/Unmik nach Kräften dies auch von oben zu verhindern. Mit ihrer Politik im Kosovo haben sie Schritt für Schritt ihr selbstgesetztes Postulat des Aufbaus eines "multiethnischen Kosovo" als Teil von Jugoslawien konterkariert. Zuerst haben sie dem Treiben albanischer Nationalisten zugeschaut, die nach dem KFOR Einmarsch Serben, Roma und Juden vertrieben. Dann führten sie im September 1999 die DM als offizielles Zahlungsmittel ein und verletzten damit die Souveränitätsrechte Jugoslawiens. Im Herbst stimmten sie der Umwandlung der UÇ K in ein "Kosovohilfkorps" unter Führung ehemaliger UÇ K-Kommandeure wie Agim Ceku zu.

Eskalation en gros

Es ist offensichtlich, dass diese Schritte der Politik albanischer Nationalisten dienen, die auf eine Loslösung des Kosovo zielen. Wenn auch nachvollziehbar ist, warum viele Albaner im Kosovo die Unabhängigkeit von einem autoritären Staat wünschen, dessen Regierung sie seit über zehn Jahren rassistisch unterdrückt hat und dessen Antikriegsopposition keine politische Relevanz besitzt, ist andererseits ebenfalls offensichtlich, was eine Unabhängigkeit Kosovos bedeuten würde: Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Montenegro würden einen deutlichen Auftrieb erhalten, was Belgrad zur militärischen Intervention nutzen würde. Ein unabhängiges Kosovo würde auch eine Autonomieerklärung der albanischen Minderheit im benachbarten Mazedonien wahrscheinlicher machen. Ein Auseinanderfallen Mazedoniens würde aber gewiss nicht friedlich verlaufen. Und auch in Ost-Kosovo würde der Konflikt weiter eskalieren: Dort haben in den letzten Wochen Kämpfer einer albanisch-nationalistischen Befreiungsarmee für Presevo, Medvedja, Bujanovac (UÇ PMB) bereits begonnen serbische Polizeikräfte zu überfallen. Die Repression gegen die etwa 100.000 dort lebenden Albaner wird nicht lange auf sich warten lassen.

Boris Kanzleiter

Anmerkungen:

1) Trepca: Making Sense of the Labyrinth, 26.11.1999. http://www.crisisweb.org/. Die International Crisis Group ist ein in Brüssel ansässiger brain-trust, der Politikberatung zum Balkankonflikt betreibt. Sie wird von verschiedenen westlich Regierungen und Stiftungen finanziert. Vorsitzender des Leitungsgremiums ist der ehemalige US-Senator George Mitchell.

2) Nach offiziellen serbischen Angaben in Serbia Today am 6.1.1997 und Angaben des Wall Street Journals vom 22.6.1998.