"Wir werden Neuland betreten"
Interview mit Osaren Igbinoba zum Kongress in Jena
Die Flüchtlingsorganisation The Voice ist Initiator des Flüchtlingskongresses "Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung", der Ende April in Jena stattfindet. Osaren Igbinoba spricht über die Entstehung seiner Organisation und die Entwicklungen der Selbstorganisation von Flüchtlingen in Deutschland. Von der Konferenz erhofft sich The Voice starke Impulse für die Selbstorganisation von Flüchtlingen. Auch die Zusammenarbeit von Flüchtlingen und antirassistischen Gruppen soll dort intensiviert werden.
Wie ist die Organisation The Voice entstanden?
The Voice Africa Forum Jena haben einige Flüchtlinge 1994 in dem Transitlager Mühlhausen in Thüringen gegründet. Wir wollten die Leute sowohl über die politische Situation in unseren Ländern informieren als auch über die Repression, die Flüchtlingen hier entgegenschlägt.
Wie habt ihr euch denn zusammengefunden?
Das war schon ein hartes Stück Arbeit, weil es bei den Leuten viele Ängste gab, sich zu engagieren. Viele befürchteten beispielsweise eine Abschiebung. Doch es war uns sehr wichtig, uns nicht weiter schikanieren und uns mundtot machen zu lassen. Inzwischen sind wir eine selbstorganisierte afrikanische Flüchtlingsgruppe, mit Leuten aus Nigeria, Kamerun, Sierra Leone, Sudan und anderen Ländern. In den letzten zwei Jahren haben wir einige Mitglieder aus verschiedenen Städten und Regionen Deutschlands gewonnen, die wirklich sehr hart daran arbeiten, vielfältige Protestaktionen, Seminare und Diskussionen zu koordinieren.
Wie groß ist The Voice?
The Voice ist nicht wirklich groß, allerdings sind wir sehr engagiert. Wir haben ungefähr 25 Aktivisten. Bis vor kurzem waren wir noch mehr, aber auf Grund der Abschiebung von Mitstreitern ist es oft schwierig, kontinuierlich zu arbeiten. Darüber hinaus unterstützen einige hundert Flüchtlinge die Arbeit von The Voice.
Gibt es neben der afrikanischen Gruppe The Voice noch weitere Flüchtlingsorganisationen, die den Kongress vorbereiten?
Ja, das ist wirklich nicht eine Frage der Nationalität. Die Gesetze hier betreffen alle Flüchtlinge gleichermaßen. Vielleicht sind Afrikaner auf Grund ihrer Hautfarbe stärker von den rassistischen Strukturen betroffen, aber es wird auf dem Kongress nicht nur um die afrikanischen Flüchtlinge gehen. Es ist ein Kongress für alle Flüchtlinge. Auch Flüchtlingsorganisationen aus Kurdistan, der Türkei, aus Asien, Afrika und so weiter bereiten den Kongress vor.
Was sind eure zentralen Forderungen?
Es ist notwendig, dass wir uns zusammenschließen, um gegen die Abschiebungen und gegen die soziale Ausgrenzung vorgehen zu können. Die Anfänge für eine Selbstorganisation von Flüchtlingen in Deutschland sind schon gemacht. Aber wir wollen auch die internationale Sicht auf die Flüchtlingsfrage stärken. Nicht nur in Deutschland sind Flüchtlinge. Wir sind der Meinung, dass wir allerdings hier anfangen müssen, weil die Repression gegen Flüchtlinge hier besonders fürchterlich ist. Es ist unser grundsätzliches Ziel, eine volle soziale und politische Integration der Flüchtlinge mit gleichen Rechten zu erreichen. Das ist politisch gesehen sehr wichtig, denn in den meisten Fällen wird Integration verstanden als Anpassung oder Unterordnung an das deutsche Umfeld.
Gibt es neben den allgemeinen Forderungen wie "gleiche Rechte" oder "offene Grenzen" auch konkrete Schritte, wie ihr euer Ziel erreichen wollt?
Derzeit ist unsere Hauptstrategie, die Selbstorganisation von Flüchtlingen voranzutreiben. Unsere Selbstbestimmung ist außerordentlich wichtig und es ist einer der konkreten Schritte, die Flüchtlinge im Augenblick machen können. Wir werden unser bestes tun, um diese Prozesse zu unterstützen.
Auf jeden Fall wollen wir erreichen, dass die Asylgesetzgebung als ein äußerst rassistisches Gesetz in Deutschland anerkannt wird und dass klar wird, wie der deutsche Staat die Rechte der Flüchtlinge verletzt. Auf dem Kongress werden wir auch die Widersprüche der deutschen Gesetze herausarbeiten. Vor allem wollen wir die Landkreisregelung in Frage stellen, die nicht einmal mit UN-Konventionen im Einklang steht. Die Behörden der Landkreise entscheiden über das Schicksal der Flüchtlinge und oft muss man schon angesichts ihrer Schikanen froh sein, dass man überhaupt bleiben darf. Es ist wichtig zu sehen, dass solche Gesetze der Ausgrenzung eine Art Apartheidregime herstellen. Wir wollen das Thema zu einer internationalen Diskussion machen, damit die Leute wissen, dass Demokratie in Europa Augenwischerei ist, die wir als "rassistische Demokratie" bezeichnen.
Natürlich begrüßen wir offene Grenzen und wir wollen, dass alle Flüchtlinge das Recht haben, in der Welt reisen zu können wie andere auch. Wir kämpfen für eine neue Weltordnung der Solidarität und der Unterstützung von Flüchtlingen, da sie Opfer der weltweiten Ausbeutung sind, bei der Deutschland eine gewichtige Rolle spielt.
Welche Hindernisse seht ihr für die Selbstorganisation von Flüchtlingen?
Die Atmosphäre im allgemeinen ist sehr repressiv, aber in den vergangenen Jahren hat es die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen geschafft, Leute zu ermutigen, sich zu engagieren. Viele Flüchtlinge sind jedoch noch in Gruppen aktiv, die sich entsprechend ihrer Herkunftsländer organisiert haben. Solidarität und politisches Engagement in nur diesen Gruppen reicht meiner Meinung nach nicht aus für die Bekämpfung dieser rassistischen Regierung. Wir müssen eine Kultur der Menschenrechte entwickeln, die jenseits nationaler Grenzen liegt. Dieses Problem muss auf dem Kongress diskutiert werden.
Könnt ihr ein Anwachsen der Selbstorganisationen in den vergangenen Jahren feststellen?
Da muss ich nochmal auf die Karawane zurückkommen, denn sie ist die einzige Initiative, die sich auf die Selbstorganisation von Flüchtlingen konzentriert hat. Um auf deine Frage zurückzukommen, ja, es gibt einen Anstieg, wenn auch nur einen sehr langsamen. Man darf eben nicht vergessen, dass das Umfeld zahlreiche Unsicherheiten für Flüchtlinge produziert; z.B. die Abschiebungen, die Ausgrenzung von der normalen Gesellschaft und die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.
Was sind eure Ziele, die ihr auf dem Kongress erreichen wollt?
Wir wollen das europäische Publikum darüber informieren, dass wir hier sind, weil sie nicht aufhören, unsere Länder zu zerstören - das wird ein zentrales Thema sein. Wir wollen deutlich machen, dass das rassistische Problem ein Teil der europäischen Kultur ist.
Die Erwartungen an den Kongress sind schon sehr hoch. Seit November haben wir verschiedene Regionen Deutschlands besucht und über den Kongress informiert. Einige der Besuche waren ziemlich erfolgreich. Letztlich wird es jedoch darauf ankommen, dass diejenigen, die zum Kongress kommen, sehr offen für die Unterstützung der Flüchtlinge sind und es gelingt, eine festes Netzwerk - auch mit Flüchtlingsinitiativen außerhalb Deutschlands - zu bilden.
Was erwartet ihr von den deutschen Unterstützungsgruppen?
Es ist ein Flüchtlingskongress. Das bedeutet, ein Kongress, den Flüchtlinge initiiert haben für und mit Flüchtlingen. Mit diesem Kongress werden wir also Neuland betreten und wir werden sehen, inwieweit die deutschen Gruppen sensibel mit den Problemen der Flüchtlinge umgehen.
Bislang klappt die Zusammenarbeit sehr gut und wir finden es wichtig, dass das sehr engagierte Karawane-Netzwerk von Kein Mensch ist illegal, der Antifa und antirassistischen Gruppen unterstützt wird. Einige von ihnen leisten sehr gute Arbeit und tragen dazu bei, dass der Kongress ein Erfolg wird. Die meisten antirassistischen Gruppen werden Flüchtlinge aus ihrer Gegend zu Kongress transportieren, was eine große Unterstützung bedeutet. Auch der finanzielle Teil wird weitgehend von diesen Gruppen übernommen. Das ist schon einmal ein guter Start.
Das wichtigste wird jedoch sein, wie wir die weitere Zusammenarbeit nach dem Kongress gestalten, damit die Kampagne breiter wird und noch mehr Flüchtlinge gewonnen werden können. Die Unterstützung ist also bereits recht gut, wenn auch immer noch nicht genug.
Erhaltet ihr auch Unterstützung für den Kongress von den großen NGOs wie Pro Asyl oder auch von den Kirchen?
Von den Kirchen haben wir bislang für den Kongress keine Unterstützung gespürt. Die Rolle der NGOs ist auch eine wichtige Frage für den Kongress, denn seit der Abschaffung des Grundgesetzartikels 16 1993 haben wir zahlreiche NGOs im Bereich der Flüchtlingspolitik. Doch es ist fragwürdig, was diese NGOs für die Flüchtlinge tun. In einigen Fällen tragen die NGOs sogar dazu bei, die Situation zu normalisieren. Sie tun nicht genug, um das Recht der Selbstorganisation von Flüchtlingen zu unterstützen. Inwieweit sie sich aber in finanzieller Hinsicht engagieren, können wir erst Ende März sagen.
Welche Formen von Dominanz siehst du in der Zusammenarbeit von deutschen Unterstützungsgruppen und den Flüchtlingsorganisationen?
Wir wollen eigentlich nicht verallgemeinern, aber es ist klar, dass Dominanz immer da ist. Zu dominieren ist Teil der europäischen, rassistischen Kultur.
Auch als Flüchtlingsorganisation fühlen wir uns oft von den sogenannten Flüchtlings-Hilfsorganisationen ausgeschlossen, da sie uns meistens nur unter humanitären Aspekten behandeln und nicht sehen wollen, dass die Behandlung von Flüchtlingen auch eine Frage der rechtlichen Voraussetzungen, der Menschenrechte aller ist. Du findest eine Menge sozialer Organisationen, die die Flüchtlinge - und nicht die rassistischen Gesetze - als Problemfall ansehen und damit das ganze repressive System unterstützen.
Es liegt natürlich auch an den Flüchtlingen, die deutlich machen müssen, was sie wollen und wie sie ihre Probleme einschätzen. Dies ist lange kaum passiert, obwohl sich in Deutschland alles verschlechtert hat. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass die Idee mit dem Kongress aufkam. Jetzt müssen wir uns endlich engagieren und den Leuten, die Flüchtlinge unterstützen wollen, sagen, dass sie näher an die Flüchtlinge herankommen sollen, dass ihre Fähigkeit, Flüchtlinge zu unterstützen, davon abhängt, wie viele Flüchtlinge sie kennen, wie viele sie unterbringen können und was sie sonst noch direkt für Flüchtlinge tun können.
Habt ihr unterschiedliche Strategien für die Selbstorganisation gegen die Repression des Staates auf der einen Seite und für die Selbstorganisation, um sich gegen Nazi-Angriffe zu verteidigen ?
Wir müssen das auf jeden Fall zusammenbringen, denn die Nazis und die Naziparteien existieren ja, weil sie Unterstützung von den Deutschen und der Politik haben. Wie sollen wir da diese Leute vom Repressionsapparat trennen? Wir wohnen mit Nazis zusammen, seien sie nun aktiv oder passiv - die deutsche Mentalität, Ausländer nicht im Land haben zu wollen ist überall. Es ist schwer, da zu unterscheiden.
Die Nazis sind ein Instrument des Rassismus. Wir alle wissen wie sie die Regierung 1993 bei der Abschaffung des Asylrechtes beeinflusst haben, indem sie Flüchtlingshäuser anzündeten und über ihre Arbeitslosigkeit sprachen. Das Nazi-Problem anzugehen bedeutet für uns mehr, als nur die Nazis auf der Straße zu bekämpfen. Wir müssen vor allem ihre Strategie im Auge haben, Gesetze mit ihren rassistischen Kampagnen zu beeinflussen.
Allein in Thüringen stehen uns bis zum Kongress etwa zehn Naziaufmärsche bevor. Wir wollen die Nazis weniger mit Gewalt bekämpfen, denn wir denken, dass Gewalt nicht weiterhelfen kann. Die Deutschen und die Regierung haben die Verantwortung, die Nazis zu bekämpfen und sie umzuerziehen - und nicht sie zu beschützen, wie sie es jetzt tun. Die Deutschen sollten verstehen, dass die Nazis ein Teil ihrer rassistischen Kultur sind. Die Deutschen tragen die Verantwortung; sie sollten in sich gehen und die Nazis als Verbrecher gegen die Menschlichkeit ansehen.
Interview und Übersetzung: Anke Schwarzer