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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.3.2000

Zweimal Holocaust: Einmal zum Lachen, einmal zum Weinen

Wohin steuert die Aufarbeitung des Holocaust? Martin Walser oder das zentrale Mahnmal in Berlin. Die Versuche, den Holocaust zu Ende zu bewältigen, erweisen sich oft als Bumerangs. Doch wo Debatten und Denkmäler noch scheitern, im Kino scheint es zu gelingen. Keine Aufregung mehr, nein, anything goes in Shoah-business. Milde Sentimentalität, das beruhigende Gefühl, etwas für die historische Umwelt getan zu haben, wird geboten. Die Filme Zug des Lebens und Die letzten Tage fahren volle Kraft in gefühlige Sphären.

Die Geschichte der - nennen wir sie Holocaust-Filme - ist eine Geschichte von Kontroversen, Missverständnissen und angestrengten Diskussionen. Doch seit Roberto Benignis Das Leben ist schön ist das anders geworden. Im Rückblick zeigt Benignis Film ganz offenkundig eine Zäsur an. Das Leben ist schön war skeptisch, aber auch neugierig erwartet worden. Als Komödie überzeugend, gelang dem Film aber noch mehr. Es gelang, recht reibungslos ein bislang tabuisiertes Genre zu etablieren. Aus einem Genre sind unterdessen etliche geworden. Der Holocaust-Film boomt.

Noch Steven Spielbergs Schindlers Liste sorgte für anhaltende und hitzige Debatten. Warum aber hatten alle Benigni plötzlich so lieb? Man war sich nun einig, dass das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte auch ganz entspannt mit genretypischen Mitteln erzählt werden kann. Ja, man war fast erleichtert. Und seitdem flimmern fast pausenlos Holocaust-Filme jeglicher Couleur über die Leinwände. Seien es Remakes wie Jakob, der Lügner, Justiz-Thriller wie Nichts als die Wahrheit, Heimatdramen wie Viehjud Levi, Melodramen wie Tee mit Mussolini oder Gloomy Sunday - Ein Lied von Leben und Tod. Bald hat jedes Format zumindest eine Holocaust-Abteilung eingerichtet und Holocaust-Soaps scheinen nur eine Frage der Zeit.

Gewiss, es gibt nichts dagegen einzuwenden, sich in Filmen mit dem Holocaust zu beschäftigen. Die These von der Unmöglichkeit jeglicher Darstellbarkeit ist als Bilderverbot missverstanden. Sie bezweifelt nur die Überzeugung, die Shoah in einer allgemein gültigen Erzählung stillzustellen. Doch nicht nur die sozusagen amtliche Deutung verhindert eine lebendige Erinnerung. Das unfassbare Grauen bleibt ebenfalls hinter den Kulissen von Filmen verborgen, die Auschwitz zur interessanten Location reduzieren. Der Holocaust verspricht ein ebenso ergiebiger Steinbruch für Filmstorys zu werden, wie es die Eroberung des amerikanischen Westens bereits seit langem ist. Einige wenige Requisiten oder ein appliziertes Foto reichen aus und schon ist im Betrachter der ganze Kontext aufgerufen. Nur, um den Kontext geht es gar nicht mehr - der ist tatsächlich nur noch Setting für die ganz alten Geschichten um Liebe, den Kampf zwischen Gut und Böse, Versuchung und Läuterung. Und so wurde aus Abwehr und angestrengtem Schweigen der Nachkriegszeit hitziges Post-'68-Streiten, wurde bekömmliche Geschwätzigkeit von Heute.

Zwei unterschiedliche Holocaust-Filme erreichen unsere Kinos in diesem Monat: Der Dokumentarfilm Die letzten Tage von James Moll und die Komödie Zug des Lebens von Radu Mihaileanu. Die letzten Tage, präsentiert von der Shoah-Foundation und Big Spielberg himself, kombiniert die Erzählungen von fünf Überlebenden mit Doku-Material aller Art. Vorgeblich wird nichts ausgelassen, sowohl Vorkriegs-, Kriegs- als auch Nachkriegszeit werden angeschnitten. Das ist handwerklich gut gemacht und teils instruktiv, teils rührend im Ergebnis. Zwar ohne belehrenden Off-Kommentar, schlägt aber der pädagogische Impetus, der hier waltet, genau in die Kerbe, die Henryk M. Broder unlängst ausgemacht hatte: "Spielberg gibt dem Holocaust post festum auch einen Sinn, indem er ihn als ,erzieherisches Mittel` einsetzt." (Der Spiegel, 37/1999) Doch die Crux ist, dass hier nicht nur Pädagogik und Sinnstiftung betrieben wird. Nein, in der Shoah Foundation wird die Erinnerung zudem privatisiert und nach kapitalistischen Verwertungsprinzipien organisiert sowie schließlich noch massentauglich frisiert. Diesem Zweck dient auch die Musik, die James Moll dem Film zusetzte, "um ihn noch emotionaler zu machen". Dem Betrachter wird außer tränenduseliger Anteilnahme kaum etwas abverlangt. Das Ringen um historisches Verstehen - ganz abgesehen davon, ob dieses in puncto Holocaust nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist - buchstabieren Moll/Spielberg eben nicht als schmerzhaften Prozess, sondern als emotionale Einfühlung in der Einwegpackung. Dass der millionenfache Mord etwa über menschliches Vorstellungsvermögen hinausginge, dass jede Erklärung am Grauen zerbricht - kein Thema. Die letzten Tage atmen in nahezu jeder Filmminute das Bemühen, den Holocaust in einer konsumkompatiblen Light-Version auf den Markt zu bringen. Bloß nicht beunruhigen oder verschrecken scheint die Vorgabe, der die Inszenierung allzu bereitwillig folgt.

Beunruhigung ist auch nicht das Ziel von Zug des Lebens. Regisseur Mihaileanu hält es an der "Zeit, in einem neuen Stil über die Shoah zu sprechen. Viele haben vor allem den Tod gezeigt. Ich zeige das Leben, das da getötet wurde." Solcherart unbelastetes Komödiantentum kommt an. Die zaghafte Frage, ob man sich dem Holocaust derart nähern könne, wird allerorten im Brustton der Überzeugung mit einem festen "Ja" beantwortet. Doch diese Stimmen wirken ein wenig zu laut, als gelte es, den eigenen leisen Zweifel gleich noch mit zu übertünchen.

Auch Zug des Lebens ist ein ordentlich gemachter Film, die Gags zünden, die Musik von Goran Bregovic (Time of the Gypsies) ist ausgelassen. Kurzum, das Publikum wird unterhalten. Die Story um die Bewohner eines osteuropäischen Stetls, die sich einen Deportationszug kaufen, ihn herrichten, sich teils als Deutsche verkleiden und mitten im Krieg auf die abenteuerliche Reise nach Palästina gehen, ist so grotesk, dass sicher niemand auf die Idee käme, sie mit historischer Realität zu verwechseln. Doch darum geht es gar nicht. Der Film funktioniert einfach zu gut als Komödie. "Das Leben, das da getötet wurde", wird eben nur als Leben gezeigt. Mit der Ermordung wird niemand belästigt. Und das zum Schluss aufgesetzte KZ-Schwarz-Weiß-Foto soll als Ausrufezeichen zwar allen noch mit auf den Heimweg geben: War alles nur Spaß, die Realität war... Ja, aber wie war die Realität? Das Foto ist ein angenehmer Stellvertreter, der den Kontext aufruft, ohne genauer auf ihn eingehen zu müssen. Die schreckliche Realität? Die mag sich jeder später nach den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten hervorholen. Im Kinosaal heißt es hingegen: Mach dir ein paar schöne Stunden mit der schrecklichen Vergangenheit. Die Applikation von dokumentarischem Material in den Spielfilm dient offenbar nur dem Zweck, sich im fiktionalen Bereich umso unbeschwerter austoben zu können.

Ein Oscar für James Moll, ein knappes Dutzend Festivalpreise für Radu Mihaileanu - kein Zweifel, gefühliges Holocaust-Kino ist beliebt. Allerdings hinterlassen diese Erfolgsstorys gerade hier zu Lande einen üblen Beigeschmack. In der Art eines Ablasshandels gibt man sich zwei Stunden Judenvernichtung light, um im Gegenzug von jeglicher Verantwortung freigesprochen zu sein. Und noch mehr: So wie Spielberg über die Shoah Foundation sagte, "Mit diesem Projekt verhindern wir einen zweiten Holocaust!", so kann sich auch der Kinobesucher auf die Schulter klopfen und in die Anti-Nazi-Liga eingemeinden. Vorhin bei der Mülltrennung das ökologische, danach im Kino das historische und politische Gewissen beruhigt. Und es hat gar nicht weh getan...

Tim Gallwitz

Die letzten Tage seit 2. März,
Zug des Lebens ab 23. März im Kino