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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 437 / 13.4.2000

"Papa, was ist ein Fremder?"

Buchrezension

Unverkennbar ist in Jellouns Buch die französische Theorietradition der Auseinandersetzung mit Rassismus, wie sie vor allem durch die Arbeiten von Etienne Balibar und Albert Memmi bekannt ist, auch wenn "Papa, was ist ein Fremder?" gerade keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus anstrebt, sondern ein breiteres Publikum ansprechen soll. Dass sich der deutsche Rassismusdiskurs wesentlich von dieser Tradition unterscheidet, wird bereits an der Übersetzung des Buchtitels "Le rasisme expliqué à ma fille" mit "Papa, was ist ein Fremder?" deutlich: Wird im Französischen von Jelloun mit "Rassismus" das Problem klar benannt und auch auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft verortet, gerät "der Fremde" in der deutschen Übersetzung zum erklärungsbedürftigen Phänomen. Damit spiegelt die Übersetzung die Tradition des deutschen Rassismus-Diskurses wider, der "Rassismus" lange Zeit nur im Nationalsozialismus oder in anderen Ländern verortet hat und für die Gegenwart höchstens von "Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit" zu sprechen bereit war. Durch diese "Problemdefinition", die "Ausländer" und "Fremde" als Kern des Problems angibt, wird gleichzeitig die deutsche Mehrheitsgesellschaft von der Verantwortung zur "Problemlösung" entlastet - denn wenn die "Fremden" das Problem verursachen, dann sind sie auch für die Lösung verantwortlich. Diese "Umdefinition" des Rassismus zur Fremdenfeindlichkeit ist keine rein sprachliche Angelegenheit, sie enthält bereits eine grundlegende Umdeutung eines gesellschaftlichen Problems.

"Papa, was ist ein Fremder?" kann im Wesentlichen zwei potenzielle Zielgruppen ansprechen: Zum einen ein kindliches Publikum im Rahmen einer Vorlesesituation, hier ermöglicht es vor allem, über seine Inhalte ins Gespräch zu kommen. Allerdings bedarf das Vorlesen einer geübten kindlichen "Zuhörerschaft", denn geboten wird in erster Linie Information und weniger Unterhaltung.

Zum anderen liefert es denjenigen Jugendlichen oder Erwachsenen grundlegende Informationen, die sich bisher noch nicht mit Rassismus auseinander gesetzt haben. Gerade in dem von Tabus, "Normalisierungsdebatte" und Problemverleugnungsstrategien abgesteckten Feld der deutschen "Rassismus-Diskussion" kann ein solches Buch interessierten LeserInnen einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex ermöglichen. Hilfreich für dieses Unterfangen sind vor allem die vielfältigen Erklärungen und Begriffserläuterungen - und auch die Wiedergabe der scheinbar "naiven" Fragen von Meriem, der Tochter Jellouns, die sich sicherlich auch einige Erwachsene stellen, aber eben nicht zu fragen wagen. Beispiele hierfür sind etwa die ausführliche Begründung, warum es keine "Rassen" gibt (S. 30 ff.) oder die Auseinandersetzung um die Gefährlichkeit von Kollektivcharakteren, wie z.B. "die Schotten", "die Zigeuner" (S. 54 ff.), aber auch die Erklärung von Begriffen wie "Antisemitismus" (S. 67 ff.) oder "Kolonialismus" (S. 79 ff.).

Gerade auf Grund dieser beiden unterschiedlichen Potenziale - dem Gesprächsanlass und dem grundlegenden Themeneinstieg - wird Jelloun seinem eigenen Anspruch gerecht, einen "pädagogischen Text" (S. 8) geschrieben zu haben. Allerdings bleibt offen, ob er damit auch sein Publikum erreichen kann. Tahar Ben Jelloun wollte "ein Buch für alle", aber in erster Linie für Kinder zwischen 8 und 14 Jahren schreiben. Ob Kinder in diesem Alter tatsächlich aus eigenem Antrieb zu diesem Buch greifen, ist fraglich. Den größten Zuspruch wird "Papa, was ist ein Fremder?" meiner Ansicht nach unter interessierten Erwachsenen finden, die einen allerersten, leicht zu lesenden Einstieg in die Auseinandersetzung suchen.

Zum pädagogischen Duktus des Buches passt auch der große Stellenwert, der der Erziehung im Rahmen der Entstehung bzw. auch der Bekämpfung von Rassismus beigemessen wird. Dass Erziehung als Vermittlung von gesellschaftlichem Wissen eine große Rolle bei der Kontinuität von Rassismus spielt, ist unstrittig. Aber die exponierte Stellung, die Jelloun der Erziehung einräumt, lässt historische Bezüge vermissen, die zur "Erklärung" von Rassismus notwendig sind. Auf Meriems Frage "Also kann eigentlich jeder ein Rassist werden?" (S. 11) antwortet Jelloun beispielsweise, das hänge von der Erziehung ab. Bezüge zur europäischen Gewaltgeschichte als historischer Grundlage für den heutigen Rassismus fehlen in Jellouns Buch weitgehend. Ein Manko, das auch in folgender Passage deutlich wird: "Es ist so viel einfacher, jemandem, den man nicht kennt, zu misstrauen, ihn abzulehnen, als ihn zu mögen. Das liegt an unserem natürlichen Argwohn Unbekannten gegenüber, von dem ich dir anfangs erzählt habe." (S. 50) - nicht nur möchte ich hinzufügen. Denn das Problem des Rassismus besteht ja nicht in erster Linie in der Unkenntnis der anderen, sondern in der scheinbaren Gewissheit über den Charakter und die Absichten der "Fremden" und der auf diesem Wissen aufbauenden Abstimmung des eigenen Verhaltens. Hier spielt das historisch begründete und im kollektiven Gedächtnis und den Traditionen einer Gesellschaft aufgehobene "Wissens" über die "Fremden" eine entscheidende Rolle.

Trotz dieses Fehlens historischer Bezügen, deren Berücksichtigung bei einer tieferen Auseinandersetzung mit Rassismus unabdingbar ist, ist dem Buch Jellouns ein noch breiter Kreis an Leserinnen und Lesern zu wünschen, was hoffentlich mit der im Mai erscheinenden Taschenbuchausgabe gelingen wird.

Katrin Kraus,

Trier

Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist ein Fremder? Gespräch mit meiner Tochter. Rowohlt-Verlag, Berlin 1999, 109 Seiten, gebundene Ausgabe 29,80 DM

Fremden- feindlichkeit oder Rassismus