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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 438 / 11.5.2000

Der Aufstieg des Alejandro Toledo ist aufhaltsam

Hetze, Rechenkunst und Schwindel in Peru

Bis wenige Wochen vor der Wahl sah alles nach einem klaren Wahlsieg des bisherigen Präsidenten Fujimori aus. Doch es kam anders: Fujimori kam nur durch massiven Wahlbetrug in die Nähe der absoluten Mehrheit. Die direkte Verkündung einer weiteren Amtszeit wurde durch Proteste in Peru und wohl auch durch sanften Druck aus den USA und Europa verhindert.

Nun muss sich der Präsident seinem Herausforderer Alejandro Toledo Ende Mai in einer

StichWahl stellen. Die Wahlkampfstrategie Fujimoris bleibt derweil unverändert. Des Schwindels zweiter Teil wird folgen.

Bis vor kurzem war der Name Alejandro Toledo in Peru nahezu unbekannt. Zwei Monate vor den Wahlen vom 9. April lag er in Umfragen noch etwa 30 Prozentpunkte hinter dem amtierenden Präsidenten Fujimori und deutlich hinter seinen oppositionellen Mitbewerbern Alberto Andrade und Luis Castañeda. Niemand interessierte sich für ihn. Seine Wahlkampfkasse war fast leer. Nun ist der Mann, der als Jugendlicher sein Geld als Schuhputzer und Limonadenverkäufer verdiente, zum Helden geworden. Alejandro Toledo hat nicht nur ein beachtliches Wahlergebnis erzielt, er hat das Kunststück fertig gebracht, durch die Mobilisierung Hunderttausender im ganzen Land dem massiven Wahlbetrug der Regierung zu trotzen. In der Stichwahl gegen Fujimori kann er sich der Unterstützung der gesamten Opposition - von links bis konservativ - sicher sein. Die von ihm gegründete Bewegung "Perú Posible" - "Mögliches Peru" wurde nach Fujimoris Gruppierung "Perú 2000" zweitstärkste Fraktion im zeitgleich gewählten Parlament. Mit ihren Verbündeten aus der Opposition hat sie die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht.

Dabei hatte es am Wahlsonntag lange Zeit so ausgesehen, als würde Fujimori die Manipulationen auf die Spitze treiben und sich schon im ersten Wahlgang zum Sieger küren lassen. Die großen, spontanen Solidaritätsdemonstrationen für Toledo haben ihn offenbar zögern lassen. Es dauerte drei Tage, bis das vorläufige amtliche Wahlergebnis, das eigentlich schon am Sonntagabend (9. April) feststehen sollte, bekannt gegeben wurde. Dem Chef der Wahlbehörde ONPE, José Portillo, kam die undankbare Aufgabe zu, die Verzögerungen zu begründen. Am Montag den 10.4. war ihm nichts besseres eingefallen, als seinen zählenden Angestellten bis drei Uhr nachmittags freizugeben, damit sie sich ausschlafen konnten. Danach startete Portillo die ersten Testballons. Er verkündete das Ergebnis einer Teilauszählung: 49,98 Prozent der Stimmen für Fujimori. Ganze 2000 Stimmen hätten dem Präsidenten damit an der absoluten Mehrheit und am Wahlsieg gefehlt. Nach massiven Protesten auf den Straßen und im Ausland schraubte Portillo das Ergebnis dann auf 49,84 Prozent herunter.

Der Verdacht des massiven Wahlbetrugs war damit nicht vom Tisch. Die unabhängige Wahlorganisation Transparencia sah Fujimori bei 48,7 Prozent. Zuvor hatten Meinungsforschungsinstitute auf der Basis repräsentativer Umfragen vor den Wahllokalen nur 42 Prozent für Fujimori und 48 Prozent für Toledo prognostiziert. Transparencia präsentierte allerdings das reine Zählergebnis und hatte eine mögliche Fälschung von Wahlakten nicht mit auf der Rechnung. Schon Tage vor den Wahlen waren Tausende von Wahlbögen mit Kreuzen für Fujimori und seinem Wahlbündnis "Perù 2000" gefunden worden. An verschiedenen Orten tauchten Wahlzettel ohne den Namen Alejandro Toledos auf.

Staatliche Kontrolle über alles

Fujimori erhielt besonders in den sogenannten Notstandszonen, die noch unter Militärkontrolle stehen, überproportional viele Stimmen. Vor allem dann, wenn weder Wahlbeobachter noch Vertreter der Opposition anwesend waren. Nicht selten wurden in entlegenen Provinzen für den Präsidenten über 70 Prozent der Stimmen ausgezählt, während Toledo unter der Zehnprozentmarge blieb. In Rio Tambo erreichte Fujimori mit 95 Prozent sogar ein realsozialistisches Traumergebnis. Unregelmäßigkeiten bei der ONPE rundeten das Bild ab: Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bemängelten, dass die Computerergebnisse bei Stichproben nicht mit den realen Wahlergebnissen übereinstimmten.

Auch für die gleichzeitig stattgefundenen Parlamentswahlen konnte der ONPE-Chef die genaue Zahl der abgegebenen Stimmen nicht ermitteln. Weil angeblich das verantwortliche Personal in den Wahllokalen nicht richtig gezählt hat, gibt es über eine Millionen angekreuzte Stimmzettel, deren Herkunft unbekannt ist. In der dritten Woche nach dem Urnengang sieht sich der offenbar restlos überforderte Herr Portillo immer noch nicht in der Lage, nähere Auskünfte über die Sitzverteilung im neuen Parlament zu erteilen. Es steht zu befürchten, dass gegenüber den Hochrechnungen noch der eine oder andere Sitz verschoben wird. An einer Tatsache allerdings kann Portillo nicht mehr rütteln: Mit knapp über 40 Prozent der Stimmen hat "Perú 2000" die absolute Mehrheit deutlich verfehlt.

Der Schwindel begann nicht erst in der Wahlnacht. Fujimori und sein Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos hatten den Machterhalt von langer Hand vorbereitet. Wichtige Meilensteine waren für sie die Gleichschaltung von Justiz und Medien. Mittlerweile verdanken 70% der Richter im Land ihre Ernennung einer Regierungskommission. Sie können jederzeit abgesetzt werden und stehen damit unter direktem Einfluss der Regierung. Mit Hilfe der Justiz gelang eine radikale Veränderung der Besitzverhältnisse im Mediengeschäft. So wurde dem ehemaligen Besitzer des Fernsehkanals 2, Baruch Ivcher, nach Reportagen über Operationen des Geheimdienstes die peruanische Staatsangehörigkeit entzogen, die laut Gesetz Voraussetzung für den Betrieb einer Fernsehstation ist. Nach seiner Flucht in die USA verurteilte ihn ein Gericht zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen Zollvergehen. Der einst mächtigste Mann im peruanischen Fernsehgeschäft, Genaro Delgado Parker, verlor die Mehrheiten an seinen Sendern nach einer Serie von Prozessen um Aktienvorkaufsrechte. Die ehemaligen Kanäle Ivchers und Delgados sind heute stramm auf Regierungslinie.

Elegantere Methoden ergänzen das Repertoire des Fujimori-Regimes. So sind 1999 um die 60 Mio. US-$ aus dem knappen Staatshaushalt in die Kassen der Fernsehsender geflossen. Damit werden Werbespots finanziert, die unter anderem Fujimoris Leistungen im Straßenbau oder bei der sogenannten Terroristenbekämpfung herausstellen. Ohne den staatlichen Geldregen könnten viele Sender nicht überleben, denn ihre Werbeeinnahmen gingen 1998 auf Grund der Rezession um 50% zurück. Ein Beispiel für die Folgen: Cecilia Valenzuela, Moderatorin eines politischen Magazins im Kanal 9, erhielt die fristlose Kündigung, nachdem die Regierung Zuwendungen für den Sender von ihrem Ausscheiden abhängig gemacht hatte.

Die Sensationspresse - an Tausenden von Kiosken mit halbnackten Fotomodellen auf den Titelseiten werbend - übertrifft das Fernsehen noch. Redakteure eines der Schmierblätter gaben zu, dass die Schlagzeilen im Wahlkampf täglich frisch vom Geheimdienst SIN geliefert werden. Für deren Übernahme und das Erfinden einer dazu passenden Lügengeschichte sollen pro Ausgabe 6000 US-$ in die Taschen der Verleger fließen.

Rechenkünstler am Werk

Alejandro Toledo verdankt seinen Aufstieg nicht zuletzt den ekelhaften Hetzkampagnen der Sensationspresse gegen die zunächst chancenreicheren Oppositionskandidaten Alberto Andrade und Luis Castañeda. Ihn selbst traf es erst, als er in den Umfragen derart zulegte, dass er für Fujimori gefährlich wurde. Da machte die Boulevardpresse schnell eine uneheliche Tochter Toledos ausfindig, für die der vermeintliche Rabenvater nicht gerade stehen will. Die Mutter des angeblich verlassenen Kindes durfte sich in einer Talk-Show mit höchsten Zuschaltquoten ausweinen. Und die am Tropf der Regierung hängende Zeitung "Expreso" recherchierte umgehend, dass Toledo Berater eines gewissen Carlos Manrique gewesen sein soll. Der sitzt heute hinter Schloss und Riegel und hatte zuvor Millionen von Sparern um ihr Kleinvermögen gebracht - einer der größten Finanzskandale der peruanischen Geschichte.

Internationale WahlbeobachterInnen vom Carter-Center aus den USA, der Internationalen Menschenrechtsföderation FIDH oder der OAS waren vor dem ersten Wahlgang zu dem Schluss gelangt, dass ein freier und gerechter Wahlprozess nicht gewährleistet sei. Doch die Regierung ließ sich von ihnen nicht in ihrem betrügerischen Treiben stören. Für Francisco Tudela, Fujimoris Kandidat für das Vizepräsidentenamt, sind die Beobachter schlicht und einfach Kolonialisten.

Toledo knüpfte seine Teilnahme am zweiten Wahlgang zunächst an einige Bedingungen. Er fordert die Ablösung des Chefs der Wahlbehörde und seiner Führungsriege in der ONPE, die auch mit der Fälschung von einer Million Unterschriften für die Zulassung von Fujimoris Wahlliste "Peru 2000" in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus drängt Toledo auf den Abschluss eines Fairnessabkommens mit Fujimori und auf einen besseren Zugang zu den Medien. Noch drei Tage vor den Wahlen hatte er ohnmächtig hinnehmen müssen, dass Fujimoris Abschlusskundgebung von allen Fernsehkanälen stundenlang live übertragen wurde, während seine eigene Wahlveranstaltung in Cusco nahezu unbeachtet blieb. Und am Abend des Wahlsonntags hatten fast alle Kanäle spannende Spielfilme im Programm. Nicht einmal die Zwischenergebnisse oder das hilflose Gestammel eines José Portillo wurden eingeblendet. Ein einziger Kabelkanal übertrug die Geschehnisse des Abends direkt: die Pressekonferenz im Hotel Sheraton, auf der die unterlegenen Oppositionskandidaten Toledo ihre bedingungslose Unterstützung für die zweite Runde zusicherten, und Toledos Rede vor Tausenden von Menschen, in der er gegen den drohenden Wahlbetrug protestierte. Vor den Wahlen hatten verschiedene Sender nicht einmal bezahlte Wahlspots Toledos angenommen.

Das Problem Toledos: Wenn er jetzt zum zweiten Wahlgang antritt, erkennt er damit das Ergebnis der ersten Betrugsrunde an. Danach fehlen dem Präsidenten weniger als 15.000 Stimmen zur absoluten Mehrheit. Außerdem macht Fujimori keinerlei Anstalten, auf Toledos Bedingungen einzugehen. Er wird weder das Personal der ONPE auswechseln, noch ein Fairnessabkommen unterzeichnen. Und erst recht wird er seine Medienpolitik nicht ändern.

Kampf dem Kolonialismus

Die Aussichten Toledos, sich in der Stichwahl gegen den geballten Machtapparat der Regierung oder neuerliche Wahlmanipulationen durchzusetzen, sind äußerst gering. Dennoch wittert die peruanische Opposition Morgenluft. Toledo steht für ihre Hoffnungen auf ein Ende der Gleichschaltung von Justiz und Medien. Der ehemalige Harvard-Dozent und Mitarbeiter der Weltbank ist allerdings kein Linker, wie es die spanische Zeitung ABC schrieb. Er behauptet von sich, Anhänger jenes angeblich dritten Weges zu sein, den die Herren Clinton und Blair eingeschlagen haben. Zumindest setzt er sich vom neoliberalen Wirtschaftskurs Fujimoris ab und verspricht eine soziale Marktwirtschaft mit menschlichem Antlitz. Er möchte die Hungerlöhne der LehrerInnen und der ÄrztInnen in öffentlichen Krankenhäusern erhöhen und allen BürgerInnen einen Anspruch auf medizinische Versorgung zugestehen. Und er sagt der unter Fujimori auf Rekordhöhe gestiegenen Arbeitslosigkeit den Kampf an.

Sollte Fujimori die Stichwahl nur auf Grund erneuter rechnerischer Glanzleistungen eines José Portillo gewinnen, dann dürften ihm ebenfalls schwierige Zeiten bevorstehen. Sogar in den Streitkräften könnte es dann rumoren. Eine anonym gebliebene Gruppe von Offizieren im Ruhestand warnte den Präsidenten vor kurzem vor wachsender Unruhe in der Truppe. Doch sollte der Druck auf die Regierung in den nächsten Wochen nicht nachlassen, könnte Fujimori dem Beispiel seines ehemaligen indonesischen Kollegen und Gesinnungsgenossen Suharto folgen, sein Amt an den Vizepräsidenten Francisco Tudela weitergeben und sich selbst formal zurückziehen. Das wäre für ihn immer noch besser als eine Wahlniederlage. Denn unter einem Präsidenten Toledo müsste er sich mit seinem Geheimdienstchef Montesinos womöglich vor der Justiz verstecken.

Rolf Schröder