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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 438 / 11.5.2000

Montenegro im Schwebezustand

Das Land balanciert zwischen Krieg und Frieden

Es ist schon Mai, und in Montenegro ist immer noch Frieden. Diese gute Nachricht mag überraschen, denn bereits vor Wochen hatten die Medien die erneute Kriegsgefahr in Ex-Jugoslawien beschworen. Fast schien es so, dass durch diese nervöse Berichterstattung ein Krieg erst herbeigeredet werden könnte - im Sinne einer sich selbst erfüllenden Voraussage. Dabei ist die Warnung vor einem Konflikt berechtigt. Schon während des Kosovokrieges wurde wiederholt die Befürchtung geäußert, die bewaffnete Konfrontation könnte sich auf Montenegro und andere Nachbarstaaten ausweiten.

Nach den bewaffneten Konflikten gegen Slowenien, Kroatien und Bosnien sowie dem Kosovo hätte Slobodan Milosevic sicherlich noch immer die Mittel zu einer weiteren Aggression. Aber der serbische Diktator erwies sich auch diesmal wieder als unberechenbar: Bisher hat er nicht angegriffen. Vielmehr gab sich dieser schlaue Fuchs scheinbar gelassen: "Wenn die Einwohner von Montenegro sich entscheiden, ein Leben außerhalb von Jugoslawien sei besser, dann haben sie das Recht ein solches Leben zu wählen. Wenn aber die Einwohner von Montenegro denken, ein Leben innerhalb Jugoslawiens sei die optimale Lösung, dann sollten sie dabei bleiben." (1) Wer allerdings das "Heft des Handelns" allein beim serbischen Präsidenten angesiedelt sieht, legt die Verantwortlichkeiten für jedwede weitere Eskalation von vornherein einseitig fest.

Seit zehn Jahren dauert der blutige Zerfallsprozess der alten sozialistischen Republik Jugoslawiens an. Die beiden verbleibenden Teilrepubliken Serbien und Montenegro gründeten am 22.2.1992 die Bundesrepublik Jugoslawien. Unter den Montenegrinern sprach sich damals eine Mehrheit von rund sechzig Prozent für einen staatlichen Zusammenschluss mit Serbien aus. Ein Grund für die heutigen Spannungen ist, dass dieser Zusammenschluss von vornherein ein Bündnis zwischen ungleichen Partnern war. Montenegro stellt mit seinen 615.000 Einwohnern nur sechs Prozent der Gesamtbevölkerung und nur fünfzehn Prozent der Fläche. Obwohl die Montenegriner in den bundesstaatlichen Gremien proportional zur Einwohnerzahl überrepräsentiert waren, konnte diese scheinbare Privilegierung das tatsächliche Ungleichgewicht nie ausgleichen.

Bruch der Bundesrepublik

Zum einem ersten Bruch kam es im Jahre 1997, als sich in Montenegro Präsident Momir Bulatovic mit seinem Parteifreund Ministerpräsident Milo Djukanovic überwarf. Bei den Präsidentschaftswahlen am 5.10.1997 wurde der Machtkampf zu Gunsten Djukanovic entschieden, Bulatovic schied aus der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) aus und gründete mit seinen Anhängern die Sozialistische Volkspartei (SNP). Indem sich der serbische Präsident Slobodan Milosevic auf die Seite von Bulatovic stellte, führte der Konflikt schließlich zum politischen Bruch zwischen Montenegro und Serbien.

Bulatovic, der ja gerade die Präsidentschaftswahlen in Montenegro verloren hatte, stieg mit Hilfe von Milosevic am 21.5.1998 zum Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien auf. (2) Daraufhin brach die montenegrinische Regierung im August 1998 die politischen Beziehungen zur jugoslawisch-serbischen Regierung in Belgrad ab. Seitdem existiert die "Bundesrepublik Jugoslawien" nur noch auf dem Papier.

Seit dem Ende des Kosovokrieges im Juni 1999 versucht die Regierung in Podgorica zu einer friedlichen Regelung mit der Bundesregierung im Belgrad zu kommen, um von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen zu können. So hatte die montenegrinische Führung am 5.8.1999 der Bundesregierung in Belgrad Vorschläge zur konstitutionellen Neuregelung der föderalen Strukturen gemacht. Diese sogenannte Plattform sieht eine weitgehende Autonomie Montenegros innerhalb des jugoslawischen Staates vor. "Verbund Montenegros und Serbiens" sollte diese neue Konföderation heißen.

Armee gegen Polizei

Allerdings verband der montenegrinische Präsident Djukanovic sein Angebot mit einer politischen Drohung. Wenn die Führung in Belgrad seinen Gesprächsvorschlag ablehne, werde er ein Volksreferendum über die Unabhängigkeit Montenegros durchführen. Aber bisher traute sich die montenegrinische Regierung noch nicht, ihre eigene Ankündigung wahr zu machen. Ein Referendum über die Unabhängigkeit wäre für das Regime in Belgrad der "Casus Belli" Nachdem dieses erst Ende Februar auf unbestimmte Zeit verschoben worden war, kündigte der montenegrinische Wirtschaftsminister Vojin Djukanovic am 3. April 2000 an, dass das Referendum "so früh wie der Frühling" stattfinden solle.

Will die montenegrinische Bevölkerung überhaupt die von ihrer Regierung angestrebte Unabhängigkeit? Tatsächlich sprachen sich in einer aktuellen Meinungsumfrage nur 47 Prozent der Bevölkerung dafür aus, darunter moslemische und albanische Bevölkerungskreise, deren Vertreter von Djukanovic in seine Regierung aufgenommen wurden. Immerhin 37 Prozent der Bevölkerung, Anhänger der serbisch-orthodoxen Kirche, lehnen jedoch eine Abspaltung von Jugoslawien explizit ab. (New York Times, 28.3.2000)

Die politischen Spannungen zwischen Serbien und Montenegro werden durch das ökonomische Zerwürfnis untermauert. Am 2. November 1999 führte die montenegrinische Regierung die D-Mark zusätzlich zum jugoslawischen Dinar als offizielles Zahlungsmittel ein. Sämtliche Staatsbediensteten werden seitdem in D-Mark ausgezahlt. Ein Wechselkursmechanismus wurde zwischen beiden Währungen festgelegt. Gleichzeitig wurde der Preis für Benzin um 21 Prozent erhöht. Mit diesen Schritten folgte die montenegrinische Regierung den Empfehlungen ihres amerikanischen Wirtschaftsberaters Steve Hanke. Momcilo Vucetic, Parlamentsabgeordneter der sozialistischen Partei, nannte die Einführung einer Parallelwährung in Montenegro "einen typisch-separatistischen Akt".

Die montenegrinische Regierung hat ihre berechtigten Interessen an einer ökonomischen Abkopplung von Serbien. Zum einen hat sie seit dem politischen Zerwürfnis mit der Regierung in Belgrad keinen Einfluss mehr auf die Finanzpolitik der jugoslawischen Zentralbank. Der zweite Grund lieg im Niedergang der jugoslawischen Wirtschaft in Folge der Zerstörungen durch die NATO-Luftangriffe und durch das internationale Embargo. Die EU schätzt die Kosten allein für den Wiederaufbau im Kosovo auf 70 Mrd. DM. Demgegenüber nimmt sich die internationale Balkanhilfe bescheiden aus. Außerdem wird Serbien von allen Hilfsleistungen grundsätzlich ausgeschlossen.

Auch tiefer liegende, ideologische Gründe sind für die ökonomische Abspaltung Montenegros ausschlaggebend. Die alte sozialistische Planwirtschaft soll überwunden und der eigene Markt für dringend benötigte Auslandsinvestitionen geöffnet werden. Dazu wurde ein Programm zur Privatisierung der bisherigen Staatsunternehmen eingeleitet. Langfristig wird eine Aufnahme in die Europäische Union angestrebt. Aber fraglich ist, ob ein unabhängiges Montenegro überhaupt ökonomisch überlebensfähig wäre. Zur Zeit beträgt die dortige Arbeitslosenquote 80 Prozent. (Washington Times, 2.11.99)

Die Nationalbank in Belgrad reagierte auf den montenegrinischen Schritt damit, dass sie zunächst sämtliche Finanztransaktionen zwischen Serbien und Montenegro verbat. Seit dem 6. März 2000 haben serbische Polizeikräfte die Grenze für jeglichen Güterverkehr gesperrt. Durch diese drastische Maßnahme versucht die Regierung in Belgrad, die Montenegriner quasi auszuhungern. Für teurere Lebensmittelimporte aus dem westlichen Ausland stellte die US-Regierung 70 Millionen DM Soforthilfe bereit. (FAZ, 9.11.99)

Ein bewaffneter Konflikt zwischen Serbien und Montenegro wäre ein Bürgerkrieg. In Montenegro ist die Zweite Armee des jugoslawischen Heeres mit bis zu 15.000 Soldaten stationiert. Als zu Beginn des Kosovokrieges deren Kommandeur General Radosav Martinovic durch General Milograd Obradovic ersetzt wurde, sahen viele darin ein Vorzeichen für einen von Belgrad organisierten Umsturz. Erstmals wurden damals Befürchtungen laut, dass es bei Ausdehnung des Konfliktes zu Kämpfen zwischen Montenegrinern und Serben kommen können. Dies wäre ein ungleicher Kampf. Montenegro ist auf einen Krieg gegen Serbien allein schon deswegen schlecht vorbereitet, weil es über keine eigene Armee verfügt. Da ein einzelner Staat nicht zwei verschiedene Streitkräfte unterhalten kann, baute die montenegrinische Regierung ihre Polizei zu einem paramilitärischen Ersatzheer aus. Die Zahl der Polizisten wurde im Frühjahr 1999 vorsichtshalber von 10.000 auf 15.000 Mann erhöht.

Dies wiederum veranlasste die Bundesregierung in Belgrad dazu, einen Teil der Militäreinheiten, die aus dem Kosovo abgezogen werden mussten, ausgerechnet nach Montenegro zu verlegen. Außerdem sollen in den letzten Monaten rund 2.000 serbische Freischärler von Kosovo nach Montenegro eingesickert sein. (Washington Times, 2.11.99) So blieb es nicht nur beim propagandistischen "Krieg der Worte"; vielmehr versuchten beide Seiten sich durch eigene Mobilmachungsanstrengungen in eine militärisch günstigere Ausgangslage zu bringen. Zusätzlich versuchte die montenegrinische Regierung, die auf ihrem Territorium stationierten jugoslawischen Soldaten auf ihre Seite zu ziehen, indem sie ihnen ihren Sold in konvertibler Währung (D-Mark) auszahlt. Frühere Generäle der jugoslawischen Streitkräfte wurden von der montenegrinischen Regierung als Militärberater angeworben, darunter der ehemalige Armeechef Radoslav Martinovic und der einstige Geheimdienstchef Nedjeljko Boskovic.

Marschbefehl für die Bundeswehr?

Zu einem ernsten Zwischenfall kam es am 9.12.1999, als die Belgrader Regierung den Flughafen der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica durch jugoslawische Soldaten besetzen ließ, um zu verhindern, dass montenegrinische Polizei auf dem Airportgelände einen eigenen Hangar errichtet. Die jugoslawische Regierung gab zur Begründung an, sie wolle damit einer Enteignung "ihres" Flughafens zuvorkommen.

Manche Beobachter weisen darauf hin, Milosevic könnte einen Konflikt mit Montenegro provozieren, um seine schwindende Machtposition in Serbien zu stabilisieren. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage sind zwei Drittel aller Serben mit der Amtsführung von Slobodan Milosevic unzufrieden. Die Führung in Belgrad verschärft zur Zeit ihre Repressalien gegen oppositionelle Medien. Gleichzeitig wurde durch eine Wahlrechtsrechtsnovelle vom April 2000 zukünftig die ethnischen Minderheiten in der Länderkammer kaum mehr repräsentiert sein.

Die NATO hatte schon auf ihrem Geburtstagsgipfel in Washington am 23. April 1999 eine "starke Unterstützung" für die sogenannte Demokratiebewegung in Montenegro fest versprochen. Auf eine mögliche Abspaltung von Jugoslawien reagieren die USA und ihre westeuropäischen Regierungen eher ablehnend. Eine andere Frage ist, wie sich die NATO im Falle eines jugoslawisch-serbischen Angriffes auf Montenegro verhalten wird. Der damalige Oberbefehlshaber General Wesley Clark erklärte hierzu höchst ambivalent: "NATO will do or not do the things it needs to do or not do." (Reuters, 13.3.2000)

Um eine serbische Militäraktion gegen die montenegrinische Regierung abzuschrecken, könnte die NATO theoretisch Militäreinheiten an der Grenze zu Montenegro konzentrieren. Dies kommt real nicht in Frage, weil gerade durch eine solche Massierung von Truppenteilen erst eine jugoslawische Präventivaktion provoziert werden könnte. In Berlin ließ Christoph Zöpel, Staatsminister im Auswärtigen Amt, offen, ob die NATO gegebenenfalls erneut Krieg gegen Serbien führen solle: "Diese hypothetische Frage kann losgelöst von den konkreten Umständen nicht beantwortet werden." (3) Der jugoslawische Journalist Andrej Ivanji kommentierte die bisher verhaltenen Beistandsbekundungen der NATO mit folgenden Worten: "Nach den Erfahrungen der Kosovo-Albaner fürchten die Montenegriner nichts mehr als einen Schutz der Nato." (4)

Gerhard Piper

Der Autor ist Redakteur der antimilitarismus information (ami), Berlin.

Anmerkungen:

1) Justin Raimondo, Behind the Headlines, 7.1.2000

2) Andrej Ivanji, Montenegro fürchtet nur den Schutz der NATO, in: Thomas Schmid, Krieg im Kosovo, Hamburg 1999

3) Christoph Zöpel, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU - Politische Entwicklungen in Montenegro, BT-Drucksache Nr 14/1748

4) Andrej Ivanji, Montenegro fürchtet nur den Schutz der NATO, in: Thomas Schmid, Krieg im Kosovo, Hamburg 1999

Des Weiteren wurde auf Quellen vom Institute for War & Peace Reporting (www.iwpr.net) und Radio B2-92, FreeB92 News (www. freev92.net) zurückgegriffen.