Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 438 / 11.5.2000

Studieren - aber bitte mit Kohle

Studiengebühren im Anmarsch

"Die Studiengebührenfreiheit ist gesichert!" Diese Schlagzeile wird uns wohl entgegenspringen, wenn die Kultusministerkonferenz (KMK) voraussichtlich am 25./26. Mai 2000 per Staatsvertrag genau das Gegenteil beschließt: Das Studium in Deutschland wird prinzipiell gebührenpflichtig. Dies ist nicht nur ein weiterer Schritt zur Beseitigung der letzten Reste von Chancengleichheit. Er wird das Gesicht der Hochschulen grundlegend verändern und ist ein Meilenstein für die neoliberale Zurichtung der Gesellschaft. Weitere Privatisierungen im Bildungsbereich werden folgen.

Oberflächlich betrachtet, ist es lediglich ein weiteres gebrochenes Wahlversprechen der rot-grünen Bundes- und zahlreicher gleichfarbiger Landesregierungen. Unter dem Eindruck der Studierendenstreiks vom Winter 1997/98 beeilte sich die damalige Opposition aus SPD und Grünen, ein Verbot von Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz (HRG) zu fordern, und schrieben das in den Koalitionsvertrag. Doch davon ist heute keine Rede mehr.

Nach mehreren Aufweichungen ("gebührenfreies Erststudium", "Staatsvertrag") wird sich die KMK vermutlich Ende Mai per Staatsvertrag zunächst für zwei bis vier Jahre auf das "Studienkontenmodell" des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Zöllner (SPD) einigen. JedeR Studierende darf dann nur noch eine festgelegte Anzahl von Lehrveranstaltungen kostenfrei besuchen. Für jede weitere können Gebühren erhoben werden. Voraussichtlich werden die Konten mit 200 Semesterwochenstunden gefüllt und damit ca. 20% über der Anzahl der Pflichtveranstaltungen liegen, die durchschnittlich zum Abschluss eines Studiums besucht werden müssen. Bleibt bei Studienende noch etwas übrig, kann es für eine spätere Weiterbildung genutzt werden wenn nicht, dann nicht. Studieren wird in Deutschland also prinzipiell gebührenpflichtig, auch wenn zunächst noch ein temporärer Gebührenerlass gewährt wird. Bildung wird zum geldwerten Gut, von dem jedeR nur eine kleine Ration kostenfrei zugeteilt bekommt - und das an der Schwelle zur vielbeschworenen Wissensgesellschaft und in einer bürgerlichen Demokratie, in der Information und Wissen theoretisch Grundvoraussetzungen für verantwortliche Teilhabe und Mitgestaltung sind.

Vor diesem Hintergrund, aber auch angesichts der starken bildungspolitischen Tradition z.B. der Gewerkschaften und der durchaus emphatischen Reformen im Bildungswesen Anfang der 70er Jahre (Öffnung der Hochschulen, Ausbildungsförderung durch BAföG) ist es zunächst verwunderlich, dass sich nur unter den Studierenden Widerstand gegen die Einführung von Studiengebühren regt. Wie kann es sein, dass sich selbst als "fortschrittlich" oder "emanzipatorisch" begreifende Kräfte diesen einschneidenden gesellschaftspolitischen Veränderungen nahezu keine Bedeutung zumessen?

Bildung wird zum geldwerten Gut

Daran zeigt sich zweierlei: Erstens, dass die neoliberale Ideologie und vor allem der Herrschaftsmechanismus "Konkurrenz" tief in das Denken eines Großteils der Bevölkerung eingedrungen ist. Und zweitens, dass die Auswirkungen von Studiengebühren auf das Hochschulsystem und damit auf einen zentralen Ort gesellschaftlicher Fortentwicklung und Problemlösung völlig unterschätzt wird.

Dass die "leeren öffentlichen Kassen" ebenso Produkt bewusster politischer Entscheidungen sind, wie die Verschiebung der verbliebenen Steuerlast von oben nach unten (vgl. ak 437), ist inzwischen eine Binsenweisheit. Um so erstaunlicher, dass es so leicht gelingt, Missgunst und Konkurrenz zwischen den vom Sozialabbau betroffenen Gruppen zu schüren und ein gemeinsames politisches Handeln derselben zu verhindern. Jahr für Jahr werden die staatlichen Ausgaben für kulturelle, soziale und bildungspolitische Belange gekürzt. Für immer mehr Menschen nimmt die Existenzangst und Angst um den Arbeitsplatz zu, droht Armut trotz Erwerbsarbeit oder die Kürzung staatlicher Sozialleistungen.

Diesen Umstand machen sich die BefürworterInnen von Studiengebühren zu Nutze. Seit Jahren wächst der Druck auf vermeintlich faule Langzeitstudierende, die angeblich die Hochschulen verstopfen. Angesichts der desolaten Studienbedingungen und der Tatsache, dass inzwischen z.B. 75% der Studierenden in Hamburg neben ihrem Studium jobben müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, eine recht fragwürdige Unterstellung. (1) Und diese Argumentation hinkt: Wenn diese Studierenden wirklich so faul sind und nicht studieren, wie können sie dann für überfüllte Seminare und Bibliotheken sorgen? Sie nehmen auch niemandem einen Studienplatz weg, da die Gesamtzahl der Studierenden bei der Berechnung der StudienanfängerInnenplätze überhaupt keine Rolle spielt.

Geradezu meisterlich beherrscht das Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann-Stiftung diese Kunst der Desinformation mit dem Ziel, die Studierenden zu privilegierten, faulen Sozialschmarozern zu stempeln und Studiengebühren als sozial- und verteilungspolitischen Segen erscheinen zu lassen. Höhepunkt ist ein Gutachten, das zu der populistischen These "Friseurin bezahlt das Studium des Zahnarztsohns" führte und sich bis heute hartnäckig in der Auseinandersetzung hält. Ein gebührenfreies Studium sei Umverteilung von unten nach oben, die durch Studiengebühren gemindert werden könnte, so die "WissenschaftlerInnen". Dass diese These angesichts der realen Befunde der Studie ein Witz ist, stört dabei wenig. (2) Was haften bleibt, ist die Botschaft, dass die ohnehin bedrängten "kleinen Leute" das Studium der Chefs von morgen bezahlen.

Dies sind nur zwei Beispiele für die Art und Weise, mit der Akzeptanz für die Einführung von Studiengebühren, mindestens für sogenannte "Langzeitstudiengebühren", bis weit in die Gewerkschaften hinein geschaffen wurde.

Nun werden die Bemühungen der BefürworterInnen von Studiengebühren aller Wahrscheinlichkeit nach Erfolg haben. Die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Chancengleichheit und den Hochschulzugang für Menschen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten - und insbesondere für Frauen - werden erheblich sein. Doch nicht so sehr die Gebühreneinnahmen (3), sondern vor allem auf die Steuerungseffekte kommt es den BefürworterInnen an.

Studiengebühren werden das Verhalten der Studierenden, die Ausrichtung und den Charakter der Hochschulen völlig modifizieren.

"...der Markt entscheidet,
was innovativ ist"

Bereits durch das zu erwartende Studienkontenmodell ändert sich die Situation der Studierenden grundlegend. Von Beginn an müssen sie sich fragen, ob der Besuch einer Lehrveranstaltung zur Erreichung des Studienabschlusses unbedingt notwendig ist. Der Blick über den Tellerrand des eigenen Studienfachs oder auch nur die Vertiefung bereits vorhandenen Fachwissens wird zum Luxus, der u.U. teuer werden kann und in jedem Fall Weiterbildungschancen schmälert. Ein Wechsel des Studienfachs wird kaum mehr möglich sein. Das Verhältnis der Studierenden zu den Angeboten der Uni wird zwangsläufig ein ökonomisches werden. Neugier und Erkenntnisinteresse allein genügen nicht mehr - mensch muss es sich auch leisten können. Mit Emanzipation, Persönlichkeitsbildung oder selbstbestimmter Urteilsfähigkeit hat das alles gar nichts mehr zu tun. Was noch gewährt wird, ist eine eingeschränkte Einheits-Fachausbildung.

Der Übergang zu kreditfinanzierten Studiengebühren - entsprechende Modelle liegen bereits vor (4) - hätte noch weit reichendere Folgen. Dann wäre bereits die Studienfachwahl massiv von den späteren Chancen am Arbeitsmarkt beeinflusst. Ein Studium wäre endgültig eine reine Investition in die eigene Arbeitskraft mit hohem Risiko, die später eine entsprechende Rendite abwerfen müsste u.a. um die Gebührenschulden zu bezahlen. Dieser neue Typus des Einzelnen unter den verschärften Konkurrenzbedingungen des neoliberalen Marktes wird in der Soziologie inzwischen als "Arbeitskraftunternehmer" bezeichnet. (5) Gemeint ist damit, dass jegliche Handlung durch Selbstkontrolle daraufhin überprüft wird, ob sie der Verwertbarkeit der eigenen Arbeitskraft nützt.

Gegenseitige Vernetzung
und Solidarität

Auch die Hochschulen geraten durch Studiengebühren unter Anpassungsdruck. Da nicht nur die Einnahmen aus Gebühren, sondern auch ein Teil der staatlichen Mittel zukünftig von der Anzahl der Studierenden abhängig sein werden, müssen sie ihr Angebot auf deren Nachfrage ausrichten, die massiv von den Anforderungen des Arbeitsmarkts beeinflusst wird. Studienangebote und -inhalte würden nach und nach den Marktanforderungen angepasst. Auch in der Forschung: Einerseits wäre ein praxis- und arbeitsmarktnahes Forschungsprofil ein guter Werbeträger für potenzielle Studierende, andererseits würde Einwerbung privater Drittmittel, was wiederum höhere staatliche Zuwendungen zur Folge hat, erleichtert. (6)

Mit diesen relativ simpelen marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen würde sich der Charakter und die Funktion von Hochschulen grundlegend ändern: Von Stätten gemeinschaftlicher Problemlösung im Auftrag der Gesellschaft hin zu KonkurrentInnen bei der Produktion patentfähigen Wissens. Schon 1996 hat BdI-Präsident Henkel deutlich gemacht, nach welchen Kriterien sich Forschung im Neoliberalismus abspielen soll: "... der Markt entscheidet, was innovativ ist." (7)

Die Einführung von Studiengebühren ist nicht die Beseitigung überkommener Privilegien. Sie ist auch deutlich mehr als "nur" ein Angriff auf die Chancengleichheit. Es handelt sich um einen Meilenstein auf dem Weg der Zurichtung sämtlicher individueller und gesellschaftlicher Aktivitäten auf die Anforderungen des Marktes. Die Optimierung der Bedingungen privater Profitmaximierung soll im Mittelpunkt gesellschaftlichen Handelns stehen. Die Umstrukturierungswelle an den Hochschulen, von der die Einführung von Studiengebühren ein wichtiger Teil ist, steht in einer Linie mit dem Abbau von ArbeiternehmerInnenrechten, Kürzungen der Sozialhilfe, Privatisierungen im Gesundheitswesen und unzähligen Dingen mehr. Und es wird nicht der letzte Angriff auf das Bildungssystem sein. Ein Blick in die in vieler Hinsicht als Vorbild dienende USA lässt ahnen, was in nicht allzu ferner Zukunft auf unsere Schulen zukommen wird (8). Noch werden Überlegungen, für die gymnasiale Oberstufe Gebühren zu erheben (9), empört zurückgewiesen - vor nicht allzu langer Zeit galt dies auch noch für Forderungen nach Studiengebühren...

In anderen Staaten laufen ganz ähnliche Prozesse ab - und teilweise sind die Protestbewegungen im Hinblick auf gegenseitige Vernetzung und Solidarität schon erheblich weiter als in Deutschland. So hielten mehrere tausend Studierende in Mexiko-City die größte Universität Lateinamerikas UNAM zehn Monate lang besetzt, bevor die Polizei den Streik gewaltsam beendete (vgl. ak 434 und 435). Die Forderungen der Streikenden gingen weit über den universitären Bereich hinaus. Umgekehrt wurden sie von anderen sozialen Bewegungen tatkräftig unterstützt. Vielleicht erkennen ja auch hier noch linke Gruppen und Gewerkschaften, dass Studiengebühren mindestens die Bildungschancen ihrer Kinder, vor allem aber eine demokratische Entwicklung dieser Gesellschaft bedrohen. Solidarität mit den Studierenden liegt also letztlich im Interesse von uns allen.

Uwe Giffei

Anmerkungen:

1) In Hamburg arbeiteten im Sommersemester 1997 77,4% der Studierenden neben ihrem Studium. 75,8% gaben an, dies sei zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts unbedingt erforderlich. Ausbildungsförderung nach BAföG erhielten nur noch 12,7%. Die vor der Wahl versprochene Strukturreform des BAföG ist inzwischen vom Tisch. Statt dessen ist eine weitere Reparaturnovelle angekündigt, die den Kreis der BAföG-EmpfängerInnen nur geringfügig erweitern wird. Vgl. Studentenwerk Hamburg (Hrsg.): Zur sozialen Lage der Studierenden an den Hamburger Hochschulen im Jahre 1997, Hamburg 1998. Und: Pressemitteilung des BMBF vom 20. Januar 2000.

2) Die Untersuchung hat drei Ergebnisse: 1. Das Lebenseinkommen von AkademikerInnen ist deutlich höher als das der NichtakademikerInnen. Der "Gewinn" des Staates durch höhere Steuerleistungen liegt unterhalb der Kosten eines Studiums. 2. Die Bildungsbeteiligung von Kindern aus Familien mit hohem Einkommen ist wesentlich höher, als die von Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen. Nur noch 8% der Arbeiterkinder besuchen eine Hochschule. 3. Ein Großteil der Steuerlast tragen kleine und mittlere Einkommen durch Lohn- und Konsumsteuern. Diese Ergebnisse deuten tatsächlich auf politischen Handlungsbedarf hin: Die Bildungsbeteiligung der einkommensschwachen Schichten muss dringend erhöht werden. Von Chancengleichheit sind wir derzeit augenscheinlich meilenweit entfernt. Studiengebühren würden diese Situation weiter verschärfen. Und: das Steuersystem ist offensichtlich hochgradig ungerecht. Höhere Einkommen müssen in weit stärkerem Maße zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte herangezogen werden.

3) Zum finanziellen Ertrag von Studiengebühren vgl. Bartz, Olaf (1999) in: Forum Wissenschaft 16, Nr. 4, S. 33-36, hier S. 34 f.

4) Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft; Centrum für Hochschulentwicklung (Stifterverband/CHE 1998): Modell für einen Beitrag der Studierenden zur Finanzierung ihrer Hochschulen (Studienbeitragsmodell), Essen und Gütersloh.

5) Vgl. Pongartz, Hans J. und Voß, Günther G. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer - Zur Entgrenzung der Ware Arbeitskraft (Vortrag auf dem Kongress für Soziologie, Freiburg).

6) Vgl. Bultmann, Torsten (1998): Chancengleichheit auf Kredit? in: Forum Wissenschaft 15, Nr. 3, S. 51-53. Darin fasst er die Auswirkungen von Studiengebühren zusammen: "Der besondere Pfiff ... besteht also darin, dass es alle Beteiligten zwingt, sich marktkonform zu verhalten ... Dies erfolgt allerdings unter Bedingungen vollständiger formaler Freiheit, d.h. maximaler Abwesenheit äußerlicher Zwänge. Marktkonformität wird tendenziell zum unmittelbaren Bestandteil der Selbstwahrnehmung und Eigenmotivation, zur ,zweiten Natur` aller beteiligten Individuen ..." (Ebd. S. 53.)

7) Zitiert nach Karsis, R.O.: Der Markt entscheidet, was innovativ ist. BdI fordert marktorientierte Forschung. In: VDI-Nachrichten, 12.7.1996.

8) Vgl. Lohmann, Ingrid (1999): Multimediale Mehrwertproduktion, in : Forum Wissenschaft 16, Nr. 4, S. 9-14.

9) So geschehen in einem Gutachten des Sachverständigenrats Bildung der Hans-Böckler-Stiftung (!). Vgl.: Sachverständigenrat Bildung der Hans-Böckler-Stiftung (1998): Für ein verändertes System der Bildungsfinanzierung (Diskussionspapiere Nr.1), Düsseldorf.

7.6. Bundesweiter Aktionstag gegen Studiengebühren mit Demonstrationen in Berlin, Köln und Stuttgart.