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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 438 / 11.5.2000

Endzeitstimmung in Marlboro Country

Mike Davis' neueste Abrechnung mit dem "Amerikanischen Traum"

"Casino Zombies und andere Fabeln aus dem Neon-Westen der USA" heißt das aktuellste Buch des amerikanischen Stadtsoziologen Mike Davis. Es ist eine Aufsatzsammlung, deren zivilisationskritische Schärfe die moderne Barbarei bloßlegt, auf der die Mythen vom amerikanischen Westen gepflegt werden.

Wer einmal als Tourist den amerikanischen Südwesten bereist und die überwältigende Schönheit der Canyons, Wüsten und Halbwüsten von Nevada, Utah, Arizona und Süd-Kalifornien erlebt hat, der/die hat vielleicht auch für einige Momente den magischen Hauch von Freiheit und Abenteuer, von Zivilisationsflucht, von Grenzenlosigkeit und Grenzüberwindung gespürt. Selbst die grotesk-schrille Glitzerwelt von Las Vegas ist - auch für den ideologie- und kapitalismuskritischen Reisenden und Kurzzeitbesucher - eher faszinierend als ekelig.

Bei Mike Davis ist das anders. In seinem aktuellsten Buch ist der amerikanische Südwesten nicht der Hintergrund für gigantische Naturerlebnisse und archaische Freiheitsfantasien, sondern die Kulisse für düstere Endzeitvisionen. Wo in den 60er Jahren Edward Abbey in seinem Kultroman "Die Universal-Schraubenschlüssel-Bande" den Widerstand einiger weniger Ökologie-Guerilleros und -Guerilleras gegen naturzerstörerische Staudamm-Projekte im Colorado-Plateau beschreibt, schildert Mike Davis, wie in Utah und Nevada Flächen vom Ausmaß hiesiger Bundesländer zu "National Sacrifies Zones" gemacht werden, Regionen, die von der Bundesregierung in Washington abgeschrieben und explizit geopfert wurden als Testgelände für atomare, chemische und biologische Waffen - i.d.R. ohne Information der dort lebenden Menschen - oder einfach als gigantische Mülldeponien für den tödlichen Abfall aus den Laboren und Arsenalen der A-, B- und C-Waffen-Industrie. Und wo sich in der Mad-Max-Trilogie die "No-Future"-Botschaft im Wüstenkrieg von zu Neandertalern regredierten Motorrad- und Autofahrern um Benzin manifestiert, kämpfen bei Davis zu Beginn des 21. Jahrhunderts anonyme Entwicklungsgesellschaften und Hotel- und Casino-Ketten um Wasser: Mitten in der Wüste gelegen verprassen die Hotel- und Casino-Industrie von Las Vegas und die auch hier boomenden weißen wohlhabenden bis reichen Suburbs auf geradezu dekadente Art und Weise Wasser, ohne jede Rücksicht auf die zerstörerischen Folgen.

Nahezu die erste Hälfte von Davis' Buch ist eine Grauen erregende Bestandsaufnahme einer Zivilisation, in der die Unterwerfung der Natur zum blanken Ökozid geworden ist. Das zweite große Thema bei Davis, und von ähnlich apokalyptischen Dimensionen, ist der fürchterliche Boom der Knastindustrie im Westen der USA. Folgt man Davis, so führen die weißen Mittelschichts- und WohlstandsbürgerInnen und ihre politischen Vertretungen einen regelrechten Krieg vor allem gegen schwarze und Latino-Jugendliche. Die bewusste Verarmung der öffentlichen Haushalte, das Zurückfahren von Wohnungsbauprogrammen, drastische Streichungen bei Schulen und Universitäten und den unterschiedlichen Integrations- und Fördermaßnahmen produzieren in Städten wie Los Angeles soziale Zerklüftungen, die laut Davis einer ethnischen Säuberung nahe kommen.

Der sozialen Ausgrenzung von Schwarzen und MigrantInnen steht die repressive Aufrüstung gegenüber. Justiz und Polizei gehen vor allem gegenüber schwarzen und Latino-Jugendlichen zu legaler Lynchjustiz über, die Knäste haben sich zu einer wahren Wachstumsbranche entwickelt und sind gleichzeitig permanent überfüllt. Der größte Teil der schwarzen männlichen Bevölkerung sitzt inzwischen in immer moderneren Hochsicherheitsgefängnissen. Der einzige Widerstand kommt aus den Reihen von Ökologen und Vollzugsangestellten, wenn in neuen elektrischen Todeszäunen nicht nur Fluchtversuche vereitelt werden, sondern auch Vögel verenden oder dadurch Arbeitsplätze beim Wachpersonal überflüssig werden.

Mike Davis' Artikel lesen sich oft spannend wie Krimis. Ein Grund liegt darin, dass Davis ein begnadeter Erzähler ist. Er ist ein wahrer Meister des Einstiegs. Aus ganz konkreten Geschichten, Episoden und Szenen entwickelt er seine analytischen Betrachtungen, vom gefährlichen Ritt einer kleinen Gruppe von Männern durch einen fürchterlichen Schneesturm im Nevada des Jahres 1892 führt Davis die atemlos folgende Leserin zu den Widerstandsaktionen von Indianern, Umweltgruppen und antimilitaristischen Initiativen gegen ein Testgelände des US-Militärs im Jahre 1992.

In seiner hier zu Lande völlig unerreichten Verknüpfung von Journalismus und kritischer Sozialwissenschaft präsentiert Davis Einblicke in die zerstörerische Dynamik tagtäglicher kapitalistischer Gewalt. Aber - und auch das ist ein Unterschied zu den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen - er spricht auch mit den Menschen, die Opfer dieser Gewalt sind und sich gegen die Zumutungen dieser Barbarei wehren. Egal, ob das im einzelnen stimmt oder nicht, bei Davis entsteht immer der Eindruck, er erzähle mitten aus den Auseinandersetzungen heraus und nicht aus der analytisch-distanzierten Sicht des unbeteiligten Forschers. Seine Analyse des erfolgreichen Streiks von Hotel- und Casino-Angestellten, meist schlecht bezahlte, prekär arbeitende MigrantInnen aus Mittelamerika, gegen einen der größten Casino-Mogule von Las Vegas ist dafür genauso ein Beispiel wie seine Untersuchung zu den Bandenkriegen in Los Angeles oder zum "magischen Urbanismus", zur "Lateinamerikanisierung" der US-Metropolen.

"Casino Zombies" ist ein Nebenprodukt, eine Zusammenstellung von Aufsätzen, die zwischen 1992 und 1999 in verschiedenen US-amerikanischen Zeitungen erschienen sind. Dem Buch fehlt die geschlossene Dichte, die etwa "City of Quarz", Davis' Analyse postmoderner Urbanität am Beispiel Los Angeles, zu einem Meilenstein der kritischen Stadtsoziologie gemacht hat. Dennoch ist diese Zusammenstellung unbedingt lesenswert. "Casino Zombies" ist ein Flickenteppich, ein Patchwork aus Erzählungen und Streiflichtern über die Abgründe des "amerikanischen Traums". Und mindestens jeder und jede, die sich demnächst aufmacht in die Sonne Süd-Kaliforniens, auf die Highways des amerikanischen Westens und in die unendlichen Weiten von Gran Canyon oder Monument Valley, sollte sich diese "Fabeln aus dem Neon-Westen" zu Gemüte führen.

Dirk Hauer

Mike Davis: "Casino Zombies und andere Fabeln aus dem Neon-Westen der USA", Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße, Berlin/ Hamburg 1999, 269 Seiten, 32 DM