1. Mai - Saigon ist frei!
Die Vietnam-Solidarität war mehr als revolutionäre Schwärmerei
25 Jahre später fällt es Veteranen wie mir schwer, nicht in Nostalgie zu verfallen. Hamburg am 1. Mai 1975: ein strahlend blauer Himmel, ein Meer von Transparenten und roten Fahnen; in Mitten der DGB-Demonstration mächtige oppositionelle Blöcke, getragen vor allem von Mitgliedern und AnhängerInnen des Kommunistischen Bundes, von dem wir die Zeitung ak (vormals Arbeiterkampf, seit 1992 analyse & kritik) geerbt haben; ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert gegen die Hauptredner der offiziellen Kundgebung, den damaligen IG-Metall-Chef Eugen Loderer und den amtierenden Finanzminister, Hans "Sparschwein" Apel (SPD); vor allem aber eine Parole, welche die allermeisten Demo-TeilnehmerInnen in Euphorie versetzte: "1. Mai - Saigon ist frei!" Am Vortag war der Vietnamkrieg beendet worden, beendet mit dem "Sieg im Volkskrieg".
Damit genug der Erinnerungen, Platz der Analyse, Kritik und Selbstkritik: Die Vietnam-Solidarität war das wesentliche Thema, das die "68er Bewegung" einigte, bevor sie dann in "Revis", "Maoisten", "MLer", "Spontis" und solche zerfiel, die schon damals den "langen Marsch durch die Institutionen" antraten und in den Armen der Sozialdemokratie endeten. So viel Einigkeit weckt Argwohn. Durch die "antinationale" Brille betrachtet, liegen die Dinge klar: Die (west-)deutsche Linke mit ihrer (vererbten?) Sehnsucht nach der Volksgemeinschaft formierte sich zur antiamerikanischen Bewegung, stellte die einstigen Befreier auf die gleiche Stufe wie die Nazis und versöhnte sich so mit der eigenen Nation.
Der deutsche Spießer stand fest zu den Amis
Diese "Analyse" geht mehr als knapp daneben: Denn die "Nation", repräsentiert durch die staatstragenden Parteien, war unbeirrt pro-amerikanisch eingestellt; selbst alte Nazis, die Kaugummi und "Negermusik" als Manifestationen der Barbarei betrachteten, waren in der Frage des Vietnamkriegs auf Seiten der USA - denn deren Kampf war gerecht, weil er gegen den "Weltkommunismus" ging. Insbesondere in Westberlin, der deutschen Hochburg der Revolte, war der überwiegende Teil der Bevölkerung auf Seiten der Guten, nämlich der Amis: Die hatten die Luftbrücke organisiert und sicherten auch weiterhin die Freiheit der Frontstadt. Mit Antiamerikanismus war hier nichts zu gewinnen - im Gegenteil. Die zeitweilige Pogromstimmung gegen "die Studenten", "den SDS" etc. basierte auf der schlichten Spießer-Weltsicht: Wer die USA angreift, greift unsere Schutzmacht an, unsere kleine Freiheit, uns!
Schon lange bevor es "Antinationale" gab, geriet die Vietnam-Solidarität bei Teilen der Linken in Verruf. Im Kursbuch, das seinerzeit in der Linken Trends setzte, wurde schon 1979 "der Mythos des Internationalismus" exorziert. Namentlich Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer bereiteten dort ihren Abschied von der Linken vor und machten die ersten Schritte auf einem Weg, der sie folgerichtig zur Akzeptanz der "Westbindung" und der "Bündnistreue" in der NATO führte, Kriegsführung inklusive. Kritik an der Linken war für Fischer schon damals identisch mit Abschied: "Ich will eine Abkehr von allen Illusionen, die man sich gemacht hat, und dafür ist der Antiimperialismus das beste Beispiel, weil er so eine zentrale Bedeutung hatte. Und die Selbstkritik (!) wird auch schon massenhaft vollzogen: Für Persien mobilisiert sich niemand mehr, für Nicaragua auch nicht." ("Kopfschrott oder Gefühlsheu. Eine Diskussion über Internationalismus", Kursbuch 57, 1979; dass es keine linke Iran- und keine Nicaragua-Solidarität mehr gegeben hätte, ist im übrigen Fischersches Wunschdenken.)
Fischers früher Abschied vom Internationalismus
Es ist nun beileibe nicht so, dass die Vietnam-Solibewegung sich nichts vorzuwerfen hätte. Die beliebte Demo-Parole "USA - SA - SS" war eine gefährliche Dummheit, die aber nicht Sehnsucht nach der "Volksgemeinschaft" offenbart, sondern revolutionären Überschwang, der auch schon mal das Gegenteil von dem bewirken kann, was er anstrebt. Nicht ganz falsch ist auch Cohn-Bendits Kritik (ebenfalls in Kursbuch 57 formuliert): "Unsere Mythen (gemeint: die linken Identifikationen mit antiimperialistischen Bewegungen; Anm. ak) waren immer ganz direkt verbunden mit einer gewissen Machtvorstellung." In der Tat: Wir wollten nicht nur auf der Seite der gerechten, sondern auch der siegreichen Sache sein, hatten am Sieg aber auch einen gewissen Anteil - weniger wegen der für "Waffen für den Vietcong" gesammelten Spenden, als durch unseren Beitrag zur weltweiten Diskreditierung der Kriegsmacht USA.
Dass wir mehr wollten als das "heldenhaft kämpfende Volk von Vietnam", nämlich dortselbst den Sozialismus und weltweit "zwei, drei, viele Vietnams", mag man als Bevormundung und Instrumentalisierung bezeichnen. In Che Guevaras berühmtem Slogan ist sicherlich auch der Keim für einen linken Militarismus enthalten. Andererseits eignete er sich zur Polarisierung: Hier wendete sich der linkssozialdemokratische Gutmensch und Kriegsdienstverweigerer mit Grausen.
Fazit: Am 30. April 1975 siegte der Vietcong, aber ein bisschen siegten auch wir, die Linke in der BRD und anderen Teilen der Welt. Für den Kampf in den Metropolen hat der "Sieg im Volkskrieg" auf Dauer wenig gebracht; auch ist Vietnam 25 Jahre später alles andere als ein Musterland der Weltrevolution. Diese Niederlagen mahnen zum Realismus, sind aber kein Grund, sich von antiimperialistischer Solidarität zu verabschieden.
Js.