Nebelwerfer im Dauereinsatz
Die Bundeswehr-Reformer sind sich einig: Eine Interventionsarmee muss her
Die aktuelle Diskussion um die Reform der Bundeswehr erweckt nur bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck, hier ginge es um grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über Wohl und Wehe des deutschen Militärs. Denn über das Kernstück der Reform sind sich Regierung und Opposition einig: Die neue Bundeswehr muss weltweit interventionsfähig werden.
Nun hat also die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" (die nach ihrem Vorsitzenden so genannte Weizsäcker-Kommission) nach einjähriger Fleißarbeit ihren Bericht vorgelegt, der gemäß offizieller Darstellung die Grundlage für eine umfassende und tief greifende Reform der deutschen Streitkräfte bilden soll. Zudem kam vom (vor kurzem geschassten) Generalinspekteur der Bundeswehr eine Stellungnahme zum Thema (der sog. Kirchbach-Bericht), und auch aus den Reihen der Parteien fühlte sich so mancheR berufen, seinen oder ihren Senf dazuzugeben. Der Verteidigungsminister wiederum hat deutlich werden lassen, dass er sich so seine eigenen Gedanken gemacht hat.
Alsbald sollen Regierung und Parlament Entscheidungen treffen. Die künftige Personalstärke der Streitkräfte und die Frage nach Erhalt oder Abschaffung der Wehrpflicht sind heiß umkämpft. Das ist - um im militärischen Jargon zu bleiben - Nebelwerfen auf Nebenkriegsschauplätzen. Denn verdeckt wird die Tatsache, dass sich Scharping, Kirchbach, die Damen und Herren der Weizsäcker-Kommission und die VertreterInnen der rot-grünen Regierung sowie der christlich-liberalen Opposition im entscheidenden Punkte völlig einig sind: Das deutsche Militär soll zu einer fern der Heimat einsetzbaren Interventionsarmee umgerüstet und umstrukturiert werden. Demgegenüber ist der Streit um ein paar Zehntausend Soldaten mehr oder weniger, um Wehrpflicht ja oder nein ziemlich unerheblich.
Die "Landesverteidigung" - der klassische Auftrag der Bundeswehr - mag zwar noch unterschiedlich gewichtet werden, klar und unbestritten aber ist, dass faktisch "Kriseneinsätze" künftig zur Hauptaufgabe des deutschen Militärs werden. Denn ein Feind, der das Land bedrohen könnte, ist nach einhelliger Meinung weit und breit nicht in Sicht, "Krisen" dafür aber um so mehr. Die Weizsäcker-Kommission etwa empfiehlt, die Bundeswehr auszurichten auf den "Kriseneinsatz" auf zwei Schauplätzen gleichzeitig. Und da ist es dann nebensächlich, dass die Kommission den Personalumfang auf 240.000 Soldaten und die Zahl der Wehrpflichtigen auf 30.000 herunterfahren will; entscheidend ist, dass sie die Krisenreaktionskräfte (in der neuen Terminologie: Einsatzkräfte) von gegenwärtig 60.000 auf 140.000 aufstocken will.
Über "große Entfernungen" einsatzfähig
Was die Aufgaben dieser Einsatzkräfte angeht, lässt der Bericht der Weizsäcker-Kommission an Klarheit nicht zu wünschen übrig: "Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich völlig verändert. Die Bundeswehr wird vornehmlich außerhalb Deutschlands eingesetzt werden - entweder zur kollektiven Verteidigung eines Bündnispartners oder - was wahrscheinlich ist - zu regional begrenzten Einsätzen der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung ... Mit der vorrangigen Ausrichtung der Bundeswehr auf Kriseneinsätze wird eine geographische Eingrenzung des künftigen Einsatzraums deutscher Soldaten schwierig. Die Fähigkeit, im kompletten Einsatzspektrum bis hin zu Konflikten mit hoher Intensität handeln zu können, muss künftig über große Entfernungen glaubhaft und dauerhaft sichergestellt werden. Diese Entwicklung markiert zugleich die Abkehr vom traditionellen Bild der Bundeswehr als Instrument eines rein auf territoriale Verteidigung orientierten Landes". Also: keine "geographische Eingrenzung" des Einsatzraumes mehr, Fähigkeit zur Kriegführung ("Konflikt mit hoher Intensität" = Krieg) über große Entfernungen. Deutlicher kann man die Interventionsorientierung kaum noch formulieren.
Mobilität, Flexibilität, Verlegbarkeit, Durchhaltefähigkeit sind folglich Schlüsselbegriffe, mit denen die künftigen Fähigkeiten des Militärs bedacht werden. Dem entsprechend empfiehlt die Weizsäcker-Kommission, bei der Umrüstung der Bundeswehr das Schwergewicht auf so aparte Instrumente wie "strategische Lufttransportkapazität", "leistungsfähige Seetransportkapazitäten", "Präzisionsbewaffnung mit Abstandsfähigkeit" usw. zu legen, kurz: auf jene Instrumente, die für militärische Interventionen besonders dringend gebraucht werden: "Die Kommission empfiehlt, bei der Neubeschaffung von Wehrmaterial der Führungs- und Aufklärungsfähigkeit, der Mobilität der Truppe, dem Schutz der Streitkräfte im Einsatz sowie der Abstands- und Präzisionsfähigkeit der Bewaffnung den Vorrang zu geben".
Besonderes Gewicht wird auf die für "Kriseneinsätze" unabdingbare "strategische Aufklärung" gelegt: "Bei der strategischen Aufklärung durch Satellitensysteme und bei der operativen Aufklärung durch fliegende, weiträumig abbildende Aufklärung verfügt Deutschland über keine oder keine ausreichenden Kapazitäten." Das soll sich ändern, schon um "einseitige Abhängigkeiten von Aufklärungserkenntnissen Dritter zu vermeiden" (dies ein kleiner Seitenhieb gegen die US-amerikanischen Freunde). Ebenso sollen die "nationalen Führungsstrukturen" auf Interventionsfähigkeit getrimmt werden. Sie sollen "so ausgelegt sein, dass streitkräftegemeinsame Einsätze in nationaler Verantwortung geplant und ausgeführt werden können. Dafür bedarf es einer neuen Organisation, die auf alle benötigten Kräfte zentral zugreifen kann und dazu in der Lage ist, streitkräftegemeinsame Operationen modular zusammengestellter Kontingente über Landes- und Bündnisgrenzen hinweg (!) zu führen." Das erinnert verdammt an einen Generalstab unseligen Angedenkens.
Comeback des Generalstabs?
Kein Trost ist es, dass man diese Interventionsarmee nach eigenem Bekunden ja nur für "den guten Zweck", also "Krisenvorsorge", "Krisenbewältigung", "humanitäre Interventionen" etc. pp. einzusetzen gedenkt. Im Krieg gegen Jugoslawien hat man sich ja auch schon über Völkerrecht und Grundgesetz hinweggesetzt. Die gesamte Diskussion in NATO und EU läuft gegenwärtig darauf zu, "selbstmandatierte" Interventionen immer dann und immer dort durchzuführen, wann und wo es die eigenen Interessen geboten erscheinen lassen. Hierauf bereitet man sich vor, ein "humanitäres" oder "menschenrechtliches" Deckmäntelchen kann dabei nützlich sein, ist aber nicht unverzichtbar.
Führungsanspruch im Bündnis
Es trägt auch nicht zur Beruhigung bei, dass man diese Interventionsarmee ja nur "im Bündnis", also im Rahmen der NATO und neuerdings auch der EU, einsetzen und sie auch nur bündnisgemeinsam einsetzbar machen will. Das mag zwar nationale militärische Alleingänge ausschließen, nicht aber militärgestützte nationale Machtpolitik als solche. Denn das eigene militärische Gewicht wird selbstverständlich als Trumpfkarte in die internen machtpolitischen Konkurrenzen in NATO und EU eingebracht werden. Wie heißt es doch bei der Weizsäcker-Kommission: 140.000 Mann (und Frau) Einsatzkräfte seien erforderlich, um "der Bundesrepublik angemessenes Gewicht und Mitsprache im Bündnis zu sichern". Das Bündnis aber - sei es nun die NATO oder die gemäß den Beschlüssen des EU-Gipfels von Helsinki (Aufstellung einer eigenen EU-Interventionsstreitmacht) militarisierte Europäische Union - hat sich auf Militärintervention als primären Einsatzzweck der Streitkräfte der Bündnispartner festgelegt. In dieses Bündnis fügt sich die Bundeswehr ein - bei gleichzeitigem Anspruch auf eine führende Rolle.
Vollends zynisch wird die Argumentation dort, wo man eine interventionsfähige Bundeswehr einordnet in eine angeblich auf zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung orientierte Politik und das Militär zum Mittel einer solchen Politik erklärt - ein Lieblingsmuster rot-grüner Volksverdummung; zeigen doch die Gewichte - nimmt man allein die Ausstattung mit Finanzen und Ressourcen -, dass einmal mehr das Militär zum eigentlichen Kern von "Krisenvorsorge und Krisenbewältigung" gemacht werden soll, während zivile Instrumente zum entbehrlichen Wurmfortsatz der hochgerüsteten Streitmacht degradiert werden.
Von nicht zu überbietender Dreistigkeit ist angesichts dieser Entwicklungen das Auftreten der Grünen. Sie wollen dem staunenden Publikum die personelle Reduzierung der Bundeswehr und die Abschaffung der Wehrpflicht bzw. den "Einstieg" in die Abschaffung der Wehrpflicht als friedenspolitischen Erfolg verkaufen - gleichzeitig befürworten sie Modernisierung und Effektivierung der Bundeswehr im Sinne der Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission. Verarschen können wir uns selber.
Vo
Alle Zitate aus dem Bericht der Weizsäcker-Kommission nach dem auszugsweisen Abdruck in der FAZ vom 24. Mai 2000, S. 12