Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 8.6.2000

Staatsschutz konstruiert Paris-Hagen-Connection

Werner R. von Beugehaft bedroht

Werner R. ist in Hagen vielen als politisch aktiver Mensch, als Mitglied der Kooperative K, einer Hagener KünstlerInnen-Gruppe, und der IG Medien bekannt. Werner R. wurde Anfang des Jahres quasi über Nacht zum Objekt bundesdeutscher Terroristenfahndung. Als "tatverdächtiger Zeuge" wurde gegen ihn ein Zwangsgeld verhängt. Die Ermittlungen gegen ihn stehen im Zusammenhang mit der Verhaftung von Sonja S. und Christian G. in Paris.

Anlass der Aktion war die Verhaftung von Sonja S. und Christian G,. zwei vermeintlichen Mitgliedern der "Revolutionären Zellen", in Frankreich am 16. Januar. Die Haftbefehle wurden mit der Beteiligung an drei Sprengstoff- bzw. Brandanschlägen auf AKW-Zulieferfirmen in den Jahren 1977/78 begründet, bei denen Sachschaden entstand. (vgl. ak 438) Beide sollen seit dieser Zeit unter falschem Namen in Frankreich gelebt haben, Christian G. seit mehreren Jahren mit der Identität eines Schweizer Staatsbürgers - und zwar unter dem Namen von Werner R. Die beiden sind zur Zeit gegen Kaution auf freiem Fuß, bis über den Auslieferungsantrag der BRD entschieden ist.

Am 17. Januar, einen Tag nach den Verhaftungen in Paris, durchsuchten BeamtInnen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Staatsschutzes die Wohngemeinschaft, in der Werner R. seit 20 Jahren lebt, und das Atelier der Kooperative K. In der Wohnung wurden zunächst eine Mitbewohnerin und eine Besucherin an die Wand gestellt, nach Waffen durchsucht und nach dem Aufenthaltsort von Werner R. gefragt. Daraufhin wurde das Atelier der Kooperative K in Haspe mit gezogenen Waffen gestürmt. Werner R. war zu dieser Zeit alleine im Atelier.

Nach der Atelierdurchsuchung fuhren die BeamtInnen mit ihm in die WG und durchsuchten sie vollständig, also auch die privaten Räume der MitbewohnerInnen. Vier Stunden stellten 15 BeamtInnen alles auf den Kopf. Alles fand ihr Interesse - vom profanen Flugblatt bis zu persönlichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen.

Die anfängliche Nervosität und Aufgeregtheit der BeamtInnen legte sich während der Durchsuchung zusehends. Dies änderte sich allerdings wieder, als sie bemerkten, dass Werner R. neben der deutschen auch die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt. Bei der Durchsuchung war allerdings der Schweizer Pass, den er seit 1992 besitzt und bei seinen persönlichen Unterlagen wähnte, nicht aufzufinden. Er hatte den Verlust nicht bemerkt, da er ihn nur selten nutzte.

Daraufhin begann eine akribische Durchleuchtung seiner Lebensverhältnisse (Quittungen, Rechnungen, Kontoauszüge), Liebesbeziehungen (Briefe, Fotos) und politischen Aktivitäten. Beschlagnahmt wurden Briefe aus Nicaragua von seinem Aufenthalt dort 1984, ein nicht abgeschickter Brief an eine frühere Freundin, die 1989 verhaftet wurde und für das BKA zum "terroristischen" Umfeld zählt, und z.B. auch ein Notizzettel mit einer Verabredung zum Schlittenfahren.

Nach der Durchsuchung, so gegen 0.30 Uhr ging es dann ins Hagener Polizeipräsidium zur weiteren Befragung als "Zeuge". Hier wurde Werner R. unter anderem nach seinen Kontakten zur "linken Szene" befragt. Später nutzten die BKA-Beamten den Begriff "terroristische Szene". Die Vernehmung dauerte bis ca. 2.30 Uhr.

Werner R. gab an, zu der Frau, an die er 1989 hatte schreiben wollen, Anfang der 80er Jahre freundschaftlichen Kontakt gehabt zu haben. Außerdem kenne er aus seiner Jugendzeit (ein Kneipenkontakt im Alter von 16 Jahren) einen Menschen, der später wegen Mitgliedschaft in der Bewegung 2. Juni verurteilt wurde und kurze Zeit in der Hagener Justizvollzugsanstalt einsaß. Diesem hatte er schriftlich angeboten, Bücher zu schicken, die dieser aber nicht brauchte. Und zu guter Letzt wohnte Werner R. 1975 in Köln in einer Wohngemeinschaft, in der für zwei Wochen der Rechtsanwalt Klaus Croissant wohnte, der zu der Zeit in Düsseldorf verteidigte.

Bei der erneuten Befragung am Morgen des gleichen Tages eröffneten die Beamten Werner R., dass sie seine Angabe, sich das Verschwinden des Passes nicht erklären zu können, für nicht glaubwürdig hielten, weil er so "zahlreiche Kontakte" zu "terroristischen Personen" habe. Er wurde aufgefordert, endlich die Wahrheit zu sagen, und es wurde ihm damit gedroht, dass er jetzt noch Zeuge sei, aber dass sich dies schnell ändern könne.

Es geht den Ermittlungsbehörden offensichtlich nicht nur darum, das Verschwinden des Passes zu klären. Daher muss Werner R. davon ausgehen, dass gegen ihn der Verdacht besteht, sich in irgendeiner Form strafbar gemacht zu haben - und so ist er nicht mehr nur Zeuge, sondern gleichzeitig Verdächtiger, also ein "tatverdächtiger Zeuge".

Werner R. hat sich nun entschieden, weitere Aussagen zu verweigern, weil er selbst verdächtigt wird. Einer Ladung zur polizeilichen Vernehmung einige Tage nach der Durchsuchung ist Werner R. nicht nachkommen. Einer Vorladung der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main im März ist er in Begleitung seiner Anwältin gefolgt. Er hat dort die Aussage verweigert. Er nahm damit ein Aussage-Verweigerungsrecht für sich in Anspruch, das Verdächtigten zusteht.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main versuchte mit der Verhängung von 1000 DM Zwangsgeld weitere Aussagen zu erzwingen. Die Anwältin von Werner R. beantragte beim Landgericht Frankfurt/ Main, die Verhängung des Zwangsgelds aufzuheben. Dies hat das Landgericht am 20.4.2000 nach Aktenlage, die der Zeuge nicht kennt, als im Wesentlichen unbegründet zurückgewiesen. Nach erneuter Vorladung zur Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main am 16.5. hat der Staatsanwalt Rath nun Beugehaft beim Amtsgericht Frankfurt/Main beantragt.

Solange die Justiz Werner R. keinen Glauben schenkt und ihm somit indirekt unterstellt, er hätte den Pass zur Verfügung gestellt, besteht offensichtlich gegen ihn der Verdacht der Strafvereitelung bzw. der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, also des Verstoßes gegen § 129a StGB.

Seit Jahren gibt es seitens der liberalen Öffentlichkeit die Forderung nach der Streichung der "Terrorismusgesetzgebung" aus den 70er Jahren, bisher wurden aber nur die Kronzeugenregelung und der § 88a StGB (Zensurparagraph) abgeschafft.

Um die Ermittlungswut anscheinend unterbeschäftigter Behörden einzudämmen, bedarf es nicht nur der moralischen Unterstützung von Werner R., notwendig ist auch, deren Vorgehen öffentlich zu machen. Es darf nicht sein, dass auf Grund fantasievoller Tatkonstrukte Menschen in ein Ermittlungsverfahren verstrickt und mit Gefängnis bedroht werden.

Der Artikel ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des von FreundInnen von Werner R. herausgegebenen Briefs Nr. 1 vom 10.5.2000.