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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 8.6.2000

Liberté, Egalité et Radioactivité?

Endlager in Frankreich - Bauplatzbesetzung in Bure

In Bure, 150 km von der deutschen Grenze entfernt, genehmigte die französische Regierung mit Zustimmung der grünen Umweltministerin im August 1999 ein "Versuchslabor" für die Endlagerung von Atommüll. Bure liegt bei Bar-le-Duc im Département Meuse/Lothringen, einer ländlichen und strukturschwachen Region. Die Presse hat dieser neuen Atomanlage in der Grenzregion bisher wenig Beachtung geschenkt. Im Juli geht der Widerstand in die heiße Phase: eine Platzbesetzung wurde für die Zeit ab dem 1. Juli 2000 angekündigt.

Seit 1991 wurden in Frankreich 30 potenzielle Endlagerstandorte untersucht, die der Atomindustrie für die geplante Tiefenlagerung geeignet schienen. In Frankreich wird eine unterirdische Einlagerung des Atommülls in Granit oder in Lehm-Ton-Schichten geplant. Drei Standorte wurden 1996 schließlich für sogenannte Vorstudien ausgewählt: Marcoule bei Avignon (als oberirdisches Zwischenlager), La Chapelle-Baton bei Poitier (als Endlager unter Granit-Felsen) und Bure bei Bar-le-Duc (als Endlager in Lehm-Ton-Erdschichten).

Dabei geht es um die Glaubwürdigkeit der französischen Atomindustrie. Denn die Atomabfälle häufen sich und müssen vor der Öffentlichkeit versteckt werden, um die Meinung der sauberen und exportierbaren Atomenergie aufrechtzuerhalten. Im August 1999 hatten daher Premierminister Jospin mit den Ministern Strauss-Kahn, Allègre und Voynet (Grüne) beschlossen, dass erstens lokale Informations-Komitees eingerichtet werden (CLIS), zweitens ein Endlagerlaborstandort in Granit gefunden werden soll und drittens das Endlagerlabor in Lehm-Ton-Schichten in Bure gebaut werden soll.

Die lokalen Komitees wurden mit BürgerInnen und politischen VertreterInnen der Region besetzt und sind mit der deutschen Genehmigungs- und Beteiligungspraxis kaum vergleichbar. Bei dieser Alibiveranstaltung gäbe es wohl eh nichts relevantes zu entscheiden, so eine Einschätzung in Bure. Die Komitees haben eher eine Beruhigungsfunktion, AKW-GegnerInnen sind dabei eine unbedeutende Minderheit, wirkliche Bedenken und wissenschaftliche Gegengutachten sind kein Thema.

Man muss sich die atomare Wirklichkeit in Frankreich vor Augen halten: Frankreich betreibt rund 60 Atomkraftwerke, davon etwa 10% für den Export von Atomstrom und mehrere AKWs für den Eigenbedarf, wie z.B. bei der Wiederaufarbeitung und Herstellung von Brennelementen. Frankreich hat einen Atomstromanteil von rund 70%, mögliche Alternativen wie Effizienzsteigerung, Energiesparprogramme und regenerative Energien werden kaum diskutiert. Die Radioaktivität habe nach dem Unfall von Tschernobyl direkt an der Grenze Halt gemacht, wird gescherzt, Gegeninformationen und Kritik wurden kaum bekannt. Die Atomindustrie ist in Frankreich in staatlicher Hand, d.h. es gibt keine richtige öffentliche Kontrolle oder Kritik. Und da die französische Atomindustrie direkt mit dem Militär verquickt ist, kann sie ohne Probleme einen Mantel des Schweigens über ihre Machenschaften hüllen. WISE Paris kritisiert schon länger die Geheimhaltung aller Dokumente zu den Atommüllmengen, zu den Sicherheitsberichten und vermisst unabhängige Untersuchungen. Die staatliche Atompropaganda der EDF (Electricité de France) geht Hand in Hand mit dem Vorgehen der anderen staatlichen Atomindustriesparten: ANDRA (Nationale Atommüll Agentur) kümmert sich um die "Entsorgung" des Mülls und COGEMA betreibt die Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague, in der seit 30 Jahren Atommüll unter katastrophalen Bedingungen oberirdisch lagert. So wurde auch schon Plutonium in den Bächen und stark überhöhte radioaktive Strahlung am Strand und im Meer gemessen. Bis heute bleibt das französische Atomsystem unkontrollierbar, so eine Kritik an der staatlichen Atomenergienutzung.

"Jospin und Schröder
ins Atomklo!"

Die staatliche Atommüllgesellschaft ANDRA hat zur Endlagersuche eine raffinierte Methode entwickelt: Zuerst werden die politischen Entscheidungsträger an einem potenziellen Standort von der Wirtschaftlichkeit des Projekts überzeugt. Dann gibt es viel Geld, um auch die Zustimmung der Bevölkerung zu kaufen. Und schließlich wird von den Entscheidungsträgern eine schnelle Entscheidung zu Gunsten des Projekts verlangt, da verschieden Standorte in Konkurrenz zueinander stünden. "Auf der ganzen Welt fehlen wissenschaftliche und technisch glaubhafte Antworten für die Entsorgung von Atommüll", so die Charta der nationalen Koordination gegen die Endlagerung radioaktiver Abfälle, ein Zusammenschluss aller Initiativen der potenziellen Endlagerstandorte. Sie fordern das sofortige Ende der Atommüllproduktion und der Wiederaufarbeitung, also den Ausstieg aus der zivilen und militärischen Atomenergienutzung. Ihr Slogan: "Nicht hier und auch nicht anderswo!" Doch die Atomindustrie benötigt eine Demonstration der Machbarkeit der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, egal wo. Nur so kann sie die Diskussion um den mittelfristig fälligen Ersatz der Anlagen noch leichter gewinnen.

Trojanisches Pferd für die Endlagerung

"Eine wohl unlösbare Frage." Dass Atommüll nicht zu entsorgen sei, erklärte selbst der noch unter Kohl eingesetzte Umweltsachverständigenrat der Bundesregierung im März diesen Jahres. Es gäbe keine abschließende Lösung des Atommüllproblems, früher oder später würde Radioaktivität aus jedem Endlager entweichen. Dies bestätigt die Kritik der bundesdeutschen AtomkraftgegnerInnen, die gemeinsam mit französischen Anti-Atominitiativen am 19. März 2000 gegen das geplante Endlager Bure protestierten.

In der Nähe des 100-Seelen-Dorf entstand in diesem Jahr ein Containerdorf für Arbeiter und Wachpersonal der Atomanlage. Erste Probebohrungen und ein Zaun markieren inzwischen den großräumig abgesperrten und planierten Bauplatz des sogenannten Endlager-Labors.

Rund 700 Leute demonstrierten zuletzt gegen dieses milliardenschwere Projekt. An einer Protestmauer der "wütenden Bürger" aus Stroh wurden die Verantwortlichen des "atomaren Wahnsinns" angeprangert, "Jospin und Schröder ins Atomklo!", hieß es zweisprachig auf einem der vielen Plakate und "Für eine deutsch-französische Partnerschaft der Anti-Atom-Bewegung" auf einem Schild, das ein Vertreter der BI aus Gorleben angebracht hatte. Die Protestmauer wurde am Ende der Kundgebung angezündet, bereitstehende Polizisten und das Wachpersonal dabei eingeräuchert. Anschließend wurde das riesige Areal laut protestierend umrundet und es fand eine kleine Entzäunungsaktion statt. "Der Anti-Atom-Protest in Bure wirkt insgesamt bürgerlicher als der in Deutschland, die Leute sind durchschnittlich 15 Jahre älter", so eine deutsche Atomkraftgegnerin auf der Demo. Um so mehr überrascht es aber, "wenn sie unter den Augen der Polizei mal kurz Bauzäune umwerfen und auf das Gelände gehen, wie bei der kleinen Aktion im November 99!" Der Widerstand in Bure war schon mit mehreren tausend Leuten auf der Straße präsent, ein internationales Festival und große Demos in Verdun und Bar-le-Duc zeigten in den letzten Jahre durchaus ein Potenzial, das die deutschen Vorurteile von den ewig atomfreundlichen Franzosen widerlegt.

An anderen potenziellen Standorten von Atomanlagen ist der Widerstand noch stärker. Nach Zeitungsberichten demonstrierten im April insgesamt rund 25.000 Menschen in Frankreich gegen die Endlagerung von Atommüll. So versammelten sich beispielsweise am 14. April 4.000 Menschen in Glénat/Zentralmassiv und zeitgleich 8.000 in Quintin/Bretagne. Einen Tag später demonstrierten 5.000 in Athis-de-l'Orme/Normandie sowie 500 in Lascaux/Zentralmassiv.

Vor allem in der Bretagne hat der Anti-Atom-Widerstand Tradition. Demonstrationen mit bis zu 100.000 Leuten haben Atomanlagen in der Region bisher erfolgreich verhindert. Ein Netzwerk für den Atomausstieg (Reseau sortir du nucléaire) hat in den drei Jahren seines Bestehens rund 500 lokale Gruppen und Initiativen als Mitglieder gewonnen und organisiert heute landesweite Kampagnen. Insgesamt scheint der Widerstand gegen die Atomindustrie also im atomfreundlichen Frankreich zu wachsen.

In Bure wurde der Anfang für das erste französische Atomklo gemacht, im Herbst 1999 war Baubeginn. Während der Bauarbeiten bis zum Jahre 2006 sollen jährlich 60 Mio. FF in die Kassen der Départements Meuse und Haute Marne fließen. Alleine das Versuchslabor mit mehreren Kilometern an Schächten und Stollen kostet 800 Mio. FF, insgesamt sollen 3,5 Mrd. FF in das Endlager investiert werden. Auf dem 17 ha großen Gelände sollen mehrere Gebäude und das Endlagerlabor in 500 m Tiefe in den nach Angaben der Befürworter relativ undurchlässigen Lehm-Ton-Schichten entstehen. Labor ist natürlich Quatsch: Wer Milliarden investiert will sie nicht in den Sand bzw. in Lehm-Ton-Schichten verbaut haben.

Ein juristischer Trick zur Erzeugung eines sogenannten politischen Sachzwangs? Als "trojanisches Pferd für die Endlagerung" wurden diese Labors von WISE, dem weltweiten atomkritischen Infodienst in Paris schon bezeichnet. Denn früher oder später würden die Labors in Endlager für Atommüll umgewandelt. 1995 war von rund 120.000 Tonnen mittel- und hochradioaktiven Müll die Rede, für den es bis heute weder ein Endlager noch eine Verpackung gibt.

Landesweites Netzwerk aus
500 Initiativen

Während der öffentlichen Anhörung im Planungsverfahren hat ANDRA 19,3 Mio. FF an die umliegenden Gemeinden gezahlt, damit die politischen Vertreter für das Endlager in Bure stimmen. Kein Wunder, dass auch die Bevölkerung in der Region mit wenigen Arbeitsplätzen dem Projekt kaum ablehnend gegenüber steht.

Seit Anfang der 90er Jahre widerstehen aber mehrere Bürgerinitiativen der umliegenden Départements den Plänen der Atomindustrie, hier eine "Scheinlösung" für ihr unlösbares Müllproblem zu finden.

Mehrere Demonstrationen - auch mit internationaler Beteiligung haben stattgefunden. Bei der letzten Demo wurde die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit betont: Das Endlager Bure im Saar-Lor-Lux-Raum habe europäische Dimension und könnte auch für deutschen Atommüll genutzt werden, so ein deutscher Vertreter. Also ein Problemexport, um den deutschen Widerstand loszuwerden? Allerdings sind konkrete Hinweise über eine beispielsweise deutsche Beteiligung in diesem Sektor bisher nicht bekannt.

25.000 gegen
die Endlagerung

Vor allem aus dem Südwesten der Bundesrepublik erhalten die französischen Anti-Atom-Initiativen seit gut zwei Jahren Unterstützung. Doch obwohl Bure für die halbe Bundesrepublik näher als Gorleben liegt, sind bisher nur wenige deutsche AtomkraftgegnerInnen zu den Protesten nach Lothringen gekommen. Die BI Lüchow-Dannenberg versucht mit einer Partnerschaft Solidarität zu beweisen, doch wenn nicht mehr deutsche Initiativen Bure auf ihre Tagesordnung setzen, wird die deutsche Unterstützung für die Bauplatzbesetzung diesen Sommer schwach bleiben.

"Noch ist nichts entschieden und nun ist verstärkter Widerstand gegen diesen atomaren Wahnsinn angesagt" erklärte die Sprecherin der französischen Initiativen mit Blick auf die geplante Besetzung des Bauplatzes. Auch deutsche AtomkraftgegnerInnen wollen die ab dem 1. Juli geplante Bauplatzbesetzung unterstützen. Ein Widerstandscamp und verschiedene Aktionen sind geplant. Der Widerstand gegen das Endlager Bure geht dieses Jahr jedenfalls in eine entscheidende Phase und benötigt Unterstützung und Solidarität! Gorleben ist überall!

Markus Pflüger (Koordinationskreis gegen Atomkraft Saar)

Kontakte:
- Koordinationskreis gegen Atomkraft Saar, Försterstr.22, 66111 Saarbrücken, castor-saar@GEOCITIES.COM
- INITIATIVE FüR ATOMAUSSTIEG TRIER C/O AGF, PFüTZENSTR.1, 54290 TRIER, 0651/9941017, ATOMAUSSTIEG@YAHOO.DE
- AKTION 3. WELT SAAR, WEISKIRCHERSTR.24, 66679 LOSHEIM, 06872/993056, A3WSAAR@T-ONLINE.DE
- COORDINATION NATIONAL DES COLLECTIFS CONTRE L'ENFOUISSEMENT DES DèCHETS RADIOACTIFS, (FRANZöSISCHE KOORDINATION DER INITIATIVEN GEGEN ATOMMüLL-ENDLAGER) 33 RUE DU PORT, F-55000 BAR-LE-DUC, TEL/FAX 0033-329 454555

www.altern.org/bure (hier sind auch verschiedene Plakate und Informationen

erhältlich!)