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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 8.6.2000

Fallstricke der Expo 2000

Der Preis der Partizipation am Beispiel Bevölkerungspolitik

Die Expo 2000 präsentiert sich weltoffen. Innovative Ideen, die die Zukunft gestalten, sind erwünscht. Und auch die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind aufgefordert, ihre Visionen für die Zukunft darzustellen. Nach dem sie in den 90er Jahren bei den UNO-Konferenzen ihre Kooperationsfähigkeit unter Beweis stellen durften und in den offiziellen Erklärungen ihre Anliegen zum Teil berücksichtigt wurden, lädt man sie nun auch ein, am runden Tisch der Zukunft Platz zu nehmen. Was bedeutet diese Einladung? Ist es eine Chance oder wird man über den Tisch gezogen? Am Beispiel von "Empowerment" und Bevölkerungspolitik soll dieser Frage nachgegangen werden.

Eine zukunftsfähige Herrschaft muss eine zukunftsfähige Strategie entwickeln. Zivilgesellschaft ist das neue Zauberwort. Interessensgleichheit nach dem Motto - wir sitzen alle in einem Boot - soll uns suggerieren, dass eine Zusammenarbeit sinnvoll ist. Die Zusammenarbeit findet an runden Tischen statt und wenn alles klappt, kommt später ein Konsens dabei raus. Dass dieser Konsens nur die moderne Form der hegemonialen Macht ist, wird durch die gefeierte Gemeinsamkeit verdeckt. Diese Gemeinsamkeit drückt sich insbesondere in einer gemeinsamen Sprache aus. Emanzipatorische Begriffe werden dabei vereinnahmt. Herrschaft wird schöngeredet. Bevölkerungskontrollprogramme klingen wie Frauenbefreiungskonzepte. Weltbank und IWF präsentieren sich als armenfreundliche Hilfsorganisationen. Chemie- und Automobil-Konzerne schreiben sich Ökologie auf ihre Fahnen. Die Waffenindustrie arbeitet für den Frieden. Alle sind für die Zukunft unseres Planeten, für eine nachhaltige Entwicklung. Diese Philosophie wird zur Zeit in Hannover auf der Expo medienwirksam zelebriert. Lobbyarbeit und Partizipation sind die lohnenden erfolgsorientierten Politikkonzepte der Zivilgesellschaft, die sich in Form von NGOs präsentiert.

Die Diskussion über das Für und Wider der Partizipation von NGOs wird seit der UNCED-Konferenz in Rio 1992 sehr kontrovers geführt. Die Agenda 21 lädt alle dazu ein, ihren Beitrag für die nachhaltige Entwicklung zu leisten. NGOs, die der ewigen linken "ich bin dagegen"-Kritik müde geworden sind und endlich Erfolge sehen wollen, haben diese Einladung freudig angenommen. Schluss mit dem ständigen Hinterfragen des Systems und der bestehenden Herrschaftsstrukturen, reformieren statt abschaffen! Diese Partizipationsphilosophie hat in NGO-Kreisen Karriere gemacht. Dabei sein ist alles und vielleicht kommt ja auch noch was dabei rum ...

Seit der Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985 ist Empowerment zu einem feministischen Konzept geworden, das die Machtbildung in der Hand von Frauen zum Ziel hat. Dieses Konzept ist durch das internationale Frauennetzwerk DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era) auf der Weltfrauenkonferenz eingebracht worden und hat in der internationalen Frauenbewegung großen Anklang gefunden. Sich selbst ermächtigen, jenseits staatlicher Interessen und Kontrolle ist die Grundidee von Empowerment.

Das Empowerment-Konzept von DAWN ist als ein offensives Handlungskonzept zu verstehen, dass sich trotz der Verschlechterungen für Frauen in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Bildung und der weiter bestehenden ökonomischen und sozialen Unterordnung der Frauen, insbesondere in den Entwicklungsländern, nicht entmutigen lassen will, sondern Perspektiven für eine Zukunft formuliert, die eine Feminisierung der Entwicklung und auch der Gesellschaft zum Ziel hat. Diese Vision, die sich an den Graswurzelbewegungen orientiert, setzt ein Handeln von unten voraus und lehnt Konzepte von oben ab. "Sie verbinden die ,Globalsicht von unten` mit den langzeitlichen Themen der Frauenbefreiung und anderer Befreiungsbewegungen, nämlich ,ökonomische und soziale Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklung - frei von allen Formen der Unterdrückung auf Grund von Geschlecht, Klasse, Rasse oder Nation (DAWN, 1985)". (1)

Die Karriere von Empowerment

Wesentlich für den Empowerment-Prozess ist die Gründung von Frauenprojekten und die Organisierung von Frauen, damit Frauen durch diese kollektiven Strukturen Stärke erfahren und aktiv eingebunden sind in die Verbesserung ihrer Situation. Die Partizipation der Betroffenen ist ein wesentlicher Ansatzpunkt von DAWN. Innerhalb der internationalen Frauenbewegung sind seit dem viele Projekte mit dem Ziel, Frauen zu empowern, initiiert worden. Durch Hinterfragung der Realität sollen Frauen ein Bewusstsein über ihre gesellschaftliche Situation erlangen und damit ein Selbst-Bewusstsein, das es ihnen ermöglicht, aus der Isolation herauszutreten und sich gegenseitig zu stärken. Empowerment "beinhaltet das Begreifen vom Selbst und von der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, die sich gegen kulturelle und soziale Erwartungen richten, sowie das Begreifen von Verhaltensmustern, die Abhängigkeit, Interdependenzen und Autonomie innerhalb der Familie und in der Gesellschaft im Ganzen bewirken." (2) Diese Aussage von Nelly Stromquist beinhaltet, dass Empowerment nicht mit der Erwartung der Fruchtbarkeitskontrolle verknüpft werden kann, wie es im bevölkerungspolitischen Diskurs mit der Statusverbesserung der Frauen getan wurde. Ebenso kann Empowerment in diesem umfassenden Sinne nicht mit der ökonomischen Erwartung an die Verbesserung der Humanressource Frau und an die Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung des jeweiligen Landes in Verbindung gebracht werden. Seitens der Frauenbewegung ist zunehmend vor der kritiklosen Übernahme des Empowerment-Begriffes gewarnt und die Verwendung von Empowerment zur Charakterisierung/Begründung von staatlichen, entwicklungspolitischen oder bevölkerungspolitischen Konzepten kritisiert worden. Schlussendlich wurde der Begriff an sich in Frage gestellt.

Problematisch ist insbesondere, wenn die Betonung von Empowerment auf der Möglichkeit der Partizipation liegt, wie es in Teilen der internationalen Frauenbewegung der Fall ist. Empowerment wird hier mit Lobbyarbeit für Frauen gleichgesetzt und es wird versucht, übergeordnete Interessen mit den Interessen der Frauen in Verbindung zu bringen. Verkommt hierbei Empowerment nur noch zu einer Worthülse oder einem nichts sagenden Symbol wie z.B. der Grüne Punkt?

Ein Beispiel für diese Art von Empowerment ist der Versuch des Frauenbündnisses "Women's Voices '94" durch Partizipation auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo Einfluss zu nehmen. Welche Folgen hatte dieser Partizipationsversuch? Ein kurzer Blick auf den runden Tisch der Bevölkerungskontrolle: Gab es z.B. seitens der internationalen Frauenbewegung gegen Bevölkerungspolitik in den 80er Jahren noch den Konsens "Bevölkerungskontrolle Nein - Frauen entscheiden selbst!", kippte diese klare Ablehnung in den 90er Jahren anlässlich der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo zu einem Versuch, die Bevölkerungspolitiken feministisch zu reformieren. Teile der Frauengesundheitsbewegung haben sich aufgemacht und sind den Lockrufen der Bevölkerungskontrolleure gefolgt. Reproduktive Rechte, reproduktive Gesundheit und Empowerment sind die Schlüsselbegriffe der Kairoer Erklärung "Women's Voices '94", in der Bevölkerungspolitik in eine gerechte Entwicklungspolitik integriert werden soll. Eine Bevölkerungspolitik von unten statt von oben mit einer mindestens 50-prozentigen Beteiligung der Frauen in allen bevölkerungspolitischen Bereichen wird als erforderliche Voraussetzung für eine feministische Reform der Bevölkerungspolitiken und -programme angesehen. Seitdem sind die Begriffe Empowerment und reproduktive Rechte zu einem festen Bestandteil des neuen bevölkerungspolitischen Vokabulars geworden.

Frei und selbstbestimmt soll die Frau sich entscheiden, dass sie maximal nur zwei Kinder will. Das Problem ist nur, wenn die Frauen sich nicht für diese bevölkerungspolitische Zielvorstellung entscheiden wollen. Doch hier hat die Partizipationsstrategie von Teilen der Frauengesundheitsbewegung vorgesorgt. Der in Kairo entstandene Konsens lieferte den Bevölkerungskontrolleuren die Legitimation für ihre Arbeit. Sprachlich ist ja nun alles klar. Bevölkerungskontrolle ist frauenfreundlich und natürlich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Also, wer wagt dies noch zu hinterfragen! Getarnt mit diesen humanen Idealen gingen sie an die Arbeit und zwangen ca. 300.000 Frauen aus der armen und indigenen Landbevölkerung in Peru zu einer Sterilisation. Für ihre reproduktiven Rechte natürlich. Die Teile der Frauengesundheits-NGOs, die sich die Reformierung der Bevölkerungspolitik auf die Fahne geschrieben haben, schwiegen. Es wäre doch unklug, wegen so einer Sache den Platz am runden Tisch aufzugeben - sie wollen doch nur das Beste für die Frauen erreichen.

Bevölkerungspolitische Ziele werden als emanzipatorisch für Frauen dargestellt. Der Zwangscharakter von Bevölkerungspolitik tritt in den Hintergrund zu Gunsten eines frauenfreundlichen, armenfreundlichen und umweltfreundlichen Images. "Auf dem NRO-Forum in Nairobi war das Empowerment-Konzept als kritischer Gegenentwurf zum Weltbank-Ansatz der ,Integration in die Entwicklung` vorgestellt worden. Seitdem hat es eine zwielichtige Karriere hinter sich gebracht: einen rekordverdächtigen Aufstieg in die Chefetagen der Vereinten Nationen und vieler Regierungen bei gleichzeitig exemplarischer Entleerung des Begriffs. Vollständig von der offiziellen Politik vereinnahmt, wurde ihm sein politisch-kritischer Zahn - nämlich die Machtfrage zu stellen - gezogen, so dass es heute schlicht und harmlos für jedwede Stärkung und Partizipation von Frauen steht." (3)

Empowerment als Prozess, der keine systemüberwindende Perspektive aufwirft, die bestehenden Herrschaftsstrukturen nicht hinterfragt und die Partizipation in den Vordergrund stellt, wird nun zur Legitimation herrschender Politik genutzt. Keine Hochglanzbroschüre der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, kein Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen ohne Empowerment. Zu wessen Ermächtigung diese Art Empowerment dient, ist klar. Im bevölkerungspolitischen Kontext bedeutet Empowerment schlicht und ergreifend, eine Frau dank moderner Reproduktionstechnologie zu ermächtigen, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren wie es bevölkerungspolitisch gewünscht wird.

Auch auf der Expo 2000 wollen die beteiligten NGOs nur das Beste für wen auch immer erreichen. "Die Zukunft beginnt mit einer Vision und dem Willen sie zu verwirklichen." Mit dieser Aussage präsentiert sich der Verband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (VENRO) auf der Expo. Neben der Fahrt zum Mond und dem Sieg über die Pocken fehlt ihnen jetzt nur noch die Beendigung des Hungers. Und dieser soll expogemäß zukunftsfähig mittels Gentechnologie gestillt werden. Das ist die Vision. Woher der Hunger kommt, ist dabei nicht mehr so wichtig, es sei denn, er ist das Ergebnis des Bevölkerungswachstums.

Partizipation zur Legitimation

Diese Formen der Partizipation dienen der Legitimation herrschender Politiken. Eingeforderte Reformen werden nur so lange zugelassen wie sie dienlich sind. Diejenigen die an der Partizipation beteiligt sind, üben keinen Widerstand mehr, sondern agieren in Kooperation mit der Macht. Ist diese erfolgreich, werden Zugeständnisse abgerungen. Dies geschieht, so Marianne Gronemeyer, "zum Vorteil beider, der Protestanten, von denen akuter Schaden abgewendet wird dadurch, dass die Macht weniger großzügig verfahren kann mit dem, was sie in Kauf nimmt, und zum Vorteil der Macht, die in einer bedrohlichen Legitimationskrise den drohenden Machtverlust nicht nur abwenden sondern die Krise in Gewinn ummünzen kann, indem ihr ein notwendiges Zurückweichen aus Fehlentwicklungen nicht zum Eingeständnis eigenen Versagens gerät, sondern zum Erweis funktionierender Demokratie - ein besonderer Zuwachs an Eleganz. (...) Die Macht wird zu ihren eigenen Interessen bekehrt, nicht zu politischer Moral." (4)

Eigene Ziele werden den Zielen derjenigen, die die Macht haben, untergeordnet und es entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das vordergründig vielleicht die eigenen Ziele erahnen lässt, jedoch bei genauerem Hinsehen nicht mehr viel damit zu tun hat. Begriffe wie Empowerment tauchten statt dessen inflationär und sinnentleert in allen nachhaltigen und zukunftsweisenden Debatten auf, wie z.B. im Kontext der Expo 2000 und verschafften ihnen ein frauenfreundliches Image.

Sonya Schneider

Anmerkungen:
1) Zitiert nach Helga Satzinger: Das DAWN-Papier: Morgenrot für die Feminisierung der Entwicklung? In: Peripherie, Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt, Nr. 25/26, S. 143-163, Münster, 1987
2) Nelly Stromquist: Praktische und theoretische Grundlagen für Empowerment. In: Nord-Süd aktuell, J. 7, 2, S. 259-266, 1993
3) Christa Wichterich: Postfeministische Politik bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo. In: Sozialwissenschaftliche Forschung & Praxis für Frauen e.V. (Hrsg.), 17. Jhg., Heft 38, S. 145-151, Köln, 1994
4) Marianne Gronemeyer: Die Macht der Bedürfnisse. Reinbek bei Hamburg, 1988