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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 440 / 6.7.2000

Asyl kein Schutz vor Entführung in den Folterstaat Türkei

Der kurdische Politiker Cevat Soysal, der seit Jahren in der Bundesrepublik Asyl hat, wurde vor einen Jahr während eines Besuches in Moldavien von türkischen Sicherheitskräften entführt und in die Türkei verschleppt. Die Bundesrepublik tut bis heute so, als ob es sie nichts angeht. Im Folgenden drucken wir ein Interview mit dem Rechtsanwalt Levent Kanat, der Cevat Soysal vertritt. Das Interview führte Anna Chondrula.

Frage: Der kurdische Politiker Cevat Soysal, der in der Bundesrepublik seit Jahren als politischer Flüchtling anerkannt war, wurde vor fast einen Jahr aus der Republik Moldavien entführt und in die Türkei verschleppt. Können Sie uns zunächst noch einmal den Hergang dieser Entführung schildern?

Levent Kanat: Am 13. Juli des vergangenen Jahres hielt sich Cevat Soysal in Moldawien in der Wohnung von Bekannten auf. Seinem eigenen Bericht zufolge hat er morgens diese Wohnung verlassen, um seine Frau in Deutschland anzurufen. Kaum hatte er das Haus verlassen, wurde er von drei Personen, die moldawisch sprachen, überfallen und geschlagen. Die drei Männer zogen ihm einen Sack über den Kopf und verfrachteten ihn in ein Auto, wo er weiterhin geschlagen wurde. Schließlich wurde ihm der Sack abgezogen und ihm stattdessen die Augen verbunden. Nach einer Fahrtzeit von ca. 1 1/2 Stunden kamen sie an einen Ort, bei dem mein Mandant anhand der Geräusche davon ausgeht, dass es sich um einen Militärflughafen handelt. Dort wurde er an türkisch sprechende Personen übergeben, die ihn in ein Flugzeug brachten und nach wiederum ca. 1 1/2 Stunden Flugzeit landeten sie mit ihm in der Türkei.

Soweit ich gehört habe, war Cevat Soysal doch für etwa acht Tagen verschwunden, d.h. sein Aufenthaltsort völlig unbekannt?

Genau. Er wurde am 13. Juli in die Türkei verschleppt, dort jedoch zu keiner offiziellen Polizeidienststelle gebracht. Er befand sich in den Händen von türkisch sprechenden Personen, die versuchten, ihn zu verhören und ihn foltern. Ihm wurden Drogen verabreicht, er wurde geschlagen und beleidigt. Erst am 21. Juli wurde er an die Antiterrorabteilung des Polizeipräsidiums in Ankara übergeben. Über den Ort, an dem er während dieser acht Tage gefangen gehalten und misshandelt wurde ist nichts bekannt. Auf Grund der Entfernungen, die mit dem Pkw zurückgelegt wurden, geht mein Mandant davon aus, dass es sich um einen Ort innerhalb Ankaras handelte; er geht davon aus, dass es sich um eine Stelle des türkischen Geheimdienstes MIT in Ankara handelt. Interessanterweise wurde er nach dem 21. Juli auf dem Polizeipräsidium nicht mehr verhört. Man versuchte ihn so weit "wiederherzustellen", dass die Folterspuren nicht mehr allzu offensichtlich waren, denn am 23. Juli wurde er dem Gericht vorgeführt und Untersuchungshaft angeordnet. Das Absurde ist, dass auch in den Gerichtsakten, der 21. Juli als Datum der Festnahme vermerkt ist.

War denn in der Türkei nicht bekannt, dass Cevat Soysal festgenommen bzw. gekidnappt worden war?

Doch natürlich. Es wurde über alle Fernsehkanäle verbreitet, sogar der damalige Staatspräsident Süleyman Demirel erklärte stolz, "wenn es darauf ankommt, bringen wir die Leute sogar aus Moldawien hierher". All dies fiel dazu genau in die Zeit des Türkeibesuchs von Außenminister Fischer. Obwohl der Staat sich also einerseits damit brüstete, Cevat Soysal in die Türkei verschleppt zu haben, verweigert man uns bislang trotz aller erdenklichen Demarchen jede Auskunft darüber, wo sich mein Mandant während der acht Tage vom 13. bis zum 21. Juli befand. Wir haben uns auch an die Ärzte des gerichtsmedizinischen Instituts in Ankara gewandt, die die Folterspuren meines Mandanten behandelt haben. Der Arzt sagte uns, er dürfe uns keine Auskunft geben, er dürfe uns dies nicht einmal schriftlich bestätigen. Auch der Staatsanwalt hat uns jede Auskunft verweigert. All das, obwohl im Fernsehen und auf den Pressefotos für jedermann deutlich erkennbar war, dass mein Mandant auf Grund der erlittenen Folter nicht einmal laufen konnte, sondern von zwei Beamten, die ihn unter den Arm fassten, mehr oder weniger geschleppt wurde.

Wie ist denn die augenblickliche Situation, in welchem Gefängnis befindet sich Cevat Soysal und wie geht es ihm?

Cevat Soysal befindet sich derzeit im Zentralgefängnis von Ankara in Ulucanlar. Er ist dort mit 20 weiteren Gefangenen in einer Gemeinschaftszelle untergebracht, die eigentlich für acht Personen vorgesehen ist. Aber gesundheitlich geht es ihm jetzt besser.

Wie ist der Stand im Gerichtsverfahren?

Bisher haben zehn Verhandlungstage stattgefunden. Für meinen Mandanten wird nach §129 des türkischen Strafgesetzbuches, das ist der Separatismusvorwurf, also der "Versuch die Einheit des Landes zu zerstören" die Todesstrafe verlangt. Es gibt in den Akten allerdings keinerlei Beweise gegen meinen Mandanten. Die ganze Anklage stützt sich auf drei Punkte, die völlig gegenstandslos sind. Dabei handelt es sich zum einen um Aussagen, die verschiedene Personen in der Türkei gegen meinen Mandanten gemacht haben. Diese Aussagen sind aber sämtlichst unter Folter zu Stande gekommene Aussagen bei der Polizei, die von den Betreffenden später während des Gerichtsverfahrens widerrufen wurden. Die meisten dieser Personen sind dann vor Gericht freigesprochen worden! Obwohl wir sofort beantragt haben, auch die gerichtlichen Aussagen dieser Personen, in denen sie ihre unter Folter erpressten Aussagen widerrufen, dem Verfahren beizuziehen, hat das Gericht es bis heute nicht vermocht, die vollständigen Akten von den jeweiligen Gerichten anzufordern bzw. zu beschaffen!

Als zweites wird behauptet, dass ein Großteil der Aktionen, die nach der Festnahme Öcalans in der Türkei stattfanden, auf Anordnung Cevat Soysals durchgeführt wurden. Als angeblicher Beweis findet sich dazu in der Akte zahlreiche angebliche Protokolle abgehörter Telefongespräche, die mein Mandant geführt haben soll. Bei diesen vermeintlichen Protokollen gibt es aber weder Datum oder Zeit, geschweige denn die Namen der abgehörten Personen, mit denen Cevat Soysal gesprochen haben soll. Es heißt immer nur "Person X". Von den Kassetten oder Tonbändern der Mitschnitte fehlt überhaupt jede Spur, es kann also kein Stimmenvergleich gemacht werden, um festzustellen, ob es sich überhaupt um die Stimme von Cevat Soysal handelt. Außerdem ist nirgendwo vermerkt, wer diese Telefonate wann mitgehört haben und protokolliert haben will, und um welche Dienststelle oder Behörde es sich überhaupt handelt. Diese "Abhörprotokolle" haben keinerlei Beweiswert.

Und als drittes wird meinem Mandanten vorgeworfen, dass sein Name in den Aussagen von Abdullah Öcalan vorkommt. Im Zusammenhang mit den Aussagen Öcalans wird meinem Mandanten vorgeworfen, in Moldawien politische Schulungen, Seminare für Kurden durchgeführt zu haben. Dazu hat mein Mandant vor Gericht erklärt, dass er bereits während seiner politischen Aktivitäten in der Türkei für verschiedene legale Organisationen, Gewerkschaften und Parteien (HEP und DEP) politische Bildungsveranstaltungen durchgeführt hat und dieses auch im gesetzlichen Rahmen der europäischen Länder dort weitergeführt hat.

Cevat Soysal ist seit mehreren Jahren als politischer Flüchtling in der Bundesrepublik anerkannt. Seine Familie lebt hier und das jüngste seiner Kinder wurde sogar hier geboren. Zum Zeitpunkt seiner Verschleppung aus Moldawien unterstand Cevat Soysal somit im Grunde dem Schutz der deutschen Behörden. Was hat denn die Bundesrepublik bis heute für Cevat Soysal unternommen?

Nichts. Bisher hat die Bundesrepublik leider nichts unternommen. Lediglich zu den Gerichtsverhandlungen erscheint jeweils ein Beobachter der deutschen Botschaft. Außerdem erkundigte sich die Botschaft ab und zu nach Soysals Gesundheitssituation. Diese Untätigkeit ist auch der Grund für meinen Besuch hier. Die deutschen Stellen ziehen sich darauf zurück, dass die Türkei eine "den juristischen Standards entsprechende Verhandlung" zugesagt habe. Doch dieses Versprechen wird nicht eingehalten. Als Cevat Soysal seinerzeit in der Bundesrepublik politisches Asyl beantragte, hat er vorgebracht, dass auf Grund seiner politischen Einstellung in der Türkei für ihn Lebensgefahr besteht und er hier Schutz vor dieser Verfolgung sucht, und die Bundesrepublik hat ihm politisches Asyl gewährt. Heute ist genau dieser befürchtete Fall eingetreten: Auf Grund seiner politischen Auffassung wird er in der Türkei verfolgt, gefoltert und ihm droht die Todesstrafe, ohne dass irgendwelche Beweise gegen ihn vorliegen. In einer ungesetzlichen Aktion wurde er entführt und wird seit über elf Monaten festgehalten! Dies ist eine Verletzung elementarer Menschenrechte. Die Bundesrepublik, die ihm Asyl gewährt hat, müsste sich aktiv für seinen Schutz einsetzen und Druck auf die Türkei ausüben, dass ein den juristischen Standards entsprechendes Verfahren stattfindet. Denn in einem fairen juristischen Verfahren würde er mit Sicherheit freigesprochen werden!