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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 440 / 6.7.2000

Schwacher EXPO-Protest

Polizeigewahrsam und Platzverweise gegen EXPO-GegnerInnen

Mit insgesamt rund tausend Protestierenden blieb der Widerstand zur EXPO-Eröffnung hinter den selbst gesteckten Erwartungen zurück. Durch Ingewahrsamnahme und Platzverweise gelang es der Hannoveraner Polizei den EXPO-Widerstand ohne großes Aufsehen auszuschalten. Etwa die Hälfte der GegnerInnen fand sich gleich zu Beginn auf der Polizeiwache wieder und wurde mit einem mehrtägigen Aufenthaltsverbot für das gesamte Stadtgebiet Hannover belegt.

"Die hannoverschen Polizistinnen und Polizisten, sowie die sie unterstützenden Beamten aus anderen Städten werden ein Stern auf der Visitenkarte Deutschlands sein, die wir mit der EXPO abgeben und das Bild, das unsere ausländischen Besucher mit nach Hause nehmen, nachhaltig prägen." So die Worte der EXPO-Generalkommissarin Birgit Breuel bei der Vorstellung des Polizeiprogramms zur Weltausstellung. Die Erwartungen an den zuständigen Polizeipräsidenten aus Hannover, Hans-Dieter Klosa, waren dementsprechend hoch. "Nicht nur das Bild Deutschlands in der Welt wird neu geprägt werden, sondern auch das Ansehen der Polizei", betonte Klosa im Vorfeld. Die Polizeiführung legte großen Wert auf eine korrekte Erscheinung der Einsatzkräfte. Klosa verordnete für alle BeamtInnen Kopfbedeckungspflicht, also Helm, Mütze oder Barett. Auch sonst war die Polizeiführung darauf bedacht, die "gesetzten Erwartungen für die Gäste aus allen Ländern zu erfüllen". Der niedersächsische Abschnittsleiter für die "Linksruck"-Demonstration am Eröffnungsmittag lobte nach der Versammlung die Zugformation einer Polizeihundertschaft aus Mainz in höchsten Tönen: "Erste Klasse, vorneweg die BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, Anm. T.N.) dahinter in einer Reihe die restlichen Kräfte! 1A! Nicht so wie gestern der BGS, das war doch nichts!"

Die Direktive für die Eröffnungstage war klar: Einerseits sollte die EXPO ungestört beginnen, andererseits durfte es keine schlechte Presse über den Polizeieinsatz geben. Polizeipräsident Klosa und seine ihm unterstellten Kräfte verfolgten ein Konzept der Deeskalation, indem sie rund 450 Personen in Gewahrsam nahmen, beziehungsweise fest nahmen und anschließend fast ebenso viele Platzverweisungen und Aufenthaltsverbote verhängten. Deeskalation bedeutet aber nicht schlicht Zurückhaltung der Polizeikräfte. Nach Hans-Peter Schmalzl, Dozent an der Polizeiführungsakademie (PFA) Münster-Hiltrup, bedeutet Deeskalation als Ziel die Befriedung der polizeilichen Lage, beziehungsweise der strategische Gedanke dahin. In Ausnahmefällen mag die Befriedung der Lage nur über den Umweg einer in Kauf genommenen Eskalation möglich sein, so der PFA-Dozent. Diesen Leitlinien folgend, holte der Direktor des eigens gebildeten EXPO-Polizeistabes, Hans-Dieter Klosa, rund 8.000 BeamtInnen nach Hannover, die durch massive Präsenz deutlich machten, dass die Grenze des polizeilichen Einschreitens niedrig sein wird. Nachdem zur Befriedung der Lage am Vorabend der Eröffnung das Widerstandscamp durchsucht, Funktelefone und dergleichen zur Gefahrenabwehr sicher gestellt, sowie die ersten Personen zur Wache verbracht wurden, zeigte sich keine 24 Stunden später, dass sich die Polizeiführung auf die Sicherheitslage eingestellt hat. War es den Eröffnungstag über dahingehend ruhig geblieben, dass "nur" gezielte Verhinderungsaktionen der EXPO-GegnerInnen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen führten und dadurch im Laufe des Tages rund 80 Personen in Gewahrsam oder festgenommen waren, nutzte die Polizeiführung eine Spontandemonstration am Abend dazu, rund die Hälfte der VersammlungsteilnehmerInnen von weiteren Protesten gegen die Propagandashow abzuhalten. Die polizeiliche Lage wurde dahingehend befriedet, dass am voraussichtlichen Endpunkt der Spontandemonstration, einem angemeldeten Kundgebungsort der PDS, mehrere Hundertschaften Polizei samt Gefangenentransportern auf die Demonstration warteten. Der Demonstrationszug passierte den von der PDS geplanten Kundgebungsort und wurde dann von Polizeikräften eingekesselt. Wenige Augenblicke später kam es zu den ersten Zugriffen. Dabei kam es auch zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen uniformierten Beamten und Polizisten in Zivil, die versehentlich Ziel einer Zugriffsmaßnahme wurden. Außer dieser Schlägerei kam es in diesem Bereich zu keinen nennenswerten Auseinandersetzungen. Von den später vorgebrachten Steinwürfen war ebenfalls nichts zu sehen. Der Großteil der Versammlung war von diesem Polizeieinsatz derart überrascht, dass es trotz der theoretischen Möglichkeit, einen sich anbahnenden Polizeikessel noch zu verlassen, den wenigsten gelungen ist, die Situation zu analysieren und dementsprechend zu agieren. Die Polizei hatte in der Folge keine Probleme damit, zwiebelschalenartig immer mehr Ketten aufzuziehen und den Bereich weiträumig abzusperren. Die Gefangenenbusse fuhren mehrmals vor, bis alle Eingekesselten abtransportiert waren. Entgegen der Mitteilung eines Polizeisprechers vor Ort wurden alle VersammlungsteilnehmerInnen in Gewahrsam genommen und größtenteils zur Polizeidirektion in die Waterloostraße verbracht, wo sie teilweise bis zum folgenden Mittag auf engstem Raum verbleiben mussten.

Vor dem Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages im Zusammenhang mit den "Chaostagen" 1995 in Hannover merkte der Hannoveraner Polizeipräsident Klosa an, dass ein längerer Aufenthalt im Polizeigewahrsam die Bereitschaft und Möglichkeit "nach der Entlassung weiter zu randalieren" einschränke. Des Weiteren komme "eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Gewalttäter" hinzu. Verstärkt wurde dieses Moment bei den EXPO-GegnerInnen durch die Androhung, nach der Entlassung wieder aufgegriffen zu werden. Fast alle Ingewahrsamnahmen waren mit einem anschließenden Platzverweis für das gesamte Wochenende und das gesamte Stadtgebiet Hannover verbunden. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Platzverweisung kann nach dem nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG) eine weitere Ingewahrsamnahme sein.

Die Polizei konnte sich also darauf verlassen, dass eine ruhig ablaufende Masseningewahrsamnahme, die mit Soliarbeit beschäftigten RestdemonstrantInnen und die abschreckende Wirkung eines halben Quadratmeters Zelle pro Person und Nacht ohne hinreichende Wasserversorgung den Einsatzkräften und den "Gästen aus aller Welt" eine ruhiges EXPO-Eröffnungswochenende bringen werden. Für Anfang August sind "Chaostage" in Hannover angekündigt. Ob Polizeipräsident Klosa auf seine positiven Erfahrungen aufbauen wird?

Timo Nagel