"Keep close ties to the Market"
An Brasiliens Universitäten wehren sich Studierende, Angestellte und DozentInnen gegen Privatisierung
1997 gab die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) eine Studie mit dem Titel "Höhere Bildung in Lateinamerika und der Karibik" heraus. Darin wird dem dortigen Hochschulwesen ein Teufelskreis aus mangelnder Flexibilität hinsichtlich der Bedürfnisse des Marktes sowie Ineffizienz der Lehre und Forschung, verursacht durch die zu große Einflussnahme des Staates, verbunden mit einer zu starken Belastung der öffentlichen Haushalte konstatiert. Die Empfehlungen der IDB lauten: Gründung privater Universitäten und Forschungszentren, "that keep close ties to the Market", Mischfinanzierung aus privat und öffentlich für die verbleibenden staatlichen Universitäten, geknüpft an schärfere Zugangsbeschränkungen für Studierende und "Entschlackung" des Lehrkörpers in geisteswissenschaftlichen Studiengängen. Als positive Beispiele für Länder, die den "Teufelskreis bereits durchbrechen konnten", werden Chile, Mexiko und die Universitäten von Sao Paulo (Brasilien) genannt.
Cecilia Schucmann ist Literaturstudentin an der Bundesuniversität von Sao Paulo (USP). Sie war als Aktivistin der brasilianischen Studierendenbewegung an der Besetzung des Rektorats beteiligt, die Anfang Mai den Auftakt für einen Streik an der USP sowie an zwei weiteren staatlichen Universitäten im Bundesstaat Sao Paulo bildete. Mit Cecilia Schucmann sprach Lars Stubbe am 31. Mai in Hamburg.
ak: In Sao Paulo traten ProfessorInnen, Universitätsangestellte und Studierende gemeinsam in den Streik. Wie sehen eure gemeinsamen Forderungen aus?
In Brasilien spielen die ProfessorInnen und Universitätsangestellten traditionell eine führende Rolle bei Streikbewegungen an den Hochschulen, wobei es meist um Lohnerhöhungen geht. Die Universitätsangestellten haben beispielsweise eine eigene Gewerkschaft, die SINTUSP.
So war es auch bei der Vorbereitung und Ausrufung des Streikes an der USP im Mai. Die ProfessorInnen und Angestellten der Universität forderten in erster Linie eine sofortige Lohnerhöhung von 25 Prozent, was lediglich eine Anpassung an den Inflationsindex wäre.
Wir Studierende schließen uns den Forderungen der ProfessorInnen und der SINTUSP an, weil eine Verbesserung ihrer Situation natürlich auch zur Verbesserung der Lehre beiträgt.
Habt Ihr als Studierende auch eigene Forderungen entwickelt?
Klar versuchen wir auch unseren eigenen Weg zu gehen. Eine unserer Forderungen, die von den ProfessorInnen aber auch unterstützt wird, ist zum Beispiel die Einstellung von 800 zusätzlichen Lehrkräften an den Hochschulen im Bundesstaat Sao Paulo. Uns als Studierende geht es vor allem um die interne Demokratisierung der Hochschulen. Gegenüber dem Rektorat fordern wir die Direktwahlen der Universitätsleitung und der ihr unterstehenden Verwaltung mit einer paritätischen studentischen Beteiligung.
Außerdem fordern wir eine Verbesserung der Situation in den studentischen Wohnheimen sowie der Ernährungssituation in den Mensen. Auch lehnen wir die vorgesehene Privatisierung der studentischen Gesundheitsversorgung strikt ab. Diese wird derzeit noch kostenfrei durch das Universitätskrankenhaus gewährleistet. Doch als erster Schritt der Privatisierung wurden vor kurzem die Postgraduierten von der studentischen Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Wir fordern, dass sie hierzu wieder Zugang bekommen.
Nicht zuletzt geht es uns um die Finanzierung der Universität. Vor und während der Diktatur (1974-1984) gab es Bundesuniversitäten und kirchliche Universitäten, die politisch und administrativ autark waren und eben entweder von der Kirche oder dem Bund, d.h. dem Staat finanziert wurden, was den Generälen logischerweise nicht passte. In den letzten Jahren der Militärregierungen und vor allem in den ersten Jahren der Redemokratisierung wurden dann Universitäten gegründet, die wie Stiftungen funktionieren. Das heißt, dass sie zu einem Drittel vom Bund bezahlt werden, zu einem Drittel von der Privatwirtschaft finanziert sind und zu einem Drittel von den Studierenden. Da die Privatwirtschaft bestimmte, nicht-marktkonforme Studiengänge nicht zu fördern, soll dieses Drittel, laut Regierung, auf die Studierenden umgelegt werden. Wir wehren uns gegen diese selektive Form der Erhöhung der Studiengebühren sowie gegen die Einflussnahme der Privatwirtschaft auf Lehre und Forschung und fordern eine Erhöhung des staatlichen Haushaltes für öffentliche Bildung von neun auf mindestens elf Prozent.
Was war der konkrete Auslöser für den Streik?
Die Initialzündung war eine Demonstration am 13. April in Sao Paulo, die vor allem von der SINTUSP, aber auch von den Lehrkräften und Studierenden organisiert wurde. Wir sind mit 5.000 Leuten losgegangen, am Ende waren es 50.000. Das haben wir insbesondere der Landlosenbewegung MST zu verdanken, die sich uns anschloss. Seit langem versuchen wir über Universitätsprogramme Kontakte zu sozialen Bewegungen herzustellen. So läuft an der USP seit Jahren ein studentisches Austauschprogramm mit dem MST. Wir organisieren für die Landlosen Informationsveranstaltungenen, Fortbildungen und unterstützen ihre besetzten Gemeinden. Diese Form der Solidarität hat dazu geführt, dass uns der MST jetzt im Streik unterstützt. Gleichzeitig hat es aber auch Protestbewegungen und Streiks der Transportarbeiter und im Gesundheitswesen gegeben.
Die Demonstration war von massiver Repression der Polizei begleitet. Der Rektor der USP, Jaques Marcovitch, bestellte die Polizei, die brutal gegen die TeilnehmerInnen einer friedlichen Kundgebung vorging, die zum Auftakt der Demonstration auf dem Gelände der USP stattfand. Zwei Gewerkschaftsführer und einige Studierende wurden festgenommen. Die StudentInnen sind kurze Zeit später wieder freigelassen worden, aber Marcovitch strengt jetzt einen Prozess gegen die SINTUSP an und ließ Polizeikräfte anfordern, die verhindern sollen, dass sich SINTUSP-AktivistInnen vor den Universitätsgebäuden postieren, um StreikbrecherInnen abzuhalten.
Der konkrete Auslöser des Streiks war jedoch die Besetzung des Rektorats von ProfessorInnen, SINTUSP-Mitgliedern und Studierenden. So haben wir Marcovitch dazu zwingen können, mit uns in Verhandlungen zu treten.
Wie entwickelte sich die Studierendenbewegung in Brasilien?
Die "neue" Studierendenbewegung formierte sich vor etwa drei Jahren. 1998 wurde Ferndando Enrique Cardoso von der Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB) erneut zum Präsidenten gewählt. Spätestens ab Ende der 90er Jahre bildete die Öffnung des brasilianischen Marktes und die Privatisierung des öffentlichen Dienstes - 40 Prozent aller in diesem Sektor Beschäftigten sollen entlassen werden - für ihn das Zentrum der Wirtschaftspolitik. Von den sozialen Konsequenzen sind die Universitäten natürlich nicht verschont geblieben.
Vor etwa zwei Jahren begannen wir dann an der USP regelmäßig mit öffentlichen Versammlungen durchzuführen. Ziel war die Sensibilisierung der Studierenden für die Situation der Universität in der Gesellschaft und für soziale Fragen. Vergangenen September veranstalteten wir dann eine studentische Diskussionswoche, wo wir in verschiedenen Foren konkrete Forderungen entwickelten. Dabei sind wir von den ProfessorInnen sehr stark unterstützt worden. Die Foren setzten auch nach dieser Woche ihre Arbeit fort und mündeten dann Anfang Mai in der Ausrufung des Streiks.
Wie waren die Reaktionen auf den Streik in Brasilien und im Ausland?
In Brasilien gab es praktisch eine Nachrichtensperre, deswegen sollte unser Kampf von sozialen Bewegungen im Ausland möglichst breit bekannt gemacht werden. Allerdings geht es uns nicht nur um Solidarität, sondern wir wollen auch auf ein Problem aufmerksam machen, was uns vielleicht zuerst trifft, weil wir aus den Ländern der Dritten Welt kommen, wo die Attacken des globalisierten Kapitalismus zuerst greifen, aber die Umstrukturierungen im Ausbildungs- und Bildungsbereich werden auch soziale Konsequenzen auf die Hochschulen in den Ländern der ersten Welt haben.
Anmerkung: Am 16. Juni erklärten die Lehrkräfte der USP den Streik von ihrer Seite aus vorerst für beendet. Sie konnten eine sofortige Lohnerhöhung von 4,25 Prozent, eine Anpassung der Löhne an die Inflationsrate im kommenden Oktober und eine weitere Gehaltserhöhung um 3,75 Prozent für Januar 2001 aushandeln.