Ringen um den Rest
Präsidentschaftswahlen in Jugoslawien
"Restjugoslawien" steht vor der Zerreißprobe. In allen drei Teilen, welche den Bundesstaat formal noch bilden - Serbien, Montenegro und Kosovo - drohen sich sowohl interne Konflikte als auch die Widersprüche zwischen den Teilen krisenhaft zu zuspitzen. Wie gewohnt, übt sich der Westen in vordergründiger Friedensrhetorik, während die Realpolitik von USA und EU die Konfrontationen tatsächlich verschärfen. Über ein Jahr nach dem Krieg um das Kosovo hat sich das Regime des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic deutlich stabilisieren können. Zwar ist die soziale Situation der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung so prekär wie nie zuvor. Während in Serbien das Pro-Kopf-Einkommen in den letzten zehn Jahren von etwa 6000 DM auf nur noch 2000 DM jährlich (1) gesunken ist, sind die Bürger dazu verurteilt, ihre Fähigkeiten als Überlebenskünstler zu neuer Meisterschaft zu bringen. Aber Milosevic hat dennoch gute Karten, die am 24. September anstehenden Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Geschickt münzt das Regime den Unmut über den sozialen Niedergang in nationalistische, antiwestliche Stimmung um. In Belgrad findet man noch nicht einmal unter den zivilen Mitarbeitern der momentan geschlossenen US-Botschaft Menschen, welche Verständnis für die Nato-Bombardements im letzten Frühjahr aufbringen. Obwohl sich die sichtbaren Kriegsschäden in der jugoslawischen Hauptstadt auf ein paar riesige Löcher in repräsentativen Gebäuden beschränken (in anderen Städten sieht es freilich anders aus), fühlen sich die BürgerInnen selbst direkt getroffen. Der nationalistische Kitt klebt so gut wie selten zuvor. Das konstatieren selbst die einflussreichen Brain-Trusts, welche die westlichen Außenpolitiker in Balkanfragen beraten. So heißt es in einem Report der International Crisis Group: "Milosevic hat in den letzten Monaten wieder an Boden gewonnen, indem er die internen Strukturen des Regimes konsolidieren und Unterstützung gewinnen konnte." (2)
Die parlamentarische Opposition sitzt dagegen in der Zwickmühle. Die von Zoran Djindjic geführte, westorientierte Demokratische Partei (DS) ist angesichts der Nato-Bomben diskreditiert. Deshalb kandidiert für das Parteinbündnis, an dem die DS beteiligt ist, mit Vojislav Kostunica von der kleineren rechts-nationalistischen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) ein ausgemachter Patriot. Er beherrscht die Klaviatur serbisch-nationaler Polit-Lyrik bestens und pflegt außerdem das Image als nicht korrumpierbarer Saubermann: Zwei Pluspunkte. Nur mag seine widersprüchliche Botschaft aus Nationalismus und Westorienierung nicht so recht zünden, weil sie tatsächlich auch nicht sonderlich kongruent ist. Dennoch kann Kostunica mit den Stimmen vieler Unzufriedener, vorrangig aus dem städtischen Mittelstand, rechnen.
Serbisch-
nationalistische Polit-Lyrik
Die beiden anderen Oppositionskandidaten gelten dagegen als chancenlos. Für die Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Draskovic kandidiert der Belgrader Bürgermeister Vojislav Mihajlovic. Seine hauptsächliche Stärke besteht darin, Enkel des Cetnik-Anführers Dragoslav Mihailovic zu sein. Die Cetnik-Bewegung war eine royalistisch-antikommunistische bewaffnete Gruppierung, die während der Besetzung des Balkans durch die deutsche Wehrmacht und die italienische Armee die kommunistischen Tito-Partisanen bekämpfte. Seit der Wiederbelebung des serbischen Nationalismus Ende der 80er Jahre stehen die Cetnics wieder hoch im Kurs. Mihailovic und der SPO werden bei den Wahlen aber kaum Aussicht auf Erfolg ausgerechnet, weil die SPO durch ihr prinzipienloses, machtorientiertes Taktieren zwischen Zusammenarbeit mit Milosevic und Unterstützung der Opposition sowie Korruptionsaffären an Glaubwürdigkeit verloren hat.
Der dritte Oppositionskandidat heißt Tomislav Nikolic und wird von der ultra-nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) des serbischen Vize-Premiers Vojislav Seselj ins Feld geschickt. Der Rechtsextremist Seselj und seine Partei attackieren seit dem verlorenen Krieg um das Kosovo Milosevic als "Verräter", welcher sich die mythenbeladene Provinz hat nehmen lassen.
Nicht zuletzt ist auch ein geschickter politischer Schachzug Milosevics gegenüber der kleinen Partnerrepublik Montenegro für den Wahlkampf von Bedeutung. Anfang Juli drückte er eine Verfassungs- und Wahlrechtsänderung im Bundesparlament durch. Zum einen kann er nun für eine weitere Legislaturperiode kandidieren, zum anderen direkt vom Volk gewählt werden. Konkret heißt das: Der jugoslawische Präsident wird nicht mehr vom paritätisch besetzten föderalen Rat der jugoslawischen Republiken gewählt, in dem 20 serbische und 20 montenegrinische Abgeordnete vertreten sind, sondern von einer Bevölkerung, die aus sechs Millionen SerbInnen und lediglich 600.000 MontenegrinerInnen besteht - Anlass für die montenegrinische Regierungsartei, zum Wahlboykott aufzurufen und - gestreichelt vom Westen - erneut mit einem Unabhängigkeitsreferendum zu drohen. Bereits seit 1998, als Milo Djukanovic Präsident Montenegros wurde, betreibt seine Demokratische Partei der Sozialisten eine behutsame Sezessionspolitik. Falls sich die parlamentarische Opposition in Belgrad also nicht durchsetzt - und alles deutet darauf hin - steuern Montenegros Sezessionisten, unterstützt von der Nato, auf eine entscheidende Konfrontation mit Belgrad. Leidtragende eines militärischen Konfliktes in Montenegro wäre - wie immer - die zivile Bevölkerung.
In Montenegros Hauptstadt Podgorica geht in diesen Tagen die Angst um. Was Montenegro im schlimmsten Fall noch vor sich hat, lässt sich im angrenzenden Kosovo besichtigen. Die Folgeschäden des Krieges im letzten Frühjahr sind nach wie vor katastrophal. Obwohl die albanische Bevölkerung in vielen Orten recht erfolgreich die von serbischen Paramilitärs zerstörten Wohnhäuser wieder aufbaut, ist die Provinz noch immer von den Verwüstungen gezeichnet. Zu den sichtbaren Schäden an Gebäuden, Straßen und Infrastruktur, die teils durch Nato-Bomben, teils durch die Jugoslawische Bundesarmee und serbische Paramilitärs verursacht wurden, treten die unsichtbaren Umweltschäden wie die Kontaminierung von Boden und Wasser durch verbrannte Chemikalien und Bomben. Auch zahlreiche Minenfelder werden jahrelang nicht geräumt werden können, weil dafür die Personalkapazitäten der Uno-Übergangsverwaltung UNMIK nicht ausreichen.
Montenegro: Streichelzoo
des Westens
Für die serbische Bevölkerung im Kosovo und andere "ethnische Gruppen" wie die Roma hält der Krieg weiter an. Die von allen maßgebenden albanischen Parteien und Organisationen angestrebte von Jugoslawien unabhängige Kosova-Republik wird ein ethnisch reiner Nationalstaat sein. Auf den Straßen und in den Cafes von Pristina, Mitrovica und vielen anderen Orten ist es nicht möglich Serbo-Kroatisch zu sprechen, ohne Gefahr zu laufen, in Handgreiflichkeiten verwickelt zu werden. Die noch rund 100.000 im Kosovo lebenden Serben sind in mehrere kleinere Enklaven oder in die Region nördlich der geteilten Stadt Mitrovica geflüchtet. 200.000 Serben mussten über die Grenze nach Jugoslawien fliehen und leben dort unter erbärmlichen Bedingungen.
Die jahrelange Unterdrückung der albanischen Menschen durch die serbisch dominierten Staatsorgane im Kosovo ist einem albanischen Nation-building-Programm gewichen, das entlang ethnischer Grenzen Zugehörigkeit und Ausschluss definiert und physisch durchsetzt. In diesem Kontext ist die Ankündigung des UN-Übergangsverwalters Bernhard Kouchner, am 28. Oktober eigene Kommunalwahlen im Kosovo durchzuführen, das Programm für die Institutionalisierung der durch Gewalt hergestellten ethnischen Teilung der formell immer noch jugoslawischen Provinz. Oliver Ivanovic, Chef der serbischen Enklave in Nord-Mitrovica, erklärte gegenüber ak: "Solange die serbischen Flüchtlinge nicht in das Kosovo zurückkehren können, werden wir die Kommunalwahlen boykottieren." Der smarte Politiker kündigte außerdem an, im Falle der Durchführung von Wahlen im albanischen Teil, über eine autonome serbische Verwaltung im nördlichen Teil des Kosovo abstimmen zu lassen. Die aufgeheizte Stimmung wird noch durch eine in Kolonialherren-Manier durchgeführte Aktion Kouchners begünstigt. Am Montag vorvergangener Woche räumten unter seinem Kommando 800 KFOR-Soldaten die bisher von Serben geführte Bleischmelzerei in der Nähe von Mitrovica. Die Begründung Kouchners: die Bleischmelze, Teil des Bergbaukombinats Trepca und industrielles Zentrum des Kosovo, stelle eine extreme Umweltbelastung dar. Die serbische Belegschaft reagierte mit tagelangen Protesten.
Albanisches Nation-building-
Programm
Während die Wahlen die ethnische Teilung des Kosovo zu zementieren drohen, befinden sich die albanischen Parteien bereits im Wahlkampf. Etwa 30 Gruppen sind inzwischen registriert worden. Die besten Aussichten haben die Demokratische Liga Kosovos (LDK) und die aus der Kosova-Befreiungsarmee (UCK) hervorgegangene Demokratische Partei Kosovas (PDK) von Hasim Thaci. Nach einem Jahr mit von der UCK eingesetzten Bürgermeistern scheinen viele Kosovaren die zivilere LDK zu bevorzugen. In Meinungsumfragen liegt sie vor der PDK. Aber die scheinen sich so leicht ihre Machtpositionen nicht streitig machen zu lassen. In den vergangenen Tagen wurde auf eine Reihe von LDK-Politikern Attentate verübt.
Boris Kanzleiter, Belgrad
Anmerkungen:
1) Samary, Catherine: Warum die serbische Opposition der Massen nicht gewinnt. Le Monde Diplomatique (11.2.2000).
2) Serbia: The Milosevic Regime on the eve of the september elections (17. August 2000). ICG Balkans Report No 99. (Belgrade/Washington/Brussels).
3) So kommt die ICG gar zum Schluss: "Most analysts in Serbia agree that Milosevic will be able to stay in power indefinitely" (a.a.O.).