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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 441 / 31.8.2000

Wider die "affirmative Illusion"

Roswitha Scholz und Das Geschlecht des Kapitalismus - eine Rezension

Marxistische bzw. wertkritische Ansätze in der feministischen Theoriebildung sind schon lange out. Dies ist u.a. der Tatsache geschuldet, dass Karl Marx dem Reproduktionsbereich kaum eine Zeile in seinem großen Werk gewidmet hat und nur der Lohnarbeit zu theoretischen Ehren verhalf. Zudem wollte die Aufhebung der Geschlechtsneutralität Marxscher Kategorien nicht so recht gelingen. Schnell hatte sich der Hauptwiderspruch von Kapital und Arbeit durch die Hintertür in die marxo-feministische Theorie eingeschlichen. Roswitha Scholz von der Gruppe Krisis wagt nun mit ihrem Buch Geschlecht des Kapitalismus einen neuen Versuch kapitalismuskritischer, feministischer Theorie.

Scholz hat den Stoff von Karl Marx und Theodor W. Adorno aus der Mottenkiste herausgezogen und die noch nicht von feministischen Motten angefressenen Teile mit eigenen Interpretationen und Anregungen aus 20 Jahren feministischer Theoriebildung zusammengeflickt.

Im Zentrum ihrer Überlegungen steht die Wertabspaltungsthese. Mit diesem Ansatz fängt Scholz die Thematik des hierarchischen Geschlechterverhältnisses ein und setzt sie in ihrer theoretischen Mehrdimensionalität mit wertkritischen Grundannahmen in Beziehung. Dabei berücksichtigt sie sowohl die materielle, die kulturell-symbolische sowie die sozialpsychologische Ebene, ohne in ein Basis-Überbau-Schema zu verfallen.

Das "Weibliche" wird abgespalten

Ihre These von der Wertabspaltung entfaltet sie in einem kritisch-abgrenzenden Bezug auf bundesdeutsche feministische Autorinnen und Ansätze der vergangenen zwei Jahrzehnte: Renate Becker-Schmidt und Gudrun Axeli-Knapp, Frigga Haug, Ursula Beer, die "Bielefelderinnen" um Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, Irmgard Schulz, Ilona Ostner und Elisabeth Beck-Gernsheim sowie Christa Wichterich u.a.. Bei dieser kritischen Bezugnahme zeigt sich, dass die Rede von der Wertabspaltung mehr beinhaltet, als die bloße Einsicht, dass Kapitalismus und Patriarchat wesensmäßig miteinander gekoppelt sind.

Ausgehend von einer fundamentalen Wertkritik, die den Wert als Ausdruck eines gesellschaftlichen Fetischverhältnisses versteht und kritisiert, skizziert Scholz deren Indifferenz gegenüber dem hierarchischen Geschlechterverhältnis.

Das Patriarchat verwildert

Die Wertabspaltungsthese behauptet, dass im warenproduzierenden Kapitalismus "das Weibliche" - u.a. die Hausarbeit, das Sinnliche und das Kontingente - vom Wert, von der abstrakten Arbeit und den damit zusammenhängenden Rationalitätsformen abgespalten wird. Wert und "Abspaltung" stehen dabei in einem dialektischen Verhältnis - als Trennung in einer Einheit - zueinander. "Der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang bestimmt sich also keineswegs allein aus der fetischistischen Selbstbewegung des Geldes und dem Selbstzweckcharakter der abstrakten Arbeit im Kapitalismus. Vielmehr findet eine geschlechtsspezifische ,Abspaltung` statt, die mit dem Wert dialektisch vermittelt ist. Das Abgespaltene ist kein bloßes Subsystem dieser Form, sondern wesentlich konstitutiv für das gesellschaftliche Gesamtverhältnis. Das heißt, es besteht kein logisch-immanentes ,Ableitungsverhältnis` zwischen Wert und Abspaltung (...). Beides ist im anderen enthalten, ohne deshalb jeweils mit ihm identisch zu sein. Es handelt sich um die beiden zentralen, wesentlichen Momente desselben in sich widersprüchlichen und gebrochenen gesellschaftlichen Verhältnisses, die auf demselben hohen Abstraktionsniveau erfasst werden müssen." (S.18)

Scholz holt das hierarchische Geschlechterverhältnis in die gesellschaftliche Totalität hinein. Das Abgespaltene erhält eine "Form der Formlosigkeit" (S.21), die nicht mehr mit den Kategorien der Wertkritik erfasst werden kann. Denn diese begreift alles, was aus der Warenform herausfällt, als "nichtlogisch" und "nichtbegrifflich" und katapultiert sie aus der Theoriebildung heraus.

Das abgespaltene "Weibliche" verklärt Scholz nun nicht zum besseren Gegenstück zur warenförmigen "Männlichkeit". Vielmehr handelt es sich um eine negative Einheit von Warenform und Abspaltung. Sie wendet sich auch gegen die in einigen linken und feministischen Ansätzen vorfindbare Lobpreisung des Gebrauchswertes als vermeintlich "weibliches", sinnliches und widerständiges Gegenstück zum Tauschwert. Vielmehr muss der Gebrauchswert als Geschöpf des Kapitals selbst betrachtet werden. Die Vorstellung eines abstrakten Nutzens des Gebrauchswertes kann erst auftauchen, nachdem sich die Warenform durch das Kapitalverhältnis einigermaßen flächendeckend verallgemeinert hat. Der Gebrauchswert ist nur im Zirkulationsprozess Gebrauchswert, er bezeichnet nicht den konkreten Nutzen des sinnlich-stofflichen Gebrauchs, sondern nur den abstrakten Nutzen eines Tauschwertes.

Das Gros der feministischen Theorie hängt einer "affirmativen Illusion" (S.99) an. Ähnliche Vorwürfe, die sich an die traditionelle Arbeiterbewegung richteten, ereilen auch die Frauenbewegung. Vor allem kritisiert Scholz die Ontologisierung des Arbeitsbegriffes und die Vernachlässigung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhanges, weil dabei die soziale Konstruktion und historische Durchsetzung der modernen (Lohn-)Arbeit aus dem Blick gerät.

Forderungen nach einer Bezahlung von Hausarbeit oder wenigstens eine Höherbewertung der nicht-entlohnten Arbeiten erteilt sie genauso eine Absage wie den Versuchen, die Lohnarbeit "frauenfreundlicher" zu gestalten. Indem Geschlecht als "soziale Strukturkategorie" (Becker-Schmidt), analog zur "Klasse", gefasst wird, die soziale Chancen zuweist, offenbart sich, dass das Problem nur auf einer Oberflächenebene behandelt wird. Diese Perspektive zeigt auch, dass es sich hier im Grunde um das systemimmanente Prinzip von Verteilungsgerechtigkeit im Sinne eines alten Klassendenkens handelt: Frau will mehr vom Kuchen abhaben , und zwar ein "gerechtes" Stück.

Kritisiert wird auch Becker-Schmidts These, wonach Männer und Frauen zuerst kulturell hergestellt sein müssen, damit eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung möglich wird. Nach Scholz Meinung kann es hier keine Vorgängigkeit geben, da Männlichkeit und Weiblichkeit im Sinne moderner Zweigeschlechtlichkeit und die Aufteilung in abstrakte Arbeit und Hausarbeit logisch und historisch zusammengehören. Taucht die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei Becker-Schmidt nur als Begleiterscheinung von Denkformen, Institutionalisierungen und sozialpsychologischen Konflikten auf, die aus der Geschlechterdifferenz entstehen, so hatten Beck-Gernsheim/Ostner dagegen die materielle Dimension der Trennung von Berufsarbeit und Hausarbeit überbetont. Beide Varianten sind unzureichend, da sie jeweils eine Schlagseite in Richtung Kultur bzw. in Richtung Ökonomie aufweisen und diese Seiten jeweils absolut setzen.

Die Wertabspaltungsthese bezieht Scholz aber nicht nur auf das Patriarchat und die feministische Theorie der Moderne. Sie konfrontiert ihren Ansatz auch mit dem gewandelten, "verwilderten" Patriarchat in einer globalisierten, postmodernen Welt. Trotz der Erosion traditioneller Geschlechtervorstellungen existiert weiterhin ein hierarchisches Geschlechterverhältnis. Angesichts einer weltweiten "Feminisierung der Armut" und einer "Feminisierung der Verantwortung" (Christa Wichterich) im sozialen und ökologischen Bereich stellt Scholz fest, dass sich die Geschlechteridentitäten zwar auflösen, aber nicht aufheben. Folglich stellt sich in der "Verwilderung des Patriarchats" (S. 137) erneut ein hierarchisches Verhältnis zwischen den Geschlechtern ein.

Behauptungen wie beispielsweise von Christel Dormagen, die meinen, Männer und Frauen seien auf dem postmodernen Markt strukturell gleich geworden, erteilt sie damit eine Absage. Auch postmoderne, dekonstruktivistische Ansätze, die eine Auflösung starrer Geschlechteridentitäten behaupten, kritisiert sie mit den Schlagworten "Edel-Individualisierung" und "Zwangs-Flexi-Identitäten". Diese Konzepte verdoppeln nur noch die gesellschaftliche Wirklichkeit in der Theorie und bekräftigen diese.

Damit wendet sie sich gegen eine Verabsolutierung von Differenzen in der Postmoderne, da diese Praxis einen konservativen Charakter besitze und bei politischen Entscheidungen lähme. Die widersprüchlichen Entwürfe, Differenzen und Ambivalenzen bleiben einfach nebeneinander stehen. Kontroversen auf internationalen Konferenzen wie z.B. im Frauen-NGO-Forum in Huairou im Rahmen der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 oder innerhalb des Süd-Netzwerk DAWN werden kaum mehr ausgetragen.

Diese Lähmung zeigt sich auch in der feministischen Theorie, die sich mehr und mehr in eine Gender-Theorie verwandelt. Die dekonstruktivistischen Ansätze können das binäre Geschlechtermodell in Frage stellen, sie sind aber nach Scholzens Ansicht kaum mehr in der Lage, sich in der Frauenfrage zu positionieren. Zwar gerät ihr zuweilen bei der Kritik dekonstruktivistischer Theorie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Ansatzes und seines berechtigten Abgrenzungsbedürfnisses gegenüber unzureichendenden, essentialistischen Konzepten aus dem Blick. Auch wird sie postmodernen Theorien nicht gerecht, wenn sie Dekonstruktion und Ansätze von "devianten Subjekten" (Sabine Hark) nurmehr auf ein Repertoire sozialer Rollen (Mutter, Geschäftsfrau, Geliebte, etc..) reduziert, das eine Frau in sich vereinigt. Dennoch kann nicht abgestritten werden, dass eine Pluralisierung der Lebensstile, ein Spielen mit Identitäten und eine Zunahme biografischer Wahlmöglichkeiten den Erfordernissen postfordistischer Gesellschaften entspricht bzw. diese zur Voraussetzung hat.

Scholz plädiert nicht für eine Rückkehr zu einer "Dominanzkultur" (Birgit Rommelsbacher), in der Differenzen unterbelichtet bleiben, wohl aber für das zu vollbringende Kunststück, auch "auf der Ebene des praktischen Engagements die Spannung zwischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden, zwischen Allgemeinem und Besonderem/Einzelnem auszuhalten und zu bewältigen". Ratschläge, wie dies konkret zu bewerkstelligen ist, erteilt sie nicht.

Das Buch von Scholz ist kein - wie sie selbst formuliert - "Theorieburger" (S.12) zum Reinziehen. Es ist vielmehr ein hartes Stück Brot, das gründlich gekaut werden will. Satt und zufrieden ist man nach der Lektüre allerdings nicht - der Text bietet keine "psychologische Entlastung" in Form einfacher Erklärungen und hoffnungsvollen Handlungsansätzen. Scholzens abstrakte Ausführungen sind u.a. der Einsicht Adornos geschuldet, wonach sich eine konkrete Handlungsanleitung verbiete und bereits die Präzisierung des "Falschen" ein Index des "Richtigen" sei.

"Zwangs-Flexi-
Identitäten"

Im Vordergrund steht die Verstrickung der verschiedenen feministischen Überlegungen in den Gesamtzusammenhang der Wertabspaltung - sei es der nationalstaatlich orientierte neue "Geschlechtervertrag", die globale "Neubestimmung des Politischen" im Sinne einer Zivilgesellschaft oder die Subsistenzarbeitsvision.

Dennoch fragt sie auch nach emanzipatorischen Bewegungsspielräumen im Sinne der Wertabspaltungsthese. Sie verwirft nicht rigoros jegliche konkrete Forderung, die sich systemimmanent bewegt; sie stellt aber klar, dass sie "pseudo-konkrete, illusorische Handlungsmodelle" ablehnt, die sich schon von vornherein bloß auf systemimmanenten Terrain bewegen, ohne eine "gesellschaftstranszendierende Perspektive überhaupt noch in den Blick nehmen zu können" (S. 172).

Statt unverbindlicher Bündnis-Initiativen soll auf einer gemeinsamen, antikapitalistischen Plattform bestanden werden, die sich einen gesellschaftskritischen Standpunkt erobert. Das warenförmige Patriarchat mit all seinen Implikationen in Frage zu stellen bedeutet für Scholz, nach Wegen zu suchen, "die jenseits von konkurrenten Individualisierungstendenzen, jenseits der geschlechtlichen Funktionsteilung, der Zwangsheterosexualität und der vorrangigen ökologisch-sozialen Krisenverantwortung von Frauen" (S.159f) liegen.

Anke Schwarzer

Roswitha Scholz: Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministischen Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats.

Horlemann-Verlag, edition krisis, Bad Honnef, 2000, 201 Seiten, 24 DM