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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 441 / 31.8.2000

Antirassistisches Grenzcamp: Positionierung gegen Umarmung der Staats-Antifa

Keine Angst vor Kameras

Vom 28. Juli bis 6. August fand das dritte antirassistische Grenzcamp an der polnisch-deutschen Grenze im brandenburgischen Forst (Lausitz) statt. Die insgesamt 1000 TeilnehmerInnen kamen aus unterschiedlichsten Gruppierungen und Zusammenhängen, darunter auch polnische Gruppen und Flüchtlingsorganisationen.

Begonnen hatte es mit Business as usual: Die Lausitzer Rundschau (LR) erschrieb Horrorszenarien von "Gewalt" und linken "Chaoten". Der Forster Bürgermeister Reinfeld (CDU) verweigerte die Vermietung eines Geländes an die Grenzcamp-Koordination und setzte private Grundbesitzer massiv unter Druck, keinen Zeltplatz zur Verfügung zu stellen. Die Begründung: Das Camp gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung; AntirassistInnen zögen Nazis an, und eine Imageschädigung der Stadt Forst nach sich.

Trotzdem trafen am Freitag mehrere hundert CampteilnehmerInnen auf dem Forster Marktplatz ein, wo sie von den wenigen, aber völlig euphorisierten lokalen Punks lauthals empfangen wurden. Schon nach einer Stunde Verhandlungen konnte das Camp am Stadtrand aufgebaut werden. Bürgermeister Reinfeld zeigte sich zwar brüskiert, aber de facto traf die Polizei die Entscheidung und ihm blieb nicht weiter übrig, als das Camp zu "dulden".

Der obligatorische "Stadtspaziergang", ein Fußballturnier mit Flüchtlingen, Sprühaktionen, Straßentheater, die Umbenennung einiger Straßen mit den Namen von AntifaschistInnen, die flächendeckend in Forst verteilte Campzeitung sowie das eigens eingerichtete Camp-Radio sorgten in und um Forst für große Aufmerksamkeit. Zudem gelang es, Kontakte zu den in der Kleinstadt lebenden Flüchtlinge aufzunehmen und deren Situation deutlich zu machen.

An der Neiße errichteten Camp-AktivistInnen symbolische Grenzübergänge, um auf den Abschottungscharakter der EU-Außengrenze hinzuweisen. Eines Nachts sickerte durch, dass der BGS nach acht "illegal eingereisten" Menschen im Grenzgebiet fahndet. Mit verschiedenen spontanen Aktionen konnte die Fahndung behindert werden. Erstaunlich positive Resonanz erhielt ein vom Camp organisierter gemeinsamer Einkauf mit Flüchtlingen in einigen Forster Supermärkten. Sogar ein Filialleiter ließ sich bereitwillig über den Zwangscharakter des Gutscheinsystems aufklären. Eine Initiative des Camps gewann Forster BürgerInnen als Paten für einen regelmäßigen Umtausch der Gutscheine.

Mit Absperrband markierte "kontrollfreie Zonen" und Plakate, auf denen "Vorsicht! Rassistische Kontrolle" in großen Lettern prangten, störten BGS-Beamte bei der Durchführung verdachtsunabhängiger Kontrollen am Cottbusser Hauptbahnhof. Weitere Aktionen richteten sich gegen Treffpunkte von Nazis im nahe gelegenen Spremberg sowie gegen den dortigen Bürgermeister Woschatz (CDU), der Forderung nach einem nächtlichen Ausgangsverbot für Nicht-Deutsche vertrat. Eine Demonstration in Eisenhüttenstadt führte zur Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber, in der zugleich ein Abschiebeknast (ZABH) integriert ist. Im berühmt-berüchtigten Guben besuchten die CampteilnehmerInnen neben Veranstaltungen zum Gedenken an den von Nazis zu Tode gehetzten Omar Ben Noui alias Farid Guendoul, den jüdischen Friedhof - häufiges Ziel von neonazistischen Angriffen - und führten an einigen in der Nähe befindlichen Wehrmachtsgräbern ein so genanntes Teach-in gegen Antisemitismus durch.

Bürgermeister brüskiert

Im Gegensatz zum letzten Jahr lag ein weiterer Schwerpunkt auf campinternen inhaltlichen Diskussionen. So setzte sich eine Arbeitsgruppe mit den Fragen linksradikaler Identität und politischer Organisierung auseinander. Intensive und kontroverse Diskussionen gab es aber vor allem um das Thema Sexismus. Konkret entspann sich die Debatte an zwei politischen Gruppen: Die auch auf dem Forster-Camp anwesenden Anarchistische Föderation (FA) aus Poznan (Polen) war schon im Vorfeld von der bundesweiten Vorbereitungsgruppe kritisiert worden. Dabei ging es um sexistisches Verhalten von Einzelnen der FA und den Umgang der Gruppe in gemeinsamen Diskussionen. Die bundesweite Vorbereitungsgruppe beschloss, vorerst nicht mit der FA-Poznan zusammenzuarbeiten. Als die FA im Rahmen des Forster-Camps ein von ihr organisiertes antirassistische Grenzcamp an der polnischen Ostgrenze vorstellen wollte, wurde sie mit der Kritik der bundesweiten Vorbereitungsgruppe konfrontiert. Die darauf folgende Auseinandersetzung verlief ergebnislos, die FA-Mitglieder verließen das Camp.

Eine zweite, viel umfassender geführte Diskussion (be)traf die Flüchtlingsorganisation The Voice, die an der Grenzcampvorbereitung beteiligt war und mehrere Veranstaltungen dort organisierte. Teilnehmerinnen eines Antifa-Workcamps ausgelöst, das kurz zuvor in Weimar stattgefunden hatte, warfen The Voice vor, dass von ihnen nach Weimar mobilisierte Flüchtlinge für verschiedene sexistische Übergriffe gegen Frauen verantwortlich seien, die dort vorgefallen waren. Die Frauen verlangten von The Voice "innerhalb ihrer gruppe + ihrem umfeld (...) dafür zu sorgen, dass solche übergriffe in zukunft unmöglich werden um auch in zukunft gemeinsam gegen den rassistischen staat + die rassistische bevölkerung agieren zu können." The Voice kritisierte die Politik - erst der Kampf gegen Sexismus, dann der Kampf gegen Rassismus - als Hierarchisierung von Unterdrückungsverhältnissen. Nach kontroversen Diskussionen verfasste eine Arbeitsgruppe ein Papier, das auf dem Abschlussplenum diskutiert wurde. Die AutorInnen kritisierten, in den Diskussionen zeige sich eine "Tendenz zur Ethnisierung des Problems: (...) nicht-deutsche Männer gelten als sexistischer als deutsche", und problematisierten, dass nur The Voice, nicht aber "wir alle oder Männer überhaupt" aufgefordert wurden, sich zu den angeprangerten sexistischen Übergriffen zu verhalten. In dem Papier heißt es weiter: "Wir finden es im übrigen grundsätzlich unsinnig, von einer Organisation zu fordern, in ihrer Gruppe und ihrem Umfeld dafür zu sorgen, dass solche Übergriffe unmöglich werden, weil das leider im real existierenden Patriarchat nicht machbar ist (...)."

Medien beglückt - Polizei verspottet

Das Grenzcamp startete im Windschatten des Anschlages in Düsseldorf. So zeigten die Medien ein plötzliches und unerwartetes Interesse für das "Engagement gegen Rechts" und berichteten ebenso wohlwollend wie ausführlich über die Aktivitäten in Forst, fast täglich wurde auf dem Campgelände gefilmt. So war in Berliner Medien von "Menschenrechtlern" zu lesen, die "gegen Fremdenfeindlichkeit demonstrieren". Die starke Präsenz der Medien, aber auch das auffällig zurückhaltende Auftreten von Polizei und Bundesgrenzschutz - offenbar eine Weisung "von oben" - löste unter den CampteilnehmerInnen ein unsicheres Gefühl aus.

Spätestens als das Grenzcamp in den "Tagesthemen" als Beweis für die Existenz "anständiger Deutscher mit Zivilcourage" herhalten musste, artikulierte sich unter den AktivistInnen sehr deutlicher Widerwillen gegen die potenzielle Vereinnahmung durch die "staatliche Antifa". In einem Beitrag des Camp-Webjournals vom 4. August heißt es: "Wir finden uns also in einer paradoxen Situation wieder. (...) Zwar unterstützen wir mit unserer Präsenz hier Interessen, die wir ablehnen. Zugleich sehen aber auch viele, dass wir - vielleicht seit Jahren wieder zum ersten Mal - den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen können. Unsere Inhalte konnten nicht vermittelt werden, solange die Presse uns nur als Störfaktor porträtierte. Doch jetzt fragen sie uns nach unserer Meinung und schreiben die häufig auch brav auf. Da wir auf diese Situation jedoch nicht vorbereitet waren, kamen unsere Inhalte nur dürftig rüber, kritisieren viele."

Eine kohärente politische Position zu diesem Problem ließ sich nur ansatzweise finden. Zunächst reagierten einige AktivistInnen mit einer Aktion, die die Abgrenzung zum oktroyierten Schmusekurs deutlich machen sollte. Sie blockierten die Zufahrtswege zur BGS-Kaserne im angrenzenden Jänschwalde, rissen die Straße auf und errichteten mit Baumstämmen Barrikaden. Der BGS rückte erst an, als die "Bauarbeiten" bereits beendet waren. Im Nachhinein betrachtet diente die Aktion allerdings weniger einer radikal antirassistischen Positionierung in der aktuellen Rechtsextremismus-Debatte, als vielmehr der Wiederherstellung einer altbekannten Konfrontation: "Bullen gegen Autonome". Deshalb reagierten Polizei und Medien auch sehr unterschiedlich darauf. Die Medien wiederholten nicht wie üblich ihre stereotypen Beschreibungen von "vermummten linksautonomen Gewalttätern", sondern nahmen die Inhalte der Camp-Pressegruppe auf. Ein Artikel in der Lausitzer Rundschau zitierte unkommentiert die Forderungen nach der Abschaffung des BGS und "offenen Grenzen für alle".

Die Polizei ihrerseits hielt zwar die freundliche Rhetorik bei, wechselte aber die Gangart. Bei den auf die BGS-Blockade folgenden Aktionen in Spremberg und Eisenhüttenstadt rückte die Bereitschaftspolizei aus Potsdam sowie Spezialeinheiten von Polizei und BGS an und versuchten mit Kontrollen, Spalieren und vereinzelten Provokationen, die Demonstrationen zu behindern.

Kurz vor Ende des Camps, am Sonntag morgen, stürmten dann doch noch mehrere hundert Beamte das Campgelände. Offiziell sollte der Sender beschlagnahmt werden, mit dessen Hilfe das Campradio über zehn Tage hinweg - ohne Genehmigung (ein Legalisierungsangebot der Telekom lehnten die BetreiberInnen ab) - gesendet hatte. Doch die geplante Demonstration der Macht geriet zur Farce: Die Uniformierten mussten sich mit Sprechchören wie "heimlich hört ihr sowieso: Unser tolles Radio" verspotten lassen und nach fast zweistündigerSuche ohne Erfolg wieder abziehen.

Trotz allem hat das diesjährige Grenzcamp eines seiner erklärten Ziele erreicht: Die Menschen vor Ort, die sich dem rassistischen Konsens widersetzen möchten, zu unterstützen, und die anderen mit antirassistischen Positionen zu konfrontieren. Dies ist in Forst vor allem deshalb besser gelungen, weil dort das politische Klima liberaler und weniger völkisch-rassistisch ist als in Zittau, Guben oder Eisenhüttenstadt. Die intensiver und fundierter geführten Diskussionen stärkten zudem auch die interne Camp-Struktur und die politische Positionierung der TeilnehmerInnen.

AktivistInnen nachdenklich

Nun geht es darum, sowohl der Vernetzung zwischen den verschiedenen Gruppen, als auch den inhaltlichen Diskussionen Kontinuität zu verleihen. Im Vordergrund sollte eine Diskussion über die aktuelle staatlich verordnete Rechtsextremismus-Debatte stehen: Worum geht es dabei eigentlich? Um den heiligen Wirtschafts-Standort Deutschland oder um die Legitimierung schärferer Polizeigesetze? Die antirassistische Linke sollte deutlich artikulieren, dass das Problem nicht einige Rechtsradikale sind, denen sich eine erstarkte Zivilgesellschaft entgegen stellen muss, sondern dass das Problem der alltägliche Rassismus ist, der vorrangig von eben jener Zivilgesellschaft ausgeht. Nicht zuletzt geht es darum zu diskutieren, worin die Gesellschaftskritik antirassistisch-linksradikaler Politikansätze besteht.

In einem Leserbrief aus der Lausitzer Rundschau vom 14. August heißt es: "Am Sonntag Nachmittag verabschiedeten sich die Camp-Teilnehmer lachend und fröhlich winkend von den Forster Bürgern. Es ist Zeit, über Vieles nachzudenken, worauf die Teilnehmer des antirassistischen Grenzcamp in Forst aufmerksam machen wollten und getan haben."

Sabine Thorwald/ Bernd Dropmeier

Ausführliche Informationen zum Camp (Aktionsberichte, Diskussionspapiere, Fotos, Presseartikel) gibt es im Webjournal unter http://www.nadir.org/camp00
Ein zwölfminütiges Video zum Camp kann angesehen werden unter http://www.umbruch-bildarchiv.de/
video/videofenster.html