Antifaschismus für den Wirtschaftsstandort
Fast zehn Jahre nach dem Überfall des rassistischen Mobs auf die Flüchtlingsunterkunft in Hoyerswerda, Jahre nach den Brandanschlägen auf Wohnhäuser und Flüchtlingsunterkünfte in Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen und Lübeck, entdeckten Medien und PolikerInnen aller Couleur plötzlich Nazis auf deutschen Straßen. Der Bombenanschlag von Düsseldorf, bis heute nicht eindeutig rechtsextremen Tätern zuzuordnen, brachte die schon den Sommer über schwebende Diskussion zum Durchbruch: Härteres Durchgreifen gegen den Nazi-Terror, der immer neue Attentate auf Obdachlose, Antifaschisten, Ausländer, jüdische Einrichtungen, eben alles was irgendwie anders ist, hervorbringt.
Der Zentralrat der Juden forderte dazu auf, den "Arsch hochzukriegen", Bundestagspräsident Thierse hatte schon im Juli im Informationsdienst Blick nach Rechts Zivilcourage eingefordert, Regierungssprecher Heye schließlich gründete eine entsprechende überparteiliche Initiative von Prominenten. Die bürgerliche Presse überschlägt sich mit Extraseiten zum Rechtsextremismus und Forderungen nach konsequentem Auftreten der BürgerInnen. Zivilcourage ist das beherrschende Thema - eine durchaus sinnvolle Debatte angesichts von Duldung, Fördern, Wegschauen, Unsicherheit und Angst. Zivilcourage - das ist eine Aufforderung an jeden, sich gegen jede Form von Nazi-Propaganda und -Aktionen zu stellen.
Die NPD
zeigt Wirkung
Ganz im Gegensatz zu diesem Ansatz wusste CSU-Beckstein aber gleich den alles entscheidenden Rat: Die NPD muss verboten werden, dann ist a Ruh! Auch die Bundesregierung setzt eindeutig ihren Schwerpunkt auf repressives Regierungshandeln: Das Verbot wird auf seinen Nutzen und seine Stichhaltigkeit hin geprüft, für Oktober ist eine große Bundestagsdebatte angesetzt. Auf einer Innenministerkonferenz wurde ein Aktionsprogramm auf den Weg gebracht, das den verstärkten Einsatz von Bundesgrenzschutz auf Bahnhöfen vorsieht, sowie weitere aktive Repressionsmaßnahmen wie Sonder- und Schnellgerichte oder verstärkte Videoüberwachung. Gegen rechtsextreme Schläger wird - ähnlich wie bei Hooligans - eine bundeseinheitliche Kartei geschaffen, bekannte Rechtsextreme sollen durch Hausbesuche eingeschüchtert werden, ein Aussteigerprogramm soll Rechte zum "Auspacken" bewegen und insgesamt 75 Millionen DM sollen in den nächsten drei Jahren für die Unterstützung antifaschistischer Initiativen locker gemacht werden.
Parallel zu den geplanten staatlichen Maßnahmen entfalten BDI (Henkel) und BDA (Hundt) eine Kampagne gegen Neonazis in den Betrieben. Der BDA empfiehlt, Rechtsextremen zu kündigen. Auf lange Sicht würde die Ausländerfeindlichkeit dem internationalen Ansehen der BRD schaden. Nach der Entscheidung, mit der Greencard ausländische SpezialistInnen für den Wirtschaftsstandort Deutschland ins Land zu holen, fürchtet die Wirtschaft jetzt, dass Angesichts der rassistischen Realität auf der Straße, niemand sich diesem Wagnis aussetzen will. Schon 1992 - nach dem Pogrom von Rostock, wurden u.a. japanische Geschäftsleute gewarnt, in legerer Kleidung im Osten aufzulaufen: Sie könnten für Vietnamesen gehalten werden. Forschungsinstitute in der ehemaligen DDR beklagen, dass sie kaum noch ausländische Fachkräfte bekämen angesichts der Verunsicherung in Bezug auf rechtsextreme Übergriffe.
Diese Ausländer wird Beckstein auch nicht gemeint haben, wenn er nach wie vor davon spricht, dass das "Boot voll sei". Es wäre das Maß erreicht, das die Möglichkeiten der Bundesrepublik übersteige. "Kinder statt Inder" hatte Rüttgers noch vor wenigen Monaten gefordert und damit noch Öl ins Feuer gegossen. Es ist das alte gefährliche Spiel mit der Ausländerfeindlichkeit, das hier gespielt wird: Die guten sollen kommen, die schlechten sollen gehen, handverlesen durch die Herren Beckstein, Hundt und Henkel unter Bezug auf die niedersten Instinkte des Stammtisches. Dass eine besoffene Nazi-Dumpfbacke diese Logik kaum verstehen wird, wird ein Problem dieser Herren bleiben.
Das Erstaunen und die Aufgeregtheit dieser Herren über die rassistische Realität in diesem Lande verwundert allerdings angesichts der jahrelangen Politik nicht nur von CDU/CSU gegen ImmigrantInnen und Flüchtlinge. Dabei ist die quasi Abschaffung des Asylrechtes 1993 nur ein Meilenstein einer langen Propaganda den öffentlichen Diskurs weit nach rechts zu öffnen. Schon 1985 hat Helmut Kohl mit seinem Besuch zusammen mit Reagan in Bitburg nicht gezögert, den Gefallenen der Verbrecherorganisation Waffen-SS seine Ehrbezeugung zu erweisen. Nimmt es da Wunder, dass Hamburger Nazis 1999 Ruhm und Ehre der Waffen-SS ehrend durch Hamburg marschieren? Beckstein, der heute nach einem NPD-Verbot schreit, hat offensichtlich vergessen, dass gegen den Nazi-Aufmarsch 1997 in München anlässlich der Reentsma-Ausstellung "Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht" nicht nur kein Verbot erlassen wurde, sondern die immerhin fast 5.000 Menschen nicht unwesentliche Unterstützung aus den Reihen seiner Partei bekommen hatten. Die rot-grüne Koalition, die sich jetzt als der Antifaschist per se präsentiert, setzte mit ihrer Propaganda für den Angriffskrieg auf Jugoslawien dann noch einen drauf: Bilder aus dem deutschen Faschismus wurden beschworen, um die Zustimmung der Bevölkerung zu erreichen: Die Rede war von Konzentrationslagern und Völkermord.
Während 1992 nach den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock noch zumindest in Form von Lichterketten die Gutmenschen auf die Straße mobilisiert wurden, ist bislang über die reine Verbotsdebatte kaum etwas vom "Aufstehen aller Antifaschisten" zu bemerken. In Düsseldorf waren es gerade 2.000 Menschen, die ihre Empörung über das Bombenattentat dokumentierten. In Hamburg versammelten sich auf Grund eines Aufrufs des Hamburger Bündnisses gegen Rechts und des DGB am 19.8. ca. 3.000 bzw. 2.000 Menschen waren es dann am 20.8. als 2.000 Polizisten und Bundesgrenzschützer aufgeboten wurden, um 120 Nazis eine Kundgebung zu ermöglichen, die sie vor dem Bundesverfassungsgericht genehmigt bekommen hatten.
Immerhin haben in der letzten Zeit mehr Kommunen Verbote von Nazi-Aufmärschen und Kundgebungen erlassen, die nicht mehr wie früher schon in der ersten Instanz gekippt worden sind. Selbst nach der liberalen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts kann heute eine Versammlung verboten werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Das diese Rechtsprechung sich nicht nur gegen Nazis richten kann, liegt auf der Hand.
Die jetzt so aufgeregt geführte Debatte um das Verbot der NPD hat trotzdem ganz den Charakter einer Phantomdebatte im Sommerloch. Im schlimmsten Fall wird sie den Eindruck erwecken, durch die geplanten repressiven Maßnahmen sei schon alles getan und weiteres Engagement des einzelnen Bürgers sei überflüssig. Im besten Fall kann sie die Situation der antifaschistischen Gruppen für eine gewisse Zeit verbessern, indem die öffentliche Aufmerksamkeit genutzt werden kann, mehr Berichte in die Medien gelangen und mehr Gesprächsbereitschaft besteht.
Mit der NPD als Objekt des Sommerloch-Theaters hat man nicht unbedingt den Falschen erwischt: Mit ihren 6.000 Mitgliedern ist sie zwar nicht die stärkste Partei des rechten Spektrums, wohl aber diejenige, die in besonders aggressiver Form auftritt, und die von einer Partei der ewig gestrigen Altnazis unter ihrem neuen Vorsitzenden Voigt zu einem Sammelbecken der militantesten Schaftstiefel-Nazis geworden ist. Das Verbot ist angesichts des vorliegenden Materials gut begründet und könnte eine Signalwirkung haben. Ein Verbot der NPD und die Hoffnung, dass das dem rechten Spuk ein Ende machen würde ist allerdings schlicht falsch. Die stille Zustimmung, die das Ausländer-raus-Geschrei der NPD hat, zeigt, dass der Rechtsextremismus ein Problem bis in die Mitte der Gesellschaft hinein ist.
In den letzten Jahren sind alle vorgeblichen Abgrenzungsbeschlüsse der NPD (so sie denn ernsthaft existiert hatten) gefallen. Eine große Anzahl der Nazi-Aktivisten aus den verbotenen Gruppen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten", "Nationalistische Front", "Nationale Liste", "Freiheitliche Arbeiterpartei", "Volkstreue sozialistische Bewegung Deutschlands" usw. haben Unterschlupf bei der NPD gefunden, die mit ihren Aufmärschen (u.a. unter dem Brandenburger Tor) den "Nationalen Widerstand" am martialischsten auf die Straße trägt. Vernetzt ist die NPD dabei mit einer ganzen Menge von sogenannten "Kameradschaften" wie dem (mittlerweile verbotenen) "Hamburger Sturm", einer Vielzahl von Web-Adressen und weiteren informellen Strukturen. Wer dabei offiziell zur NPD gehört und wer nicht, ist dabei schwer zu unterscheiden und mit Ausnahme interner Querelen um die Führungsrolle im Prinzip auch unerheblich: Wenn es in der letzten Zeit zu größeren NPD-Aktionen gekommen ist, so waren alle militanten Nazi-Gruppen vor Ort dabei.
Speziell das Konzept der "national befreiten Gebiete" ist in Teilen der ehemaligen DDR, aber auch an einigen Orten der ehemaligen BRD, zentral für die um die NPD agierenden Aktivisten: Es geht hierbei darum, bestimmte Quartiere und Stadtteile zu "beherrschen", d.h. diese Gegenden für Linke, Ausländer, Obdachlose etc. zu unerlaubtem Gebiet zu machen, das zu betreten eine Gefährdung von Gesundheit und Leben ist. Von Seiten der Polizei und anderen offiziellen Stellen ist diese Entwicklung jahrelang negiert worden. Örtliche Antifa-Gruppen haben ständig über die Situation in solchen "befreiten Zonen" berichtet. Ganze Städte - u.a. Königswusterhausen im Süden von Berlin - waren bei Dunkelheit von farbigen Personen nicht mehr zu betreten. Bahnhöfe und S-Bahnstrecken wurden und werden von rechten Schlägern majorisiert usw. In Königwusterhausen z.B. ist dokumentiert, dass Taxifahrer sich weigerten, überfallene Farbige zu befördern, und es ist belegt, dass die örtliche Polizeiwache, beim vergeblichen Versuch, Anzeige zu erstatten, rassistische Kommentare abgebeben hat. Der SPD-Innenminister von Sachsen-Anhalt gibt zu, dass trotz der seit einigen Jahren eingeleiteten Maßnahmen, es für farbige Menschen in vielen Quartieren nicht empfehlenswert sei, allein in der Dunkelheit auszugehen.
National befreite Zonen
Die Schläger sind in der Mehrzahl sicher keine Mitglieder der NPD und nicht alle Überfälle gehen von diesen "befreiten Gebieten" aus. Aber: Solche "Zonen" sind Anziehungspunkte und Durchlauferhitzer für eine bestimmte Jugend"kultur", in der rechte Parolen, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus dominierende Elemente sind. Hier entwickelt sich diese dumpfe deutschnationale Gemütslage, die sich zum rechtsextremen Weltbild verfestigt. Wenige Wortführer und Agitatoren genügen hier, um die Erfahrung von Perspektivlosigkeit, Jugendfrust und Jugendelend mit rechten Parolen zu einem durchgängigen Weltbild zu verfestigen. Dabei - so haben Untersuchungen ergeben - fehlt diesen Jugendlichen überdurchschnittlich häufig die eigene Erfahrung mit den in deutsch-nationalen Parolen angeprangerten angeblichen Missständen. Sie kennen vielfach überhaupt keine Immigranten und Asylsuchende oder Flüchtlinge, sie sind nicht überdurchschnittlich arbeitslos. Es hat den Anschein, dass eher das Gefühl des anonymen "Bedrohtseins" in dieser Szene bewusstseinsbildend wirkt, als die tatsächliche Erfahrung.
Wo immer in den letzten acht Jahren (nach Rostock 1992 wurde damit angefangen) versucht worden ist, mit Sozialarbeit innerhalb dieser Strukturen positiv auf diese Jugendlichen einzuwirken, das Ergebnis war jedes Mal ähnlich katastrophal: Die Strukturen verfestigten sich nur noch weiter, rechte Jugendliche und junge Erwachsene wurden bezahlte Sozialarbeiter, die rechten Treffpunkte wurden mit Staatsknete ausgebaut. Wo überhaupt Erfolge gegenüber solchen Strukturen erzielt werden konnten, waren diese auf das Zusammenspiel verschiedenster Ansätze zurückzuführen: Es war die Kombination aus Repression ("Null Toleranz") gegenüber rechten Schlägern, Förderung antifaschistischer Aufklärung (in Schulen, über Initiativen) und attraktiver Freizeitangeboten, an denen nur unter Ablegung rechter Symbole teilgenommen werden kann. In einigen Fußballstadien ist mittlerweile Rassismus kein Thema mehr.
Nazi-Strukturen austrocknen
Es wäre falsch, diese national befreiten Zonen als quasi exterritoriale Gebiete einer ansonsten liberalen Bürgergesellschaft zu begreifen. Im Gegenteil: Diese Strukturen sind Teil dieser deutschen Gegenwartsgesellschaft, sie werden von dieser Gesellschaft hervorgebracht. Wesentliche Triebkraft dieser Entwicklung sind dabei nicht die Nazis, sondern eine gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung, in der Ängste vor der Zukunft geschürt werden. Die realen Umwälzungen dieser Gesellschaft, die Globalisierung der Produktion und des Austauschs, die Migration der Menschen, der Abbau des Sozialstaates, die Verfestigung der Arbeitslosigkeit, die Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer: All diese Prozesse verschärfen Widersprüche, auf dieser Grundlage versuchten die CDU und alle Rechtsparteien, Wahlen zu gewinnen, kommen Politclowns wie der berüchtigte Hamburger Richter Schill zu Wort und Wählerstimmen. Das sind Themen des Stammtischs, der sich bei seinen Treffen, Schützenfesten usw. gern dieser Kameraden als Ordner bedient.
Antifaschisten, die gegen rechte Versammlungsorte und Kneipen protestieren, werden eher als Störenfriede denn als Demokraten angesehen. Der Feind steht in diesem Land aus Tradition eben links.
Andererseits gibt es eine ganze Reihe von Initiativen, die zeigen, dass gegen diese Strukturen erfolgreich vorgegangen werden kann. Die Antonio-Amadeu-Stiftung beispielsweise, die mit Fantasie und Entschlossenheit in die betroffenen Viertel zu wirken versucht (und immer wieder eher von liberalen Unternehmern vor der Pleite bewahrt wird), hat Ideen schwedischer Einrichtungen übernommen, wo gezielt beim Auftauchen von Neonazis antifaschistische Gruppen vor Ort erscheinen und die antifaschistische Zivilgesellschaft verteidigen. In mehreren Fußballvereinen ist auf Initiative von Fanclubs ein Stadionverbot und Vereinsausschluss gegen rechte Schläger und Agitatoren im Ansatz durchgesetzt. In einigen Betrieben laufen Aktionen, um die Solidarität mit den ausländischen Kollegen und Mitbürgern in die Öffentlichkeit zu tragen und so die Meinungsführerschaft in der Öffentlichkeit zu behaupten etc. Diese Initiativen benötigen dringend finanzielle Unterstützung, um ihre Arbeit fortzusetzen.
Nazis sind
Kinder dieser Gesellschaft
Könnte mensch in diesem Land auf eine halbwegs funktionierende Zivilgesellschaft zurückgreifen, wären die Nazis eine Erscheinung mit der man - wenn auch schwer - leben können müsste. Aber die autoritär strukturierte deutsche Gesellschaft in diesem Land der Täter verbietet es, gegenüber der Propaganda des braunen Mobs Gelassenheit an den Tag zu legen. Es ist zu hoffen, dass die Sommerlochdebatte um das NPD-Verbot sich weg entwickelt von der Diskussion um staatliche Repressionsmaßnahmen hin zu einer politischen Auseinandersetzung um Ursachen warum die Nazi-Propaganda bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein einen Nährboden findet und es darüber hinaus gelingt antifaschistisches Engagement mehr als bisher als ein wesentliches Element einer Zivilgesellschaft zu verankern.
ES und ga.