(K)Ein bisschen normal
Die "Homoehe" zwischen linker und konservativer Kritik
Volker Beck, grüner Bundestagsabgeordneter, Rechtsexperte und offen schwul, widmet sich seit rund zehn Jahren vor allem einer Aufgabe: Der rechtlichen Gleichstellung von Lesben und Schwulen, manifestiert in der Möglichkeit für Lesben und Schwule, staatlich anerkannt zu heiraten. Am 7. Juli 2000 kam er seinem Ziel, der "Homoehe", ein gutes Stück näher: Vorab in den Fraktionen von SPD und Grünen abgestimmt, debattierte der Bundestag in erster Lesung den Entwurf zum Lebenspartnerschaftgesetz. Bis die parlamentarische Mühle vollständig durchlaufen ist, wird viel Zeit vergehen, Zeit, in der sich Beck und der ihn unterstützende Lesben und SchwulenVerband Deutschland (LSVD) der Kritik werden stellen müssen.
Denn wo der grüne Bürgerrechtler mit der Homoehe "den gesellschaftlichen Fortschritt" nahen sieht, prophezeien konservative Kritiker den drohenden "Untergang des Abendlandes" und verweisen auf den grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie: "Die Ehe", so CDU-Chefin Angela Merkel, "ist für uns Christdemokraten das Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau". Die Homoehe sei deshalb "ein gesellschaftspolitischer Irrweg". Mit Unterschriften-Aktionen der CDU, wie etwa zur Doppelten Staatsbürgerschaft, ist wohl vorerst nicht zu rechnen. Statt dessen begnügen sich die Konservativen mit ihrer Kampagne "Nein zur Ehe, Ja zur Toleranz".
Bei so viel Gegenwind mag es ein Trost für Beck & Co. sein, dass sich bei der von ihm und dem LSVD initiierten Ja-Wort-Kampagne bereits etwa 20.000 UnterzeichnerInnen für die Homo-Ehe aussprachen. In Hamburg sind inzwischen rund hundert gleichgeschlechtliche Paare die rein symbolische, mit keinerlei Rechten und Pflichten verbundene "Hamburger Ehe" eingegangen, und Szene-Ikonen Hella von Sinnen und Rosenstolz sind mit ihrem Homo-Hochzeitssong "Ja, ich will" in die TOP 100 der Charts einzogen. Das Mediengewirbel focussiert auf solcherart "Events" ebenso gern wie auf die verwegene Äußerung des katholischen Kirchenoberen Bischof Dyba, die Homoehe öffne das Tor für den Import von Lustknaben.
Doch der Wind weht nicht nur aus der rechten Ecke. Sicherlich, so geben linke KritikerInnen des neuen Gesetzes zu bedenken, lässt sich aus demokratie-theoretischer Sicht nicht begründen, warum einem Teil der Bevölkerung ein grundgesetzlich verbrieftes Recht verweigern werden solle. Wer die Möglichkeit zu heiraten verbietet oder verweigert, beschneidet demokratische Grundrechte. Aber: Wer die staatlich geregelte Ehe als bevorzugte Form des Zusammenlebens propagiere und entsprechend mit mehr Rechten ausstatte, verkenne zum einen die Realitäten und ignoriere die alte Erkenntnis, dass sich ohne Ehe und Familie autoritäre Politik nicht so auswirken könnte, wie sie es tut.
Constance Ohms bringt die Kritik auf den Punkt: "Mit der Homo-Ehe wird das Zwei-Klassen-System fortgesetzt: Verheiratete Paare erhalten Privilegien, während unverheiratete Paare in fast allen Rechtsbereichen benachteiligt sind". Die eingetragene PartnerInnenschaft sei "im Kern Ausdruck eines Neo-Konservatismus", so Ohms.
Deutschland wäre nicht das erste Land der Welt, das gleichgeschlechtliche Ehen ermöglicht. BefürworterInnen der Homo-Ehe verweisen gern auf Norwegen, Dänemark und die Niederlande, aber auch Frankreich, wo es seit vergangenem Jahr die Möglichkeit des "zivilen Solidaritätspaktes" (PACS) und damit faktisch der Homoehe gibt. Dabei fallen die Tatsachen allerdings gerne unter den Tisch: In Dänemark sind bislang nur 300 eingetragene Partnerschaften registriert - bei jährlich 35.000 heterosexuellen Eheschließungen -, und auch in Schweden, den Niederlanden und Norwegen ist nur jeweils ein Prozent aller Ehen ein Bund zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern. Und das, obwohl Schätzungen davon ausgehen, dass etwa zehn Prozent aller Menschen schwul oder lesbisch sind. Warum also heiraten sie nicht, wenn sie es doch könnten?
Beinahe die Hälfte aller Menschen in Großstädten lebt in Ein-Personen-Haushalten. Jede dritte heterosexuelle Ehe wird geschieden. Jeder zweite schwule Mann hat keine feste Beziehung. Und zwei von drei Schwulen, die in fester Beziehung leben, haben nebenher weitere sexuelle Beziehungen. Die Zahl der allein Erziehenden steigt.
Ja, ich will oder Ehe, nein danke?
Die PDS-Politikerin Christina Schenk tritt deshalb für eine Lebensweisenpolitik ein, die sich jenseits bürgerlicher Ehevorstellungen bewegt, denn "die Realität lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und sonstigen Lebens war schon immer vielfältiger, als dass sie sich in das Korsett des Rechtsinstituts Ehe pressen ließe." Auch die deutsche Aidshilfe unterstrich im April 1999, sie unterstütze "eine Lebensweisenpolitik, in der die Interessen sozial Benachteiligter mit den Ansprüchen nonkonformer Lebensentwürfe in Übereinstimmung gebracht wird."
Die facettenreiche gesellschaftliche Realität war wohl auch der Grund für die französische Regierung, einen mutigen Schritt zu wagen: Seit Oktober 1999 können alle Erwachsenen, die miteinander leben und füreinander einstehen wollen, einen Solidaritätspakt, den "Pact Civile de Solidarité" (PACS), miteinander abschließen und dies unabhängig davon, ob sie homo oder hetero sind, ob Geschwister, Liebespaare oder beste FreundInnen fürs Leben. Der Pakt gewährleistet weitgehende Gleichstellung im Adoptionsrecht, in Bereichen des Steuer- und Beamtenrechts sowie des Erb- und Arbeitsrechts. Prompt kam es zu einem Sturm der Entrüstung, wirkt doch der PACS als Aushöhlung der Institution Ehe.
Zurückhaltung allerdings übte der französische Gesetzgeber beim Aufenthaltsrecht für Menschen aus Nicht-EU-Ländern. Diese Frage berührt der PACS nicht, obwohl in ganz Europa gerade binationale Partnerschaften vor dem Hintergrund der zunehmend verschärften Asyl- und Ausländergesetzgebung besonders bedroht sind.
Homoehe
und Neo- Konservativismus
Der deutsche Gesetzentwurf zur "Homoehe" will zwar ein Bleiberecht verankern, aber analog zu heterosexuellen binationalen Partnerschaften wird der Aufenthaltsstatus zwei bis fünf Jahre lang gekoppelt sein an den Fortbestand der Beziehung: Geht die Beziehung vor Ablauf dieser Frist in die Brüche, droht die Ausweisung. Zusätzlich muss die Partnerin bzw. der Partner mit deutschem Pass für Krankenversicherungsschutz und Unterhaltsleistungen im Trennungsfall bürgen. Mit diesen Regelungen wird ein Abhängigkeitsverhältnis in binationalen Partnerschaften zementiert, das existenzielle Ausmaße annehmen kann.
Die gesetzlichen Änderungen und Angleichungen für das Lebenspartnerschaftsgesetz reichen bis tief in das Bürgerliche Gesetzbuch: Rund 800 rechtliche Regelungen betreffen die Eheschließung vom Namensrecht über das Steuerwesen, die Kranken- und Pflegeversicherung, hin zum Sorgerecht, zum Erb- und Verwandtschaftsrecht. Ob aber für die rechtliche Gleichstellung ein solch umfangreiches neues Gesetz wirklich nötig ist, wird durchaus bezweifelt. Das wissenschaftlich-humanitäre Komitee (whk) oder die Lesbenorganisation Lesbenring e.V. weisen darauf hin, dass es ausreichend rechtliche Alternativen gebe, um gegenseitige Ansprüche juristisch abzusichern. Die massivste Kritik am Beck'schen Gesetzentwurf bezieht sich auf die Einengung der Rechtegewährung auf eheliche Partnerschaften. "Die Ehe wird zur Norm erhoben und schafft Benachteiligung für alle, die sich dieser Norm widersetzen oder ihr nicht entsprechen," so die feministische Aktivistin Gita Tost. Oder anders ausgedrückt: Nur mit Trauschein gibt's ein Stück vom Kuchen!
Gegen die Beck'sche Bürgerrechtspolitik wendet sich mittlerweile ein breites Bündnis aus der emanzipatorischen Bewegung. Dieses Bündnis setzt der LSVD-Ja-Wort-Kampagne eine Nein-Wort-Aktion entgegen, an die sich auch die "von widerständig l(i)ebenden Lesben" begründete "Schlampagne zur Gleichstellung aller Lebensweisen" angeschlossen hat. Gemeinsame Forderung: Jeder Mensch solle bestimmen können, welche Menschen zu seiner Familie gehören. Innerhalb des jeweiligen Netzwerkes, zu dem biologische Familienangehörige ebenso gehören können wie die "beste Freundin" oder LiebespartnerInnen sollen rechtliche Fragen, die für die jeweilige Beziehung wichtig sind, ausgehandelt werden können: Da kann die Liebste erben, die beste Freundin im Ernstfall über Leben und Tod entscheiden, und die Schwester hat die Bankvollmacht. Wenn dies ohne jede Benachteiligung gegenüber anderen Beziehungsformen geschehen kann, wäre dies ein Fortschritt weit jenseits eng gesetzter Eherechte nicht nur für Homo- sondern auch für Heterosexuelle.
Doch LSVD und Grüne meinen, bereits erste gesellschaftliche Veränderungen auf Grund der Diskussion um die Homoehe ausmachen zu können: Nie zuvor habe es eine derart breite Debatte um Diskriminierung und Gleichstellung von Lesben und Schwulen gegeben. Und sie verweisen darauf, dass die Homoehe nur der erste Schritt sei: Erst durch das Tor der Glückseligkeit geschritten, ließe es sich besser für weitergehende Rechte kämpfen. Ein Argument, das auf Argwohn trifft: "Wer Privilegien bekommt, will sie auch behalten", so Verlegerin Ilona Bubeck.
Der teure Preis der Normalität
Der Schlagabtausch erinnert an altvertraute Diskussionen, in denen sich alles um die Frage rankte, wie Gesellschaft letztendlich bewegt werden könne: Durch Teilhabe am Bestehenden oder durch grundlegende Veränderung des Bestehenden? Ist der Gang durch die Institutionen wirkungsvoller oder die stete Kritik und Anregung von "außen"?
Innen und Außen wird hier dadurch bestimmt, was als "normal" gilt. Normierung ist notwendig, um ein gesellschaftliches System zu stabilisieren, und funktioniert, indem ein Bereich außerhalb des Mainstream als unnormal markiert und entsprechend abgewertet wird. Ein Muster, das in rassistischen, sexistischen und homophoben Strukturen gut funktioniert: Normal-Sein ist nur denkbar in Abgrenzung zum Nicht-Normalen. Das heißt: Normal-Sein ist immer ein Akt der Ausgrenzung. Mit der Debatte um Homoehe und Lebensweisenpolitik werden die Grenzen neu gezogen: Normal/anormal bezieht sich nunmehr nicht mehr auf homo- bzw. heterosexuell, sondern vielmehr auf verheiratet/unverheiratet. Schwulen und Lesben wird die lang versperrte Tür zur bürgerlichen Ehe geöffnet sie haben die Möglichkeit, "normal" zu werden. Verweigern sie den Schritt, bleiben sie draußen und "unnormal".
Die sogenannte sexuelle Präferenz gilt vielen noch als unabänderliches Persönlichkeitsmerkmal, d.h. wer schwul oder lesbisch war, kann "nichts dafür" und darf auf Toleranz hoffen. Diese Toleranz wird wohl allerdings ihre Grenze dort finden, wo Menschen ausdrücklich den Homoehe-Weg in die "Normalität" ablehnen.
Beck und LSVD widmen sich schon lange ihrem Ziel, der Homoehe. Sie wissen um die Unterstützung durch betroffene Paare, die mit Verfassungsbeschwerde drohen, sollte das Gesetz nicht in vollem Umfang gebilligt werden. Sie kennen die konservative Kritik und reagieren landauf, landab auf homophobe Polemik. Beck und LSVD meinen es sicher gut, wenn sie sich für die Gleichberechtigung innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen Wertesystems engagieren. Aber sie haben noch keine überzeugende Antwort gefunden auf die aus der emanzipatorischen Bewegung vorgebrachte Kritik. Und so weist alles darauf hin, dass langfristig nicht die homophile Bürgerrechtsbewegung zum Motor für gesellschaftliche Veränderungen wird, sondern dass es vielmehr die linken Homoehe-GegnerInnen sein werden, die den Blick öffnen für neue Formen des Zusammenlebens jenseits staatlicher Sanktionierung.
Tina Fritsche
Literatur:
Berger, Engel, Genschel u.a. (Hrsg.): Queering Demokratie Sexuelle Politik. Berlin September 2000 (Quer Verlag)
Bubeck, Ilona (Hg): Unser Stück vom Kuchen. Zehn Positionen gegen die Homo-Ehe. Berlin 2000 (Quer Verlag)
Rundbrief Lesben- Schwulen- und Lebensweisenpolitik. Hg: Christina Schenk
(PDS), christina.schenk@bundestag.de
Webpages:
www.lebenspartnerschaft.de
www.eingetragenepartnerschaft.de
www.ja-wort-kampagne.de
www.whk.org/neinwort
Infos zur Schlampagne unter www.womyn.de