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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 441 / 31.8.2000

Science in Action

Vom Modewort zur Wissenschaft - "Gender Studien" von Christina von Braun und Inge Stephan.

Als 1991 die deutsche Übersetzung von Judith Butlers "Gender Trouble" (1) veröffentlicht wurde, kam es unter bundesdeutschen Feministinnen zu großer Aufregung. Während die hiesige Frauenbewegung noch um die Anerkennung "weiblicher Erfahrungen" und die Institutionalisierung feministischer Theoriebildung an den Universitäten rang, wurde sie durch Butlers "Absage an ein kollektives Frauen-Wir (...), ihre Auffassung von der sozialen und kulturellen Konstruktion von sex und gender (...), ihre Polemik gegen jeglichen Essentialismus", in eine paradoxe Situation katapultiert: "Aus der Vorhut der Emanzipation (war) quasi über Nacht eine Nachhut geworden (...), die hilflos zusehen musste, wie sich die Grundlagen ihres Selbstverständnisses in bestürzender Geschwindigkeit zersetzten" (S.64). So fasst Inge Stephan, Literaturwissenschaftlerin und Co-Herausgeberin des Sammelbandes "Gender Studien", in einem einführenden Aufsatz den Theorie-Clash zwischen US-Postfeministinnen und BRD-Nochfeministinnen zusammen.

Die "Gender Trouble" folgenden Debatten reduzierten sich häufig auf einen Abwehrkampf gegen Butlers Thesen. Thema war weniger der in den 80er Jahren ausgetragene Streit um Differenz (2) oder Gleichheit (3). Auf Widerstand stießen Butlers Angriffe gegen die Annahme, Zweigeschlechtlichkeit sei ein Naturgesetz (4). Konnte frau sich mit der ebenfalls aus den USA stammenden Unterscheidung zwischen Sex (etwa: biologisches Geschlecht) und Gender (etwa: soziales Geschlecht), bei der sich "die Frage nach der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht quasi von selbst stellt" (S.58), noch anfreunden, wurde vor allem Butlers Behauptung, Sex und Gender seien durch Diskurse hervorgebracht, vielfach strikt zurückgewiesen. Geradezu provoziert fühlten sich in den 70er Jahren sozialisierte Feministinnen - teilweise zu Recht. Hatte diese Generation doch jahrelang dafür gekämpft, den weiblichen Körper aus seinem patriarchal definierten Objektcharakter zu lösen und Frauen als selbstbestimmt handelnde Subjekte in Geschichte, Wissenschaft und Alltag sichtbar zu machen. Als Mittel diente ihnen eine klar identitäre, mitunter stark essentialistische Politik.

Jenseits der Polemiken gegen Butler führte der Theorie-Clash allerdings auch deutlich den weitaus differenzierteren Stand der Diskussion um Gender und Feminismus in den USA vor, in der zudem die Kategorien race und class schon lange untrennbar mitverhandelt wurden, während diesbezüglich in den akademischen Debatten hier zu Lande blinde Flecken dominierten. Trotz aller Bemühungen um Etablierung kämpft beispielsweise der in der Bundesrepublik bisher einzige interdisziplinäre Magister-Studiengang Gender Studien/Gender Studies an der Berliner Humboldt-Universität seit seinem Bestehen 1997 um wissenschaftliche Legitimität.

Theorie-Clash mit US-Debatte

Insbesondere aus diesem Grund ist der von Inge Stephan und Christina von Braun vorgelegte Sammelband bemerkenswert. Denn zum einen geben die vier einführenden kulturhistorischen und theoretischen Texte erstmals einen umfassenden Überblick in deutscher Sprache zur Entwicklung des Begriffes Gender (5) als politisches und wissenschaftliches Analyseinstrument. Zum anderen geht es um eine eigene Positionierung zur in den USA herausgearbeiteten sozialen Strukturkategorie Gender. 17 Beiträge aus verschiedenen wissenschaftlichen "Disziplinen" beleuchten jeweils Verankerung und Ausrichtung der Kategorie in Lehre, Theoriebildung, Forschung und Personalpolitik der einzelnen Fächer.

Vor allem aber zeichnen die Herausgeberinnen die - akademischen - Debatten um den Begriff und die Suche nach einer wissenschaftlichen Handhabung der Kategorie nach. Interessant ist dies auch für eine politische Auseinandersetzung außerhalb des Wissenschaftsbetriebes. Was für das politische Praxisfeld mit "strategischem Essentialismus" bezeichnet wird, das bewusste, strategische Umgehen mit identitären Konzepten, um Bündnisse eingehen und politische Ziele erreichen zu können, fordern vor allem HistorikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen gegenüber postmodernen TheoretikerInnen wie Butler als Methode ein, ohne die Wissenschaft nicht möglich sei.

Für ein Verständnis von Gender als "Mittelweg" - zwischen dem Konstruktivismus einer Judith Butler (6) und dem essentialistischen Differenzdenken deutscher 70er-Jahre-Feministinnen -, plädieren implizit auch die Herausgeberinnen. Die Philosophin Seyla Benhabib erfährt in diesem Zusammenhang eine besonders positive Rezeption. Benhabib spricht sich dafür aus, das Subjekt und den Körper "im Kontext (...) gesellschaftlicher, sprachlicher und diskursiver Praktiken zu situieren" und eine Art von "Autonomie zu reformulieren", die der "grundsätzlichen Situiertheit des Subjekts Rechnung trägt" (S. 71).

Allerdings setzen Inge Stephan/Christina von Braun ihre Entscheidung für den "Mittelweg" mit einer Entscheidung für die Zweigeschlechtlichkeit gleich. Diese Position wird bereits in der Einleitung deutlich: "Der Vorteil der Gender-Kategorie liegt im Vergleich zu den von der älteren feministischen Forschung verwendeten Begriffen Weiblichkeit und Männlichkeit in ihrem Vermögen, beide Geschlechter einzuschließen" (S.10).

Genderstudien bestimmen die Herausgeberinnen zunächst als Forschung, "die nach der Bedeutung des Geschlechts für Kultur, Gesellschaft und Wissenschaften fragen" und im Gegensatz zur feministischen Forschung, "die häufig als (...) Ausgrenzungskategorie verstanden worden ist, ein Angebot auch an männliche Wissenschaftler darstellt, sich mit der Konstruiertheit ihrer eigenen (...) Geschlechtsidentität auseinander zu setzen", um die typische Arbeitsteilung "Frauen beschäftigen sich mit feministischer Forschung" und Männer mit vorgeblich geschlechtsneutraler "hard science" aufzubrechen. Die Genderforschung habe jedoch nicht zum Ziel, die Frauenforschung zu ersetzen bzw. feministische Kategorien zu "verwässern". Genderstudien sollten vielmehr als Form der Wissenschaftskritik aufgefasst werden, deren "Interdisziplinarität es erlaubt die Kategorien der Wissensordnung und Wissensstrukturierung zu hinterfragen".

BRD-Feminismus abgehängt

Diesem Anspruch werden Braun/Stephan in verschiedener Hinsicht nicht gerecht. Abgesehen von der Tatsache, dass sie, ihrem etwas vernebelten Dogma der Zweigeschlechtlichkeit folgend, die Queer-Theorie (7) zwar erwähnen, aber eher als Spielart postmoderner Ansätze werten, gibt es nur einen Text, verfasst von Willy Walter, der sich mit Gender und Männerforschung beschäftigt. Dieser Aufsatz sticht jedoch auch aus einem anderen Grund heraus. Ausführlich stellt Walter die an Gramscis Hegemonietheorie angelehnten Untersuchungen des australischen Maskulinitätsforschers Robert Connell zur Transformation des Patriarchats und hierarchischen Ausdifferenzierung von Maskulinitätkonzepten im globalisierten Kapitalismus vor.

Alle anderen Beiträgen vernachlässigen den Aspekt der politischen Ökonomie in Bezug auf "Weiblichkeitskonzepte" völlig. Tenor des Buches ist, Gender zwar als Analysekategorie für die Wissenschaftskritik zu betrachten, um den Mainstream in der Wissenschaft als Malestream zu entlarven. Die Kritik am Main des Mainstream bleibt allerdings weitgehend ausgeblendet. So werden die Pläne zur Studienreform an bundesdeutschen Hochschulen, sprich die stärkere Marktorientierung von Lehre und Forschung, Erhöhung der Studiengebühren, Verstärkung der Zulassungsbeschränkungen etc., nicht erwähnt, geschweige denn die möglichen geschlechterdifferenzierenden Auswirkungen Umstrukturierungsmaßnahmen.

Auch der von den Herausgeberinnen beklagte Zustand, dass Genderstudien in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern nach wie vor zu kurz kommen, wird in der Aufsatzsammlung nicht aufgehoben: Lediglich drei der fachspezifischen Beiträge widmen sich naturwissenschaftlich-mathematische Betrachtungen: Genderstudien in den Naturwissenschaften, in der Informatik und den Agrarwissenschaften. Es fehlt die Auseinandersetzung mit "rein technischen" Disziplinen, mit der Medizin, insbesondere mit Reproduktions- und Gentechnologie, oder mit planerischen Fächern. Vor allem in der Architektur sowie der Raum- und Stadtplanung hat der Genderfokus jedoch schon länger Eingang gefunden und fristet nicht nur ein Nischendasein.

Entschwindet
das Subjekt?

Als Nische beschreibt die Agrarsoziologin Parto Teherani-Krönner die Genderforschung in den Agrarwissenschaften. Den größten Teil dieses Aufsatzes nimmt die Beschreibung der Rolle der Bäuerin im landwirtschaftlichen Produktionsprozess in den sogenannten Entwicklungsländern ein. Dabei kommt Teherani-Krönner leider kaum über die Aneinanderreihung von Daten zum entwicklungspolitischem "Grundwissen" hinaus (Frauen sind die Hälfte der Weltbevölkerung, leisten weltweit 75% aller Arbeit, erhalten jedoch nur 10% des Lohnes und besitzen nur 1% des Eigentums etc.). Deutlich wird die in bezug auf Entwicklungsvorstellungen unkritisch-affirmative Position der Autorin bei ihrer Einschätzung der Ziele der Gender-Diskussion. Ihrer Ansicht nach werden "Verbesserungen der agrarischen Produktion zur Ernährung der Bevölkerung (...) zu einer Aufgabe der ruralen Frauenforschung" (S. 220). Mit dieser eindimensionalen These folgt Teherani-Krönner dem effizienzorientierten empowerment-Ansatz des entwicklungspolitischen Mainstream und nicht einem herrschaftskritischen Blickwinkel auf die Geschlechterverhältnisse.

Spannender ist der Beitrag von Elvira Scheich, die sich der Gender-Diskussion in den Naturwissenschaften mit einem weitaus theoretischeren Diskurs nähert. Im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung steht, wie mit Hilfe naturwissenschaftlicher Definitionen entschieden und über naturwissenschaftliche Prozeduren festgelegt wird, wo die Grenzen zwischen Biologie und Gesellschaft, Kultur und Natur verlaufen. In einem historischen Exkurs erläutert Scheich, wie in dem scheinbar außerhalb des Kontextes von gesellschaftlicher und kultureller Identität stehenden Raum, und einer eindeutig durch Männer dominierten Forschung, scheinbar objektive Ergebnisse erlangt wurden, die in zunehmenden Maße die modernen Lebensbedingungen bestimmen.

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Die Physikerin und Politikwissenschaftlerin erläutert, wie verschiedene Projektionen einer bürgerlich-patriarchalen Wirklichkeit biologische Modelle und Beobachtungen beeinflussen. Des weiteren geht es ihr vor allem darum, die Diskussion um Veränderlichkeit und Dynamik von Geschlecht und Körper darzustellen. Körper und Geschlecht formen sich als Gegenstände der Naturwissenschaften und im Kontext gesellschaftlicher Normen und Interessen. Die feministische Forschung betrachtet Scheich als kollektive gesellschaftliche Praxis, als "Science in Action", anstelle sich nur mit den Resultaten, den logischen Strukturen der Naturgesetze und den experimentellen Entdeckungen zu beschäftigen. Insgesamt folgt Scheich, wie die meisten Autorinnen, eher einem traditionell feministischen denn einem Gender-Ansatz.

Trotz aller Widerprüche kann "Gender Studien" als Versuch gesehen werden, Definition, Anspruch und Probleme eines zwingend interdisziplinär angelegten Studienganges zu formulieren. Exzellent ist der Anhang des Bandes mit einer gut recherchierten Auflistung von Einrichtungen, Studienschwerpunkten, Graduiertenkollegs und Literatur im Internet zur Frauen- und Geschlechterforschung. "Gender Studien" ist ein wissenschaftliches Grundlagenwerk über einen Begriff, der lange Zeit als kulturlinker Softcore-Terminus abgetan wurde. (8)

Sk/At

Anmerkungen:

1) Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main 1991.

2) Weiblichkeit wird als essentialistisch oder als sozio-kulturell geprägt aufgefasst, soll aber als Differenz und Alternative zur männlich geprägten Kultur neu hergestellt werden.

3) Die Basis für diesen Ansatz bilden Naturrecht und Aufklärung. Gleichheit steht dem zufolge für ein allgemeines Gerechtigkeitsprinzip, wobei es der diesem Ansatz verpflichteten Frauenbewegung aus dem proletarischen bzw. gewerkschaftsnahen Spektrum um den Abbau sozialer Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern geht.

4) So schreibt Hildegard Maria Nickel in ihrem Aufsatz über Gender in den Sozialwissenschaften: "Die Annahme von der Gleichursprünglichkeit von (Geschlechter)Differenz und (Geschlechter)Hierarchie (...) legte sich wie ein Panzer um die bundesdeutsche Debatte (...)" (S.135).

5) für den bis heute kein deutschsprachiges Äquivalent gefunden werden konnte und mit "sozialem Geschlecht" nur unzureichend übersetzt ist.

6) der radikal mit dem Körper als Ort des Vordiskursiven und der Vorstellung des selbstbestimmt handelnden Subjekts bricht

7) ein Ansatz, der versucht sowohl Heteronormativität als auch rigide Zweigeschlechtlichkeit als Zwangsidentitäten sichtbar zu machen und zu überwinden

8) Alle Zitate sind dem besprochenen Buch entnommen

Von Braun, Christina/ Stephan, Inge (Hg.): Gender Studien. Eine Einführung. Metzler-Verlag. Weimar/Stuttgart 2000. 39,80 DM.