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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 442 / 28.9.2000

Riskante Reisen

Interview mit Cornelius Yufanyi über die Residenzpflicht und seinen Prozess

Cornelius Yufanyi ist Asylbewerber aus Kamerun und aktiv in der Flüchtlingsorganisation The Voice Africa Forum und der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen. Obwohl er Hauptorganisator des Flüchtlingkongresses in Jena im April dieses Jahres war, verweigerte ihm die Ausländerbehörde des Landkreises Eichsfeld die Erlaubnis, an dem Kongress teilzunehmen. Cornelius Yufanyi reiste trotzdem nach Jena.

Nun steht er am 12. Oktober in Worbis bei Göttingen vor Gericht. Er ist angeklagt, gegen die Residenzpflicht verstoßen zu haben und soll eine Strafe von rund 600 Mark zahlen.

Warum stehst Du am 12. Oktober vor Gericht?

Ich habe mehrmals gegen die Residenzpflicht verstoßen. Nachdem ich einige Male keine Genehmigung für eine Reise erhalten habe, frage ich jetzt nicht mehr um Erlaubnis. Ich weigere mich auch, die Bußgelder zu bezahlen.

Während des Kongresses in Jena habe ich der Tageszeitung Thüringer Allgemeine ein Interview über den Kongress und meine Kritik an der deutschen Asylpolitik gegeben. Diesen Artikel kopierte ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Eichsfeld und schickte ihn zur Polizei, die mich daraufhin zu einer Befragung einlud. Da ich nicht bereit bin, wegen Verlassens des Landkreises eine Strafe zu zahlen, muss ich jetzt vor das Gericht.

Was erwartest Du Dir von dem Prozess und Deiner Weigerung, das Bußgeld zu bezahlen?

Ich habe mich entschieden, keinen Pfennig für meine Bewegungsfreiheit zu zahlen. Mittlerweile habe ich auch einen Anwalt gefunden, der den Fall politisch führen will.

Wir wollen dem Gericht sagen, dass ich tatsächlich in Jena war, dass ich auch an anderen Orten war und dass ich auch weiterhin in anderen Orten mich aufhalten möchte, ohne nach einer Erlaubnis fragen zu müssen. Wir werden sagen, dass es mein Recht ist, mich politisch zu engagieren und dass es mein Recht ist, mich frei bewegen zu können.

Ich suche in Deutschland Schutz, weil ich in Kamerun politisch verfolgt werde. Wir werden argumentieren, dass mich die Asylgesetze hier nicht davon abhalten dürfen, mich in Deutschland politisch zu engagieren.

Zu erwarten habe ich laut meines Anwaltes entweder einen Ausweisungsbescheid oder eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe von etwa 5000 DM.

Vielleicht brauchen wir eine Art Opfer, einen exponierten Flüchtling, um das Problem deutlich zu machen und um die Residenzpflicht zu bekämpfen.

Siehst Du in der Residenzpflicht auch ein Mittel der Behörden, Flüchtlinge, die sich politisch engagieren, einzuschüchtern?

Der Fall des Aktivisten Jose Maria Jones, dem wegen der Verletzung der Residenzpflicht die Ausweisung droht, machte uns deutlich, dass wir sogar von Abschiebung bedroht sein können, und dass die Residenzpflicht insbesondere die politisch Aktiven bedroht, die viel reisen, um mit anderen Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen.

Die Behörden suchen - wie in meinem Fall - nach Möglichkeiten, die Leute, die an der Spitze der Kampagne stehen, zu bestrafen, um die anderen Flüchtlinge einzuschüchtern und davon abzuhalten, ebenfalls offensiv mit den Geldstrafen umzugehen.

Wird die Residenzpflicht in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt?

Ja, es gibt Unterschiede, aber das Gesetz ist überall das gleiche. Das Gesetz wird von verschiedenen Personen ausgeführt, die das Gesetz unterschiedlich handhaben. Es gibt Bundesländer oder auch einzelne Ausländerbehörden wie zum Beispiel die im Wartburgkreis, bei der Flüchtlinge 15 DM zahlen müssen, damit sie überhaupt die Erlaubnis bekommen, den Kreis verlassen zu dürfen.

In den westlichen Bundesländern, zum Beispiel im Kreis Hannover oder Hamburg, ist das Gebiet, in dem sich die Asylsuchenden bewegen können, etwas größer. In Thüringen aber gibt es sehr viele, sehr kleine Landkreise. Deshalb ist es im Westen auch schwieriger, für die Residenzpflichtkampagne zu mobilisieren, da die Flüchtlinge dort in der Regel ein größeres Gebiet haben, in dem sie sich bewegen können, und es länger dauert, bis sie dieses Gebiet verlassen. Auch hier sind es vor allem die politisch Aktiven, die die Landkreisregelung brechen, da sie in andere Teile Deutschlands, zum Beispiel zu bundesweiten Treffen, reisen müssen.

Der Kongress in Jena im April dieses Jahres war auch der Startschuss für die Kampagne gegen die Residenzpflicht. Welche Aktionen wurden bislang durchgeführt?

Am 8. Juli hat die Karawane in verschiedenen Städten Bahnhofsaktionen und Fahrraddemonstrationen, bei denen Landkreisgrenzen übertreten wurden, durchgeführt. Jetzt verstärken wir die Mobilisierung, vor allem für die Demonstration in Hannover am 3. Oktober. Am Tag der deutschen Wiedervereinigung, werden wir darauf hinweisen, dass in Deutschland Menschen leben, die nicht einmal ihren Landkreis verlassen dürfen.

Habt Ihr auch Bündnispartner gewonnen und gab es bereits Reaktionen auf die Kampagne, irgendwelche positiven Entwicklungen?

Die Kampagne läuft etwas schleppend. Es gibt immer noch deutsche Gruppen, die zwar sehr engagiert sind, die aber die Residenzpflicht für nicht so wichtig erachten. Es dauert sehr lange, sie davon zu überzeugen.

Pro Asyl und der Flüchtlingsrat in Thüringen unterstützen uns mittlerweile in verschiedener Hinsicht. Der Flüchtlingsrat hatte auch angeboten, meine Geldstrafe zu übernehmen, aber ich wollte das Geld nicht annehmen. Das das Zahlen der Geldstrafe normalisiert das Problem.

Ich kann keine 5000 DM zahlen. Ich könnte zwar zu verschiedenen deutschen Unterstützer-Gruppen gehen und das Geld sammeln, aber es löst nicht das eigentliche Problem. Ein anderer Flüchtling hat vielleicht nicht die Möglichkeit, an Geld zu kommen, so wie ich als exponierte Person. Sie haben nicht einmal die 20 DM, um das Bußgeld zu bezahlen. Diejenigen, die keinen Kontakt zu einem Flüchtlingsrat haben und nicht politisch engagiert sind, werden dann weiterhin unter dieser Regelung leiden.

Viele andere Asylsuchende warten noch ab oder fürchten sich davor, was ihnen wohl passieren wird, wenn sie irgendwo kontrolliert werden und sich dann weigern, ein Strafgeld zu bezahlen. Ein Problem für die Kampagne ist auch, dass sich Asylberechtigte, die bereits ihre Papiere haben, nicht so leicht mobilisieren lassen, da sie von der Residenzpflicht nicht mehr betroffen sind.

Wenn wir für den Prozess viel Unterstützung von außen erfahren, könnte unser Verhalten ein Beispiel sein, dem andere Flüchtlinge folgen würden. Wir haben vor, notfalls durch alle Instanzen zu gehen - auch bis zum Europäischen Gerichtshof. Wir wissen, dass es selbst vor dem Bundesverfassungsgericht sehr wahrscheinlich eine negative Antwort in dieser Frage geben wird, deshalb bereiten wir uns jetzt schon vor, den Fall bis zum Europäischen Gerichtshof zu bringen.

Eng verbunden mit der Residenzpflicht ist das Problem rassistischer Kontrollen vor allen an Bahnhöfen, in Zügen, in denen das "Schöne-Wochenende-Ticket" gilt, und an Autobahn-Raststätten. Will die Kampagne auch gegen diese Kontrollen vorgehen?

Um die rassistischen Kontrollen zu verhindern müssen wir die entsprechenden Gesetze bekämpfen. Es gibt einige rassistische Gesetze in Deutschland und diese müssen wir benennen und öffentlich kritisiern - zum Beispiel die Residenzpflicht. Die Polizeikontrollen sind direkt damit verbunden, sei es im Bahnhof oder bei einer Polizeirazzia in dem Asylheim, in dem ich zum Beispiel gerade einen Freund besuche.

Es ist aber wichtig zu betonen, dass die Kontrollen an sich rassistisch sind. Die Polizei, die sozusagen das Gesetz repräsentiert, macht ihre normale Arbeit und diese Arbeit ist rassistisch.

Das Herauspicken von Ausländern an Bahnhöfen und Raststätten ist ein rassistischer Akt. Wir kritisieren diese Kontrollen, gleichzeitig wollen wir aber die Residenzpflichtkampagne verstärken und betonen, dass wir diese rassistischen Gesetze nicht befolgen. Und wenn jeder Flüchtling diese Gesetze bricht, werden sie nutzlos.

Leicht ist das nicht. Auch wenn uns Deutsche unterstützen wollen, können sie bestraft werden. Wenn du andere unterstützt, die das Gesetz brechen wollen, droht auch dir eine Strafe. Zum Beispiel wurden diejenigen, die im Kosovokrieg zur Desertion aufgerufen haben, deshalb vor Gericht gestellt.

Aber wenn auch die Deutschen aufstehen und die Flüchtlinge darin unterstützen, die rassistischen Gesetze zu brechen und sich auch selbst an der Kampagne beteiligen, kann dies sehr wirksam sein, um die rassistischen Gesetze abzuschaffen. Auch wenn ein Deutscher beobachtet, wie ein Ausländer am Bahnhof von der Polizei kontrolliert wird, sollte er fragen, warum gerade der Ausländer kontrolliert wird und nicht andere Deutsche - das wäre schon einmal eine kleine Hilfe.

In was für einem Licht siehst Du die derzeitige Diskussion über rechte Gewalt in Deutschland?

Was in den Medien darüber gesprochen wird, könnte man als ein Spiel zwischen Katze und Hund beschreiben. Der Hund versucht die Katze zu fangen und die Katze den Hund. Aber wir wissen alle, dass der Hund niemals die Katze fangen wird und umgekehrt. Die Ratte, die sowohl vor dem Hund als auch vor der Katze Angst hat, wird natürlich nie erwähnt. So fühlen sich die Flüchtlinge; sie sehen sich in der Rolle der Ratte.

Die Politiker fällen Entscheidungen und rufen nach Verboten. Niemand aber hat uns, Flüchtlinge und Migranten, nach unserer Meinung gefragt. Das Ziel von The Voice und der Karawane ist es, Rassismus und Rechtsradikalismus zu bekämpfen. Weil ich als ein Vertreter von The Voice gegen Rassismus kämpfe, werde ich nun angeklagt. Da ist doch etwas faul.

Einmal wurde ich von Nazis in Jena angegriffen; in meiner Not konnte ich aber nicht die Polizei verständigen, da ich mich ohne Erlaubnis in Jena aufhielt. Statt geschützt zu werden wäre ich nur kontrolliert und bestraft worden. Die Gesetze machen uns Flüchtlinge schwach und so sehen uns auch die Deutschen. Diese Gesetze sind der Nährboden für die rechte Gewalt.

Was erwartest Du von deutschen Unterstützergruppen?

Leider ist es sehr schwierig, die deutschen Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen, von unserem Anliegen zu überzeugen. Man denke an die Caritas, die Diakonie, an die Kirchen, sie könnten eine starke Kraft sein. Auch die Berichterstattung in den Medien ist wichtig.

Eine andere Sache ist die finanzielle Unterstützung für den Solifonds, um die Rechtsanwälte zu bezahlen. Natürlich brauchen wir auch politische Unterstützung von fortschrittlichen Parteien und Organisationen. Wir erhoffen uns große Unterstützung - finanziell, ideell und materiell, v.a. wenn Flüchtlinge in akuter Gefahr sind. Ich kann natürlich nicht diktieren wie die Hilfe aussehen soll.

Es gibt vielfältige Möglichkeiten. Zum Beispiel der Prozess in Worbis. Wenn vielleicht 200 Deutsche zum Prozess kommen würden und dem Richter deutlich machen, daß sie gegen die Residenzpflicht sind und mich bis zum Europäischen Gerichtshof begleiten, dann würde vielleicht auch die deutsche Öffentlichkeit davon erfahren. Die Regierung müsste sich dazu verhalten. Wir erwarten von der Regierung wirklich keine großartigen Veränderungen, aber das Engagement der Deutschen wird eine sehr wichtige Rolle spielen für die Abschaffung der Residenzpflicht.

Interview: Anke Schwarzer