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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 442 / 28.9.2000

Moderne Karrieren

Vom Staatsterrorist zum Privatisierungsgewinner - Der Fall Cavallo

Ricardo Miguel Cavallo führte ein angenehmes Leben im Exil. Im August 1999 übernahm der Argentinier die Leitung der privatisierten mexikanischen Fahrzeugregistrierungsstelle RENAVE. Er unterhielt gute Kontakte zu Regierungskreisen, die Yellow-Press feierte ihn als erfolgreichen Geschäftsmann. Um so überraschter war die mexikanische Öffentlichkeit, als Cavallo am 24. August bei einer Zwischenlandung auf dem Flughafen des Urlaubsortes Cancun von Interpol festgenommen wurde. Der seit der Festnahme Pinochets 1998 in London einschlägig bekannte spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzon beantragte umgehend Cavallos Auslieferung, die französische Justiz kündigte die gleiche Maßnahme an.

Die Zeitung Reforma hatte kurz vor Cavallos Festnahme Zeugenaussagen veröffentlicht, die ihn als den ehemaligen argentinischen Korvettenkapitän Miguel Angel Cavallo entlarvten. Eine Woche nach der Verhaftung bestätigten die mexikanischen Behörden die Angaben der Reforma. Nun bahnt sich ein internationales juristisches Tauziehen an. Doch schon jetzt befördert der Fall Cavallo für die Regierungen Mexikos und Argentiniens höchst unangenehme Verwicklungen ans Tageslicht.

Miguel Angel Cavallo alias Ricardo Miguel Cavallo gehört zu den 98 argentinischen Militärs und Zivilisten, gegen die Garzon vergangenes Jahr einen internationalen Haftbefehl erwirkte. Die Klage gegen alle lautet: Völkermord, Folter und Terrorismus während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983). Insgesamt 30.000 Menschen wurden während dieser Zeit ermordet oder gelten bis heute als "verschwunden".

Das Pinochet- Phänomen

Garzon begründet die internationalen Haftbefehle mit Dutzenden von Aussagen überlebender Diktaturopfer, die während des Militärregimes verschleppt, in geheimen Haftzentren festgehalten und gefoltert wurden. Aufmerksam auf Cavallo wurde der dynamische spanische Jurist durch die Schilderungen fünf Überlebender eines inoffiziellen Gefängnisses der argentinischen Marine. Sie identifizierten Cavallo, der unter dem Namen "Marcelo" oder "Serpico" agierte, als einen ihrer Folterer. Französische Menschenrechtsanwälte machen Cavallo für die Beteiligung am Mord an den französischen Ordensschwestern Alice Domon und Leonie Duquet verantwortlich, die 1977 "verschwanden". Außerdem soll Cavallo bei der "Vermittlung" von Säuglingen inhaftierter Oppositioneller an finanzkräftige Interessenten kräftig mitgemischt haben.

Für Garzon fallen die Anklagepunkte gegen Cavallo unter den Tatbestand der "Verbrechen gegen die Menschheit", die laut der 1995 reformierten spanischen Gesetzgebung "extraterritorial", d.h. international verfolgt und geurteilt werden können. Doch der spanischen Generalstaatsanwaltschaft ist der Fall offenbar zu heiß. Sie möchte sich die Finger nicht verbrennen und vertritt die Position, dass die Verbrechen, für die Cavallo von Garzon angeklagt wurde, vor der betreffenden Gesetzesreform im Jahre 1995 begangen wurden. Der Offizier im Ruhestand könne deshalb nicht rückwirkend in Spanien vor Gericht gestellt werden. Generalbundesstaatsanwalt Pedro Rubira führte zusätzlich ins Feld, dass Garzons Anklagepunkte gegen Cavallo in Argentinien bereits durch zwei Gesetze amnestiert worden sind.

Tatsächlich war dem ehemaligen Offizier in seiner Heimat schon einmal der Prozess gemacht worden. Das sogenannte Gesetz zum Befehlsnotstand 1985 bescheinigte ihm jedoch, auf Befehl gehandelt zu haben und bewahrte ihn vor einer Haftstrafe. Diese juristische Figur sowie das zwei Jahre später verabschiedete Dekret des "Schlusspunkts", das die Begnadigung der meisten argentinischen Diktaturschergen ermöglichte, wurden von den Ex-Präsidenten Raul Alfonsin von der Radikalen Partei (UCR) und Carlos Menem vorangetrieben.

Der Fall Cavallo könnte nun dafür sorgen, dass die beiden Persilscheine dem im Oktober 1999 gewählten Präsidenten Fernando de la Rua schmerzhaft auf die Füße fallen. Der ehemalige Bürgermeister von Buenos Aires ist ein Ziehkind Alfonsins, regiert aber mit einer Koalition, in der auch FREPASO, ein Mitte-Links-Bündnis mit bekannten MenschenrechtsaktivistInnen vertreten ist. De la Rua trat mit dem Versprechen an, die unter Menem verfolgte Politik der systematischen Straflosigkeit zu bekämpfen. Stellt er sich nun hinter Garzon und die argentinischen Menschenrechtskreise, könnte es Probleme mit den nach wie vor einflussreichen argentinischen Militärs geben. Deckt er Cavallo, ist seine Koalition in Gefahr. Dieses Dilemma löste de la Rua bisher wenig elegant, indem er äußerte, seine Regierung werde sich in den Fall Cavallo nicht einmischen.

So ist Argentinien paradoxerweise das einzige Land, in dem sich Cavallo vor der internationalen Justiz sicher wähnen kann. Dorthin wollte er auch abtauchen, als er von Interpol festgenommen wurde. Wäre er an seinem Ziel, der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires angekommen, hätte er sich zur Kolonie ehemaliger Diktaturschergen gesellen können, gegen die ausnahmslos im Ausland Klagen anhängig sind. Unter ihnen befindet sich beispielsweise Alfredo Astiz, Cavallos Mitstreiter aus gemeinsamen Zeiten in der Kriegsmarine. Astiz wurde von der französischen Justiz wegen des Mordes an den beiden französischen Nonnen in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt.

Oase der Straflosigkeit

Astiz und Cavallo - so die Zeugenaussagen - waren in den 70er Jahren Mitglieder der berüchtigten Eingreiftruppe GT 3.32 mit Sitz in der Mechanikerschule der argentinischen Marine (ESMA) in Buenos Aires. Hinter dem harmlos klingenden Namen verbarg sich eines der am meisten gefürchteten geheimen Haft- und Folterzentren des Militärregimes. Cavallo gehörte zu einer ausgewählten Gruppe von Marineoffizieren, die direkt der Befehlsgewalt von Admiral Emilio Massera unterstand, einem der drei Mitglieder der Militärjunta.

Im Haftbefehl Garzons nicht erwähnt sind Cavallos "Fähigkeiten" im Bereich der Dokumentenfälschung und der illegalen Aneignung. Als Leiter besagter Eingreiftruppe der ESMA soll er am Verkauf von den Autos der Ermordeten beteiligt gewesen sein. Immer wieder ist dabei die Rede von der Fälschung von Nummernschildern. Die Zwangsenteignung der Diktaturopfer war integraler Bestandteil des argentinischen Staatsterrorismus. Allein die Offiziere der ESMA sollen sich auf diese Weise ein Vermögen von rund 70 Millionen Dollar angeeignet haben.

Nach dem Ende des Militärregimes gründeten sich zahlreiche Unternehmen, deren Startkapital aus dem gestohlenen Besitz der Diktaturopfer bestand. Spezialgebiet all dieser Unternehmen waren und sind die zivilen Meldestellen und Register: die Ausstellung und Verwaltung von Ausweisen, Pässen oder Kfz-Papieren. So verwandelte sich auch Cavallo - der lediglich einen Teil seines Vornamens änderte - vom brutalen Foltergeneral zum dynamischen Unternehmer. Seine Initiativen als Geschäftsmann konzentrierten sich darauf, ein Netz von Firmen in Guatemala, El Salvador, Panama und Costa Rica aufzubauen, die auf Bearbeitung und Ausstellung von Ausweispapieren spezialisiert sind. Cavallo profitierte dort von der Privatisierung ehemals staatlicher Behörden und Unternehmen. Vergangenes Jahr gründete er auch in Mexiko eine Firma - TALSUD. Im August 1999 erhielt TALSUD prompt den Zuschlag für die Übernahme der ehemals staatlichen RENAVE. Europäische Konkurrenten wie beispielsweise Siemens schlug Cavallo ironischerweise aus dem Rennen.

Den Zuschlag erteilte Herminio Blanco, Handels- und Industrieminister Mexikos. Blanco versucht seither - wenig glaubwürdig -, den Verdacht der Korruption und Komplizenschaft mit Cavallo zu entkräftigen. Der ominöse Selbstmord von Blancos Unterstaatssekretär Anfang September verstärkte allerdings die Forderung der Presse und der mexikanischen Oppositionsparteien nach der vollständigen Aufklärung des Privatisierungsprozesses von RENAVE.

Blanco wäre nicht der erste korrupte Minister im Kabinett von Mexikos scheidendem Präsidenten Ernesto Zedillo: Seit Monaten läuft ein internationaler Haftbefehl gegen den ehemaligen Tourismusminister Oscar Espinosa Virreal. Der Anklagepunkt lautet: Veruntreuung von umgerechnet 100 Millionen DM. So verwundert es kaum, dass die mexikanische Regierung sich mit Erklärungen zum Fall Cavallo vornehm zurückhält. Denn die seit den Wahlen im Juli demontierte Nochregierungspartei PRI kann sich einen weiteren Imageschaden, noch dazu auf internationalem Parkett, nicht leisten, will sie nicht komplett in die politische Bedeutungslosigkeit entschwinden.

Für Cavallo, den Ex-Marineoffizier, wendigen Geschäftsmann und Direktor von RENAVE, der seine Nächte momentan allerdings in einem Untersuchungsgefängnis östlich von Mexiko-Stadt verbringt, bedeutete die Kontrolle über die Neu-Registrierung aller 14 Millionen mexikanischen Fahrzeuge einträgliche Geschäfte. Und zwar in verschiedener Hinsicht. Legale Profite ließen sich mit den Gebühren bei der An-, Um- oder Abmeldung von Fahrzeugen sowie der Ausstellung der entsprechenden Papiere machen; illegale Gewinne mit der Möglichkeit, mit offiziellen Papieren in Mexico gestohlene Fahrzeuge zu legalisieren, um sie auf dem lukrativen zentralamerikanischen Automarkt verkaufen zu können. Rund 100.000 PKW "verschwinden" jährlich in Mexiko, die Hälfte davon Wagen der Luxusklasse. Recherchen verschiedener mexikanischer Experten zur organisierten Kriminalität ergaben, dass die Einnahmen aus dem Handel mit gestohlenen Fahrzeugen nur durch die Gewinne im Drogengeschäft übertroffen werden.

Datenschutz-
verletzung durch Privatisierung

Weitere potenzielle Einnahmequellen für Firmen wie TALSUD ergeben sich durch den Zugriff auf die vielfältigen personenbezogenen Daten, die bei der An- oder Ummeldung von Fahrzeugen angegeben werden müssen: Anzahl der Autos eines Haushaltes, Modelle, Adresse des Fahrzeughalters etc. Angesichts der zunehmenden Entführungsfälle in Mexiko, bedeutet der Besitz dieser Daten Insider-Informationen, die verkauft oder direkt genutzt werden können.

Menschenrechtsorganisationen warnen seit Jahren vor den Gefahren der Datenschutzverletzung, die bei der Privatisierung staatlicher Verwaltungseinrichtungen entstehen. Insbesondere in den sensiblen Bereichen der zivilen Melderegister und Ämter, die für die Ausstellung von Dokumenten aller Art verantwortlich sind. Vertrauenwürdiger wird die Angelegenheit nicht dadurch, dass Firmen die Ausschreibungen für sich entscheiden, deren Chefs Tätigkeiten in Geheimdienststrukturen des Militärs nachgewiesen werden können.

Bis zum 23. Oktober muss Baltasar Garzon der mexikanischen Justiz ein formales Auslieferungsgesuch vorlegen. Ob die mexikanische Staatskanzlei dem Antrag stattgibt, ist indes mehr als fraglich. Denn nicht nur in der "Oase der Straflosigkeit", wie der Argentinische Menschenrechtsverein - Madrid das südamerikanische Land bezeichnet, berufen sich Armeekreise und Politiker auf die nationale Souveränität, wenn es einem der Ihren im Ausland juristisch an den Kragen gehen soll. Auch "Mexiko hat sich schon immer geweigert", moniert der Journalist Sergio Sarmiento in der Reforma, "die extraterritoriale Anwendung der Gesetze anderer Länder zu akzeptieren."

Jutta Klas/Stefanie Kron